200. Montagsdemo gegen Stuttgart 21

Foto: http://www.flickr.com/photos/dielinkebw/ CC BY-ND 2.0
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Wie weiter im Kampf gegen das Profitprojekt?

Was mit drei Aktivisten am Montag, den 26.10.2009 am Stuttgarter Hauptbahnhof begann, entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte und zum Rückgrat einer der ausdauernsten Bewegungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Am 2.12.2013 gab es die zweihundertste Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 mit um die 7.000 TeilnehmerInnen.

von Ursel Beck und Wolfram Klein (SAV Stuttgart und aktiv im Widerstand gegen Stuttgart 21)

Über die erste Montagsdemo kursieren Anekdoten von wenigen Menschen, die durch Stuttgart geirrt sind und einander nicht gefunden haben. Bezeichnend für die Bewegung gegen Stuttgart 21 war aber, dass sich die InitiatorInnen durch den Fehlstart nicht entmutigen ließen, sondern am nächsten Montag wieder kamen. In den kommenden Wochen entwickelten sich die Montagsdemos am (einige Monate später abgerissenen) Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs zu einer Institution. Es kamen Dutzende, Hunderte, Tausende. Am 7.12.2009 wurde die 2.000-Marke überschritten. Zwei Monate später waren es bereits 3.000. Nach dem Abriss des Nordflügels des Bahnhofsgebäudes gingen am 2.8.2010 6.000 auf die Straße und am 13.9.2010 bereits 17.000.

Nach dem Schwarzen Donnerstag, dem Tag als die Polizei mit brachialer Gewalt gegen friedlich blockierende SchülerInnen und Aktivisten vorging, erreichte die Teilnehmerzahl bei der Montagsdemo am 4.10. einen bisherigen Rekord von 50.0000.

Hinzu kamen Demonstrationen an Freitagen bzw. Samstagen mit 10.000, 20.000 und sogar von 100.000 am 9.10.2010.

Seitdem hat die Bewegung eine Reihe von Niederlagen erlitten. Die Schlichtung von Heiner Geißler brachte die Bewegung in die Defensive. Die Seitenflügel des Hauptbahnhofs wurden abgerissen, Hunderte von Bäumen wurden abgeholzt, die Stadt mit blauen Rohren verunstaltet, die ersten Tunnels gebuddelt.

Mit der verlorenen Volksabstimmung versuchen Projektbetreiber einschließlich der Grüne/SPD-Landesregierung den Widerstand zu delegitimieren. Erstaunlich ist angesichts dessen nicht, dass die Bewegung gegen Stuttgart 21 wieder kleiner geworden ist, sondern dass immer noch Montag für Montag rund 2.000 auf die Straße gehen – und bei besonderen Anlässen wie der 200. Montagsdemo oder dem 30.9.2013 (als erstmals der Jahrestag des Schwarzen Donnerstag auf einen Montag fiel) ein Vielfaches davon.

Argumente und Interessen

Über 200 Montagsdemos, das heißt: Hunderte von Redebeiträgen, in denen die Propagandamärchen der Stuttgart-21-Befürworter auseinander genommen wurden und unzählige Argumente gegen das Projekt aus den verschiedensten Blickwinkeln zusammengetragen wurden. Es hat wohl wenige politische Bewegungen gegeben, die so gut informiert waren, so großen Wert auf Argumente legten und so großes Vertrauen in die Kraft der Argumente hatten. So eine Bewegung als „Wutbürger“ zu diffamieren, ist einfach abwegig.

In Wirklichkeit vertrauen manche AktivistInnen zu sehr auf Argumente und berücksichtigen zu wenig, dass es im Kern nicht um Fakten und Argumente geht, sondern um gegensätzliche Interessen, um Macht und Gegenmacht. Es geht um die Schaffung von Freiflächen in der Innenstadt für Immobilienspekulanten, es geht um den Rückbau des öffentlichen Verkehrs zugunsten der Autokonzerne. Es geht darum, zweistellige Milliardenbeträge an öffentlichen Geldern auf die Konten von Baukonzernen, Banken und Immobilienhaien zu transferieren. Kurzum: Es geht um die Interessen einer winzigen Minderheit von Kapitalisten. Das sprechen korrupte Politiker natürlich nicht offen aus. Sie lügen, betrügen, besorgen sich Gefälligkeitsgutachten, sogenanntes Expertenwissen und Gerichtsurteile. Die Bezeichnung „Lügenpack“ ist wohlverdient.

Es ist völlig illusorisch, mit noch so guten Argumenten und Fakten die Projektbetreiber zum Aufgeben zu bringen. Die verschiedenen Fachgruppen (Ingenieure, Architekten, Juristen etc.) entdecken tatsächlich mit viel Fleiß, Spürsinn und Engagement immer wieder neue Risiken und Probleme, die natürlich ihren Platz in den Redebeiträgen haben müssen. Aber das nimmt zu viel Raum ein und wiederholt sich. Wir erleben in den letzten Monaten, dass angesichts der konkreten Erfahrungen mit der wahrnehmbaren Stadtzerstörung für Stuttgart 21 (Verkehrsbehinderungen, nächtlicher Baulärm etc.) Unmut wächst. Nach einer Meinungsumfrage vor ein paar Monaten ist wieder eine Mehrheit in Stuttgart gegen das Projekt. Aber sehr viele haben das Gefühl, dass sich Stuttgart 21 nicht mehr stoppen lasse. Eine wichtige Aufgabe der Montagsdemos wäre, diesem Gefühl entgegenzuwirken, eine Vorstellung zu vermitteln, wie das Projekt noch zu stoppen ist, statt die Illusion zu schüren, dass das Projekt an seinen eigenen Widersprüchen von selbst scheitert.

