Gewerkschaften im Neoliberalismus

Eine kritische Auseinandersetzung mit Frank Deppes neuem Buch

Mit dem 2012 erschienenen Buch „Gewerkschaften in der Großen Transformation“ hat Frank Deppe einen lesenswerten Beitrag für die Diskussion über den Zustand der Gewerkschaften verfasst. Deppe thematisiert, welche Prozesse von ökonomischer und politischer Veränderung seit den 1970er Jahren stattgefunden haben, welche Folgen diese für die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und international hatten und welche Herausforderungen für die Gewerkschaften und die Organisierung von Widerstand heute bestehen. Hier geht er zurecht von einer internationalistischen Perspektive aus. Deppes Hauptthese ist, dass mit der Wende hin zum Neoliberalismus seit den 1970er Jahren tiefgreifende Veränderungen stattfanden. Diese bezeichnet er als „Große Transformation“. Er untersucht, wie die Gewerkschaften sich vor dem Hintergrund dieser großen Veränderungen entwickelt haben. Im vorliegenden Artikel sollen einige seiner Thesen diskutiert werden.

Von Angelika Teweleit

Deppe geht im ersten Kapitel auf die weltweiten Veränderungen der letzten Jahrzehnte in den Arbeitsprozessen und ihre Folgen für die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften ein. Hier räumt er mit der Idee auf, die um die Jahrtausendwende kursierte, das Ende der Arbeitsgesellschaft (und damit auch das Ende der Klassengesellschaft) sei eingeläutet. Deppe führt mit interessanten Fakten und Zahlen aus, wie seit der Weltwirtschfatskrise zu Beginn der 1970er Jahre und der danach einsetzenden „Hegemonie des Neoliberalismus“ drastische Veränderungen stattfanden. Auf der einen Seite entstand das Phänomen von Massenarbeitslosigkeit Mitte der 1970er Jahre auch in den alten Industrieländern. Auf der anderen Seite hat die Zahl von arbeitenden Menschen weltweit um 500 Millionen zugenommen – zum einen in den informellen, vertragslosen und prekären Bereichen, zum anderen wurde Industrie in so genannte Schwellenländer verlagert. Trotz steigender Zahl von Beschäftigten weltweit ist die Mitgliederzahl der Gewerkschaften rückläufig, was besonders die alten Industrieländern betrifft. Deppe schließt dies ab mit einer Bemerkung, die für viele GewerkschaftsaktivistInnen eine zentrale Fragestellung ist: „Die Gewerkschaften werden daher in den alten Kapitalmetropolen mit neuen Herausforderungen konfrontiert; sie müssen sich zum Teil ‚neu erfinden‘.“

Richtigerweise benennt Deppe als weiteren Umbruch von „welthistorischer Bedeutung“ den Zusammenbruch des ehemaligen Sowjetunion und dessen politische Folgen. Er bleibt aber bei der Feststellung stehen, dass die „traditionelle politische Linke mit ihren sozialdemokratischen oder kommunistischen Massenparteien in die Defensive“ gekommen sei, ohne einen Hinweis auf die Gründe dafür zu geben. Er weist zurecht darauf hin, dass die Offensive des Neoliberalismus, nachdem Thatcher mit aller Macht unter dem Mantra von „There is no alternative“ („Es gibt keine Alternative“) einen Krieg gegen die Arbeiterklasse in Großbritannien geführt hatte, mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz weltweit verstärkt wurde. In der Kombination von diesen Entwicklungen sieht er die Gründe für eine Schwächung der Gewerkschaften: „Nicht nur die politische Linke, sondern auch und vor allem die Gewerkschaften sind schwächer geworden – das heißt: Sie waren nicht in der Lage, die Durchsetzung der neoliberalen Agenda zu verhindern.“. So richtig es ist, auf diese Faktoren für die Schwächung der Gewerkschaften hinzuweisen, so sehr bleibt Deppes Erklärung aber verkürzt. Man bekommt den Eindruck, als sei die Schwächung der Linken und der Gewerkschaften allein ein Produkt der Offensive des Neoliberalismus und des Wegfalls der Systemkonkurrenz, ohne die subjektiven Faktoren – also die Gründe, die in der Politik und im Handeln der Gewerkschaften und linken Parteien lagen – ausreichend zu analysieren. Der Zusammenbruch des Stalinismus selbst war Folge des bürokratisch-undemokratischen Charakters dieser Staaten, die Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse nach den Massenaufständen 1989/90 war nicht alternativlos. Doch gerade die Führungen von Sozialdemokratie, Gewerkschaften, aber auch große Teile der kommunistischen Parteien haben die Einführung der Marktwirtschaft entweder aktiv unterstützt oder ihr zumindest keine demokratisch-sozialistische Alternative entgegen gestellt. Im Gegenteil hat die Rechtsentwicklung in den sozialdemokratischen Parteien (die über Jahrzehnte Arbeiterparteien mit bürgerlicher Führung waren) zu einer vollständigen Verbürgerlichung dieser geführt und auch die ehemals kommunistischen (Massen-)Parteien in verschiedenen Ländern wurden massiv geschwächt, spalteten sich, passten sich dem Kapitalismus an. Auf dieser Grundlage ist nach diesem historischen Umbruch der Eindruck entstanden, der Sozialismus sei als Systemalternative gescheitert.

