Ken Loach’s „The spirit of 45“

Clement Attlee beim Wahlsieg von Labour Foto: Szene aus dem Film
Clement Attlee beim Wahlsieg von Labour Foto: Szene aus dem Film

Alle reden über Kapitalismus – dieser Film über Alternativen

Am Montag 11. Februar feierte Ken Loach’s neuer Film „the spirit of 45“ Weltpremiere auf der Berlinale. In dieser Dokumentation sprechen Krankenschwestern, Bergarbeiter, Gewerkschafter und AktivistInnen über die Hoffnung auf eine Alternative zur Profitwirtschaft – im Sommer von 1945 und heute.

von Michael Koschitzki, Berlin

Die Filmcrew sichtete hunderte Stunden Originalaufnahmen des Großbritanniens der letzten 80 Jahre und führte dutzende Interviews mit Zeitzeugen, AktivistInnen und Experten. Die ersten Szenen der Dokumentation werfen den Zuschauer in das London im Sommer 1945. Lachende Menschen, meist Jugendliche posieren vor der Kamera. Sie haben den Krieg überstanden, aber was kommt nun?

Churchill, eben noch anerkannter Premier im Krieg, wird entschieden abgelehnt. Die Labour Party erfährt bei den Wahlen einen Erdrutschsieg. Zwei Mal wird die Szene gezeigt, wie der neue Labour-Premier Clement Attlee das erste Mal ans Mikro greift und sagt: „Es ist das erste Mal, dass Labour mit seiner sozialistischen Politik“. Stürmischer Applaus schneidet ihm nach „sozialistischer Politik“ die Stimme ab.

Die neue Labour-Regierung nimmt umfangreiche Verstaatlichungen vor. Das Gesundheits- und Transportwesen, die Kohleminen, Stahlbetriebe und die Docks werden verstaatlicht. Es gibt ein umfangreiches Hausbauprogramm. Ken Loach’s Film handelt von der Hoffnung dieser Zeit und dem Untergang dieser staatlichen Programme unter Thatcher und ihren Nachfolgern. Besonderes Augenmerk liegt auf dem staatlichen Gesundheitswesen, das jetzt unter Beschuss genommen wird und wo gegen die Schließung einer Notaufnahme vor zwei Wochen allein 25.000 Menschen im Londoner Lewisham auf der Straße waren.

Die 30er Jahre und der Krieg

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Präsentation auf der Berlinale

Die ersten Bilder umreißen die soziale Not der Arbeiterklasse in den 30er Jahren. Der Bergarbeiter Tony Pendy erzählt, wie seine Mutter starb, weil sie keine Bluttransfusion für sie bezahlen konnten. Bildlich beschreibt er, wie er anhaltend schrie, als sein Kumpel in der Mine starb, weil auf die Sicherheit nicht geachtet wurde. Der Profit stand im Vordergrund – für die Arbeiterinnen und Arbeiter wurde nicht gesorgt.

Der Zweite Weltkrieg wandelte dramatisch die Verhältnisse. Frauen und Männer wurden zum Krieg und zur Arbeit herangezogen. Es gab eine gesamtgesellschaftliche Planung, um die Kriegsindustrie voranzubringen. Auf dieser Erfahrung bauten die Menschen auf. Warum sollte nicht auch im Frieden geplant werden? Warum sollte das, was gestern für den Krieg gebraucht wurde, nicht im Frieden für die Menschen da sein?

„Nie wieder! Das hieß nicht nur Nie wieder Krieg! Es hieß auch Nie wieder das, was vorher war“ erklärt der erste Arbeiter im Film. Die beherrschende Idee war, dass es keine Rückkehr mehr zu den 30er Jahren, den Jahren der kapitalistischen Depression und dem Faschismus geben darf. Sozialismus wurde von weiten Teilen der Bevölkerung als die Alternative zum Kapitalismus gesehen.

Ken Loach beschreibt diese Stimmung für Großbritannien eindrucksvoll. Es gab sie jedoch nicht nur da sondern auch in vielen anderen Ländern Europas. Selbst die frühe CDU in Deutschland drückte das aus, insbesondere die CDU in NRW schrieb im Februar 1947 ins Ahlener Programm: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. “

Verstaatlichungen

Detailliert und mit zahlreichen Zeugen und Experten unterfüttert, zeigt „the spirit of 45“ nun die Vorteile der Verstaatlichung im Gesundheitswesen, wo jetzt die Grundversorgung für alle gewährleistet wurde, in der Kohleindustrie, wo in Sicherheit investiert wurde, im Transportwesen, wo die Konkurrenz abgeschafft wurde. Er beschreibt Arbeiter, die ihr ganzes Leben lang den Brief, mit sich trugen, der ihnen mitteilte, dass sie ein eigenes Haus mit Garten aus dem staatlichen Wohnungsbau bekommen. Alex Gordon, derzeitiger Präsident der Bahn-Gewerkschaft RMT erklärt, warum eine verstaatlichte Bahn sinnvoll ist.

