Durch die Zypernkrise …

Zypernkrise… ist der Kapitalismus noch instabiler

Die Zypernkrise ist kein Sonderfall. Im Gegenteil wurden in ihr Konturen eines weiteren Stadiums der seit 2007/08 andauernden weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise sichtbar.

von Wolfram Klein

Der Hauptmotor des Weltwirtschaftsaufschwungs bis 2007 war die Konsumnachfrage in den USA. Der Konsumanstieg basierte wesentlich auf wachsender Verschuldung und nominell steigende Vermögen, insbesondere steigende Immobilienpreise. Beides hing miteinander zusammen, da der Anstieg der Immobilienpreise oft zur Aufnahme zusätzlicher Hypotheken genutzt wurde. Auch armen Menschen ohne alle Sicherheiten wurden Kredite zum Häuserbau oder -kauf gegeben. Der scheinbar unaufhaltsame Anstieg der Immobilienpreise schien Sicherheit genug. Als dieser Anstieg um 2006 doch zum Erliegen kam, begann bald darauf die Krise, die sich zur schwersten Weltwirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte.

In der ersten Phase der Krise reagierten die Regierungen, indem sie ins Trudeln geratene Banken für systemrelevant erklärten und mit riesigen Finanzspritzen retteten. Zugleich legten sie gewaltige Konjunkturprogramme auf, die das Abgleiten der Weltwirtschaft in eine Depression erst einmal verhinderten. Beides führte zu einem sprunghaften Anstieg der Staatsverschuldung. In der Eurozone stieg sie 2008 auf 2009 von 70,2 Prozent auf 80 Prozent und seitdem etwas langsamer weiter auf 93,1 Prozent 2012 (für das laufende Jahr erwartet die Europäische Zentralbank 95,1 Prozent). Wenn also heutzutage in den Medien die hohe Staatsverschuldung angeprangert wird, dürfen wir nie vergessen, dass sie weder die Folge sozialer „Wohltaten“ für die Masse der Bevölkerung (die international schon seit Jahrzehnten unter Kürzungspolitik leidet) noch die Ursache der Krise ist, sondern eine Folge der (staatlichen Bekämpfung) der Krise des Kapitalismus.

Der sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung leitete die zweite Phase der Krise ein. Ihr Beginn lässt sich genau datieren: Am 20.10.2009 gab die neue griechische Regierung bekannt, dass das Haushaltsdefizit etwa doppelt so hoch sei, wie von der Vorgängerregierung zugegeben (zwölf bis dreizehn statt sechs Prozent). Seitdem stieg der Risikozuschlag griechischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen beträchtlich, weil Investoren mit der Möglichkeit eines griechischen Staatsbankrotts zu rechnen begannen. Es entwickelte sich ein Teufelskreis: Mit den steigenden Zinsen wurde der Schuldendienst immer kostspieliger, die Gefahr eines Staatsbankrotts wuchs, die Zinsen stiegen noch mehr.

Die Krise blieb nicht auf Griechenland beschränkt. Neben Ländern, die schon vor dem Beginn der Weltwirtschaftskrise eine hohe Staatsverschuldung (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) gehabt hatten – wie Griechenland (2008-12 von 112,9 auf 161,6 Prozent trotz „Schuldenschnitt“!), Italien (2008-12 von 106,1 auf 127,1 Prozent des BIP) oder Belgien (2008-12 von 89,2 auf 99,8 Prozent des BIP) – waren besonders Länder betroffen, in denen es ähnlich wie in den USA vor der Krise eine große Immobilienspekulationsblase gegeben hatte, die jetzt platzte, so dass Banken auf einem großen Berg fauler Kredite saßen. Dort war die Staatsverschuldung zu Beginn der Krise geringer als in Deutschland und stieg dann mit der staatlichen Bankenrettung besonders drastisch, z.B. in Irland (2008-12 von 44,5 auf 117,2 Prozent des BIP, Spanien von 40,2 Prozent auf 88,4 Prozent des BIP).

Die den Ländern in der Schuldenkrise aufgezwungene Kürzungspolitik führte zu einem weiteren Teufelskreis: die Kürzungen führten zu geringerer Nachfrage, einer schrumpfenden Wirtschaft, höheren Staatsausgaben bei sinkenden Einnahmen, einem trotz der Kürzungen hohen Haushaltsdefizit, noch schärferen Kürzungen usw. Zum Beispiel. in Portugal stieg die Staatsverschuldung 2008-12 von 71,7 auf 120,6 Prozent des BIP. Für dieses Jahr wird ein Schrumpfen der Wirtschaft in Portugal um 2 Prozent erwartet, in Spanien um 1,4 Prozent, in Italien um 1,3 Prozent, in Griechenland um 4,4 Prozent. Die Gefahr ist groß, dass auch Frankreich, wo die Staatsverschuldung 2008-12 von 68,2 auf 90,3 Prozent des BIP stieg, in diesen Teufelskreis gerät.

Die Krise in Zypern

Wie passt die Krise in Zypern in dieses Bild? Die deutschen bürgerlichen Medien haben in den letzten Wochen auf Zyperns „Geschäftsmodell“ eingedroschen. Zypern hat in den letzten Jahren mit „hohen“ Zinsen gelockt – aber gemessen an den Renditeversprechen von Unternehmen etc. sind 4 Prozent Zinsen nicht wirklich hoch. Zugleich waren die Unternehmenssteuern mit zehn Prozent niedrig – aber es gibt einen internationalen Wettlauf, mit niedrigen Steuern Kapital anzulocken, an dem sich auch Deutschland eifrig beteiligt hat.

Der Kapitalismus beruht auf internationaler Arbeitsteilung, und zwar Arbeitsteilung in Form von Konkurrenz und nicht Kooperation. Wer dieses System akzeptiert, darf sich nicht beschweren, wenn andere im Rahmen dieses Systems auf ihren Vorteil bedacht sind. Kleine Länder können nicht auf der gleichen Stufenleiter Industrieprodukte (z.B. Autos) produzieren wie große und sind deshalb dabei nicht wettbewerbsfähig, erst recht nicht, wenn es sich um „abgelegene“ Inseln mit entsprechenden Transportkosten (wie Zypern, Malta usw.) handelt. Aber wenn sich so ein kleines Land als Bankenplatz etabliert, dann machen dort Geldbeträge, die in der BRD ein Tropfen auf den heißen Stein wären, einen beträchtlichen Unterschied aus.

Die ganze Kampagne gegen das zyprische „Geschäftsmodell“ unterschlägt, dass dieses die aktuelle Krise nicht hervorgerufen hat. Die zyprischen Banken gerieten nicht in die Krise, weil internationale Anleger plötzlich ihr Kapital abgezogen hätten (2007-12 stiegen die Einlagen von 52 auf 68 Milliarden Euro, erst im Januar 2013 begann der Abfluss). Nicht woher das Geld kam, sondern wohin es ging, hat die Krise verursacht. Die Banken haben einen beträchtlichen Teil in griechische Staatsanleihen angelegt oder Kredite an griechische Unternehmen vergeben, die wegen der Wirtschaftsdepression in Griechenland in Zahlungsschwierigkeiten kamen. Allein der „Schuldenschnitt“ bei griechischen Staatsanleihen im März 2012 hat zyprische Banken 4,7 Milliarden Euro gekostet.

Man kann sich darüber mokieren, dass sie noch griechische Staatsanleihen gekauft haben (wegen der hohen Risikozuschläge, Korruption…), als dies schon offensichtlich riskant war. Aber selbst, wenn zyprische Banken keine griechischen Staatsanleihen besessen hätten – mehr wert wären sie dadurch nicht gewesen. Das Problem ihres Kurssturzes und ihrer offiziellen Entwertung durch den Schuldenschnitt hätte trotzdem bestanden, es wäre nur an einer anderen Stelle im internationalen Finanzsystem aufgetreten.

Das führt uns zu dem rationalen Aspekt an der Kritik am zyprischen „Geschäftsmodell“: ein großer Bankensektor in einem kleinen Land kann zwar Einnahmen bringen (einschließlich hoher Steuereinnahmen für den Staat bei niedrigen Steuersätzen) solange alles gut geht. Aber wenn etwas schief geht entstehen Finanzlöcher, die ein kleines Land hoffnungslos überfordern. Auch in anderen Ländern mit starkem Bankensektor gab es einen starken Schuldenanstieg, zum Beispiel in Island (2007-12 von 28,5 auf 96,2 Prozent des BIP) oder Großbritannien (2007-12 von 44,2 auf 89,8 Prozent des BIP) und eben in Zypern (2008-12 von 48,9 auf 86,5 Prozent). Zypern wandte sich an die Troika um Hilfe.

Die Zypern-„Rettung“

Ein wichtiges Merkmal des von den EU-Finanzministern mit Zypern ausgehandelten Pakets vom 24. März ist, dass mit der Politik der Bankenrettung gebrochen wurde. Die Laiki-Bank (die zweitgrößte Bank Zyperns) wird in eine „gute“ und eine „Bad Bank“ aufgeteilt. Einlagen bis 100.000 Euro, „gute Kredite“ und benötigte Immobilien kommen in die „gute“ Bank, die mit der Bank of Cyprus verschmolzen wird. Höhere Bankeinlagen kommen in die „Bad Bank“. Aus den verbliebenen Immobilien und „faulen“ Krediten soll noch möglichst viel Geld gemacht werden, damit die Einleger wenigstens einen Teil ihres Geldes wieder sehen, aber ein Großteil wird verloren sein. Zum Beispiel von den 500 Millionen der Laiki-Bank für die Renten ihrer eigenen Angestellten gehen 100.000 an die Bank of Cyprus, 499,9 Millionen verschwinden in der Bad Bank. „Es gibt kaum eine Rentenkasse, die nicht auch bei der Laiki-Bank oder der Bank of Cyprus ein Konto unterhalten hätte“ zitierte die FAZ den Laiki-Chefvolkswirt Tirkides. Merkel empörte sich über die Idee, zyprische Rentengelder dem Staat zu leihen, aber dieser Rentengeldvernichtung stimmte sie zu.

Bei der Bank of Cyprus (der größten Bank Zyperns) selbst werden auch nur Einlagen bis 100.000 Euro garantiert, höhere Einlagen sollen teilweise in Anteilscheine an der Bank umgewandelt werden, erst 37,5 Prozent davon, bei Bedarf weitere 22,5 Prozent. Die Anleger werden zwangsweise zu Miteigentümern einer (fast wertlosen) Bank.

Die zehn Milliarden Euro, die Zypern von ESM (und evtl. dem IWF) erhält, sollen ausdrücklich nicht in die Banken fließen.

In der vom zyprischen Parlament abgelehnten Fassung des „Rettungspakets“ sollte Zypern weitere sieben Milliarden Euro selbst aufbringen, teils durch Sozialkahlschlag und Privatisierungen, 5,8 Milliarden durch eine Bankenabgabe. Das entspräche für Deutschland 800 Milliarden Euro! Was die jetzt stattdessen beschlossene Bankenabwicklung in Milliarden bedeutet, wurde nicht beziffert.

Im Vorfeld haben deutsche Politiker und Medien für eine „harte Haltung“ gegenüber Zypern Stimmung gemacht mit der Behauptung, bei einem Großteil der Einlagen handele es sich um Schwarzgeld von russischen Oligarchen. Das wäre ein Argument, die Schwarzgelder von Oligarchen ganz zu kassieren und die anderen zu verschonen, statt alle Einlagen über 100.000 Euro mit dem Rasenmäher zu kappen. (Abgesehen davon, dass die Empörung über russische Oligarchen bei Leuten, die die Restauration des Kapitalismus in Russland und die Privatisierung der Staatsbetriebe dort bejubelt haben, durch die solche Oligarchen erst entstehen konnten, etwas aufgesetzt wirkt.)

Zyperns Bankenabwicklung: Sonderfall oder Modell?