Als weiteren wesentlichen historischen Schnittpunkt benennt Deppe richtig die „Große Krise“, die mit der Finanzmarktkrise von 2007 begann. Dies hatte eine schwere Legitimationskrise für den Neoliberalismus zur Folge, der noch vorher als Sieger gefeiert wurde. Gleichzeitig stellt er heraus, dass unmittelbar „als politische Reaktion auf die Krise in den meisten Ländern bei den Wahlen zunächst eine Verschiebung nach rechts stattgefunden hat und – z.b. in Deutschland und den ‚erfolgreichen‘ Ländern – die Gewerkschaften in einen „Krisenkorporatismus“ einbezogen sind.“

Deppe beschreibt eindrucksvoll die Ausmaße des Neoliberalismus, und die Veränderungen in dem, was er die „Formation des Kapitalismus“ hin zu einem „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ nennt. Seine impliziten Schlussfolgerungen sind jedoch kritisch zu betrachten: Im gesamten Kontext entsteht immer wieder der Eindruck, dass Deppe letztlich die reformistische Ansicht vertritt, hier handele es sich um eine Art Entgleisung und dass eine Rückkehr zum so genannten Sozialstaat im Rahmen des Kapitalismus eine Möglichkeit darstelle, die auch wieder zu einer Demokratisierung und stärkerer Einflussnahme durch die Gewerkschaften führen könne.

Schwäche der Gewerkschaften und politische Schwäche

Innerhalb dieser Prozesse ist in Deppes Analyse die Rolle der Gewerkschaftsführungen, die zur Verschlechterung der Kampfbedingungen für die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften führten, stark unterbetont. Diese Prozesse sind nicht ohne die enge Verknüpfung der Gewerkschaften mit den ehemaligen Arbeiter-Massenparteien zu verstehen. Die Verwandlung der SPD von einer reformistischen Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung hin zur Partei des Kapitals, die unter der Führung von Schröder zusammen mit den Grünen für die „größte Kürzung der Sozialleistungen seit 1949“ (Deppe S. 73 – Zitat aus der FAZ) sorgte, hatte natürlich auch einen großen Einfluss auf die Gewerkschaften, deren Führungen und viele FunktionärInnen größtenteils zur SPD gehörten und teilweise immer noch gehören. Der Abbau des Sozialsystems und der Rechte der Arbeiterklasse, Privatisierungswellen auf internationaler Ebene, Deregulierung in der Zeit der neoliberalen Offensive bis zum Eintreten der Krise sind nicht ohne ein Hinzutun der Führungen der meisten großen Gewerkschaften und ihrer Politik zu erklären.

Deppe verweist auf das Wiederaufleben der gewerkschaftlichen Kämpfe in Großbritannien, vor allem gegen das Austeritätsprogramm der britischen Regierung. Er schreibt, es gäbe eine Mobilisierung dagegen, doch es ist wichtig, sich das genau anzusehen: Während linke Gewerkschaften wie die PCS, RMT und auch Unite (einem neuen Zusammenschluss von Gewerkschaften, mit einem linkeren Vorsitzenden an der Spitze) auf Widerstand setzen und sich als nächsten Schritt für einen 24-stündigen Generalstreik einsetzen, treten andere Gewerkschaften wie die große Gewerkschaft im öffentlichen Dienst UNISON auf die Bremse. Die Wut an der Basis auch der konservativeren Gewerkschaften wächst und damit auch der Druck für Aktionen. Durch die bewusste Kampagne der linken Gewerkschaften für ein gemeinsames Vorgehen kann dieser Druck verstärkt und zugespitzt werden. Das macht einen großen Unterschied.

Die Tatsache, dass einige Gewerkschaften linke Führungen haben, ist wiederum das Ergebnis langer innergewerkschaftlicher Kämpfe und einer bewussten Politik linker und marxistischer Kräfte. So war die PCS (eine kleinere Gewerkschaft öffentlicher Bediensteter) für lange Zeit eine der rechtesten Gewerkschaften in Großbritannien. MarxistInnen bildeten zusammen mit anderen kämpferischen linken Kräften mit der „Broad Left“ in der CPSA (vor einem Zusammenschluss zur PCS) und der „Left Unity“ in der PCS einen handlungsfähigen linken Zusammenschluss. Durch kontinuierliche Arbeit kämpferischer AktivistInnen in den Betrieben und bewusste Koordination der linken Kräfte in Gewerkschaftsgremien, auf Versammlungen und Konferenzen und bei Vorstandswahlen, gelang es in einem jahrelangen Prozess, eine linke Mehrheit im Vorstand zu erkämpfen. Seitdem hat die Gewerkschaft immer wieder Kämpfe gegen Arbeitsplatzabbau, für höhere Löhne, gegen Kürzungen organisiert. Auch die Stellung der Linken in der RMT (TransportarbeiterInnengewerkschaft) ist umkämpft. Sie spielt mittlerweile gemeinsam mit der Socialist Party (britische Schwesterorganisation der SAV) und anderen linken Gruppen in der Trade Union and Socialist Coalition (TUSC) eine zentrale Rolle bei den Anfängen für die Formierung einer politischen Alternative zur Labour Party.

