Generalstreik in Tunesien abgesagt

Kurz nachdem wir folgenden Artikel vom 11. Dezember veröffentlichten, erreichte uns die Meldung, dass der Generalstreik in letzter MInute durch die UGTT Führung abgesagt wurde und Verhandlungen mit der Regierung begonnen wurden. Nichtsdestotrotz haben die Analysen und Vorschläge dieses Artikels ihre volle Bedeutung. Insbesondere weil sich einige Befürchtungen jetzt zu bewahrheiten scheinen.

Revolution am Scheideweg

Dieser Artikel erschien zwei Tage vor dem heutigen Generalstreik auf der Webseite socialistworld.net

von BerichterstatterInnen des CWI in Tunesien („Komitee für eine Arbeiterinternationale“, deren Sektion in Deutschland die SAV ist)

Fast zwei Jahre nach der Selbstverbrennung von Mohamed Bouazizi richtet sich die Aufmerksamkeit vieler ArbeiterInnen und junger Leute erneut auf Tunesien. Die tunesische Revolution tritt in eine entscheidende Phase. Der Aufruf zum landesweiten Generalstreik am 13. Dezember durch die traditionelle Gewerkschaft UGTT („Allgemeine tunesische Gewerkschaft der Arbeit“) stellt die ArbeiterInnen und die revolutionären Massen auf die direkte Konfrontation mit dem neuen Regime der „Troika“-Regierung unter Führung der rechtsgerichteten religiösen Partei „Ennahda“ ein.

Etwas mehr als ein Jahr, nachdem diese Partei an die Macht gekommen ist, ist die Wut und Empörung der Bevölkerung immens. Dasselbe gilt für das Verlangen, diese Regierung der Thronräuber und Usurpatoren wieder loszuwerden. „Die Leute wollen den Sturz der Regierung“, „Das Volk hat die neuen Trabelsis* satt“, „Regierung des Kolonialismus, du hast Tunesien verraten und verkauft“ – dies sind die Slogans, die überall im Land wiederholt werden. In einem Land, das der Armut, Massenarbeitslosigkeit, Verachtung und Gewalt der neuen Regierung und ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik müde ist, die in zunehmendem Maße an das alte Regime erinnert. [* Leila Trabelsi ist die Frau des Ex-Diktators Ben Ali. Gegen ihren Familienclan richtet sich heute der ganze Hass der Bevölkerung; Anm. d. Übers.]

Der Streik kommt zu einer Zeit, da die Spannungen ihren Höhepunkt zu erreichen scheinen und die Regierung, die ernsthaft geschwächt ist, auf einem Pulverfass sitzt. Seit etlichen Monaten macht das Land eine fast ununterbrochene Phase an Streiks durch. Das umfasst auch zahllose örtliche Generalstreiks, Akte des zivilen Ungehorsams, Straßenblockaden, Demonstrationen, Sit-Ins und Ausschreitungen.

Die jüngsten Ereignisse in der Stadt Siliana im Südwesten Tunesiens, das als Epizentrum einer umfassenden sozialen Explosion bezeichnet werden kann mit der außerdem gewaltsame Polizeirepression einhergeht, haben zur aktuellen Krise beigetragen. Bis dato handelt es sich hierbei um Symptome dessen, was sich im Land zusammenbraut – vor allem in den ärmeren Regionen im Landesinneren. Seit dem Sturz von Ben Ali haben diese Regionen nichts erlebt, das als Wandel bezeichnet werden könnte. Was sich geändert hat, ist die Farbe der Partei, die das Elend verwaltet und die Polizeikräfte befehligt, welche auf die Bevölkerung schießen.

Der fünftägige Generalstreik, der in Siliana stattfand, hat die Regierung gezwungen, auf eine der Hauptforderungen der Menschen einzugehen. es geht dabei um die Abberufung des örtlichen Gouverneurs, womit versucht werden sollte, die Situation zu entschärfen und die Ausweitung der Krise zu verhindern. Parallel dazu haben Verhandlungen auf Landesebene zwischen dem Arbeitgeberverband UTICA und den Gewerkschaften dazu geführt, dass die Konzernleitungen einer 6-prozentigen Lohnerhöhung in der Privatwirtschaft zustimmen mussten.