Bei den Montagsdemos wird vor allem auf zwei neue Bürgerbegehren und diverse juristische Schritte verwiesen. Das reicht in der jetzigen Situation nicht. Es ist notwendig, den Widerstand zu verbreitern und mit anderen außerparlamentarischen Initiativen zu vernetzen. In seiner Rede bei der 200. Montagsdemo sagte der Theaterregisseur Volker Lösch unter riesigem Beifall der tausenden Demoteilnehmer, dass sich der Widerstand gegen Stuttgart 21 vernetzen sollte mit anderen Protesten, dass man sich die Haushaltsberatungen im Gemeinderat genau anschauen und wenn nötig dagegen protestieren, dass den Stör- und Blockadeaktionen mehr Aufmerksamkeit gegeben werden sollte.

Kontroverse um den Demo-Ort

Die Frage des Demo-Orts ist inzwischen zu einer Kontroverse in der Bewegung geworden. In den Medien wird Stimmung gemacht wegen der montäglichen Verkehrsbehinderungen. Das Ordnungsamt der Stadt Stuttgart verhängte gegen drei Montagsdemos vor Weihnachten ein Demoverbot für den Platz vor dem Hauptbahnhof und bekam dafür die höchst richterliche Unterstützung vom Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Bei der 202. Montagsdemo besetzten DemonstrantInnen einfach den nicht genehmigten Kundgebungsplatz und zogen auf einer selbst gewählten Route durch die Innenstadt. Damit sich dies nicht wiederholt, drohte die Polizei mit Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen bis zu 180 Tagesssätzen nach § 25 des Versammlungsgesetzes. Das Ergebnis war, dass bei der Montagsdemo darauf der Platz wieder besetzt wurde und weit über 1.000 DemoteilnehmerInnen ohne Rücksicht auf Anweisungen der Polizei auf einer neuen Demoroute durch die Innenstadt marschierten und sich auch durch eine Polizeikette nicht aufhalten ließen. Angesichts der Überzahl von DemonstrantInnen waren die wenigen Polizisten machtlos und mussten den massenhaften zivilen Ungehorsam über sich ergehen lassen.

In einer Situation, in der die Stadt Stuttgart und die Polizei den traditionellen Demo-Ort versucht zu unterbinden, käme eine freiwillige Verlegung der Montagsdemo einer Kapitulation gleich. Wenn wir uns das Ziel setzen, lieb und nett zu sein, möglichst pflegeleicht zu sein, werden wir Stuttgart 21 bestimmt nicht mehr stoppen. Natürlich müssen wir die Bevölkerung erreichen und sollten darauf achten, sie nicht unnötig zu verärgern. Aber ein Grund, warum die Bewegung im Sommer 2010 so große Sympathien gewonnen hat, war, dass sie deutlich machte, dass sie es ernst meinte, dass es nicht um symbolischen Protest, sondern wirklich um die Verhinderung von Stuttgart 21 ging. Etwas weniger Bravheit und etwas mehr Aufmüpfigkeit tun der Bewegung gut. Das hat die hervorragende Stimmung auf den beiden Montagsdemos vor Weihnachten gezeigt.

Vor allem sollte die Entscheidung über den Demo-Ort nicht im kleinen Kreis eines Aktionsbündnisses oder Demoteams fallen, sondern breit in der Bewegung entschieden werden. Was spricht dagegen, auf einer Montagsdemo abzustimmen?

Und erst recht dürfen wir uns nicht von Politikern mit gestörtem Verhältnis zur Versammlungsfreiheit wie dem Stuttgarter CDU-Ordnungsbürgermeister Schairer und dem grünen Oberbürgermeister Kuhn vorschreiben lassen, wo wir demonstrieren!

Erfolgreiche Blockadeaktionen

Im Dezember gab es anlässlich einer Tunnelanstichsfeier und der Anlieferung eines Teils einer Tunnelbohrmaschine Blockadeaktionen mit beachtlicher Beteiligung. Die Blockadegruppe der Parkschützer ist der Meinung, dass die Beteiligung noch besser gewesen wäre, wenn die Montagsdemos davor für die Mobilisierung dafür genutzt worden wären. Die Blockadegruppe ist der Meinung, dass Blockadeaktionen mit der zunehmenden Stadtzerstörung von zentraler Bedeutung im Widerstand gegen S 21 sein sollten.

Widerstand geht weiter

Je mehr die Bevölkerung in Stuttgart unter den Auswirkungen der gegenwärtigen Stadtzerstörung leidet, desto mehr Unmut wird es geben. Die Akzeptanz von Demos und Aktionen des direkten Widerstands wird deshalb eher zu- als abnehmen. In Untertürkheim sind aufgrund des Höllenlärms von Rammarbeiten 50 Anwohner im August 2013 nachts zur Baustelle gegangen, haben sie blockiert und die Einstellung der Arbeiten erzwungen. Solche Beispiele von spontanem Widerstand nehmen hoffentlich zu.

Trotz Baubeginn kann das Wahnsinnsprojekt immer noch gestoppt werden. Dafür sind Entschlossenheit und ein langer Atem notwendig.

Fotos von der 200. Montagsdemo am 2.12.2013 von Wolfgang Rüter

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Fotos von der Blockade gegen die Anlieferung der Tunnelbohrmaschine am 12.12.2013 von Wolfgang Rüter

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Rede von Volker Lösch bei der 200. Montagsdemo am 2.12.2013

Redebeitrag von Susanne Büdecker von der Blockadegruppe der Parkschützer bei der Montagsdemo am 23.12.2013

Thomas Trueten vom Bündnis für Versammlungsfreiheit beim Offenen Mikrofon nach der Montagsdemo am 23.12.

Beitrag von Ursel Beck beim Offenen Mikrofon am 23.12. 2013