Erneuerung durch Streik: „Geht nicht, gibt’s nicht“

Streikkonferenz500 GewerkschafterInnen und Linke bei Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die Teilnehmerzahl sprengte alle Erwartungen. Mit 150 bis 200 Gästen hatten die OrganisatorInnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von ver.di Stuttgart gerechnet – am Nachmittag des 3. März hatten dann 500 Menschen an der Konferenz „Erneuerung durch Streik“ im Stuttgarter Gewerkschaftshaus teilgenommen. Hinter ihnen lagen zweieinhalb Tage intensiver Diskussionen und Erfahrungsaustausch. Viele fuhren nach Hause mit der Hoffnung, dass diese Veranstaltung ein neuer Aufbruch zu einer Vernetzung linker und kämpferischer GewerkschaftsaktivistInnen war.

von Sascha Stanicic

„Erfahrungen mit einer aktivierenden und demokratischen Streikkultur“ – so lautete der Untertitel des Konferenzmottos. Im Mittelpunkt standen dabei vor allem die Erfahrungen, die in den letzten Jahren bei verschiedenen Streiks im ver.di Bezirk Stuttgart gemacht wurden, vor allem bei den Streiks der Länderbeschäftigten, der ErzieherInnen und im Einzelhandel in den letzten Jahren. Pünktlich zur Konferenz hatte die Rosa Luxemburg Stiftung eine Studie von Catharina Schmalstieg über diese Streikerfahrungen veröffentlicht, die den Titel „Partizipative Arbeitskämpfe, neue Streikformen, höhere Streikfähigkeit?“ trägt.

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Cuno Hägele, Geschäftsführer von ver.di Stuttgart, fasste in seinem Abschlussreferat zur Konferenz einige der wichtigsten Schlussfolgerungen aus den Stuttgarter Erfahrungen zusammen. Er betonte die Bedeutung einer frühzeitigen Streikvorbereitung und begleitender Kampagnen. In Stuttgart wurde dazu ein Kampagnenrat eingerichtet, in dem haupt- und ehrenamtliche Funktionäre zusammen mit AktivistInnen Streiks vorbereiten und planen. Hägele griff das von Carsten Becker, ver.di Betriebsgruppenvorsitzender an der Berliner Charité, und anderen TeilnehmerInnen problematisierte Spannungsverhältnis zwischen den ehrenamtlichen betrieblichen FunktionärInnen und AktivistInnen und Gewerschaftshauptamtlichen auf und betonte, dass die Ehrenamtlichen das letzte Wort bei der Durchführung von Streiks haben müssen. Becker hatte gefordert, dass Hauptamtliche „loslassen können müssen“, während Hägele betonte, dass eine gute Streikvorbereitung dem Apparat die Möglichkeit nehme, nach dem Prinzip „es gibt keine Alternative“ Kämpfe und Streiks zu blockieren.

Nicht wenige KollegInnen berichteten von der Erfahrung, dass aus dem ver.di-Apparat heraus die Unterstützung für Streiks von einem höheren Organisationsgrad in den betroffenen Betrieben abhängig gemacht wird. Der ehemalige Geschäftsführer von ver.di Stuttgart und derzeitige LINKE-Vorsitzende, Bernd Riexinger, hatte in seinem Referat zu Beginn der Konferenz diese Haltung schon kritisiert und dafür geworben, dass man Beschäftigte durch Streiks organisiert und mutig die Unorganisierten zur Streikbeteiligung aufrufen solle. „Geht nicht, gibt’s nicht“ – so fasste Cuno Hägele diese Problematik zusammen und bezeichnete das Argument, es bedürfe erst eines höheren Organisationsgrads als „Verhinderungsargument“.

Partizipation

Im Mittelpunkt der Stuttgarter Erfahrungen stand aber die Beteiligung der Streikenden an der Durchführung von Streiks. Bernd Riexinger sprach sich für eine Demokratisierung von Streiks aus und betonte die Bedeutung der Durchführung von Streikversammlungen. Er bezeichnete Streiks in diesem Zusammenhang als „Emanzipationsbewegung“ und betonte, dass die beteiligten KollegInnen selber die Form des Streiks bestimmen müssen. Auch Hägele sprach sich für tägliche Streikversammlungen aus, die das Parlament der Streikenden seien. Er berichtete von der Erfahrung im ErzieherInnenstreik von 2009, das Ergebnis – mit dem die meisten KollegInnen nicht einverstanden waren – auf einer Streikversammlung offen zu debattieren. Riexinger hatte gesagt, Ergebnisse müssen den Streikenden schmecken, nicht der Verhandlungsführung. Die Frage, wie man von Partizipation zu umfassender Streikdemokratie kommen kann, wie verhindert werden kann, dass Urabstimmungen erst stattfinden, wenn von Seiten der Gewerkschaftsführung schon Fakten geschaffen wurden und wie man von der Gewerkschaftsbasis gegen schlechte Verhandlungsergebnisse opponieren kann, wurden aber leider nicht diskutiert.