Diese beiden Episoden haben dabei mitgeholfen unter großen Teilen der Beschäftigten, die sich einer Koalitionsregierung, die gespaltener ist denn je, gegenüber sehen, eine Atmosphäre der Zuversicht und des Erfolgs zu schaffen. Diese Regierung hat so wenig Unterstützung wie noch nie.

Und in diesem Kontext der Ereignisse demütigt und verletzt die an der Macht befindliche Partei die Menschen, versucht eine Art „kleinen Putsch“ durchzuführen, indem sie ihre Milizen zu Hunderten und mit Knüppeln und Messern bewaffnet gegen eine Kundgebung von GewerkschafterInnen in Tunis aussendet, die anberaumt worden war in Gedenken an den 16. Todestag von Ferhat Hached, den Gründer der UGTT.

Diese Provokation, die unter den Gewerkschaftsmitgliedern zu Dutzenden von Verletzten geführt hat, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das hatte Signalwirkung und wurde in vielen Orten rasch mit spontanen Demonstrationen von ArbeiterInnen und jungen Leuten beantwortet, was die UGTT nun dazu gebracht hat, zum Generalstreik aufzurufen.

Noch am selben Abend kündigten die UGTT-Untergliederungen in vier strategisch wichtigen Bezirken (in der Bergbaustadt Gafsa mit ihrer langen und kämpferischen Tradition, in Sfax, dem industriellen Herzen des Landes, Sidi Bouzid, von wo aus die Revolution des 14. Januar ihren Anfang nahm, und Kasserine, der Stadt, die den größten Blutzoll zu zahlen hatte, was die Zahl der MärtyrerInnen während dieser Revolution angeht) für Donnerstag, den 6. Dezember, regionale Generalstreiks in ihren jeweiligen Hochburgen an.

Am folgenden Tag wurde unter dem Druck der eigenen Mitgliedschaft und der Einzelgewerkschaften auf der außerordentlichen Sitzung des Geschäftsführenden Vorstands der UGTT ein landesweiter Generalstreik für den 13. Dezember beschlossen, um auf diese Weise auf die Angriffe auf die eigenen Mitglieder und SympathisantInnen zu reagieren.

Ein neues Kapitel

Diese Entscheidung markiert einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen den ins Taumeln geratenen Machthabern und der tunesischen Gewerkschaftsbewegung. Die Mobilisierung der Kräfte der UGTT war entscheidend beim Sturz des alten Diktators Ben Ali.

Streng genommen handelt es sich hierbei erst um den dritten Generalstreik in der Geschichte des Landes. Der letzte allumfassende Streik fand im Jahr 1978 statt und wurde zum Kulminationspunkt in einer Phase zunehmender Konfrontation zwischen der UGTT und dem nationalistischen Regime unter Bourguiba. Dieser Generalstreik wurde von der Armee im Blut ertränkt, hatte Hunderte Opfer zu beklagen, führte zu Tausenden von Verhaftungen und unerträglicher Repression gegen die Linke im Land.

Im kollektiven Bewusstsein der tunesischen Arbeiterklasse heißt „Generalstreik“, dass es ernst wird. Im derzeit herrschenden Klima kann ein Generalstreik den Charakter eines Aufstands annehmen. Seit Monaten finden sich in der Tat etliche Branchen und Einrichtungen in ihren Kämpfen gegen die Machthaber immer wieder isoliert von anderen Bereichen und Sektoren wieder. Der Streik am 13. Dezember bietet nun zum ersten Mal die Gelegenheit, an ein und demselben Tag und überall gleichzeitig im Land eine koordinierte Antwort zu geben. Zweifellos wird dieser Tag von den Massen als historischer Tag betrachtet werden, als eine einmalige Chance, die Kräfte zu zeigen, die gegen die Regierung und deren Diener und verschiedentlichen Unterstützer sind.

Beim Generalstreik-Aufruf durch die Führung der UGTT hat es sich mitnichten um eine Selbstverständlichkeit gehandelt. Monatelang hat die Gewerkschaftsführung hin und her überlegt und mit dem Feuer gespielt. Dabei hat sie eine zwischenzeitlich durchaus konfrontative Rhetorik mit Vorschlägen verbunden, wie man die Lage wieder beruhigen und zu einem „national Dialog“ gelangen kann. Was das angeht, ist bereits kostbare Zeit verschenkt worden. „Die GewerkschaftsführerInnen sollten einen Termin für einen 24-stündigen Generalstreik benennen“, hatte das CWI schon kommentiert, nachdem es am 25. Februar zur erfolgreichen Demonstration kam, die die UGTT als Reaktion auf einen von den „Ennahda“-Milizen durchgeführten Angriff auf die Gewerkschaftszentrale organisiert hatte.

Dieselbe Gewerkschaftsführung, die nur wenige Wochen zuvor noch betont hatte, wie wichtig ein breiter Konsens ist, an dem alle wichtigen politischen Kräfte des Landes zu beteiligen seien, hatte plötzlich erneut harsche Kritik an der Regierung geübt – auf Druck der eigenen Basis!

Für einen ernsthaften und nachhaltigen Kampfplan

Um den 13. Dezember nun zu einem Erfolg zu machen, ist ein ernst gemeinter Schlachtplan nötig. Diese Planung muss nachhaltig sein und einen längeren Zeitraum umfassen. Zudem darf darin nicht davor zurückgeschreckt werden, die Feinde der Revolution eindeutig zu benennen und die Schlussfolgerung aus den bisherigen Entwicklungen zu ziehen.

Dieser Streik sollte zum entschiedenen Schritt in Richtung des Sturzes der momentanen Regierung werden. Und in der Tat muss eine solche Regierung als das bezeichnet werden, was sie ist: eine Regierung, die im Interesse der kapitalistischen Konterrevolution handelt, von dem Willen beseelt ist, die Ordnung im Sinne der privaten Ausbeuter, Fabrikbesitzer, multinationalen Konzerne und Spekulanten wiederherzustellen, die sich auf dem Rücken der Bevölkerung selbst bereichern.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Regierung bereit, alles zu tun. Und dazu zählt auch der Rückgriff auf Methoden des alten Regimes, der Schießbefehl gegen DemonstrantInnen, das Mundtotmachen der Medien oder das Aussenden ihrer Milizen gegen die UGTT – ohne die viele ihrer Führungspersonen (nebenbei bemerkt) in den Kerkern von Ben Ali oder im Exil gelandet wären.

Zwei Jahre nach der Revolution steht es um die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit in vielerlei Hinsicht schlechter als vorher. Die Preise für Güter des Grundbedarfs explodieren, dasselbe gilt für die Arbeitslosigkeit. Die Konzernchefs entlassen Tausende von ArbeiterInnen und schließen Fabriken, weil sie nach lukrativeren Profitmöglichkeiten Ausschau halten. Unterdessen stimmt die herrschende Partei nicht nur zu, die Schulden des alten Regimes zu bedienen, sie handelt auch neue Kredite mit internationalen Gläubigern aus. Und diese Schulden unweigerlich von den Armen, Arbeitslosen, den ArbeiterInnen und ihren Familien beglichen werden.

Überflüssig zu sagen, dass es von dieser Regierung absolut nichts zu erwarten gibt. Selbstgefällige Moralisten und verängstigte Repräsentanten der pro-kapitalistischen Parteien mögen mit den Augen rollen und den „politischen“ Akt der UGTT angreifen, so oft sie wollen. Diese Regierung hat jede Legitimation verloren. Und damit ist nicht gemeint, dass die Wahlarithmetik von den Fakten eingeholt wurde, sondern dass die Fakten schlicht und einfach für sich sprechen.

Diese Fakten sind eindeutig: Es ist nicht überraschend, dass die Regierung hinsichtlich aller Grundsatzforderungen der Revolution vollkommen versagt hat und bei jedem Anlass konträr zu diesen agiert. Eine solche Regierung muss abtreten. Wenn sie die Bühne nicht von selbst verlässt, dann muss die revolutionäre Bewegung und vor allem die Arbeiterbewegung durch Neustrukturierung der eigenen Kräfte zeigen, wo es zur Tür geht. Wenn der Streik am 13. Dezember nicht ausreicht, um der Regierung dies verständlich zu machen, dann muss eine erneute Mobilisierung zu einem erneuten Generalstreik folgen – bis man verstanden hat.

