Bandstopp in Bremen

Foto: http://www.flickr.com/photos/pansonaut/ CC BY-NC-SA 2.0
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Erstmals sollen Produktionsarbeiten im Daimler-Werk der Hansestadt fremdvergeben werden. Aus Protest legten 3000 Beschäftigte die Arbeit nieder.

Von Daniel Behruzi

Im Bremer Daimler-Werk standen am Freitag die Bänder 75 Minuten lang still. Anlass der Protestaktion, zu der der IG-Metall-Vertrauenskörper aufgerufen hatte, war die geplante Fremdvergabe von Teilen des Karosseriebaus. Damit würden Werkvertragsunternehmen in der Bremer Fabrik erstmals direkt in der Produktion zum Zuge kommen. Bislang sind Fremdfirmen auf dem Werksgelände lediglich als Dienstleister tätig.

Vor einigen Tagen hatte sich zunächst das Gerücht verbreitet, dann wurde es bestätigt: Daimler will in seinem Bremer Pkw-Werk Teile des Rohbaus an Fremdfirmen auslagern. Bis zu 90 Arbeitsplätze würden dann nicht mehr zu den Konditionen des Autoherstellers, sondern mit vermutlich deutlich schlechter bezahlten Beschäftigten bei Werkvertragsunternehmen besetzt. »Wir befürchten einen Dammbruch«, erklärte Gerhard Kupfer, Betriebsrat und Mitglied der IG-Metall-Vertrauenskörperleitung im Bremer Daimler-Werk, am Wochenende. »Das wird sicherlich nur der Anfang sein, dass Werkverträge nun auch in der direkten Produktion Stammarbeitsplätze verdrängen.«

Laut Betriebsrat ist geplant, die betroffenen Tätigkeiten mit der im kommenden Jahr anlaufenden nächsten Modellgeneration an externe Firmen zu vergeben. Das Unternehmen erklärte gegenüber Radio Bremen zwar, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Man spreche aber darüber, Teile für neue Baureihen »nicht mehr selbst im Werk zu fertigen, sondern bei Zulieferern«.

Der Vorstoß ist Teil der Unternehmensstrategie »Mercedes-Benz 2020«, mit der Daimler seine Rivalen BMW und Audi bis Ende des Jahrzehnts beim Absatz überflügeln will. Zugleich sollen die Profitraten mit dem Programm »Fit for Leadership« gesteigert werden. Die Konzernspitze sehe die Fabrik im ungarischen Kesckemét als Vorbild, erläuterte Kupfer. Dort werde fast nur noch die Fahrzeugmontage von Daimler-Arbeitern ausgeführt – die Vorarbeiten seien größtenteils an Zulieferer ausgelagert worden.

Teil des Programms ist auch eine weitreichende Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Das Management fordere »ein ganzes Paket« von Maßnahmen, um die Produktion an die Schwankungen des Marktes anzupassen, berichtete Kupfer. So sollen die Beschäftigten bis zu 15 Samstagsschichten im Jahr ableisten. Das Unternehmen soll die Möglichkeit erhalten, die Schichten bei Bedarf um mehrere Stunden zu verlängern. Falls der Absatz hingegen stockt, will es Schichten zu Lasten der Beschäftigten absagen können. »Es geht also um eine noch effektivere Ausnutzung der Arbeitskräfte«, so Kupfer. »Dabei ist der Druck schon jetzt enorm hoch.«

Begründet werden die Forderungen von der Konzernspitze laut Kupfer mit »utopisch hohen Stückzahlen«, die mit den bestehenden Arbeitszeitregelungen nicht zu schaffen seien. »Zum einen ist längst nicht gesagt, dass diese Prognosen eintreffen. Zum anderen: Wenn das Unternehmen mehr Autos bauen will, muss es auch mehr Beschäftigte einstellen – aber mit Festvertrag, zu Daimler-Konditionen«, betonte der Gewerkschafter. Die aktuellen Fremdvergabepläne rechtfertigt das Management mit angeblichen Platzproblemen auf dem Werksgelände. »Das ist absoluter Humbug und nichts als ein Vorwand, die Lohnkosten zu drücken«, meinte Kupfer dazu. Seine Kollegen sehen das offenbar genauso. Rund 3.000 von ihnen versammelten sich am Freitag vor dem Gebäude der Werkleitung zur »Info-Veranstaltung«.

Die Aktion kommt zu einer Zeit, in der das Thema Werkverträge den Daimler-Konzern nicht zur Ruhe kommen lässt. Seitdem der SWR im Mai mit einer Undercover-Recherche aufdeckte, dass Arbeiter einer Fremdfirma im Werk Untertürkheim einen Stundenlohn von 8,19 Euro erhalten und mit Hartz IV aufstocken müssen, reißen die Skandale nicht ab. Zuletzt wurde durch Ermittlungen des Zolls bekannt, dass rumänische Testfahrer, die unter anderem für Daimler tätig sind, mit Stundenlöhnen von 3,80 Euro abgespeist werden.

Dem Vernehmen nach führt der Daimler-Vorstand zur Zeit Sondierungsgespräche mit Vertretern des Gesamtbetriebsrats (GBR), um die Möglichkeiten einer Einigung zum Thema Werkverträge auszuloten. Dabei soll definiert werden, in welchen Fällen es sich um legale und wann es sich um illegale Werkverträge handelt. Laut Gesetz dürfen Beschäftigte von Werkvertragsfirmen beispielsweise keine direkten Anweisungen von Mitarbeitern des Stammbetriebs erhalten. Die Nichteinhaltung dieser Regel hatte zuletzt dazu geführt, dass zwei IT-Angestellte einer im Werk Sindelfingen tätigen Fremdfirma ihre Festanstellung per Gerichtsbeschluss durchsetzen konnten.

Der Bremer Betriebsrat Kupfer sieht die Verhandlungen des GBR allerdings skeptisch. Er fürchtet, dass sich der Konzern damit gegen eventuelle Klagen absichern und die Praxis des Lohndumpings durch Werkverträge noch ausweiten könnte. »Meiner Ansicht nach gibt es bei Werkverträgen – ebenso wie bei der Leiharbeit – nichts zu regeln. Statt dessen sollte man diese Formen prekärer Beschäftigung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen.«

 

Dieser Artikel erschien zuerst am 26. August in der Tageszeitung „junge Welt