Gewerkschaften in Deutschland

Im Kapitel über Deutschland macht Deppe zunächst den Unterschied zur Zeit des Nachkriegsaufschwung deutlich: Sie war gekennzeichnet durch Vollbeschäftigung und der Ausrichtung auf einen „Klassenkompromiss“, in der die Gewerkschaften laut Deppe über eine größere Macht verfügten. Das alles basierte auf dem lang anhaltenden ökonomischen Wachstum und der Existenz einer Systemalternative. Aus dieser Konstellation heraus entwickelte sich der „rheinische Kapitalismus“, der von der Sozialpartnerschaft geprägt war. Der Lebensstandard der Arbeiterklasse verbesserte sich und der Sozialstaat wurde ausgebaut. Dies stärkte das reformistische Konzept der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, dass es möglich sei, innerhalb des Kapitalismus Reformen zu erreichen. Deppe schreibt aber auch: „Die Grenzziehungen dieses Klassenkompromisses waren – ensprechend dem Kräfteverhältnis der Klassen – permanent umkämpft.“ Leider erwähnt Deppe hierbei nicht, dass die reformistische Politik der Gewerkschaftsführungen nicht nur einfach akzeptiert wurde, sondern auch herausgefordert wurde – insbesondere Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre. Unter anderem drückte sich das in der Entstehung von kämpferischen oppositionellen Betriebsratslisten oder Betriebsgruppen aus (wie zum Beispiel der Plakatgruppe bei Daimler unter der Führung von Willi Hoss, aber auch in vielen anderen Betrieben besonders in der Metallindustrie). Diese wurden von der damaligen Gewerkschaftsführung massiv bekämpft, bis hin zu Ausschlüssen. Wilde Streiks waren ebenfalls Ausdruck davon, dass Teile der Basis weiter gehen wollten als ihre Führung. Es gab in dieser Zeit an vielen Fragen Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaften. Diese Entwicklungen ausführlich darzustellen, bedürfte eines weiteren Textes, sie sollten jedoch nicht unerwähnt bleiben, um nicht ein falsches Bild von Homogenität zu geben.

Deppe beschreibt, wie es mit dem Einzug der neoliberalen Politik des Kapitals einen Umbau vom „rheinischen Kapitalismus“ hin zur „Deutschland AG“ gab. Auch hier geht er richtigerweise auf den „Wendepunkt“ 1989/90 ein, der für Deutschland nochmal eine besondere Bedeutung hatte. Hier wiederum stellt er heraus, dass die wesentlichen „Reformen“ unter der Schröder/Fischerregierung stattfanden, die anfangs noch als Hoffnung nach der langen Kohl-Ära gesehen wurden. Aus diesem „Umbau der Gesellschaft“, mit dem Abbau der Sozialleistungen, der Zunahme prekärer Beschäftigung, einer Intensivierung der Arbeit, Arbeitszeitverlängerung folgt für Deppe auch ein Schrumpfen der Bedeutung der Gewerkschaften.

„Machtlosigkeit“ der Gewerkschaften?

Nach Deppes Analyse gab es im Nachkriegsmodell des Kapitalismus in den führenden kapitalistischen Staaten weitreichende Möglichkeiten für die Gewerkschaften, auf die Sozialsysteme Einfluss zu nehmen: „Das Modell des – von der Sozialdemokratie geführten – skandinavischen Wohlfahrtsstaates gilt bis heute als die entwickeltste Form dieses Kompromisses, in dem Gewerkschaften nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. In den Institutionen des Wohlfahrtsstaates verfügen die Gewerkschaften (in allen Ländern) über einen erheblichen Einfluss (…).“ Deppe stellt nicht dar, dass auch in Skandinavien diese Modell längst gescheitert ist. Auf der Grundlage der Einbindung der Gewerkschaften in den Staat wurde auch hier eine Reform nach der anderen abgebaut. So richtig es ist, einen Unterschied zwischen dem Modell des „Klassenkompromisses“ aus der Nachkriegszeit zu heute darzustellen: Die Frage ist, wie der Widerstand heute, wo diese Sondersituation vorbei und der Kapitalismus gewissermaßen wieder zum Normalzustand zurück gekehrt ist, organisiert werden kann.