Der Film lässt aber auch kein Zweifel daran, dass diese Verbesserungen nicht von alleine kamen. Während die Besitzenden gegen die Verstaatlichungen sturmliefen, blieb Labour als Ganzes zurückhaltend. In Wahrheit unterstützten die Mehrheit der Führung der Labour Party trotz ihrer sozialistischen Rhetorik den Kapitalismus. Sie standen unter dem Druck der Arbeiterklasse Reformen durchzusetzen. Die Industrien, die sie verstaatlichten waren größtenteils Pleite und benötigten massive Investitionen, zu denen ihre Besitzer nicht bereit waren. Obwohl ihre Reformen begrüßt wurden, hatte die Labour-REgierung geholfen, den Kapitalismus in der stürmischen Nachkriegszeit zu retten bis sie 1951 die Regierung wieder verloren. Nur unter dem Druck und den Aktionen der Arbeiterklasse und aufgrund der wirtschaftlichen Notwendigkeiten konnte das sozialistische Programm durchgesetzt werden.

Außerdem werden Arbeiter gezeigt, die anhand des Kohlebaus aufzeigten, dass dort auch nur die Herren gewechselt wurden, ohne dass die Arbeiterklasse oder die Gewerkschaften demokratisch etwas zu sagen hätten. Die Verstaatlichungen hatten enorm positive Auswirkungen – aber ohne Demokratie von unten änderte sich die Situation noch nicht grundlegend.

Thatcherismus und Labour

Mit der Wahl von Thatcher 1979 trat der Wendepunkt ein. Die Krise der 70er Jahre zeigte schon die Anfälligkeit des Kapitalismus sowohl in Großbritannien als auch weltweit. Margret Thatcher trat an, das Rad zurückzudrehen und die staatlichen Bereiche zu privatisieren. Wie konnte ihr das gelingen?

Ken Loach erklärt im Interview, dass die Bilder, die er zeigte in den britischen Medien der 80er Jahre kaum Verbreitung fanden und sie für die nächsten Szenen fast nur Amateurmaterial verwenden konnten. Sie zeigen die Polizisten, wie sie in Dreierreihen stehen, um Streikbrecher zu schützen, die in die Bergwerke fuhren, als die Arbeiter streikten. Sie zeigen, wie Arbeiter brutal verfolgt wurden.

Doch nicht nur das. Anhand des Liverpooler Docker Streiks erklärt der Film, wie Arbeiter allein gelassen wurden und ein Bereich nach dem anderen unter Beschuss kam. Wütende Dockarbeiter rufen in die Kamera, dass sie weiter streiken würden, auch wenn die Gewerkschaft sie nicht unterstützt. Ihre Führung war es, die für die Isolation die Verantwortung trägt.

Gab es eine Alternative zu Thatcher? Die Labour-Partei war letztendlich keine mehr als Thatcher abtrat. Sie wurde eine Partei des Kapitals und der Manager trotz ihrer Herkunft und der Unterstützung von weiten Teilen der Arbeiterklasse. Im Film wird erklärt „Die Arbeiterklasse hat heute keine Organisation mehr, die es mit dem Establishment aufnehmen kann.“ Loach erklärt im Interview nach der Premiere: „In Deutschland ist die Lage da, glaube ich, ein wenig besser.“

NHS, Occupy und Sozialismus

Ken Loach fordert Widerstand gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens
Ken Loach fordert Widerstand gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens

Während alle Errungenschaften der 40er Jahre mittlerweile zerstört sind, ist einzig das staatliche Gesundheitswesen noch nicht vollständig privatisiert. Doch bereits in den letzten Jahren wurde begonnen Tochterunternehmen in der Reinigung und Servicebereichen anzuheuern sowie Personal abzubauen. Ein Gesundheitswesen, wie in den USA droht, wo zuerst gefragt wird, ob man versichert sei, nicht was man habe, erklärt eine interviewte Krankenpflegerin. Gegen die Privatisierung muss jetzt der Kampf aufgenommen werden. Bilder der Occupy-Proteste und der Studierendenstreiks sollten vor Augen führen, dass es nötig ist sich zu wehren.

Diese Dokumentation ist anders. Alle reden über Kapitalismus. Scorsese zeigt in seinem neuen Film mit Leonardo DiCaprio „Der Wolf der Wall Street“ den bösen Banker. Das ist Mainstream. Ken Loach beginnt statt dessen eine Diskussion über die Alternative und setzt bei der Eigentumsfrage an. Die Tochter eines Gewerkschafters erklärt eindrücklich, was sie sich unter Sozialismus vorstellt: „eine geplante Wirtschaft, wo alle alles haben, was sie brauchen, ein integriertes Weltsystem, das ist Sozialismus.“ Ken Loach erklärte dazu „Die Menschen haben einen Hunger nach einer Vision, wie es besser sein könnte.“

„The spirit of 45“ ist ein absolut sehenswerter Film, nicht nur für das Kino, sondern auch für Veranstaltungen, Proteste, linke Treffen und Diskussionen. Er erscheint wahrscheinlich im Laufe des ersten Halbjahres 2013 in deutschen Kinos.