1973 erschien die erste Ausgabe der marxistischen Zeitung „VORAN“

VORAN 197340 Jahre aktiv für sozialistische Demokratie

Vor vierzig Jahren, im Dezember 1973 – erschien die erste Ausgabe der marxistischen Zeitung „VORAN“ in der Bundesrepublik. Das war der Beginn des Aufbaus einer neuen marxistischen Organisation, aus der 1994 die SAV wurde. „VORAN“ wurde 2002 in „Solidarität – Sozialistische Zeitung“ umbenannt. Die Namen mögen sich geändert haben, die politischen Prinzipien und Ziele nicht.

von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher

Aber die Zeiten haben sich geändert und einiges, was 1973 galt, gilt heute nicht mehr. Es waren Mitglieder der SPD-Jugendorganisation „Jusos“, die die Initiative zur Gründung der VORAN-Gruppe ergriffen. Bis zur Gründung der SAV arbeiteten wir in Jusos und SPD und vertraten dort revolutionäre und marxistische Ideen. Warum? Weil wir nicht am Rande der Arbeiterbewegung stehen wollten, sondern unsere Ideen im direkten Wettstreit mit anderen Strömungen in den Massenorganisationen der Arbeiterklasse vertreten wollten. Neben den Gewerkschaften waren das Anfang der 1970er Jahre SPD und Jusos. Während die Führung der SPD schon lange ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht hatte, wurde sie von Millionen Lohnabhängigen als ihre politische und parlamentarische Vertretung betrachtet und hatte eine aktive Mitgliederbasis unter ArbeiterInnen. Die Jusos hatten hunderttausende Mitglieder und ein sozialistisches Selbstverständnis. VORAN agierte als marxistischer Flügel ohne sich programmatisch an die Sozialdemokratie anzupassen.

Inspiriert waren die GründerInnen von der britischen Militant-Gruppe, die in der Labour Party und den dortigen Jusos einen zunehmenden Einfluss ausüben konnten. Die politischen Eckpfeiler dieser Gruppe, die dann im Jahr 1974 zusammen mit marxistischen Gruppen aus anderen Ländern, das Komitee für eine Arbeiterinternationale gründete, waren: Opposition gegen Kapitalismus und Stalinismus; Orientierung auf die Klasse der Lohnabhängigen als der gesellschaftlichen Kraft, die grundlegende Veränderungen erkämpfen kann; revolutionäre Perspektive statt der Idee über (parlamentarische) Reformen schrittweise zum Sozialismus zu gelangen; Kampf für Demokratie in der Arbeiterbewegung; Orientierung und Mitarbeit in den Massenorganisationen der Arbeiterklasse und von Jugendlichen, um dort marxistische Ideen zu vertreten; Aufbau einer eigenständigen und politisch unabhängigen revolutionären Organisation auf internationaler Ebene.

In dieser Kombination waren diese Ideen auf der politischen Linken eine Seltenheit. Man darf nicht vergessen, dass damals Sowjetunion, DDR und andere Staaten als sozialistische Gesellschaften propagiert wurden. In vielen Ländern der Welt waren kommunistische Parteien stark, für die diese Staaten ihr Sozialismusmodell repräsentierten. In Deutschland dominierte wiederum die reformistische Sozialdemokratie, die zwar von „demokratischem Sozialismus“ sprach, aber doch nur auf begrenzte Reformen im Rahmen des Kapitalismus setzte – vor dem Hintergrund des wachsenden Lebensstandards im Nachkriegsaufschwung aber eine hohe Autorität in der Arbeiterklasse genoss. Und am Rande der Arbeiterbewegung gab es, viele aus den 68er-Protesten hervorgegangene, revolutionäre Gruppen, die ihre jeweilige reine Lehre verkündeten und keinen Zugang zu den wirklichen Bewegungen und Kämpfen der einfachen Menschen fanden.