Sicher spielte bei der Haltung der Merkel-Regierung innenpolitisches Kalkül im Bundestagswahljahr eine große Rolle – die Sorge vor den Auswirkungen eines Scheiterns eines Rettungspakets im Bundestag und die daraus möglicherweise resultierende Stärkung euroskeptischer Kräfte wie den „Freien Wählern“ oder der neu gegründeten „Alternative für Deutschland“. Man kann aus den Maßnahmen in Zypern jedoch nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass es in Zukunft keine Bankenrettungen mehr geben wird. Auch die erste Version des Zypernpakets vom EU-Gipfel am 15.März hatte noch eine Bankenrettung vorgesehen. Wenn es statt zwanzig Milliarden Euro russischer Einlagen so hohe deutsche Einlagen auf zyprischen Banken gegeben hätte, wären die Anleger wohl gar nicht zur Kasse gebeten worden.

Trotzdem ist in Politikerreden und Wirtschaftspresse ein neuer Klang zu vernehmen. Eurogruppenchef Dijsselbloem bezeichnete Zyperns Bankenabwicklung am 25. 3. als „Modell“ – und erklärte danach, er sei falsch verstanden worden. Andere verweisen drohend darauf, dass es das zyprische „Geschäftsmodell“ auch in anderen Ländern gebe, allen voran in Luxemburg. Dessen Außenminister Asselborn klagte: „Ich kann das Wort ‚Geschäftsmodell’ sehr schwer ertragen“.

Ein Gesetzentwurf der EU-Kommission zur Bankenabwicklung, der im Sommer offiziell eingebracht werden soll, sieht ebenfalls die Einbeziehung von Bankeinlagen vor.

Journalisten betonen plötzlich, dass Konteninhaber Bankgläubiger sind, dass also nicht meine Bank mein Geld für mich verwahrt, sondern dass ich es ihr leihe – und es mir natürlich passieren kann, dass mein Schuldner Bank es mir nicht zurückzahlen kann. Damit wir plötzlich eine Seite der widersprüchlichen Konstruktion Bankkonto in den Vordergrund geschoben. Wenn mein Arbeitgeber mir mein Gehalt auf mein Konto überweist, überweist er dann mir Geld oder gibt er in meinem Namen meiner Bank einen Kredit?

Doch jetzt wird plötzlich erklärt, dass man selbst schuld sei, wenn man sein Geld einer unzuverlässigen Bank anvertraue. Großzügig wird der Normalbevölkerung zugebilligt, sich darüber nicht vollständig informieren zu können, weshalb Einlagen bis 100.000 Euro garantiert würden.

Doch erstens ist die ganze Argumentation absurd. Nach der Lehman-Pleite 2008 ist der Geldverkehr zwischen den Banken fast zum Erliegen gekommen, weil auch die Bankprofis wechselseitig nicht einschätzen konnten, ob sie noch zahlungsfähig waren. Zu unterstellen, dass irgendwelche Bankkunden zu einer realistischen Risikoabschätzung fähig seien, ist angesichts der undurchschaubaren Finanzkonstrukte der letzten Jahre weltfremd.

Und zweitens ist die Garantie der ersten 100.000 Euro auch nichts wert, nachdem sich EU und Zypern vorübergehend geeinigt hatten, auch von ihnen 6,75 Prozent einzuziehen. Ob dafür die Initiative von der zyprischen Regierung ausging, als letzter Versuch, ihr „Geschäftsmodell“ zu retten, ist unerheblich. Alle haben zugestimmt und sich an dem Tabubruch beteiligt, der erst durch die Proteste der zyprischen Bevölkerung gestoppt wurde. Der Tabubruch bleibt aber bestehen – auch im Bewusstsein der Bevölkerung.

Als es in den Tagen nach der Zypern-Einigung nicht zu einem Kollaps an den Finanzmärkten kam, wurde daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass man in der Vergangenheit die Systemrelevanz der Banken wohl überschätzt habe und in Zukunft mehr Banken in Schieflage abwickeln könne.