Bedauerlicherweise bleibt die UGTT-Führung hinsichtlich dieses Streiks bei Minimalforderungen stehen. Sie verlangt nur die Auflösung der Milizen, die der „Ennahda“ die Treue halten und dass diese vor Gericht gestellt werden. Während die Demonstrationen überall im Land den Sturz der Regierung fordern, fallen Forderungen der UGTT-Führung dieser Art hinter das zurück, was die Situation eigentlich erfordert. Die Aufforderung an „Ennahda“, die eigenen Milizen aufzulösen, dabei aber an der Macht zu bleiben, wird nichts anderes als ein frommer Wunsch bleiben.

Hinzu kommt, dass die Regierung, obwohl sie geschwächt ist, ihr letztes Wort noch nicht gesprochen hat. Wenn die Ziele des Streiks nicht ambitioniert genug sind und der Streik nicht Teil einer dynamischen und eskalierenden Kampfstrategie wird, um der Konterrevolution die Macht zu entreißen und sie der Revolution zurückzugeben, wenn ihm nur Verzögerung von weiteren Kampfschritten folgt oder eine neue Phase von Versuchen, mit den Behörden zu verhandeln, dann könnte die Konterrevolution versuchen, die Initiative zu übernehmen und einen gewaltsamen Gegenschlag durchzuführen. Dafür kann sich „Ennahda“ auf bedeutende Teile des Staatsapparates berufen, die – obgleich sie sich in der Frage, wie es weitergehen soll, oft nicht einer Meinung sind – sehr wohl in der Lage sind, Gemeinsamkeiten auszumachen, wenn es darum gehen sollte, das Rückgrat der Revolution zu brechen und die UGTT zu „neutralisieren“. Letztere ist für ihren Geschmack ein wenig zu aufmüpfig geworden.

Ein anfänglicher Erfolg des Streiks könnte den Feind zwar auch zum zeitweiligen Rückzug zwingen. Aber danach könnte es dennoch zu Vergeltungsschlägen und gewaltsamen Racheakten kommen, wobei dann die Symbole der Revolution und ihre lebendigen Kräfte zum Ziel erklärt werden. Die UGTT wird dabei mit an erster Stelle stehen.

Das sind die Gründe, weshalb die Folgen des Kampfes, in den die Arbeiterklasse in diesem Moment eintritt, auf korrekte Art und Weise ausgesprochen werden müssen. In den kommenden Tagen muss es zu einer gründlichen Vorbereitung auf den Streik kommen. Massenversammlungen in den Wohnvierteln, Betriebsversammlungen und Vollversammlungen in den Hochschulen sollten dabei helfen, für standhafte und aktive Unterstützung für diesen Streik überall im Land zu sorgen. Dabei muss auch diskutiert werden, wie der Streik zum umfassenden Erfolg werden kann. Aktionskomitees in den Wohnvierteln, rotierende Streikposten, gut miteinander vernetzte Helfer-Teams und massenhafte sowie disziplinierte Demonstrationen sollten dazu beitragen, dass der Streik erfolgreich vonstatten geht und Angriffe auf die Protestkundgebungen sowie Provokationen durch die Reaktion verhindert werden.

Für eine Regierung der Arbeiterklasse und revolutionären Jugend!

Selbst als es noch gar keine Ankündigung für diesen Generalstreik gab, sah Moncef Marzouki, der Präsident der Republik, es als nötig an, sich in einer Fernsehansprache zu erklären: „Wir haben es nicht nur mit einem einzigen Siliana zu tun […]. Ich fürchte, dass es in vielen Regionen zu so einer Situation kommen kann und dass das die Zukunft der Revolution gefährdet“. Ein Satz, der Bände spricht über die Unsicherheit und die Panik, die die herrschende Klasse befallen hat.