Deppe spricht von einer nun entstandenen „Machtlosigkeit“ der Gewerkschaften, „makroökonomisch Einfluss zu nehmen (auf die Verteilung zwischen Kapital und Lohneinkommen) oder auch politisch erfolgreich Druck auf die Regierung auszuüben, bei der Sekündärverteilung durch ihre Steuerpolitik Gewinne und Zinserträge abzuschöpfen und für die Sicherung und den Ausbau sozialstaatlicher Leistungen und Institutionen zu verwenden.“ (Deppe, Seite 43). Allerdings ist zumindest die potenzielle Macht der Gewerkschaften in Deutschland – angesichts des Fortbestands großer Industrien und arbeitskampffähiger Belegschaften im öffentlichen Dienst – nicht verschwunden. Es müsste also vielmehr die Frage gestellt werden, wie die Gewerkschaften unter den neuen Vorzeichen der massiven Angriffe auf die Sozialsysteme diese potenzielle Macht geltend machen können. Waren Hartz IV, Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Privatisierungen, die Rente mit 67 unvermeidbar? In Deppes Text klingt es so, als hätten vor allem IG Metall und ver.di mobilisiert, die anderen Gewerkschaften seien inaktiv geblieben und letztlich hätten die Proteste nichts genutzt. In Wirklichkeit haben die Führungen von IG Metall, ver.di, DGB und der übrigen Einzelgewerkschaften nicht einmal versucht, einen keinen konsequenten Kampf gegen die Einführung der Agenda 2010 zu führen. In der von Schröder 2002 eingesetzten so genannten Hartz-Komission saß sogar eine Vertreterin aus dem ver.di-Bundesvorstand. Somit half die Gewerkschaftsführung, die Kürzungen anfangs unter den Deckmantel des vermeintlichen Ziels einer Halbierung der Arbeitslosenzahlen zu hüllen. 2003 begann sich Widerstand zu formieren. Im Mai hatte der DGB eine halbherzige Mobilisierung zu Demonstrationen gegen die Gesetze organisiert, zu der DGB Chef Sommer im Gespräch mit SPD-VertreterInnen zugab, es handele sich um Aktionen für das „Schaufenster“ – es ging darum, Dampf abzulassen. Der Druck von unten war groß. Ende April hatte es in Schweinfurter Metallbetrieben (unter der Führung des späteren WASG-Mitbegründers Klaus Ernst) eine Arbeitsniederlegung gegen die Pläne gegeben. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, Proteste gegen die Agenda 2010 mit anderen Protesten zu verbinden, so auch mit dem Ostmetallerstreik für die 35-Stundenwoche. Dieser wurde aber gerade dann abgebrochen, als die Kampfbereitschaft wuchs.

Konsequente Mobilisierung gegen Agenda 2010 blieb aus

Am 1. November 2003 demonstrierten 100.000 gegen die Agenda 2010 – ohne die Unterstützung oder auch nur einen Aufruf von ver.di, IG Metall und DGB! Die Initiative zu dieser Demonstration war nicht zuletzt von SAV-Mitgliedern ausgegangen, diese wurde unter Beteiligung von vielen linken GewerkschafterInnen, Erwerbslosengruppen und sozialen Bewegungen von unten organisiert. Auch der damalige baden-württembergische ver.di-Landesgeschäftsführer Bernd Riexinger spielte eine wichtige Rolle für die Mobilisierung. In den Wochen stieg der Druck auf die Gewerkschaftsführungen, zu handeln. Arbeitsniederlegungen gegen Angriffe auf die Tarifautonomie wurden massenhaft befolgt. Das Potenzial für Streiks gegen die Agenda 2010 bestand und hätte mit einer kämpferischen Gewerkschaftsführung bis hin zu einem Generalstreik gesteigert werden können. Der DGB sah sich gezwungen, im April 2004 zu einer Großdemonstration zu mobilisieren, an der in drei Städten 500.000 Menschen teilnahmen. Danach gab es keine Strategie für eine Fortsetzung des Kampfs. Streiks organisierte er nicht. An der Bewegung der Montagsdemonstrationen im Jahr 2004, die in Ostdeutschland einen Massencharakter hatte, beteiligten sich die Gewerkschaften dann nicht.

Wie gestärkt wären die Gewerkschaften aus einer solchen Mobilisierung hervorgegangen! Spätestens mit den Protesten gegen die Rente mit 67 im Jahr 2007 hätte sich die Möglichkeit einer breiten und sogar politischen Streikbewegung ergeben. Der Druck war so groß, dass es Arbeitsniederlegungen von Hunderttausenden in den Metallbetrieben gab. Anstatt das weiter auszubauen, wurden diese (de facto politischen) Streiks abgebrochen. All das hätte die Gewerkschaften vor dem Einbruch der „Großen Krise“ in die Offensive bringen können.

