Neue und heftigere Protestwelle schwappt über ganz Jordanien

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Kürzungen bei den Benzinsubventionen führen zu massenhaftem Aufbegehren von unten

aus Jordaniens Hauptstadt Amman berichten Mitglieder des CWI („Komitee für eine Arbeiterintenationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist).

Seit Dienstag, dem 13. November, erlebt Jordanien eine massive und nie dagewesene Welle an Protesten und Streiks. Der Auslöser dafür war eine am Vormittag dieses Tages von der Regierung angekündigte Bezinpreiserhöhung. Zum ersten Mal bezogen sich die Sprechchöre explizit auf die Privilegien der herrschenden Haschemiten-Monarchie und forderten die Ablösung König Abdullahs II. Zum Zeitpunkt, da dieser Artikel verfasst wird, nehmen in vielen Ortschaften des Landes weiterhin tausende von Menschen an den dort stattfindenden Protestkundgebungen teil.

Zu Zusammenstößen zwischen der Polizeikräften und DemonstrantInnen ist es sowohl in der Landeshauptstadt Amman als auch in den Städten Irbid und Tafileh gekommen. Bei diesen Zusammenstößen kam ein Mann ums Leben, 70 Menschen wurden verletzt und weitere 200 unter dem Vorwurf der „Beschädigung öffentlichen Eigentums“ verhaftet. Vom ersten Tag an war die Polizei und die Sondereinheit „Darak“ mit enormem Aufgebot in den Straßen präsent. Dabei kamen flächendeckend Tränengas und Wasserwerfer zum Einsatz, um die Menschenmenge auseinander zu treiben.

Die Ankündigung von Preissteigerungen um bis zu 53 Prozent bei Erdölerzeugnissen und auf Propangas hat die Leute umgehend dazu gebracht, auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Sie reagierten damit auf Aufrufe mehrerer linker Organisationen und Gewerkschaften. Auch die oppositionelle „Muslimbruderschaft“ hatte zu Protesten gegen die Entscheidung der Regierung aufgerufen.

Der Unterschied zwischen diesen neuen Kundgebungen und Protesten der jüngeren Vergangenheit liegt darin, dass sich dieses Mal viel mehr Menschen – hauptsächlich aus der Arbeiterklasse und Studierende – daran beteiligen, ohne eine Verbindung zu irgendeiner Organisation zu haben.

So zogen ab dem zweiten Protesttag, dem 14. November, auch ArbeiterInnen aus zwei ärmeren Vierteln im Osten von Amman durch die Straßen und schlossen sich anderen Protestmärschen an.

Die Sprechchöre und Forderungen sind viel radikaler als zuvor. Vor anderthalb Jahren, während der ersten Protestwelle in Jordanien, wurden nur sehr moderate Forderungen aufgestellt, die nach grundlegenden wirtschaftlichen und politischen Reformen verlangten. Dieses Mal skandieren die Menschen in den Straßen: „Für den Sturz des Regimes und des Königs“. Ab und an wird dabei sogar der Name des Königs genannt, was in Jordanien illegal ist.

Es ist zwar auch früher schon in Jordanien zu Demonstrationen gekommen. Im Allgemeinen haben sich daran aber relativ wenige Menschen beteiligt. Dabei ging es immer nur um einige wenige hundert TeilnehmerInnen. Und dennoch: Am Freitag, dem 16. November, zogen nun zehntausende Menschen durch die Straßen der Hauptstadt Amman. Dies markiert eine neue Stufe im Selbstbewusstsein der Massen und ist ein Hinweis auf das Potential, das vorhanden ist, um eine Massenbewegung aufzubauen, die in der Lage ist, das Regime herauszufordern.

Damit ist nun ziemlich klar, dass die Wut und Empörung der JordanierInnen nicht länger mundtot gemacht oder ignoriert werden kann. Die Leute sind vom Regime allzu oft enttäuscht worden. Sie wurden mit Reformversprechen abgespeist, die nie eingelöst worden sind. Stattdessen sind immer wieder Korruptionsfälle ans Licht gekommen, in die die Elite verstrickt war.

Die Bevölkerung, von der ein Viertel unterhalb der Armutsrate lebt, muss kämpfen, um bis zum Monatsende über die Runden zu kommen, weil die Preise für Grundnahrungsmittel kontinuierlich ansteigen. Das ist auch das Ergebnis der anhaltenden instabilen Lage in den Nachbarländern Ägypten, Syrien und Palästina. Hinzu kommt, dass die Erwerbslosenrate und die Zahl der prekär Beschäftigten immer mehr steigt.

