Debatte: Kurzarbeit als Mittel gegen die Krise?

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IG Metall fordert Ausweitung der Kurzarbeit

Kurzarbeit ist grundsätzlich auf sechs Monate begrenzt, kann per Rechtsverordnung jedoch auf bis zu 24 Monate ausgedehnt werden. Im Rezessionsjahr 2009 betrug die Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld zunächst 18 Monate, wurde dann aber im Mai 2009 rückwirkend für alle Ansprüche, die zwischen dem 1. Januar und 31. Dezember 2009 entstanden sind, auf 24 Monate verlängert. 2010 belief sich die Bezugsfrist auf 18 Monate, im Jahr 2011 auf zwölf Monate.

Nun bricht Berthold Huber, Vorsitzender der IG Metall, eine Lanze für die erneute Ausweitung der Kurzarbeit-Regelung auf zwei Jahre. Ferner erklärt die IG Metall in der „metallzeitung“ 11/2012: „Außerdem sollen Firmen wieder von Sozialabgaben befreit werden.“ Kein Wunder, dass sich die Spitzen der Gewerkschaft „beim Kampf für die Wiederbelebung der Kurzarbeit“, wie die „Welt“ meint, „mit den Arbeitgebern Seite an Seite“ befinden.

Darüber hinaus will die Führung der IG Metall erreichen, dass LeiharbeiterInnen bei den Kurzarbeit-Regelungen ebenfalls berücksichtigt werden. Im „Welt“-Interview vom 22. November sagt Huber: „Die 220.000 Leiharbeiter, die ihren Job in der Krise verloren haben, sind fast alle stante pede zur Arbeitsagentur durchgeleitet worden.“

Im Editorial der „metallzeitung“ vom November schrieb Huber weiter: „Doch die Bundesregierung lehnt unsere Forderungen bisher ab. Ihre Begründung: Wir stecken noch nicht in der Krise. Das ist kein Argument. Wenn wir erst einmal in der Krise stecken, kann es zu spät sein.“ Und, spätestens an diesem Punkt etwas weltfremd: „Wenn wir jetzt entschlossen handeln, muss es gar nicht zur Krise kommen.“ 

Matthias W. Birkwald, Köln, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales

Im April 2012 gab es in 6.271 Betrieben Kurzarbeit. 82.537 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren von Kurzarbeit betroffen. Im Jahresdurchschnitt 2009 waren es 55.937 Betriebe und 1.144.407 ArbeitnehmerInnen. Daraus folgt zunächst nur eines. Kurzarbeit ist offenbar ein Mittel in der Krise. Damit ist es aber noch lange kein Mittel gegen die Krise. Denn das würde voraussetzen, dass es an den Ursachen der Krise ansetzt. Doch dazu ist Arbeitsmarktpolitik im Allgemeinen und die Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument im Besonderen nicht geeignet. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat ihre Ursachen nämlich keineswegs auf dem Arbeitsmarkt und auch keineswegs in den Lohnkosten.

Kurzarbeit kann Arbeitsplätze erhalten. Und das ist im Jahr 2009 auch geschehen. Es steht außer Frage, dass Kurzarbeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die bessere Wahl ist, wenn als Alternative nur die Entlassung und damit die Arbeitslosigkeit besteht. Genau aus diesem Grund steht auch außer Frage, dass Kurzarbeit eine LINKE Forderung ist. Denn was wäre ansonsten kurzfristig machbar, damit die Folgen der Krise nicht brutal auf jene zurückschlagen, die sie nicht verursacht haben?

Dennoch ist Kurzarbeit nur eine Notlösung. Eine Notlösung, die die Folgen der Krise abmildert, aber sie nicht beseitigt. Denn weiterhin müssen die ArbeitnehmerInnen die Folgen der Krise ausbaden. Dessen müssen sich alle klar sein, wenn aktuell wieder nach einer besseren Ausgestaltung der Kurzarbeit gerufen wird, wie sie bereits ab dem Jahr 2009 erfolgt war.

