Griechische Linke in Bewegung

Syriza_ThemaSYRIZA-Kongress und Initiative der Eintausend

Wir veröffentlichen in den nächsten Tagen mehrere Artikel über die griechische Linke und aktuelle Entwicklungen der letzten Monate.

Das Linksbündnis SYRIZA ist heute in Meinungsumfragen stärkste politische Kraft in Griechenland. Vieles spricht dafür, dass es in absehbarer Zeit eine Regierung bilden kann und unter Beweis stellen muss, ob es einen Weg aus der Depression weisen kann, in der sich die griechische Wirtschaft und Gesellschaft befinden. Dabei sieht sich die griechische Linke in einem Wettlauf mit der Zeit, denn die Lebenssituation wird für die Bevölkerung immer unerträglicher. Und: auch die griechischen Faschisten der „Goldenen Morgendämmerung“ legen zu. Scheitert die Linke, besteht die Gefahr, dass eine rechte griechische Regierung die faschistischen Kettenhunde einsetzt und zu Massenarbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialkürzungen noch verschärfte Repression und Nazi-Terror hinzukommen.

von Sascha Stanicic

SYRIZA hat im letzten Jahr (2012) einen kometenhaften Aufstieg in der Wählergunst genommen. Das hat auch dazu geführt, dass linke AktivistInnen im Rest Europas den Blick nach Athen richten und SYRIZA als ein Modell für den Wiederaufbau einer starken Linken in Europa sehen. Doch ein genauer Blick ist nötig, denn die Entwicklung von SYRIZA ist sehr viel widersprüchlicher und instabiler, als es auf den ersten Blick erscheint.

Warum SYRIZA?

Die griechische Linke ist stark zersplittert. Es existieren drei bedeutendere Kräfte: SYRIZA, KKE und ANTARSYA (siehe Kasten). Bis zum Frühjahr 2012 waren SYRIZA und KKE relativ gleich stark in Meinungsumfragen und Parlamentswahlen bzw. die KKE war sogar stärker.

Das änderte sich im Verlauf der Krise und der daraus resultierenden Klassenkämpfe, die das Land seit einigen Jahren erschüttern. Die KKE hat sich als unfähig erwiesen, gestärkt aus diesen Prozessen hervorzugehen, weil sie einen sektiererischen Alleinvertretungsanspruch aufrecht erhält und zu keiner Zusammenarbeit mit anderen Kräften der griechischen Linken bereit ist. Angesichts des massiven Charakters der Angriffe auf die Arbeiterklasse, ist das für die breite Mehrheit der Betroffenen verständlicherweise nicht nachvollziehbar.

SYRIZA erreichte noch im Jahr 2009 4,6 Prozent bei den Parlamentswahlen, konnte 2012 zuerst auf 16,78 Prozent bei den Wahlen im Mai und dann auf 26,89 Prozent im Juni wachsen und liegt bei aktuellen Meinungsumfragen bei über dreißig Prozent. Wesentlich für den Wahlerfolg SYRIZAs war erst einmal natürlich seine Opposition zur von der Troika (EU, EZB und IWF) und griechischer Regierung installierten Kürzungspolitik und ein Infragestellen der Legitimtät der Abzahlung der griechischen Staatsschulden. Im Gegensatz zu anderen Kräften der Linken hat SYRIZA nicht die Forderung nach einem Austritt aus dem Euro aufgeworfen. Diese Forderung wird von der großen Mehrheit der Arbeiterklasse und anderer Bevölkerungsschichten nicht geteilt, weil die Sorge groß ist, dass ein Ausscheiden des Landes aus dem Euro die Wirtschaftskrise massiv verschärfen würde. Der entscheidende politische Faktor für den Aufstieg von SYRIZA war jedoch, dass sie sich vor den Wahlen im Mai 2012 für die Bildung einer linken Regierung aussprach und damit erstmals der griechischen Arbeiterklasse und Jugend eine konkrete Perspektive auf eine Regierungsalternative gab. Das Zurückweisen dieses Vorschlags durch die KKE-Führung kam einem politischen Selbstmord gleich. Auch ANTARSYA hat im Wesentlichen eine isolationistische und sektiererische Haltung gegenüber SYRIZA eingenommen und wurde auch dafür mit einem marginalen Stimmergebnis von 0,33 Prozent bei den Wahlen im Juni abgestraft, was jedoch nicht dem relativ größeren Einfluss der verschiedenen Mitgliedsorganisationen von ANTARSYA in sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Kämpfen entspricht.