Schwächung der Gewerkschaften als Tarifpartner

Dies ist nur ein Aspekt der subjektiven Rolle der Gewerkschaftsführung und ihrer Verantwortung für die Situation der Defensive, in die sie geraten ist. Deutlich wird es auch an den Fragen, wo sie in ihrem so genannten Kerngeschäft Rückschläge erlitten haben. Mit der Einführung neuer Tarifsysteme (TVÖD und TV-L im öffentlichen Dienst, ERA in der Metallindustrie) wurden massive Verschlechterungen vereinbart. Anfangs wurden diese Tarifwerke als große Errungenschaften von der Gewerkschaftsführung dargestellt. Mit der Umsetzung entstand aber immer mehr Kritik an diesen neuen Tarifverträgen. In ver.di kam es zu großem Unmut bis hin zu Austritten aus der Gewerkschaft. In Metallbetrieben gab es Proteste gegen ERA. Bei Daimler in Berlin Marienfelde führten diese Proteste zur Bildung einer oppositionellen Gruppe, die später mit einer eigenen Liste bei Betriebsratswahlen antrat.

Die Führungen beider Gewerkschaften mussten schließlich Kritik an ihren eigenen – in der Friedenspflicht vereinbarten – Tarifverträgen üben. Die Führungen beider großen Gewerkschaften waren aber auch maßgeblich daran beteiligt, die Flächentarife (zum Beispiel mit dem Pforzheimer Abkommen im Metallbereich, mit der Zersplitterung von Tarifverträgen im öffentlichen Dienst) aufzuweichen. Diese Prozesse haben die Möglichkeiten zur Einheit im Kampf massiv eingeschränkt.

Organisierung in prekären Bereichen – ein Fortschritt

Deppe stellt die positiven Ansätze der innergewerkschaftlichen Diskussion über die Organisierung neuer und bisher schlecht organisierten Bereiche dar. „Das Studium der Erfahrungen mit neuen Ansätzen der Rekrutierung und Mobilisierung von Mitgliedern und die Auswertung dieser Erfahrungen durch sozialwissenschaftliche Studien aus dem Bereich der ‚Gewerkschaftsforschung‘ konnte zunächst einmal jener pessimistischen Grundstimmung entgegenwirken, die schon die Schwächung bzw. den Niedergang der Gewerkschaften im Zeitalter des Neoliberalismus als eine Art Naturgesetz akzeptiert hatte.“ Angesichts der Zunahme prekarisierter Beschäftigung ist es richtig, die Aufgabe der Organisierung in diesem Bereichen anzugehen. Das ist alles andere als einfach, denn hier gibt es keine Tradition gewerkschaftlicher Vertretung, oftmals fehlt den KollegInnen das grundlegende Wissen über ihre Rechte und spielt natürlich Angst vor Arbeitsplatzverlust eine große Rolle. Angesichts der Zunahme solcher Arbeitsverhältnisse stellt die Organisierung der ArbeiterInnen in diesen Bereichen eine der wichtigsten Aufgaben für die Gewerkschaften dar.

Was im Buch zu kurz kommt, ist wiederum eine Kritik an der inkonsequenten Politik der Gewerkschaften bezüglich prekärer Beschäftigung. So startete die IG Metall 2010 die Kampagne „Leiharbeit begrenzen – verhindern – gestalten“. Gleichzeitig aber unterschrieb Erich Klemm, Gesamt-BR-Vorsitzender bei Daimler eine Betriebsvereinbarung mit dem Konzern, in dem eine Steigerung der Quote von LeiharbeinehmerInnen möglich gemacht wurde – obwohl er selbst zu den Unterzeichnern für die IG Metall-Kampagne zählte. Aktuell gibt es innerhalb von ver.di Widerstand gegen die Politik des DGB, die Leiharbeitsverträge neu zu verhandeln, obwohl mit dem Equal-Pay-Gesetz eine Gleichbehandlung von LeiharbeitnehmerInnen durchsetzbar wäre und ein erneuter Tarifvertrag genau das untergraben würde.

Gewerkschaften in der Krise

Deppe geht eingehend auf die Antworten der Gewerkschaften auf die Krise ein. Zurecht kritisiert er hier vor allem den Krisenkorporatismus insbesondere der IG Metall – wenn auch recht moderat. Mit einer Akzeptanz von Standortlogik und Wettbewerbskorporatismus haben vor allem die Betriebsräte der großen deutschen Konzerne bereits vor Eintritt der Krise dabei geholfen, Löhne zu senken und Produktivität zu steigern – zulasten der Beschäftigten hier wie auch international. Deppe führt in einem interessanten Abschnitt aus, wie in der IG Metall mit dem Umbruch in der objektiven Lage auch intern ein Kampf im wesentlichen zwischen zwei Lagern stattfand: dem der so genannten Traditionalisten und der Modernisierer. Deppe bezieht sich sehr positiv auf die „Traditionalisten“. Im begrenztem Rahmen sind sie auch eher zu Mobilisierungen bereit, haben jedoch Illusionen in die Aufrechterhaltung der traditionellen Sozialpartnerschaft und haben letztlich den Ausverkauf von Arbeiterinteressen mitbetrieben. Auch Jürgen Peters trägt Verantwortung für die Niederlage im Ostmetallerstreik. Die „Modernisierer“ (wie der jetzige Vorsitzende Berthold Huber) verfolgen demgegenüber eine Politik der weitergehenden Anpassung und des Co-Managements. Letztere haben sich durchgesetzt und auch in der Krise den Ton angegeben. Mit Kurzarbeit und Abwrackprämie konnte die IG Metall-Führung zunächst noch einmal den Eindruck erwecken, als ob ihre Politik der Zusammenarbeit mit Regierung und Kapital erfolgreich sei. Hierbei erwähnt er nicht, dass die IG Metall-Führung in der Tarifrunde 2010 mit ihrem Krisenkorporatismus sogar so weit ging, zum ersten Mal in der Geschichte auf die Aufstellung einer Lohnforderung zu verzichten. Seit über einem Jahrzehnt hat die IG Metall bei Tarifrunden keinen Streik (außer Warnstreiks) geführt. Deppe führt richtig aus, dass diese Politik von den Bürgerlichen ausgiebig gelobt wurde, und von der Kanzlerin mit dem Ausrichten von Geburtstagsfeiern für Berthold Huber und Michael Sommer im Kanzleramt belohnt wurde.