Die Regierung hat verlautbaren lassen, dass das Land mit einem umfassenden Finanzdefizit zu kämpfen hat, das mittels Austeritäts- und Kürzungsmaßnahmen ausgeglichen werden soll.

Zu den Kürzungen bei den Kraftstoffsubventionen ist es nun gekommen, nachdem im August ein Abkommen mit dem „Internationalen Währungsfonds“ (IWF) geschlossen wurde. Letzteres legte fest, dass eine ganze Reihe neoliberaler Maßnahmen umgesetzt werden müssen, um im Gegenzug einen Kredit im Umfang von zwei Milliarden US-Dollar zu bekommen. Es ist so gut wie vorherzusehen, dass nach der jüngsten Benzinpreiserhöhung ähnliches auch bei den Lebensmittel und grundlegenden Gütern des täglichen Bedarfs passieren wird.

Das Regime hat bereits die Abschaffung oder Zusammenlegung mehrerer Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge und staatlicher Strukturen angekündigt. Das Unternehmen „Jordan Petroleum Refinery“ (JPRC) steht an erster Stelle der Betriebe, die schließen müssen, weil die Regierung plant, den Benzinmarkt zu „liberalisieren“ und es Privatunternehmen zu ermöglichen, die Kapazitäten zu übernehmen. Bei JPRC wird dies rund 3.500 Arbeitsplätze kosten und zukünftig zu einer Verteuerung des Kraftstoffpreises führen.

Mehr denn je braucht es in Jordanien eine organisierte Bewegung der Arbeiterklasse, der Studierenden und der Armen. Die Beispiele der jüngsten Kämpfe in Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien und andernorts, die entweder den rechtsgerichteten religiösen Kräften, neuen Diktatoren bzw. der Armee in die Hände fielen oder sich zu einem regelrechten Bürgerkrieg entwickelten, sind der eindeutige Beleg dafür, dass die Formierung einer vereinten Arbeiterbewegung zur Verteidigung der Rechte der Bevölkerungsmehrheit und um für die Interessen der Massen zu kämpfen dringend geboten ist – ohne nationalistische und sektiererische Spaltungslinien.

Trotz der Rückschläge im sogenannten „Arabischen Frühling“ und des grausamen Bürgerkriegs, der im benachbarten Syrien wütet, deutet das begeisternde Aufflammen der gesellschaftlichen Wut in Jordanien darauf hin, dass das Potential für echte, von den Massen getragene und in der Arbeiterklasse verwurzelte Kämpfe in der Region doch noch nicht verschwunden ist.

Und schon kann man die ersten Aufrufe zum Generalstreik vernehmen. Derweil haben die kämpferischsten jordanischen Gewerkschaften (z.B. die der Taxifahrer, der LehrerInnen oder IngenieurInnen) – genau wie die Studierendenbewegung – bereits einen offenen Streik und fortwährende Mobilisierungen bis Ende dieses Monats angekündigt.

Auf der anderen Seite zeigt das Regime keinerlei Bereitschaft, von seiner neuen Wirtschaftspolitik zurück zu treten. Und dennoch zeigt die von Seiten der Sicherheitskräfte bei den jüngsten Ereignissen angewandte schwerwiegende Repression, wie sehr sich die herrschende Elite vor möglichen weiteren sozialen und politischen Erschütterungen fürchtet, die Jordanien heimsuchen könnten.

Wir fordern:

  • die umgehende Rücknahme der neuen Kürzungsmaßnahmen, durch die die Mehrheit der Bevölkerung in Erwerbslosigkeit und Armut getrieben wird
  • die sofortige Freilassung aller in den letzten Tagen inhaftierten DemonstrantInnen und die Rücknahme der Klageschriften gegen sie
  • Umfangreiche Investitionen in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge: Bildung, Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit und Renten
  • einen Mindestlohn, bezahlbare Lebensmittel, bezahlbare weitere grundlegende Versorgungsgüter und Wohnungen. Die Arbeitslosigkeit muss beendet werden – Arbeitsplätze für alle
  • die Einheit der arbeitenden Massen gegen die herrschende Elite und gegen die staatliche Repression
  • den Aufbau einer Massenbewegung, um die Arbeiterklasse und die verarmten Massen aller Regionen im Kampf gegen Armut, Korruption, Sektierertum und Rassismus miteinander zu vereinen
  • einen Kampf für eine wirklich andere Gesellschaft – für echten demokratischen Sozialismus