Die griechische Linke

SYRIZA: Bündnis der Radikalen Linken – Vereinigte Soziale Front. Seit 2004 bestehendes Bündnis verschiedener Parteien und Organisationen. Größte Komponente ist die in „eurokommunistischer“ Tradition stehende Synaspismos. Weitere beteiligte Organisationen stammen aus maoistischer, trotzkistischer und ökosozialistischer Tradition. Seit Mai 2012 befindet sich SYRIZA in einem Übergangsprozess zur Bildung einer einheitlichen Partei. Vorsitzender ist Alexis Tsipras.

KKE: Kommunistische Partei Griechenlands. Bis zum Jahr 2012 hatte die KKE bessere Wahlergebnisse als SYRIZA, zum Beispiel 9,5 Prozent bei den Europawahlen 2004 und 7,54 Prozent bei den Parlamentswahlen 2009. Aufgrund ihres starken Sektierertums und der daraus folgenden Ablehnung von Zusammenarbeit mit anderen Linken hat die Partei stark an Unterstützung verloren und erhielt bei den Wahlen im Juni 2012 4,5 Prozent. Die KKE bezieht sich positiv auf die Sowjetunion unter Stalin. Vorsitzende ist Aleka Papariga.

ANTARSYA: Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz. Zusammenschluss verschiedener kommunistischer, maoistischer und trotzkistischer Organisationen, der im Wesentlichen außerparlamentarisch wirkt. Bei den Kommunalwahlen 2010 erhielt das Bündnis mit 1,8 Prozent ihr bestes Wahlergebnis. Die Weigerung einer Kooperation mit SYRIZA führte zu einem Absturz bei den Wahlen im Juni 2012 auf 0,33 Prozent. ANTARSYA stellt die Losung „Raus aus dem Euro“ als Bedingung für politische Zusammenarbeit mit anderen Kräften.

SYRIZA wird Partei

SYRIZA hatte sich vor den Parlamentswahlen in diesem Jahr formell als Partei registrieren lassen, weil das griechische Wahlgesetz für die stärkste im Parlament vertretene Partei einen Bonus von fünfzig Sitzen vorsieht, diese Regelung aber nicht für Wahlbündnisse gilt. Der reale Prozess von der Umwandlung des Bündnisses zu einer Partei hatte damit aber erst begonnen. Im Dezember fand ein erster Kongress statt, auf dem unter anderem ein neuer Vorstand gewählt wurde (siehe Artikel am 2. Februar).

SYRIZA hatte sich das Ziel gesetzt ausgehend von ungefähr 5.000 Mitgliedern vor den Parlamentswahlen auf 100.000 Mitglieder zum Jahresende anzuwachsen. Beim Parteitag Anfang Dezember war die Mitgliedschaft auf 25.000 bis 30.000 angewachsen. Allerdings war der deutlichste Mitgliederzuwachs in den Wochen vor dem Parteitag zu verzeichnen, was ausdrückt, dass viele der Neueintritte im Rahmen der Kämpfe der verschiedenen Gruppierungen um Einfluss und Posten zu SYRIZA gekommen waren und es sich weniger um einfache ArbeiterInnen und Jugendliche oder AktivistInnen aus den sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen handelte. Unter den Neueintritten sind nicht wenige ehemalige Mitglieder und Funktionäre der sozialdemokratischen Regierungspartei PASOK, einschließlich eines früheren Athener Bezirksbürgermeisters, die innerhalb von SYRIZA die gemäßigteren Kräfte stärken. Die Tatsache, dass es trotz der enormen Wahlerfolge im Mai und Juni zum damaligen Zeitpunkt keine größeren Eintrittswellen in SYRIZA gab, ist Ausdruck einer verbreiteten Skepsis gegenüber allen Parteien, die in der Arbeiterklasse und der Jugend herrscht und die auch SYRIZA trifft. Denn auch SYRIZA, unter dem jungen Vorsitzenden Alexis Tsipras, wird von vielen nicht als eine Anti-System-Partei wahrgenommen, auch wenn ihre Führung oftmals eine antikapitalistische Rhetorik anwendet.

Tatsächlich hatte Tsipras nach den Wahlen einen konzilianten Ton gegenüber der neuen Regierung angeschlagen und gesagt, man müsse nun abwarten, ob diese ihre Versprechen halte – anstatt auf eine weitere Massenmobilisierung mit dem Ziel des Sturzes der Regierung zu setzen. Tsipras verspricht immer wieder Stabilität und Wirtschaftswachstum, aber keinen Bruch mit der Kapitalherrschaft, und erweckt so den Eindruck, als wenn eine SYRIZA-Regierung letztlich auch im Interesse des griechischen kapitalistischen Staates insgesamt läge.

Die SYRIZA-Führung um Tsipras vertritt die Ansicht, dass eine griechische Regierung mit der Troika annehmbare Bedingungen für einen Schuldenschnitt aushandeln und gleichzeitig durch Steuererhöhungen für die Reichen ausreichend Geld mobilisieren könne, um die Sozialkürzungen rückgängig zu machen. Er geht davon aus, dass die Troika ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro unter keinen Umständen riskieren würde. Wie in Artikeln der SAV-Schwesterorganisation Xekinima (siehe Artikel am 3. Februar) ausgeführt wird, ist das eine gefährliche Illusion. Xekinima berichtete im Dezember von Diskussionen mit Tsipras: „Genosse Tsipras machte auch klar, dass er keinen politischen Bruch mit den großen kapitalistischen Interessen und dem kapitalistischen System selbst, sehen würde. Er scheint zu glauben, dass mit einer sozial ausgerichteten Wirtschaftspolitik das System „funktionieren“ könne, dass die Krise überwunden würde und der Weg zu ökonomischer Entwicklung und mehr sozialer Gerechtigkeit geöffnet werden könne.“

Doch SYRIZA hätte zur Zeit offensichtlich die Möglichkeit, der griechischen Arbeiterbewegung einen erfolgreichen Weg zum Kampf gegen die Austeritätspolitik und für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft aufzuzeigen. Ein solcher Ausweg müsste im Kampf um eine linke Regierung bestehen, die einen sozialistischen Kurs, wie er in den folgenden Artikeln dargestellt wird, einschlagen müsste. Dabei müsste sie sich auf die Massenmobilisierungen der Arbeiterklasse und der Jugend stützen und die Selbstorganisation der Massen in Komitees und Räten in den Betrieben und Stadtteilen voran treiben, um die Macht tatsächlich in die Hände der Mehrheit der Bevölkerung zu übertragen.

In die Auseinandersetzung um den Kurs von SYRIZA sollten alle Kräfte, die einen sozialistischen Ausweg aus der Krise für notwendig halten, entschlossen eingreifen. Xekinima hat gemeinsam mit anderen Kräften die „Initiative der Eintausend“ gebildet, die sich zum Ziel gesetzt hat verschiedene Kräfte der griechischen Linken zusammen zu bringen, um für eine Einheitsfront zu kämpfen, die sich um SYRIZA herum bilden soll und für eine SYRIZA-geführte Regierung auf Basis eines sozialistischen Programms zu kämpfen. Am 29.November 2012 fand die erste öffentliche Veranstaltung dieser Initiative in Athen statt. Trotz starken Regens nahmen 600 Aktivistinnen und Aktivisten teil und machten sie zu einem großen Erfolg. Diese Initiative kann eine wichtige Rolle dabei spielen, der Zersplitterung der Linken etwas entgegenzusetzen und innerhalb von SYRIZA für einen radikal-antikapitalistischen Kurs zu kämpfen.