Das Verfahren gegen Chelsea Manning

manningAm Ende der Gerichtsverhandlung zeigte sich noch einmal, wie erschreckend tief das US-Militär gesunken ist, um Manning, die bisher unter dem Vornamen Bradley bekannt war, in die Mangel zu nehmen

von Manus Lenihan, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Irland)

2010 hatte die mutige junge Analystin des Militärgeheimdienstes hunderttausende geheime Dokumente veröffentlicht, um der Welt zu zeigen, wie die von den USA im Irak und in Afghanistan geführten Kriege in Wirklichkeit aussehen. Zum Verfahren kam es erst nach über drei Jahren hinter Gittern, in denen die Schikane der Einzelhaft zur Anwendung kam, Fußfesseln angelegt wurden und mit Schlafentzug gearbeitet wurde. Den ganzen letzten Monat über wurden Manning Vergehen vorgeworfen, die zusammengenommen zu einem Strafmaß von bis zu 136 Jahren geführt hätten.

Ranghohe Persönlichkeiten aus Militär und Politik geben öffentlich zu, dass mit dem letztlich gesprochenen Urteil von 35 Jahren Haft, US-SoldatInnen abgeschreckt werden sollen, damit sie ihren Mund halten. Unterdessen greift das US-Militär auf groteske Praktiken zurück, um Manning in Verruf zu bringen und jene zu diskreditieren, die sie als Heldin und Ikone ansehen.

Vergangene Woche hat das US-Militär Fotos veröffentlicht, auf denen Chelsea Manning Perücke und Make-Up trägt. Dies geschah so kurz vor der Urteilsverkündung, dass es den Anschein haben musste, als handele es sich dabei um den geschmacklosen Versuch, sie zu diskreditieren, indem man an Verurteile gegen Transsexuelle appellierte. Weitaus schwerer wiegt aber das sowohl Vorurteile gegen Transsexuelle als auch die Stigmatisierung von Personen mit psychischen Problemen aufgegriffen wurden: Anklage und Verteidigung kamen darin überein, dass Manning die Dokumente offenbar deshalb an die Öffentlichkeit weitergeleitet hatte, weil sie damals unzurechnungsfähig war, was auf ihre Probleme mit der eigenen sexuellen Identität zurückgehe.

Der Versuch des US-Militärs und der Regierung, Mannings großartigen Akt der Zivilcourage als Unzurechnungsfähigkeit umzudeuten, ist vollkommen zwecklos: Die Verbrechen des US-Militärs sind unwiderrufbar aufgedeckt.

Chelsea Manning hat ihre ganze Interessenlage und Motivation komplett aufgedeckt. Geschehen ist dies durch die Veröffentlichung von Erklärungen wie auch von Online-Gesprächen, die „die eigentlichen Kosten, die der Krieg verursacht, zeigen“, um „zu weltweiten Diskussionen, einer Debatte und zu Reformen“ zu kommen. Manning war die Einsicht gekommen, dass sie Teil eines Apparats war, der auf breiter Ebene Massaker verübt, Unterdrückung betreibt und Folter anwendet. Schließlich wollte sie damit Schluss machen und die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Ganz abgesehen davon, treten in allen Gliederungen des US-Militärs immer öfter Fälle auf, in denen psychische Probleme eine Rolle spielen. Mittlerweile werden mehr SoldatInnen Opfer von Selbstmorden als durch Kugeln oder Bomben des militärischen Gegners. In Anbetracht der Horrorszenarien, die die SoldatInnen als die praktischen HandlangerInnen des US-Imperialismus und der Interessen der Konzerne im Sinne ihrer „Pflichterfüllung“ schaffen, ist dies kein Wunder. Im Militär gibt es tausende von Menschen, die sich der LGBT-Community zurechnen und deshalb zum Opfer von Diskriminierung werden. Es ist offensichtlich, dass Manning – wie viele tausend andere SoldatInnen auch – unter schwerer persönlicher Anspannung litt. Dass sie aber 700.000 Geheimdokumente an die Enthüllungsplattform „Wikileaks“ weitergegeben hat, war geplant, ein überaus mutiger und politisch bewusster Akt und kein spontaner der Ausdruck von Frustration.

Doch das erschreckendste Ereignis der letzten Tage war die Entschuldigung Mannings. Sie bat dafür um Entschuldigung, den Vereinigten Staaten „Schaden zugeführt“ und geglaubt zu haben, dass „ich rangniederer Analyst glaubte, möglicherweise die Welt verbessern zu können“, statt denjenigen Vertrauen zu schenken, die in den „maßgebenden Behörden“ ansässig sind. Es gibt viele Gründe, weshalb Manning diese Entschuldigung formuliert haben könnte. Ein grundlegender innerer Wertewandel oder ein „plötzlicher Sinneswandel“ sind da nicht die wahrscheinlichsten Optionen.

Die wahrscheinlichste Theorie ist die, wonach es sich bei Mannings Reue-Erklärung um einen Teil eines politisch motivierten Hinterzimmer-Abkommens gehandelt hat, um das Strafmaß zu reduzieren. Die Tatsache, dass das Urteil am unteren Ende des Möglichen ansetzte (die Anklage hatte 90 Jahre gefordert), stützt diese These.

In einem Brief an Präsident Obama, der gestern veröffentlicht wurde (siehe unten), verteidigt Manning in überzeugter Manier und sehr kategorisch das eigene Handeln. Wörtlich heißt es darin: „Die Entscheidungen, die ich 2010 getroffen habe, traf ich aus Sorge um mein Land und die Welt, in der wir leben.“

Um Gnade ersuchend, die ein Präsidenten wie Obama, der die Demokratie und menschliches Leben derart geringschätzt, niemals erteilen wird, führte Manning weiter aus:

„Wenn Sie meinem Begnadigungsersuchen nicht entsprechen, dann werde ich meine Zeit damit verbringen müssen, zu erkennen, dass man manchmal einen hohen Preis dafür zahlen muss, wenn man in einer freien Gesellschaft leben will. Diesen Preis werde ich gerne zahlen, wenn dies bedeutet, dass wir ein Land haben, das wirklich nach den Maßstäben der Freiheit ausgerichtet und der These verschrieben ist, nach der alle Frauen und Männer als einander ebenbürtig geschaffen sind“.

Die Menge an Geheimnissen, die ein Regime unter Verschluss hält, und das Ausmaß an Lügen, das dabei anfällt, sind ein Beleg für die tiefen Widersprüche und die Verdorbenheit ihrer Politik. Die US-Regierung klassifiziert derzeit mehr als 90 Millionen Dokumente pro Jahr als geheim. Diese Zahl, die von Jahr zu Jahr noch um mehrere Millionen ansteigt, wirkt wie eine Art Index des Verfalls demokratischer Rechte inmitten einer Krise des Kapitalismus und der barbarischen Kriege.

Im Drama um das Verfahren gegen Chelsea Manning haben wir für diese These nur noch mehr Anhaltspunkte bekommen. Das Establishment hat den Versuch unternommen, Manning durch Bigotterie in ein anderes Licht zu rücken und sie mit an den Stalinismus erinnernden Methoden und erzwungene „Schuldbekenntnisse“ politisch außer Gefecht zu setzen.

 

Der Wortlaut der Erklärung von Chelsea Manning an Präsident Obama

„Die Entscheidungen, die ich 2010 getroffen habe, traf ich aus Sorge um mein Land und die Welt, in der wir leben.. Seit den tragischen Ereignissen vom 11. September befindet sich unser Land im Krieg. Wir führen Krieg gegen einen Feind, der sich uns nicht wie sonst üblich auf einem Schlachtfeld entgegenstellt. Aufgrund dieser Tatsache und der Risiken, denen wir ausgesetzt waren, mussten wir unsere Kampfmethoden und unseren üblichen Lebenswandel anpassen.

Am Anfang stimmte ich mit die Methoden überein und entschied mich dafür, als Freiwilliger dabei mitzuhelfen, mein Land zu verteidigen. Erst als ich in den Irak versetzt wurde und dort täglich geheime Militärberichte zu lesen bekam, begann ich die Moral dessen, was wir da taten, in Frage zu stellen.

Zu dieser Zeit war es, dass ich erkannte, dass wir in unseren Versuche, uns dem Risiko zu stellen, dem wir ausgesetzt waren, die Menschlichkeit vermissen ließen.

Permanent entschieden wir uns dafür, sowohl im Irak als auch in Afghanistan menschliches Leben als wertlos zu betrachten. Als wir uns mit denen beschäftigten, die wir für unsere Feinde hielten, töteten wir manchmal auch unschuldige ZivilistInnen. Wann immer wir unschuldige ZivilIstInnen töteten, entschieden wir uns dafür, uns hinter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit und als geheim eingestuften Information zu verstecken, statt die Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Damit wollten wir jede öffentliche Verantwortung ausschließen.

In unserem Eifer, den Feind töten zu wollen, diskutierten wir intern, wie >Folter< definiert ist. In Guantanamo hielten wir Einzelpersonen über Jahre hinweg fest, ohne dass es einen Prozess gegeben hätte. Unerklärlicher Weise verschlossen wir die Augen, als es von Seiten der irakischen Regierung zu Folterungen und Exekutionen kam. Und wir nahmen zahllose andere Handlungen, die im Namen unseres Krieges gegen den Terror geschahen, einfach hin.

Bei Patriotismus handelt es sich häufig um den Schrei, der ausgestoßen wird, wenn die, die die Macht inne haben, moralisch fragwürdige Handlungen verteidigen. Wenn diese Aufschreie des Patriotismus dann Uneinigkeiten übertünchen, die vor Ort bestehen mögen, dann ist es für gewöhnlich der amerikanische Soldat, der den Befehl bekommt, irgendwelche schlecht durchdachten Missionen zu erfüllen.

Im Namen der Demokratie hat unsere Nation ähnlich düstere Momente erlebt: den >Trail of Tears< (Vertreibung der IndianerInnen; Anm. d. Übers.), die >Dred Scott decision< (Urteil zur Stärkung der Rechte der Sklavenhalter), die McCarthy-Zeit und die japanisch-amerikanischen Internierungslager, um nur einige zu nennen. Ich bin zuversichtlich, dass viele Handlungen, zu denen es nach dem 11. September gekommen ist, eines Tages in einem ähnlichen Licht gesehen werden.

Wie der späte Howard Zinn einmal sagte: >Keine Flagge ist groß genug, um die Schande zu überdecken, die es mit sich bringt, wenn unschuldige Menschen getötet werden<.

Ich verstehe, dass mein Handeln Gesetze gebrochen hat. Ich bedaure es, wenn mein Handeln jemandem Schaden zugefügt oder die Vereinigten Staaten beschädigt haben. Es war nie meine Absicht, irgendjemandem zu schaden. Ich wollte nur Menschen helfen. Als ich mich dafür entschied, geheime Informationen bekanntzumachen, so tat ich dies aus Liebe für mein Land und aus einem Pflichtgefühl gegenüber anderen heraus.

Wenn Sie meinem Begnadigungsersuchen nicht entsprechen, dann werde ich meine Zeit damit verbringen müssen, zu erkennen, dass man manchmal einen hohen Preis dafür zahlen muss, wenn man in einer freien Gesellschaft leben will. Diesen Preis werde ich gerne zahlen, wenn dies bedeutet, dass wir ein Land haben, das wirklich nach den Maßstäben der Freiheit ausgerichtet und der These verschrieben ist, nach der alle Frauen und Männer als einander ebenbürtig geschaffen sind“.