Das Gespenst der Revolution, mit dem Ben Ali zu Fall gebracht wurde, versetzt das Regime im Palast von Karthago und den Ministerialbüros in Angst und Schrecken. Und tatsächlich besetzt die UGTT einen zentralen Platz in der tunesischen politischen Landschaft. Sie ist zweifellos die einzige organisierte Kraft, die Massenunterstützung von Seiten der tunesischen Bevölkerung genießt. Ihr Aufruf zum Generalstreik hat all denen die Maske vom Gesicht gerissen, die versuchen im Interesse der eigenen opportunistischen Belange auf der Welle der weit verbreiteten Unzufriedenheit zu reiten.

So veröffentlichte beispielsweise einer der Sprecher der Salafisten-Partei, Hizb Attahrir, einen Aufruf, um die UGTT zu verurteilen und zu kriminalisieren. Der Aufruf zum Generalstreik am 13. Dezember wurde darin als „Schlag ins Wasser“ bezeichnet. Es wurde hinzugefügt, dass die UGTT bis zum bitteren Ende auf der Seite von Ben Ali gestanden hätte. Außerdem wurde darin bestritten, dass die Gewerkschaft irgendeinen Beitrag zur Revolution vom Januar 2011 geleistet habe.

Die Behauptung, Hizb Attahrir habe irgendetwas zur Revolution beigetragen ist dermaßen lächerlich, dass sie an sich keine Beachtung verdient. Andererseits: Wenn die ehemalige Führung der UGTT wirklich mit der Ben Ali-Diktatur zu tun hatte, so war die Gewerkschaft, die Hunderttausende von ArbeiterInnen in ihren Reihen hat, das Rückgrat der revolutionären Mobilisierung, die zum Sturz genau dieser Diktatur führte.

Und heute macht sich „Ennahda“ – wenn auch mit einem anderem ideologischen Schleier – daran, langsam aber sicher die Diktatur wiederherzustellen. Die Folter ist bereits zum üblichen Mittel geworden, gewalttätige Milizen haben freie Hand, politisch motivierte Prozesse mehren sich, die Korruption nimmt überhand und die Massen leider immer mehr.

Jetzt ist die Zeit gekommen, dieser Regierung eine Ende zu machen. Und die Massen haben das verstanden. Bei dem Generalstreik, den man seit Monaten erwarten durfte, handelt es sich um die kraftvollste Waffe, mit der die Arbeiterklasse aufwarten kann. Vom Erfolg und den Schlussfolgerungen aus diesem Generalstreik hängt nicht weniger ab, als das Schicksal der Revolution an sich und die Zukunft des Landes.

Selbst die „Tunesische Allgemeine Vereinigung der Arbeiter“ (CGTT), eine kleine und moderatere Gewerkschaft, die erst nach der Revolution gegründet wurde und behauptet, rund 50.000 Mitglieder zu haben, ließ letzten Dienstag verlautbaren, dass sie sich „vollends solidarisch“ mit der UGTT verbunden fühlt. Die Beschäftigten in der „Nationalen Verfassunggebenden Versammlung“ (ANC), die in der UGTT organisiert sind, haben beschlossen, vom 11. bis zum 13. Dezember den Streik zu befolgen, um zu zeigen, dass sie jede Form der „Patronage“ und die Versuche der Troika ablehnen, mit administrativen Maßgaben einzuwirken. Dieses Beispiel zeigt, dass das Land über Nacht zum Erliegen gebracht werden kann, wenn die ganze Kraft der Arbeiterklasse in allen Branchen und Sektoren aufgefahren wird. Die Regierung hängt in diesem Fall am seidenen Faden.

Die regional begrenzten Generalstreiks vom 6. Dezember verzeichneten bereits eine hervorragende Beteiligung. So nahmen im Bezirk Gafsa laut UGTT-Angaben 95 Prozent der Beschäftigten daran teil. Alle betroffenen Bezirke, Städte und Ortschaften waren größtenteils lahmgelegt und viele öffentliche wie auch private Einrichtungen blieben ganz geschlossen.

Dies ist ein Hinweis darauf, welch explosiven Charakter der Generalstreik am 13. Dezember möglicherweise annehmen könnte. Obwohl die Führung der UGTT versucht, die Auswirkungen gering zu halten, hat allein schon ihr Streikaufruf eine Bresche geschlagen. Die Massen könnten dies zum Anlass nehmen und die Möglichkeit für die Bewegung nutzen, zumindest teilweise außerhalb des Kontrollbereichs der UGTT-Führung zu gelangen und dem Rahmen zu entfleuchen, den ihre eigene Führung ihnen zu setzen gedenkt.