In der Bilanz sagt Deppe auch, dass diese Politik von den Mitgliedern der Gewerkschaften auch kritisch gesehen wird. Auch wenn in Meinungsumfragen die Zahl derjenigen gestiegen ist, die „die Notwendigkeit der Gewerkschaft als Institution des sozialen Schutzes, ihre Rolle als Anwalt von sozialer Gerechtigkeit anerkennen“, fügt er hinzu, dass dies oft mit dem „fast resignativen Hinweis“ geschieht, „die Gewerkschaften sind das Einzigste, was wir hier eigentlich noch haben.“ (Deppe, Seite 93).

Mobilisierungen in den Kernbereichen

Es muss auch festgestellt werden, dass die deutsche Volkswirtschaft immer noch einen relativ hohen industriellen Anteil hat und es, gerade in der exportorientierten Wirtschaft, immer noch einen relativ großen Anteil an Industriearbeiterschaft gibt. Diese Bereiche sind auch weiterhin relativ gut organisiert und kampffähig, wenn es auch seit vielen Jahren keine wirklichen Streiks gegeben hat. Das Problem ist, dass dies kaum genutzt wird, obwohl es möglich wäre. In den Tarifrunden seit 2010 war die Stimmung verbreitet, dass man sich nun die Verluste der letzten Jahre wiederholen muss, dass es endlich eine Abkehr von den Reallohnverlusten geben muss. Trotz Ankündigung in Worten und einer hohen Beteiligung an Warnstreiks haben die Gewerkschaftsführungen nicht mobilisiert.

Deppe sagt, dass in diesem Bereich „die Position der Gewerkschaften nach wie vor stark ist“ und dort auch im „Kerngeschäft der Tarifpolitik immer wieder Ergebnisse erzielt werden, die die Beschäftigten und auch die Gewerkschaftsmitglieder eher zufrieden stellen“. Diese Darstellung birgt die Gefahr, den dennoch existierenden Unmut und das damit verbundene Protestpotenzial in der Industriearbeiterklasse (besonders in den Großbetrieben) zu unterschätzen. Richtiger wäre zu sagen, dass viele KollegInnen das Gefühl haben, über die Krise gerettet worden zu sein. Insofern hat die Politik der Zusammenarbeit in der Krise für viele – trotz Widrigkeiten – scheinbar funktioniert. Gleichzeitig haben massive Produktivitätssteigerung, Vereinbarungen zum Lohnverzicht, Flexibilisierung der Arbeitszeiten eine Wirkung: Das Gefühl der verstärkten Ausbeutung, das Gefühl sich kaputt zu arbeiten für wachsende Profite von wenigen, ist latent vorhanden und birgt Explosionsgefahr für die Zukunft. Zudem hat es auch bei der IG Metall eine Lockerung der Beziehungen zwischen Basis und Führung gegeben. Auch wenn es, anders als in den 60er/70er Jahren, keinen wirklich organisierten Ausdruck einer Opposition zur Politik der Führung gibt, mangelt es an Begeisterung für die Politik und auch die vermeintlichen Erfolge der Gewerkschaftsführung. Das geht einher mit einem sehr geringen Grad an Beteiligung an den gewerkschaftlichen Strukturen im Betrieb. Ob die Beschäftigten mit den Tarifergebnissen „zufrieden“ sind, ist mehr als fraglich. Immerhin hat es auch hier einen beständigen Reallohnverlust gegeben. Eher ist es ein Mangel an Vorstellung, wie es anders sein könnte, weil es zur Zeit kaum sichtbare und erfolgversprechende Alternativen für einen kämpferischen Kurs der Gewerkschaften gibt.