All das lässt erwarten, dass Zypern ein Präzedenzfall war. In Zypern ist das Volumen des Rettungspakets etwa so groß wie das Bruttoinlandsprodukt eines Jahres. Die EU hätte Zypern den ganzen Betrag leihen können, aber dann wäre die Staatsverschuldung auf einen Schlag um einhundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Niemand hätte geglaubt, dass Zypern das abzahlen kann (es sei denn, die erhofften Erdgaseinnahmen stellen sich ein), Zypern wäre praktisch pleite gewesen. (Auch mit der Eigenbeteiligung Zyperns steigt die Staatsverschuldung auf 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und wird noch höher steigen, wenn Zypern jetzt in den Krisen-Teufelskreis gerät.)

In Zypern ist die Bilanzsumme der Banken acht mal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt, doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt (in Luxemburg sogar 22 mal so groß). Eine vergleichbare Bankenkrise in einem durchschnittlichen EU-Land hätte ein Finanzloch halb so groß wie das Bruttoinlandsprodukt eines Jahres aufgerissen. Das über Staatsverschuldung zu bezahlen, würde deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt um fünfzig Prozent hochschnellen lassen.

Mit anderen Worten: das Problem ist nicht ein besonderes zyprisches Geschäftsmodell sondern das gegenwärtige Stadium des Kapitalismus. Er ist in einer so tiefen strukturellen Krise, dass Aufschwünge nur noch mit Hilfe von riesigen Spekulationsblasen zustande kommen (vor 2007 u.a. bei den US-Immobilienpreisen, aktuell an den Aktienmärkten). Deshalb pumpen die Notenbanken in den USA, der EU, in Japan usw. auf Teufel komm raus Geld in die Wirtschaft, das zum Großteil in die Finanzmärkte geht. Aber wenn riesige Spekulationsblasen platzen, dann sind die Verluste auch riesig. Bei neuen Bankenkrisen werden Neuauflagen der Bankenrettung von 2008/09 oft nicht mehr zu finanzieren sein.

Damit zeichnet sich ein neues Stadium der globalen Finanzkrise ab, in dem Bankenkrisen häufiger nicht mit der Rettung, sondern mit der Abwicklung von Banken enden, für die dann neben Aktionären und wirklichen Gläubigern von Banken auch wie in Zypern die Bankkunden als sogenannte Gläubiger zur Kasse gebeten werden.

Und die Folgen?

Die Bankenrettungen der letzten Jahre haben bei den Menschen, denen gleichzeitig wegen der Krise brutale Kürzungen aufgezwungen wurden, zu berechtigter Empörung geführt. Aber die Rasenmäher-Abwicklungen sind auch keine Lösung. Es ist irreführend, wenn in der Berichterstattung über Zypern oft von Ersparnissen geredet wurde. Wenn Unternehmen Geld auf dem Konto hatten, um Gehälter zu überweisen oder Investitionen zu bezahlen, ist das jetzt auch bis auf 100.000 Euro abrasiert. Wie in kapitalistischen Krisen üblich, zerstört auch die Zypern-Krise massiv Kapital – in Form von Geldkapital, aber letztlich auch Unternehmen, Fabriken und Arbeitskräften.

Es gibt eine gefährliche Tradition, Industrie und Banken einander gegenüberzustellen (bis hin zur Nazi-Demagogie von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital). Tatsächlich braucht der Kapitalismus zu seinem Funktionieren Banken. Die jetzige Erschütterung des Bankensystems wird auch Zyperns „Realwirtschaft“ in eine schwere Krise stürzen. Bankrotte sind zu erwarten (und damit noch mehr faule Kredite). Unternehmervertreter fordern dreißig Prozent Lohnsenkung. Dass Zypern auch noch Kürzungsmaßnahmen aufgezwungen werden, wird die Krise noch verschlimmern. Für dieses Jahr wird ein Wirtschaftseinbruch von acht bis neun Prozent befürchtet. Die französische Bank Société Générale erwartet ein Schrumpfen von Zyperns Wirtschaft um zwanzig Prozent bis Ende 2017. Es spricht Bände, dass die einzige Hoffnung, an die sich Zyperns Politiker gerade klammern, der geographische Glücksfall ist, dass vor der Küste Erdgasvorkommen liegen sollen.

