Syrien: Stellvertreterkrieg in Nahost

Foto:http://www.flickr.com/photos/syriafreedom/ CC BY 2.0
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Syrien ist zum Kampffeld internationaler Mächte geworden

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht neue Schreckensmeldungen aus dem Bürgerkriegsland Syrien vernehmen müssen. Laut UN-Angaben vom März hat die Zahl der Flüchtlinge inzwischen die Marke von einer Million überschritten. Etwa vier Millionen sind innerhalb des Landes (das insgesamt 20 Millionen Menschen zählt) heimatlos geworden. Die UN-offizielle Zahl der Toten lag im Mai schon bei 80.000.

von Marcus Hesse, Aachen

Massaker, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung und Vergewaltigungen gehören zu den Methoden beider Seiten – der Armee des Regimes von Baschar al-Assad und seiner verbündeten Milizen wie der bewaffneten Kräfte der Opposition, organisiert vor allem in der „Freien Syrischen Armee“ (FSA).

 Von der Revolution zum Bürgerkrieg

 2011 begann alles mit einer Revolution, die sich gegen Armut, Korruption, Massenarbeitslosigkeit und Unterdrückung richtete. Sie war von den revolutionären Bewegungen in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern beeinflusst. Sie richtete sich gegen ein repressives Regime, welches seit fast zwei Jahrzehnten seine vorwiegend von Staatseigentum geprägte Wirtschaft an die Diktate von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank anpasste und deshalb im Westen als „gelungenes Modell marktwirtschaftlicher Transformation“ gelobt wurde.

Doch der revolutionäre Prozess nahm, ähnlich wie in Libyen 2011, einen anderen Verlauf als in Ägypten und Tunesien. Die Bewegung veränderte ihren politischen Charakter. Die Regime-GegnerInnen formierten sich in einer buntscheckigen „Nationalen Koalition“ aus „Syrischem Nationalrat“, Islamisten, bürgerlichen Demokraten und einigen (Ex-)Linken, mitsamt einer eigenen Armee, der FSA. Diese Kräfte werden von der NATO und den konservativsten Regimen der Region unterstützt. Im Laufe der Zeit haben sich diesen Kräften auch sunnitische Fundamentalisten angeschlossen, wie die berüchtigten al-Quaida-nahen Milizen „Fatah al-Islam“ und „al-Nusra-Front“.

Das Assad-Regime ging von Beginn an mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor. Die FSA ist nicht homogen, es gibt weiter Bestrebungen von Teilen der normalen Bevölkerung nach Selbstorganisation. Aber die reaktionären Kräfte haben in der FSA längst die Oberhand gewonnen. Diese und die fundamentalistischen Milizen stehen dem Vorgehen des Assad-Regimes in nichts nach. Es kam zu regelrechten Pogromen gegen Schiiten, Alawiten und Christen. Bei diesen Minderheiten stellen sich deshalb viele aus Angst hinter das Regime. Dies ist ein Grund, warum sich die Diktatur bis heute, nach gut zwei Jahren, hat halten können.

 Mächtekonstellationen und Interventionen

 2012 kam es zu Grenzgefechten zwischen Syrien und der Türkei. In Frankreich (der ehemaligen Kolonialmacht Syriens) forderte Präsident François Hollande als Erster offensiv ein Eingreifen zu Gunsten der „Rebellen“. Anfang Mai dieses Jahres flog Israels Armee erstmalig vereinzelte Luftangriffe gegen syrische Ziele – vorgeblich, um die mit Assad verbündete libanesische Hisbollah zu schwächen.

Schon frühzeitig hat die NATO die FSA unterstützt. Vereinzelt wurden Kämpfer im Kosova, in den letzten Jahren ein NATO-Protektorat, ausgebildet. Hauptausrüster und Förderer der FSA sind aber die reaktionären Golfmonarchien, allen voran Saudi-Arabien und Katar. Diese stützen die radikal-sunnitischen Kräfte gegen das säkulare Assad-Regime und seine schiitischen Verbündeten Iran und die libanesische Hisbollah.

Zwischen den schiitischen und sunnitischen Mächten ist Syrien zum Schauplatz eines Machtkampfes im Nahen Osten geworden, der in ähnlicher Weise auch im Irak oder Bahrain beobachtet werden kann.

Die Türkei ihrerseits setzt unter Recep Tayyip Erdogan verstärkt auf Einflussgewinn in der Region, die vor dem Ersten Weltkrieg mal Teil des Osmanischen Reiches war. Hinzu kommt (trotz Waffenstillstand mit der PKK) die Furcht, dass das zerfallende Syrien zum Rückzugsgebiet für kurdische Rebellen werden könnte. Zumal die syrischen KurdInnen über ihr Gebiet die Kontrolle erlangen konnten (nachdem es auch schon im Nordirak eine kurdische Regierung gibt).

Auf Assads Seite steht die Regionalmacht Iran und das Wohlwollen Russlands und Chinas.

 Aufgaben der Linken

 SozialistInnen können keine der Kriegsparteien unterstützen! Weder das brutale und verkommene Regime von Assad noch die reaktionären Kräfte in der FSA. Leider ist diese Haltung in der internationalen Linken nicht selbstverständlich. Manche feiern die „syrische Revolution“ unter dem Banner der FSA und manche schlagen sich gar aus angeblich „antiimperialistischen“ Motiven auf die Seite des Assad-Regimes.

Jede Intervention imperialistischer Mächte ist abzulehnen. Aber das bedeutet noch lange keine Unterstützung für das syrische Regime. Die Diktatur Assads und seiner Baath-Partei muss gestürzt werden. Entscheidend ist eine unabhängige Organisation der ArbeiterInnen, armen BäuerInnen und Jugendlichen für demokratische und soziale Forderungen. Das ist auch keine abstrakte Neutralität! Denn angesichts der Bedrohung durch den Terror des Regimes und der „Rebellen“ ist unmittelbarer be-waffneter Selbstschutz der Viertel und Betriebe nötig. Nur so und über den gemeinsamen Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Armut kann es gelingen, die heutigen Gräben zwischen den Nationalitäten und Religionen zu überwinden.

Wie Tunesien und Ägypten heute zeigen, reicht der Sturz eines Diktators indes nicht aus – vielmehr ist es nötig, den Kampf für soziale und demokratische Rechte mit dem Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus zu verbinden.