Deppe stellt auch heraus, dass es sich allenfalls um „Defensiverfolge“ handelte, und diese mit einer weiteren Zunahme an Prekarisierung, sowie erheblichen Zugeständnissen bei Entgelten und Arbeits- und Leistungsstandards verbunden gewesen seien. Was hier nicht erwähnt wird, sind zudem eine Reihe von Betrieben, die dennoch in der Krise dicht gemacht wurden. Dabei hatte die IG Metall als Antwort nicht die Verteidigung der Werke oder aller Arbeitsplätze auf der Tagesordnung. Stattdessen wurden Schulungen für Betriebsräte angeboten, wie man bei der Abwicklung einen Sozialplan aushandelt. Das wurde auch so umgesetzt. KollegInnen, die stattdessen den Kampf für den Erhalt ihres Werkes führen wollten, wie zum Beispiel bei Behr in Stuttgart, vor der Krise schon beim Bosch-Siemens Hausgerätewerk in Berlin (2006) oder zuletzt auch bei Opel Bochum, wurden im Regen stehen gelassen und sogar scharf attackiert.

Was ist nötig für eine gewerkschaftliche Erneuerung?

Die wirtschaftliche Erholung in Deutschland hat eine gewisse Atempause gelassen, sich vom Schock der Krise zu erholen. Allerdings ist die Krise in Europa nicht vorbei, was sich früher oder später auf die deutsche Wirtschaft auswirken wird. Die Lehren aus der Krisenpolitik der Gewerkschaftsführungen sind bisher nicht ausreichend gezogen worden. Doch ein erneuter Krisenkorporatismus würde diesmal nicht darauf setzen können, dass die Instrumente von Kurzarbeit oder Konjunkturmaßnahmen im selben Ausmaß greifen würden, oder auch nur die Spielräume dafür vorhanden wären.

Die verschärfte Gangart der Unternehmer und Regierung, die nach den Wahlen (möglicherweise mit zeitlicher Verzögerung) kommen wird, wird die Frage der Gegenwehr auf die Tagesordnung setzen und sicher auch innerhalb der Gewerkschaften zu Auseinandersetzungen führen. Der Kampf um die Ausrichtung der Gewerkschaft – ob Fortsetzung von Co-Management oder Kapitulation auf der einen Seite oder klassenkämpferischer Antworten – wird zunehmen. Von der Basis, aber auch von Teilen des ehren- und hauptamtlichen Funktionärskörpers kann gesteigerter Druck entstehen, Maßnahmen der Gegenwehr zu organisieren. Es kann sogar sein, dass Gewerkschaftsführer, die bis jetzt auf Co-Management gesetzt haben, unter diesem Druck mobilisieren werden.

Schon jetzt sollten sich kämpferische und linke AktivistInnen in den Gewerkschaften zusammen schließen und Netzwerke bilden, um über die nötigen Strategien und politische und personelle Alternativen zu den jetzigen Gewerkschaftsführungen zu diskutieren und gemeinsame Handlungsfähigkeit zu erreichen – auch um ggf. Kämpfe von unten zu organisieren. Wie am Beispiel der PCS in Großbritannien und anderen deutlich wird, kann ein kämpferischer Kurs dann erreicht werden, wenn in der Gewerkschaft die Auseinandersetzung für eine solche Alternative konsequent und systematisch geführt wird. Hier kommt SozialistInnen eine zentrale Aufgabe zu. Zum einen können beispielhafte Mobilisierungen dazu führen, dass sich KollegInnen in anderen Betrieben ermutigt fühlen und nachziehen. Zum anderen sollten alle Ansätze, die in diese Richtung gehen, zusammen geführt werden. Daraus kann sich eine gemeinsame Plattform entwickeln, um auf dieser Basis einen koordinierten Kampf für einen Kurswechsel in der Gewerkschaft – weg vom Co-Management hin zu konsequenter Gegenwehr – zu führen.

Wie in Großbritannien oder anderen Ländern Europas können auch in Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft Kürzungspakete für den öffentlichen Dienst und eine weitere Aushöhlung der Sozialsysteme wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Frage der Abwehr gegen solche Kürzungspakete wird unweigerlich die Frage gemeinsamer Gegenwehr aufwerfen und damit auch die Debatte über dem „politischen Streik“ neu entfachen. Aufgrund der Exportabhängigkeit der deutschen Industrie wird eine weltweite Konjunkturabschwächung früher oder später auch auf den Arbeitsmarkt in Deutschland durchschlagen. Abwehrkämpfe gegen Betriebsschließungen und Kündigungen würden dann wieder auf der Tagesordnung stehen. Ansätze von lokalen Widerstandsbündnissen und Aktionskomitees von KollegInnen der betroffenen Betriebe, wie sie in der Zeit der Krise entstanden, sollten dann wieder aufgegriffen und intensiviert werden.