Alle Politiker und Kapitalisten verstehen nun sehr gut, dass der Sturz der Regierung ein neues Kapitel in der tunesischen Revolution aufschlagen würde. Wenn wieder einmal die ganze Stärke der ArbeiterInnen und der Massenbewegung gezeigt wird, dann kann eine solche Entwicklung einher gehen mit zunehmender Kampfbereitschaft der gesellschaftlichen Klasse – mit all den Auswirkungen auch über die Grenzen Tunesiens hinaus.

Najib Chebbi, dessen Partei „Al Joumhouri“ den Anschein macht, nur das Gesicht der herrschenden Klasse wahren zu wollen, ansonsten aber keine Position bezieht, bringt nichts anderes zum Ausdruck, wenn er „Ennahda“ darum bittet, sich bei der UGTT „öffentlich zu entschuldigen“. JedeR weiß, dass ein Generalstreik die objektiven Bedingungen für einen möglichen Sturz der aktuellen Regierung schafft. Und letztere ist hin- und hergerissen worden wie nie zuvor. Der Streik am 13.12. könnte einen schicksalhaften Schlag darstellen.

In vielerlei Hinsicht ist das Timing für diesen Streik als historisch zu bezeichnen. Es besteht ein Widerspruch zwischen den Möglichkeiten, die die UGTT aufgrund ihres politischen Gewichts in der tunesischen Arbeiterbewegung hat und mit dem sie die Macht übernehmen könnte, zum fehlenden Willen ihrer eigenen Führung, sich auch tatsächlich dementsprechend zu verhalten. Dieser Widerspruch könnte in den bevorstehenden Tagen und Wochen einen kritischen Punkt erreichen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gang der Dinge die herrschende Klasse sogar dazu zwingen könnte, im Zusammenhang mit der strukturell-politischen Ausweglosigkeit, eine neue Regierung zusammen zu stellen, in die dann auch VertreterInnen der UGTT-Führung einbezogen werden. In diesem Kontext ist es entscheidend, dass die Lehren aus der jüngsten Vergangenheit gezogen werden. Wenn all die Regierungen, die seit dem Sturz von Ben Ali an die Macht gekommen sind, nicht in der Lage waren, die Bedürfnisse der Massen und ihre revolutionären Bestrebungen zu befriedigen, so ist der Grund dafür sehr einfach: Sie alle haben mit Bestimmtheit gehandelt, um die Interessen des Kapitals gegen die Interessen der ArbeiterInnen zu stellen. Die Profite der Aktienbesitzer und Privatinvestoren, die sich weigern ihr Geld zu investieren, wurden höher gestellt als die drückenden sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund der momentanen historischen und weltweiten Krise des Kapitalismus ist die Möglichkeit auch nur der geringsten dauerhaften Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung dahin, weil dieses System dafür keinen Spielraum lässt.

Deshalb besteht die einzige langfristige Lösung darin, dass sich die arbeitenden Massen auf die mögliche Übernahme der politischen und wirtschaftlichen Macht vorbereiten. Die ArbeiterInnen sollten alle Regierungsbündnisse zwischen VertreterInnen der Linken und der Arbeiterbewegung mit pro-kapitalistischen Kräften oder Politikern hartnäckig ablehnen.

In diesem Sinne hat die ‚Volksfront‘, ein Bündnis aus linken Parteien und arabisch nationalistischen Kräften, das in den jetzigen Protesten eine wichtige Rolle spielt, die Verantwortung einen Aktionsplan und eine Strategie zu formulieren, mit denen eine volle Unabhängigkeit von der kapitalistischen Klasse und ihren Parteien bewahrt wird. Unglücklicherweise sind die schwammigen Formulierungen von einigen Führern des Bündnisses, wonach sie eine „Krisenregierung“ fordern, ohne den politischen und ökonomischen Inhalt zu spezifizieren, ein Attest ihres offenkundigen Unwillens klar zu sagen, was sie meinen.

Das CWI ist der Meinung, dass die UGTT, als die größte Arbeiterorganisation des Landes, die ArbeiterInnen ermuntern sollte, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen, unterstützt durch die UDC (Union der Arbeitslosen Akademiker) und den linken Organisationen und Organisationen des Volkes, welche diese Ziele teilen. So ein Schritt könnte unterstützt werden durch die Schaffung von revolutionären Aktionskomitees im ganzen Land, demokratisch organisiert auf allen Ebenen, um ihnen eine Massenbasis zu geben und die Arbeitermassen und Armen in den Prozess einzubeziehen.

So eine Regierung, unterstützt durch die Massen und ihre Komitees könnte den revolutionären Antrieb nutzen, um schnell das jetzige kapitalistische ökonomische System zu konfrontieren, das Armut, Arbeitslosigkeit, steigende Lebenskosten und geringe Löhne produziert, mit dem einzigen Ziel eine Clique von Parasiten zu bereichern, welche die Produktionsmittel besitzen und kontrollieren.

Diese Bewegung muss auch in organisierter Art und Weise die Soldaten und Polizisten ansprechen, die immer noch ein Minimum an Bewusstsein haben und sie muss sie ermuntern, sich dagegen zu weigern, ihre Brüder und Schwestern zu unterdrücken. In Siliana haben Armeeeinheiten sich geweigert zu intervenieren und auf DemonstrantInnen zu schießen. Das Beispiel könnte auf andere Regionen ausgeweitet werden. Vollversammlungen und Komitees innerhalb der bewaffneten Kräfte würde es Soldaten ermöglichen, sich demokratisch zu organisieren und zu wählen, ob sie lieber die Interessen ihrer eigenen Klasse als die des anderen Lagers vertreten wollen.

Damit die jetzige Bewegung und der Streik vom 13. Dezember nicht in eine massenhafte Demoralisierung und Desillusionierung der revolutionären Massen führt, was von manchen Teilen der Reaktion (Polizei, Salafisten, pro-Ennahda Milizen usw.) zu ihrem Vorteil genutzt werden würde, ist es essentiell eine schnelle und akkurate Fortsetzung dieses Kampfes umzusetzen. Um die Initiative zu behalten und die Gegenoffensive fortzusetzen, braucht es einen Plan, in Richtung entschlossenen Angreifens auf kapitalistischen Privatbesitz, inklusive Besetzung von Betrieben und Fabriken.

Nur ein sozialistisches Programm, organisiert von den ArbeiterInnen, den jungen Leuten und den Armen zur Eroberung des großen Reichtums, Verstaatlichung der Banken und Großunternehmen und multinationalen Konzerne, der Weigerung der Schuldzahlung und der rationalen und demokratischen Planung aller Ressourcen des Landes zur Erfüllung der sozialen Bedürfnisse, ist iner Lage eine anständige Zukunft aufzuzeigen, die den bisherigen erbrachten Opfern des Kampfes gerecht wird. Das wäre ein inspirierendes Beispiel, das sich in der gesamten Region und darüber hinaus verbreiten würde und die Tore dahin öffnen würde, den Kapitalismus ein für alle mal zur Geschichte zu machen.

  • Hände weg von der UGTT! Für die Verteidigung gewerkschaftlicher Rechte und des Streikrechts!
  • „Ennahda“ raus! Generalstreik, um die Regierung zu Fall zu bringen!
  • Für den Aufbau von revolutionären Aktionskomitees überall im Land zur Vorbereitung eines Streiks und auf die Situation, die auf diesen folgen wird
  • Für einen nachhaltigen Kampf zum Aufbau einer revolutionären Regierung der ArbeiterInnen und jungen Leute mit Unterstützung der UGTT und weiterer Organisationen, die unter Bevölkerung Ansehen genießen
  • Für die umgehende Verstaatlichung der strategisch wichtigen Branchen der Wirtschaft unter der Kontrolle und Geschäftsführung der ArbeiterInnen. Solidarität mit unseren Schwestern und Brüdern in Ägypten
  • Für demokratischen Sozialismus – für die internationale Revolution