Die Folgen werden nicht auf Zypern begrenzt bleiben. Die russischen Gelder auf zyprischen Banken dienten ja nicht nur dem Luxuskonsum von Oligarchen. Zum Teil haben russische Unternehmen ihren Firmensitz aus steuerlichen Gründen (und aus Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Eurozone – was für ein Hohn!) nach Zypern verlegt. Welche Folgen wird die Kapitalvernichtung für die russische „Realwirtschaft“ haben?

Die Journalisten, die gerade Entwarnung geben, weil die Maßnahmen nicht unmittelbar zu einer Finanzmarktpanik geführt haben, ignorieren, dass es auch Finanzmarktentwicklungen gibt, die über etwas längere Zeiträume als Millisekunden ablaufen. Natürlich haben nicht alle Menschen in Südeuropa gleich ihre Konten geplündert und das Geld unter die Matratze oder auf die Deutsche Bank transferiert. Aber mit einem schleichenden Kapitalabfluss ist zu rechnen. Und die Wahrscheinlichkeit ist wesentlich größer geworden, dass Medienberichte über eine Schieflage der Bank XY (oder den Besuch eines Troika-Inspektionsteams) dazu führen, dass dort in Panik Geld abgezogen wird. In Zukunft werden solche Schieflagen viel schneller zu Bankenkrisen und -pleiten führen. Davon werden kurzfristig die Banken und Länder profitieren, in die die Gelder in Sicherheit gebracht werden (plus die Hersteller von Tresoren). Aber die Folgen insgesamt sind verheerend. In den letzten Jahrzehnten sind die Finanzmärkte um ein Vielfaches größer geworden. Durch die Zypern-„Rettung“ sind sie zugleich ein ganzes Stück instabiler geworden. Einstürze zumindest von Gebäudeflügeln des Kartenhauses sind vorprogrammiert, denen früher oder später auch der Euro zum Opfer fallen wird.

Wenn in Zukunft Bankenabwicklungen häufiger werden, müssen Linke in ihrer Argumentation sorgfältiger werden. Ein „Gesundschrumpfen“ von Banken im Rahmen eines privaten Finanzwesens und des kapitalistischen Systems wird auch auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung abgeladen. All diejenigen in der Linken, die Island als nachahmenswertes Modell empfehlen, sollten nicht vergessen, dass auch dort der Lebensstandard für die breite Masse der Bevölkerung massiv gesunken ist. So gab es zwischen 2006 und 2012 eine Versiebenfachung der Arbeitslosigkeit, die isländische Währung wurde um 50 Prozent abgewertet (was Importe entsprechend verteuert hat) und die Hälfte der Privathaushalte sind pleite.

Um das zu verhindern, muss mit den Prinzipien der kapitalistischen Marktwirtschaft gebrochen werden: Privateigentum, Konkurrenzkampf, Profitlogik. Nötig sind deshalb die Enteignung aller Privatbanken und die Schaffung eines demokratisch kontrollierten und verwalteten öffentlichen Finanzwesens, in dem die Banken dann tatsächlich ihre Tätigkeit auf die Finanzierung sinnvoller ökonomischer Tätigkeiten reduzieren sollten. Auf dieser Basis sollten dann die Schulden bei privaten und institutionellen Anlegern gestrichen werden. So ist sicher zu stellen, dass tatsächlich die Verursacher der Krise zahlen und nicht die einfache Bevölkerung. Solche Schritte würden aber deutlich machen, dass es um mehr als eine Reorganisierung des Finanzsektors geht: Unser Gegner sind nicht nur die Banken, sondern der Kapitalismus insgesamt, unser Ziel ist nicht Island, sondern der Sozialismus. Wir stehen nicht vor der Alternative, Banken zu retten oder abzuwickeln, sondern den ganzen Kapitalismus abzuwickeln (nicht von heute auf morgen, aber unsere konkreten Forderungen müssen eine Brücke zu diesem Ziel bilden).

Wolfram Klein ist Mitglied im Bundesvorstand der SAV. Er lebt in Plochingen bei Stuttgart und schreibt regelmäßig zu Wirtschaftsfragen für sozialismus.info und die Zeitung „Solidarität“.