Deppe bemängelt zurecht die Schwächung des Dachverbands der Einzelgewerkschaften, des DGB. Leider gibt es kaum noch eine spürbare Verbindung unter den Einzelgewerkschaften. Dabei ist ein wichtiger Aspekt, die Interessen der gesamten Arbeiterklasse zusammenzufassen und Konzepte für gemeinsamen Widerstand auszuarbeiten. Die Konkurrenz unter den Gewerkschaften muss aufgehoben und stattdessen gemeinsame Aktionen geplant werden. Wo das jetzt schon möglich ist, sollte versucht werden, das auf lokaler Ebene anzustoßen.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Partei DIE LINKE, deren Bedeutung Deppe als Alternative, der sich eine Reihe von GewerkschafterInnen angenähert haben, aufzeigt. DIE LINKE sollte auch dabei eine Rolle spielen, die Politik von Co-Management, Wettbewerbs- und Krisenkorporatismus zu kritisieren. Die Protagonisten dieser Ausrichtung werden sich weiterhin an der SPD orientieren. DIE LINKE muss aufzeigen, wie ein gemeinsamer Kampf auf der betrieblichen/gewerkschaftlichen und der politischen Ebene für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen aussehen kann. In allen Arbeitskämpfen sollte DIE LINKE ihre Mitglieder auffordern und mobilisieren, um konkrete Unterstützung anzubieten. Gleichzeitig sollte sie auch klar Kritik üben, wenn die Gewerkschaftsführungen eine falsche Politik betreiben oder auf eine Mobilisierung ihrer Mitgliedschaft verzichten.

Gewerkschaften in Europa

In diesem Kapitel beschreibt Deppe gut, wie aus den Illusionen in ein soziales Europa die harte Realität mit den jetzigen Auswirkungen der verordneten Austeritätspolitik geworden ist. Er führt auch aus, wie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) die Idee eines sozialen Europas innerhalb des kapitalistischen Systems vertrat und sich die Ausgestaltung desselben auf die Fahnen schrieb. Diese Illusionen stützten sich auf sozialdemokratische Konzepte. Wie mit dem Ausbau der EU genau das Gegenteil stattfand, wie über die Maastrichtkriterien Deregulierung und Privatisierung vorangetrieben wurden und in der jetzigen Situtaion der Krise mit dem Fiskalpakt das Diktat der Kapitalmacht (mit deutscher Vormacht) durchgesetzt wird, wird eindrücklich beschrieben.

Deppe macht deutlich, dass unter diesen Vorzeichen für die Gewerkschaften eine neue sehr große Herausforderung besteht, den Kürzungsdiktaten entgegenzutreten. Er macht die Dringlichkeit des Internationalismus deutlich, indem er auch die politischen Gefahren von Nationalismus, Rechtspopulismus und dem zunehmenden Demokratieabbau international herausstellt. Er hebt die besondere Verantwortung der deutschen Gewerkschaften hervor, hier nicht als Unterstützer der hiesigen Politik im Interesse des Kapitals, die den Arbeiterklassen in den von der Krise besonders betroffenen Länder Kürzungsdiktate aufzwingt, gesehen zu werden. In der Bewertung der jetzigen Gewerkschaftspolitik ist Deppe jedoch zu unkritisch. Die Äußerungen Hubers, der meinte, die spanischen Gewerkschaften sollten bereit sein, mehr Verzicht zu üben, um wettbewerbsfähiger zu sein, sind das Gegenteil von internationaler Solidarität.

Kritisch zu betrachten sind auch Deppes Ausführungen zur Frage, wie man der Standort- und Wettbewerbslogik entgegenwirken kann. Hier ist enttäuschend, dass er, obwohl er an anderer Stelle von der Notwendigkeit des Antikapitalismus spricht, am Ende den Eindruck erweckt, als wäre eine Ausrichtung auf eine Neuauflage des „New Deal“, wie er unter Roosevelt in den USA in den 1930er Jahren stattfand, der notwendige „politische Pfadwechsel“, den die Gewerkschaften unterstützen sollten. Innerhalb dieses „New Deal“ wurde ebenso Krisenkorporatismus der Gewerkschaftsführungen praktiziert. Eine Lösung für die Arbeiterklasse bedeutete diese Form der bürgerlichen „Krisenbewältigung“ nicht. Hier muss stattdessen ein Programm formuliert werden, mit dem tatsächlich die Konkurrenzsituation zwischen den ArbeiterInnen in Griechenland und Deutschland, Spanien und Großbritannien, Irland und Portugal aufgehoben werden kann. Ein Programm für Vollbeschäftigung, Ausbau der öffentlichen Dienste und Daseinsvorsorge, gute Arbeitsbedingungen und eine allgemeine Steigerung des Lebensstandards für heute und zukünftige Generationen ist notwendig und möglich – aber nur, wenn es mit der Überwindung des auf Konkurrenz und Profitlogik basierenden Kapitalismus verbunden wird!

Alles in allem handelt es sich bei diesem Buch um einen nicht nur interessanten sondern auch wichtigen Diskussionsbeitrag, der dazu anregt, die oben genannten Punkte weiter zu beleuchten und die Frage der dringend notwendigen Strategien für den Aufbau von Gegenwehr zu behandeln.

Angelika Teweleit ist in der Bundesleitung der SAV für die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zuständig.