„Ein großer Schritt, der auch kritisch betrachtet wird“

Stephan GummertInterview mit Stephan Gummert zur Tarifauseinandersetzung an der Charité

Die ver.di-Betriebsgruppe an der Charité fordert einen Tarifvertrag für feste Personalmindestquoten auf den Stationen und in Funktionsbereichen. Sie fordern beispielsweise eine Pflegekraft auf fünf PatientInnen bei der Normalstation und dass niemand eine Nacht allein auf Station sein muss. Die ersten Gespräche mit dem Arbeitgeber liefen bereits. Die „Solidarität – Sozialistische Zeitung“ sprach mit dem Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission Stephan Gummert.

Es gibt ein Angebot des Arbeitgebers zu verhandeln. Was schlägt er bisher vor?

Ja, es ist tatsächlich passiert. Erstmals in der bundesrepublikanischen Tarifgeschichte macht ein Krankenhaus-Arbeitgeber ein Angebot zu einer tariflichen Regelung zu einer Mindestbesetzung. Im Frühjahr noch als grundgesetzwidrig erachtet – im Herbst liegt ein Angebot auf dem Tisch.

Die Charité hat einen großen Schritt gemacht, allerdings wird dieses erste Angebot seitens der Tarifkommission auch kritisch betrachtet. Es ist doch sehr unkonkret und hier müsste dringend nachgebessert werden, bevor man es als verhandlungsfähig betrachten würde. Die Charité ist aufgefordert, entsprechende Verbesserungen und Plausibilisierungen bis zu einer Verhandlungsrunde im November nachzulegen.

Wie geht es jetzt weiter?

Im November muss die Tarifkommission das veränderte Angebot bewerten. Die Entscheidungsfindung wäre dann sehr polarisiert. Entweder erachten wir es als verhandlungsfähig oder müssten ein Scheitern der Tarifverhandlungen erklären.

In der Zwischenzeit gibt es in der Charité selbst genug zu organisieren, denn es erreichen uns regelmäßig weitere Hilferufe überlasteter Bereiche und Stationen. Jeder Widerstand, der sich innerbetrieblich artikuliert, ist wichtig, denn er zeigt die Notwendigkeit und Legitimität unserer Tarifforderungen. Weiterhin gab es in der letzten Zeit wichtige Gerichtsurteile, die auf Arbeitsbedingungen Einfluss nehmen und auch die gilt es auf betrieblicher Ebene durchzusetzen. Und schließlich drangsaliert die Servicetochter der Charité, Charité Facility Management, weiterhin Gewerkschaftsaktive und Betriebsräte, so dass wir auch ganz praktisch Solidarität für die Betroffenen organisieren müssen. Vernetzungsaktivitäten mit anderen Berliner Streiks laufen auch noch nebenbei und das Bündnis „Mehr Personal im Krankenhaus“ bietet eine gute Plattform, uns zu begegnen und zu unterstützen.

Wie sehen diese Vernetzungsaktivitäten aus?

Sich in gemeinsamen Arbeitskämpfen zu begegnen, ist trotz des geringen Zeitkontingents unserer Aktiven entscheidend für die Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse, die ja weit in die Gewerkschaften hineinreicht. Die gegenwärtigen Solidarisierungen der ver.di Charité mit streikenden Lehrerinnen und Lehrern sowie kämpfenden Beschäftigten im Einzelhandel sind dafür ein gutes Beispiel. Aktive an der Berliner Gewerkschaftsbasis sind sich einig: Es braucht zügig ein ehrenamtliches branchen- und gewerkschaftsübergreifendes Netzwerk zum Austausch und zur Koordinierung von Arbeitskämpfen.