Politische Fragen unterbelichtet

Die Konferenz ermöglichte den TeilnehmerInnen einen sehr praktischen Erfahrungsaustausch, für den ein offensichtlich großes Bedürfnis bestand. Die Kehrseite der Medaille war aber, dass es kaum Diskussionen über die politischen Herausforderungen bei der Erneuerung der Gewerkschaften gab. Weder hinsichtlich der Inhalte und Programmatik, die die Gewerkschaften angesichts der weltweiten Krise des kapitalistischen Systems und der dominierenden Kürzungspolitik für einen erfolgreichen Widerstand brauchen, noch hinsichtlich der Frage, wie die bürokratisch dominierten und immer noch stark mit der SPD verfilzten Gewerkschaftsführungen durch kämpferische Führungen ersetzt werden können. Immerhin aber benannten verschiedene Redner die Notwendigkeit der Verbindung des gewerkschaftlichen Kampfes mit dem Kampf für politische und gesellschaftliche Veränderungen. Der Soziologe Klaus Dörre wies in seinem Vortrag darauf hin, dass gewerkschaftlicher Kampf immer mit der Vision einer alternativen Gesellschaft verbunden sein muss, wenn er erfolgreich sein soll. Cuno Hägele fasste diesen Gedanken bildhaft zusammen: „Es geht nicht um ein größeres Stück vom Kuchen, es geht um die ganze Bäckerei.“

Alle TeilnehmerInnen waren sich einig, dass die Konferenz nur ein Anfang gewesen sein kann und es zu einer Vernetzung kommen sollte, aber wer sich mit welchem Ziel vernetzen soll, wurde nicht diskutiert. Auch wurden die bestehenden Vernetzungen, wie die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken, ebenso wenig in die Überlegungen einbezogen, wie die Frage, wie man den Kreis der Beteiligten über ver.di-AktivistInnen hinaus zu Mitgliedern anderer Gewerkschaften verbreitern kann. Auf Branchen- und Regionaltreffen wurden konkrete Absprachen für Folgetreffen besprochen, wie auch festgelegt wurde, dass 2014 eine bundesweite Folgekonferenz im ver.di-Bezirk Hannover stattfinden soll.

Charité

20130302_144839Mit einer fünfköpfigen Delegation war die ver.di-Betriebsgruppe an der Berliner Charité vertreten, die nicht nur ihre Streikerfahrungen der letzten Jahre einbrachte, sondern auch die aktuelle Auseinandersetzung für einen Tarifvertrag zu Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung vorstellte. Diese wurde von den anderen anwesenden KollegInnen aus dem Krankenhausbereich als vorbildhaft betrachtet. Dafür soll bundesweite Solidarität und Unterstützung organisiert werden, auch weil man sich darin einig war, dass beispielhafte Erfolge nötig sind, um insgesamt Fortschritte zu erzielen. Gleichzeitig bestand Einigkeit unter diesen KollegInnen, dass die Kampagne „Der Druck muss raus“ von ver.di einen Neustart braucht und von unten mit neuem Leben gefüllt werden muss. Kontrovers wurde in einem Arbeitskreis die Frage diskutiert, ob oder wie man gemeinsame Aktionen mit den Krankenhausbetreibern für eine bessere finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser durchführen soll.

SAV-Beteiligung

SAV-Mitglieder aus Aachen, Köln, Kassel, Stuttgart und Berlin an der Konferenz teil. Wir hatten einen Info-Stand und konnten unsere Zeitung, Artikelsammlungen zu den Streiks an der Charité und bei Bosch-Siemens-Hausgeräte und weiteres Material gut verkaufen. Wir griffen in die Diskussionen ein und beteiligten uns vor allem auch daran, die Erfahrungen der Streiks an der Charité zu verbreiten und für Unterstützung für die dortige aktuelle Auseinandersetzung zu werben. SAV-Mitglieder beteiligten sich auch daran, das aktuelle Flugblatt des „Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di“ zur Ländertarifrunde zu verteilen.

Fazit

Die Konferenz drückte aus, dass sich in ver.di etwas tut. Konfrontiert mit der Herausforderung in Bereichen prekärer Beschäftigung, bisher tariflosen Unternehmen etc. Belegschaften zu organisieren und Streiks durchzuführen, hat eine Debatte begonnen, die für die gesamte Gewerkschaftsbewegung von Bedeutung ist. Auffällig war auch die hohe Zahl junger hauptamtlicher GewerkschaftsekretärInnen, die an der Konferenz teilnahmen, zum Teil aus linken politischen Zusammenhängen kommen und nach einem Weg suchen, in den Gewerkschaften einen kämpferischen Kurs und linke Inhalte zu vertreten.

Die Konferenz war ein Anfang. Sie zeigte aber auch, dass noch viele Fragen offen sind. Nicht zuletzt die nach dem Verhältnis zur SPD und der Rolle der LINKEN, nach der Notwendigkeit klarer antikapitalistischer Inhalte und eines umfassenden Konzepts zur Demokratisierung der Gewerkschaften. Diese Fragen sollten nun gezielt angegangen werden und mit einer praktischen Vernetzung betrieblicher und gewerkschaftlicher AktivistInnen verbunden werden. SAV-Mitglieder in Betrieben und Gewerkschaften werden sich engagiert an diesem Prozess beteiligen.

Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV und aktiv im Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten in Berlin.

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Material der SAV:

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