Entfremdung

fische organize„Workers“, das Spielfilmdebüt von José Luis Valle

 „Und der Arbeiter, der zwölf Stunden webt, spinnt, bohrt, dreht, baut, schaufelt, Steine klopft, trägt usw. gilt ihm dies zwölfstündige Weben, Spinnen, Bohren, Drehen, Bauen, Schaufeln, Steinklopfen als Äußerung seines Lebens, als Leben?“ Karl Marx schrieb das über die entfremdete Arbeit seiner Zeitgenossen, die er im 19. Jahrhundert beobachtete. Das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmers José Luis Valle zeigt, dass sich hieran nur wenig verändert hat.

von Bernjamin Trilling, Dortmund

Trotz all der Sequels, Comicverfilmungen und TV-Recycle-Produkten, mit denen das Mainstreamkino den Markt überschwemmt, hat sich ein sozialkritischer Arthouse-Film eine Nische im Gegenwartskino erobert. Galionsfiguren des britischen Sozialdramas wie Ken Loach (Ladybird Ladybird) oder Mike Leigh (Naked) zeigten in ihren Filmen die Misere der britischen Unterschichten, auch die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (L’enfant) oder RegiseurInnen des jeune cinéma français (z.B. Mathieu Kassovitz‘ La Haine) griffen diese gesellschaftskritischen Aspekte auf und initiierten eine Renaissance des sozialrealistischen Autorenfilms. Mit Wucht, nah am Lebensalltag, zuweilen kapitalismuskritisch, kommt nun das jüngste mexikanische Kino daher, so nun das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmers José Luis Valle – ein kleiner Kinojuwel.

Arbeit statt Rente

Endlich ist es soweit, der Fabrikarbeiter Rafael steht vor seiner Pension, wofür er sämtliche Vorkehrungen trifft: Er kauft sich extra neue Schuhe und lässt sich zur Erinnerung ein Tattoo stechen. 30 Jahre hat er gewissenhaft für seinen Arbeitgeber geschuftet, ohne einen Tag krank zu sein, ohne einen Tag Urlaub genommen zu haben. Als er nun mit der Forderung, seine Rente zu erhalten, vor seinem Chef sitzt, muss dieser ihn enttäuschen. Rafael hat als illegaler Einwanderer kein Recht auf Rente. Aber sein Chef gibt zu wissen, dass er sich nicht an die Behörden wenden wird und ist sogar so gnädig, ihn weiterarbeiten zu lassen.

Alles für Princesa

Die ungefähr gleichaltrige Lidia arbeitet seit ebenso 30 Jahren für eine steinalte und todkranke Dame, die ausschließlich für Princesa, ihre Hündin lebt. Dem Wohlergehen von Princesa ist alles untergeordnet: ihr exakt abgewogenes Filetfleisch frisst sie aus vergoldeten Näpfchen, jeden Tag wird sie im Mercedes spazieren gefahren, damit sie den abendlichen Sonnenuntergang bestaunen kann, vor allem soll die Hündin davor bewahrt werden, die hässlichen Seiten Tijuanas sehen zu müssen. Als die Herrin stirbt, wird Lidia und den anderen Hausangestellten das Testament vorgelesen: Das gesamte Erbe geht an die Hündin Princesa, die zehn Arbeiter erben den gesamten Besitz der Herrin erst nach dem Ableben der Princesa – „natürlich eines natürlichen Todes“. Bis dahin wird die Arbeit der Hausangestellten wie zuvor fortgeführt – für die Hündin Princesa.

Absurde Arbeitswelt

Meereswellen, dann, nach einiger Zeit, ein langsamer Schwenk auf eine graue Wand… Schon mit der Anfangsszene macht Jose Luis Valle seinen Stil klar, er arbeitet mit beobachtenden Totalen, verharrt oft in ihnen, verlangt dem Zuschauer dabei Geduld ab. Zuweilen erinnert das an den Stil Ulrich Seidls (Paradies-Trilogie), nicht zuletzt an dessen sozialkritischen „Import/Export“.

Trotzdem entwickeln Valles durchkomponierte Bilder eine Sogkraft. Das liegt vor allem an die Absurdität der Arbeitswelt, die durch seine Bilder vermittelt wird, etwa die triste Monotonie der Arbeit durch gezielte Farbkomposition. Er artikuliert damit politische Kritik, aber nicht, wie viele andere sozialkritische Autorenfilmer, in einer schreienden Sozialkritik, sondern in einer entlarvenden Absurdität dieser schönen neuen Arbeitswelt.

Leises Aufbegehren

Aber auch als Erzähler ist José Luis Valle großartig. Die beiden Erzählstränge werden nie zusammengeführt, nur gelegentlich wird eine gemeinsame Vergangenheit Lidias und Rafaels angedeutet, beide waren vor Jahren ein Paar, beide trauern um eine totes Kind, wohl ihr gemeinsames Kind. Neben dem leisen, absurden Humor sind es die Momente, in denen die Protagonisten anfangen, sich zu wehren, gegen ihren entfremdeten Arbeitsalltag aufbegehren, die auch Valles „Workers“ auszeichnen. Die Hausangestellten um Lidia erzählen sich von ihren Träumen, davon, irgendwann mal wieder ins alte Heimatdorf zurückzukehren, wieder jung zu sein, genug Geld zum leben zu haben. Das mündet aber in der nüchternen Einsicht, ärmer als die Hündin Princesa, die noch nicht mal weiß, reicher als ihre Hausangestellten zu sein – als polemischer Stachel gegen eine Klasse, der es, ob ihres bornierten, gesellschaftlichen Bewusstseinsstands, nicht gelingt, auch eine parasitäre Clique für- statt nur an-sich zu werden? Die Einsicht in diese Absurdität, für einen Hund zu arbeiten, lässt die Hausangestellten dann auch verständlicherweise ein Interesse daran haben, den Lebensabend der Princesa zu verkürzen. Wehren wird sich auch Rafael. Herrlich, wie er die entfremdete Arbeit stoisch nimmt, seine proletarische Würde mit leisen Gesten verteidigt. Für die Ablehnung seiner Pension wird er sich mit kleinen Sabotageakten revanchieren…

Der jüngste mexikanische Film rockt das Gegenwartskino. Nach Alejandro Gonzáles Iñárritu („Biutiful“, „Babel“, „Amores perros“), Carlos Reygadas („Japon“), u.a. reiht sich nun auch José Luis Valle mit seinem beeindruckenden Spielfilmdebüt in diese Reihe ein.

Der Film läuft im „Sweet Sixteen“, Dortmund