Es gelang der VORAN-Gruppe jedoch erst in den 1980er Jahren von einem Kreis einiger Dutzend Mitglieder auf einige Hundert AktivistInnen anzuwachsen. Eine Solidaritätskampagne mit dem britischen Bergarbeiterstreik 1983/84 und ein erfolgreiches Eingreifen in die Streiks für die 35-Stunden-Woche waren dabei genauso entscheidend, wie dynamische Jugendkampagnen, vor allem die Organisierung von Schülerstreiks gegen Verschlechterungen im Bildungssystem 1987. Mit dem Jahr 1989 begannen wir in der DDR einzugreifen und im Zuge der antistalinistischen revolutionären Bewegung konnten erste Gruppen in Ostdeutschland gebildet werden. Als der Aufstand gegen die SED in eine Bewegung für eine Vereinigung mit der BRD umschlug trat VORAN für eine Verteidigung der verstaatlichten Industrie und geplanten Wirtschaft und gegen eine deutsche Einheit auf kapitalistischer Grundlage ein. Der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten und die Vereinigung von BRD und DDR markierten dann jedoch eine Niederlage für die Arbeiterbewegung international und erleichterten den Vormarsch des Neoliberalismus. Sozialistische Ideen gerieten in die Defensive, die SPD verlor weitgehend ihre Arbeiterbasis und wurde von einer Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung zu einer durch und durch bürgerlich-kapitalistischen Partei. VORAN zog sich aber nicht ins Studierzimmer zurück, sondern beteiligte sich engagiert an den trotzdem existierenden Bewegungen und Kämpfen. Vor allem die antirassistische Massenbewegung von 1992 bis 1994 ist hier zu nennen. Zusammen mit unseren europäischen Schwesterorganisationen riefen wir die internationale Kampagne „Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE)“ ins Leben, die Tausende Jugendliche organisierte und im Oktober 1992 die erste und größte europaweite Antirassismus-Demonstration in Brüssel organisierte. Mitte der 1990er Jahre zogen wir die notwendige Schlussfolgerung aus der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und lösten uns von dieser. Als „offene“ revolutionär-sozialistische Organisation wurde die SAV gegründet und gleichzeitig die Idee entwickelt, dass die Zeit für die Bildung einer neuen breiten Arbeiterpartei (die verschiedene Strömungen der Linken und vor allem AktivistInnen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zusammen bringen müsste) gekommen war. Wir waren die erste Gruppe, die diese Idee propagierte. Gleichzeitig verstärkten wir unser Engagement in den Gewerkschaften, 1996 zum Beispiel durch unsere Beteiligung an der Gründung des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ÖTV (heute ver.di). Im Jahr 2003 ergriffen SAV-Mitglieder die Initiative für die großen Schülerstreiks gegen den Irak-Krieg und die von 100.000 Menschen besuchte Demonstration gegen Hartz IV und Agenda 2010 am 1. November 2003.

Diese Demonstration war wie eine Initialzündung für gewerkschaftliche Proteste, die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und auf der politischen Ebene für die Gründung der WASG als neuer linker Partei. Die SAV beteiligte sich von Beginn an am Aufbau der WASG. Diese Entwicklung war eine Bestätigung unserer Analyse der Sozialdemokratie und unseres Programms für eine neue Arbeiterpartei. In den Jahren zuvor hatten wir auf kommunaler Ebene Wahlbündnisse mit anderen linken Kräften ins Leben gerufen bzw. eigenständig als SAV bei Kommunalwahlen kandidiert. In Aachen, Köln und Rostock waren erste SAV-Mitglieder zu Stadträten gewählt worden. In der WASG traten wir für eine kämpferische Orientierung auf gewerkschaftliche Kämpfe und soziale Bewegungen, demokratische Strukturen und ein sozialistisches Programm ein. Und wir kritisierten die Politik der Regierungskoalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen, wie sie die PDS seit einigen Jahren betrieb. In Berlin forderte der Landesverband der WASG die dortige rot-rote Koalition im Jahr 2006 mit einer eigenständigen Kandidatur für die Abgeordnetenhauswahlen heraus, nachdem diese Privatisierungen, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst und Sozialabbau zu verantworten hatte. SAV-Mitglied Lucy Redler wurde zur Spitzenkandidatin der WASG Berlin gewählt und erlangte bundesweite Bekanntheit. Dies auch weil der Bundesvorstand der WASG mit allen Mitteln versuchte die Kandidatur der WASG Berlin zu verhindern, weil diese angeblich die Fusion von WASG und PDS bedrohen würde. Die Berliner WASG war nicht grundsätzlich gegen eine Fusion, verlangte aber eine politische Basis, die eine Beteiligung an Sozialabbau, wie in Berlin geschehen, für die neue Partei ausschloss. Eine Minderheit in der Berliner WASG, unterstützt von Oskar Lafontaine und eigentlich auf dem linken Flügel der WASG stehenden Kräften wie den Unterstützern der heutigen Marx21-Gruppe, rief zur Wahl der PDS auf und fiel dem Kampf gegen die unsoziale und arbeitnehmerfeindliche Politik des Senats so in den Rücken. Mit 2,9 Prozent erzielte die WASG Berlin einen Erfolg, scheiterte aber an der Fünf-Prozent-Hürde und konnte den Verlauf der Fusion von WASG und PDS nicht mehr beeinflussen.

Heute sind SAV-Mitglieder in der LINKEN, Linksjugend[solid], sozialen Bewegungen, Betrieben und Gewerkschaften aktiv und treten dort für eine Verbindung unterschiedlicher Kämpfe und Bewegungen und für ein sozialistisches Programm ein. Wir beteiligen uns an der Antikapitalistischen Linken (AKL) in der Partei. SAV-Mitglieder haben bei wichtigen Streiks an der Berliner Charité eine entscheidende Rolle gespielt und unterstützen den Aufbau der oppositionellen „Alternative“-Gruppen in der IG Metall bei Daimler. In Köln, Rostock, Kassel und Oberbayern sind SAV-Mitglieder Kommunalparlamentarier. Im Juli 2013 trat die damalige LINKE-Bundestagsabgeordnete Heidrun Dittrich in die SAV ein.

Angesichts der seit 2008 sich vollziehenden tiefen Krise des Weltkapitalismus, neuer revolutionärer Bewegungen in vielen Ländern der Welt und der verschärften sozialen Polarisierung auch in Deutschland ist der Aufbau einer sozialistischen Alternative wichtiger denn je. Wir laden jeden und jede ein, diese mit und in der SAV anzugehen!