Kurzarbeitergeld ist eine besondere Variante eines Kombi-Einkommens: Als „in-work benefit“ setzt es ein Beschäftigungsverhältnis voraus. Im Gegensatz zu ansonsten üblichen „in-work benefits“ sollen mit dem Kurzarbeitergeld keine billigen Arbeitsplätze geschaffen werden, sondern es werden Anreize gegeben, bereits bestehende Beschäftigungsverhältnisse auch im Hochlohnbereich nicht aufzulösen. Finanziert wird das Ganze aus Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit, also aus Mitteln, die ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen gemeinsam aufgebracht haben.

Für die Unternehmen ist das Kurzarbeitergeld ein kostengünstiges Instrument, die Arbeitskraft der Kernbelegschaft kostengünstig auf Halde zu legen. Das ist deshalb von Vorteil, weil Unternehmen damit Entlassungskosten (zum Beispiel Abfindungen) vermeiden können. Außerdem können Unternehmen bei wieder anziehender Konjunktur recht schnell und unkompliziert wieder auf ihre erfahrenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgreifen. Damit werden Wiedergewinnungskosten gespart, die ohne Kurzarbeit anfielen: Das sind zum einen Kosten der Anwerbung und zum anderen Kosten der Einarbeitung oder Qualifikation.

Als Lohnersatzleistungen gleicht das Kurzarbeitergeld in gleicher Ersatzratenhöhe wie das Arbeitslosengeld I (60 Prozent ohne, 67 Prozent mit Kind im Haushalt) jene Einkommenseinbußen für ArbeitnehmerInnen aus, die infolge einer durch die ArbeitgeberInnen teilweise oder auf Null reduzierten Arbeitszeit aufgekommen sind. Die Sozialversicherungsbeiträge werden während der Zeit des Kurzarbeitergeldbezugs auf 80 Prozent reduziert, jedoch infolge der jüngsten Reformen nicht mehr allein von den ArbeitgeberInnen, sondern im ersten halben Jahr zur Hälfte und ab dem siebten Monat bedingungslos, das heißt ohne Qualifizierungsmaßnahme für die ArbeitnehmerInnen, und vollständig von der Bundesagentur für Arbeit aufgebracht. Damit wurden die Remanenzkosten der Betriebe, das heißt die auch bei Kurzarbeit zu leistenden so genannten Lohn„neben“kosten, deutlich gesenkt. Die Bezugsdauer wurde – begrenzt auf Ansprüche, die bis Ende 2009 entstanden sind – auf 24 Monate verlängert. Das alles war jedoch von Anfang an als eine vorübergehende Änderung gedacht.

Kurzarbeit ist also ein probates Mittel in der Krise. Es trägt dazu bei, dass nicht alle Folgen der Krise bei den ArbeitnehmerInnen abgeladen werden. Aber ein Mittel gegen die Krise ist es nicht und kann es auch nicht sein. Bei den notwendigen Diskussionen um die Ursachen und Folgen der Krise ist die Kurzarbeit allenfalls ein Nebenschauplatz. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Marc Treude, Aachen, Drucker, ehemaliges Stadtratsmitglied der LINKEN Aachen und Mitglied der SAV

Nach dem Eintreten der kapitalistischen Krise 2008 wurde ein altes Mittelchen aus der Mottenkiste der „sozialen Marktwirtschaft“ geholt: Das Kurzarbeitergeld. Angepriesen wurde es als Allheilmittel, um der Vernichtung von Arbeitsplätzen entgegenzuwirken.

2009 hatten insgesamt fast 56.000 Betriebe Kurzarbeit beantragt, weit mehr als eine Million Beschäftigte waren betroffen. Kurzarbeitergeld wird auf Antrag bewilligt, wenn Unternehmen nachweisen können, dass sie in absehbarer Zeit wieder Gewinn machen beziehungsweise Verluste vermeiden können. Dabei kann die Arbeitszeit bis auf Null gefahren werden. Dementsprechend wird der Lohn gekürzt, und von der Bundesagentur für Arbeit auf 60 Prozent des Nettolohns für kinderlose und 67 Prozent für Beschäftigte mit Kindern aufgestockt, also auf das Niveau des Arbeitslosengeldes.

Ein Beschäftigter mit einem Bruttolohn von 2.400 Euro würde also bei einer Arbeitszeit-Kürzung um 50 Prozent am Ende netto 260 Euro weniger haben, ein Minus von fast 20 Prozent! Dabei erzielt er einen vom Arbeitgeber noch zu zahlenden Nettolohn von knapp 904 Euro und bekäme Kurzarbeitergeld von rund 390 Euro (Quelle: kugrechner.arbeitsagentur.de).

Dabei ist anzumerken, dass das Kurzarbeitergeld natürlich aus Steuermitteln finanziert wird. Allein 2009 wurden so Zuschüsse von über fünf Milliarden Euro gezahlt – Geld, das die Arbeitgeber eingespart haben, die Beschäftigten hingegen sind doppelt betroffen. Einerseits durch die von ihnen gezahlten Steuern und andererseits durch Nettolohn-Verluste! Somit also eine doppelte Umverteilung von unten nach oben. Abgelehnt!

In diesem Jahr macht sich vor allem die IG Metall für den Ausbau des Kurzarbeitergeldes stark. Die IG-Metall-Führung begrüßt damit offiziell eine steuerfinanzierte Lohnsenkung, weil sie glaubt, damit könnten Arbeitsplätze erhalten bleiben. Was es bedeutet, wenn man zwei Jahre lang auf beispielsweise 20 Prozent seines Lohnes verzichten muss, während der Arbeitgeber sich ins Fäustchen lacht, kann sich wahrscheinlich kein Berthold Huber oder Detlef Wetzel vorstellen. Deren Einkommen sind ja vorerst noch gesichert.

Tatsache ist zwar, dass in den Jahren seit 2009 die Anzahl der kurzarbeitenden Betriebe stark zurückging. Seit August hat sich die Zahl jedoch wieder vervielfacht, zur Zeit befinden sich insgesamt etwa 130.000 Beschäftigte in Kurzarbeit!

In der Aachener Region zeigt sich bereits, dass es verstärkt zur Krise kommt. Allein sechs Konzerne haben hier in den vergangenen Wochen den Abbau von bis zu 2.000 Arbeitsplätzen angekündigt, zwei Betriebe könnten ganz geschlossen werden, namentlich Talbot/Bombardier und Cinram.

Damit zeigt sich, was Kurzarbeit bedeutet: Lohnverzicht. Wollen die Kapitalisten trotzdem entlassen, so tun sie dies. Und haben vorher noch kräftig Lohnkosten gespart! IG Metall, wach auf!

Die gesetzliche Regelung zur Kurzarbeit weist auf einen Punkt hin: In Zeiten einer kapitalistischen Überproduktionskrise können Arbeitsplätze nur durch massive Arbeitszeitverkürzung gerettet werden. Deshalb sollten sich vor allem kritische und linke GewerkschafterInnen für eine Kehrtwende in den betrieblichen Auseinandersetzungen stark machen! Diese Haltung brachten zum Beispiel die KollegInnen der „Alternative“-Gruppe bei Daimler in Berlin-Marienfelde zum Ausdruck, als sie in ihrem Programm zur Betriebsratswahl 2010 formulierten: „Schluss mit dem Verzicht: Voller Lohn bei Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung.“ Und weiter: „Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn sichert und schafft in und um die Autoindustrie eine Million Arbeitsplätze.“

Konzerne haben immer wieder Unsummen an ihre Aktionäre ausgeschüttet, während Beschäftigte entlassen oder in Kurzarbeit geschickt wurden. Deshalb sollte es die Haltung der Gewerkschaften und der Partei DIE LINKE sein, gemeinsam mit Betroffenen und Akteuren der sozialen Bewegungen für die Verstaatlichung aller Konzerne einzutreten, die massenhaft Stellen streichen und Betriebe schließen wollen. Anstatt also Verluste zu vergesellschaften, sollten Betriebe wie Bombardier in Aachen oder Opel in Bochum in Gemeineigentum überführt und unter die demokratische Kontrolle und Verwaltung der Belegschaften und der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden.