Ägypten: Interview mit Wael Towfeek, Aktivist aus Kairo

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„In den Augen der ägyptischen Massen zeigt die Muslimbruderschaft ihr wahres Gesicht, seit sie an der Macht ist“

Dieser Artikel erschien zuerst am 23. Dezember auf englischer auf der Webseite socialistworld.net

von Aysha Zaki und Tamer Mahdi, CWI-Mitglieder aus dem Libanon

Am Donnerstag, dem 6. Dezember, wachte die Welt morgens mit Nachrichten über Ereignisse in Ägypten auf. Mit schrecklichen Bildern unterlegt, wurde berichtet, dass sechs Menschen getötet und hunderte verletzt worden waren. Es hatte sich dabei um AktivistInnen der Opposition gehandelt, die von Mitgliedern der Muslimbruderschaft (MB) festgesetzt und gefoltert worden waren. In den letzten Wochen, seitdem die MB Ägypten beherrscht, ist es zu einer oppositionellen Massenbewegung gegen das neue Regime und zu Massenmobilisierungen gegen die neue Verfassung gekommen, die die Führung der Muslimbrüder aufgelegt hat.

Das CWI („Komitee für eine Arbeiterinternationale“, deren Sektion in Deutschland die SAV ist) verurteilt die Repression und die Anwendung von Folter aufs Schärfste. Einer der traurigen Höhepunkte dieser Tage war die Ermordung des Journalisten Husseini Abu Deif sowie die Entführung und systematische Folter von AktivistInnen der Opposition durch Mitglieder der MB. Auch bei den jüngsten Massenprotesten ist es wieder zu ähnlichen Vorfällen gekommen. Wir stehen solidarisch an der Seite der Opposition aus ArbeiterInnen und jungen Leuten und treten dafür ein, dass die Revolution für Freiheit und soziale Gerechtigkeit weitergeht. Wir fordern die umgehende Freilassung aller AktivistInnen.

Das CWI ist solidarisch mit den AktivistInnen, die mit Unterdrückung und Armut konfrontiert sind. Wir treten dafür ein, dass die Revolution der Massen von ArbeiterInnen, Armen und AktivistInnen gegen das Regime der Geschäftsleute und gegen den rechtsgerichteten politischen Islam und dessen schikanöse und reaktionären Kräfte fortgesetzt wird. Unten veröffentlichen wir (in leicht überarbeiteter Version des arabischen Originaltextes) das Interview mit Wael Towfeek, einem Sozialisten und Arbeiteraktivisten aus Kairo, der Mitglied der „Revolutionären Linken“ ist. Auch wenn das CWI nicht mit allen Ansichten der „Revolutionären Linken“ übereinstimmt, so liefert das Interview, das wir vor dem jüngst durchgeführten Referendum in Ägypten mit Wael Towfeek geführt haben, ein umfassendes Bild von den letzten Entwicklungen innerhalb der aktiv auftretenden Linken in Ägypten.

Die reaktionäre MB, die nun in Amt und Würden ist und zusammen mit Firmenleitern, die schon Mubarak unterstützt haben, eine Allianz bildet, verfolgt exakt denselben Politikansatz aus Repression und Attacken auf die demokratischen und gewerkschaftlichen Rechte wie das Mubarak-Regime vor der Revolution. Seither zeigt die MB-Führung gegenüber den Massen in der Region und überall sonst auf der Welt, dass es sich bei ihr um eine Partei handelt, die eine Agenda verfolgt, mit der die Arbeitgeberinteressen verteidigt werden sollen. Zudem haben sie ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt, angesichts der Bedingungen, denen die ägyptische Arbeiterklasse und die Armen ausgesetzt sind, für echten Wandel sorgen zu können.

Die reaktionäre Natur dieser Regierung ist damit ebenso deutlich geworden, wie ihre Bereitschaft, Schlägertrupps einzusetzen, um linke AktivistInnen niederzuhalten und zu foltern. Die jüngsten Ereignisse zeigen aufs Neue, wie nötig der Aufbau einer unabhängigen Massenpartei der Arbeiterbewegung und einer politischen Alternative für die ArbeiterInnen ist, mit der die herrschende Klasse herausgefordert und mit dem Kapitalismus gebrochen werden kann.

Wie würdest du die Situation in Ägypten beschreiben?

Nach nur wenigen Monaten ist das Mursi-Regime widerwärtig, hilflos und schwach geworden und hat versagt. Bedrängt von den Kräften der Opposition, die Mursi & Co. kippen wollen, erlebt das Regime jetzt, wie ihr eigenes Projekt der „Nahda“ (Renaissance) sich in Luft auflöst. Dieses Projekt wurde im Vorfeld sehr oft beschworen, stellte sich am Ende aber als leere Wahlpropaganda heraus.

Der Präsident und sein Umfeld haben ihre loyalen Unterstützer in staatlichen Einrichtungen und auf wichtigen Positionen in den Medien, Ministerien und Kommunalräten eingesetzt. Doch diese „Prediger der Gnade“ wissen überhaupt nicht, wie man etwas leiten oder verwalten soll. Und – wie der Präsident selbst – gehen immer mehr von ihnen dazu über, Politik zu ersetzen durch religiöse Reden und eine religiöse Rhetorik. Man ist dazu übergegangen, die Situation mit moralischen Sentenzen und klangvollen Phrasen zu analysieren, was die eigenen AnhängerInnen durchaus anregt.

Die Wirtschaftskrise hält weiterhin jede und jeden fest in Beschlag, und das Regime hat keine einzige revolutionäre Maßnahme ergriffen, um die Krise zu beheben. Stattdessen will man die Krise „lösen“, indem man Spendendosen aufstellen lässt, um Geld für die Fürsorge einzusammeln. Doch die kleineren und die großen Kapitalisten, die in der Lage wären Spenden zu machen, sind nicht Willens, einer derartigen Regierung Geld zu spenden. Erst Recht nicht angesichts einer relativen Wirtschaftsflaute.

Das MB-Regime hat die Krise des Kapitalismus nicht behoben und bietet keinerlei Lösungsansatz für die Probleme der Massen, deren Lebensbedingungen, sich nur noch weiter zuspitzen […] Es brodelt also und die Situation ist heikel. Es läuft ein Machtkampf, bei dem es um Leben und Tod geht, Massenmobilisierungen an der Tagesordnung sind und der Druck der Opposition allgegenwärtig ist. All dies könnte zur Aushöhlung der Position der MB führen. Eine sehr greifbare Folge der massenhaften Oppositionsbewegung war, dass Präsident Mursi ein Referendum über die Verfassung angekündigt hat. Die Führung der MB und die neuen kapitalistischen Herrscher in Ägypten klammern sich an die Macht und versuchen mehr Kontrolle zu erlangen und zu einer hegemoniellen Stellung zu gelangen. Sie müssen erkennen, dass ein Flügel ihrer eigenen gesellschaftlichen Klasse und der alte Staatsapparat von Mubarak sie nicht unterstützt. Sie ziehen nun die ganze Wut der Bevölkerung auf sich, der noch zunimmt und ihnen die Wahlaussichten trübt.

Am 21. November trat der Sprecher des Präsidenten ans Mikrofon und verkündete dem Volk eine neue Verfassung. Diese Erklärung umfasste die Frage der Renten und Wiederaufnahmeverfahren sowie Abschnitte, in denen davon die Rede war, dass die Entscheidungen des Präsidenten absolute Immunität genießen. Das bedeutet die Immunität gegenüber jeder anderen Instanz, also auch der Gerichte, sowie keine Möglichkeit mehr, dass Gerichte irgendeine politische Entscheidung hinterfragen können, die der Präsident getroffen hat. Dasselbe sollte auch für die Zusammensetzung der Verfassunggebenden Versammlung und die Shura-Räte gelten.

Doch nach dieser Ankündigung bebte die Erde, auf der der Präsident stand. Und anstelle einer Machtausweitung kam es dazu, dass die Erklärung ihn isolierte und angreifbar machte. Damit wurden der Staat und die Behörden in zwei sich gegenüberstehende Lager gespalten. Die MB, die nun selbst erleben musste, was es heißt, zum Ziel des Volkszorns zu werden, stand plötzlich isoliert da. Die MB entschied sich dafür, die Schlacht mit den eigenen Kräften und einigen der eigenen Unterstützer zu schlagen. Und so begann man Straßenkämpfe, bei denen es in verschiedenen Provinzen zu Auseinandersetzungen zwischen MB-Mitgliedern und einer wütenden Menge kam, wobei Polizei oder Armee nicht eingriffen, um etwa die MB oder ihre zentrale Geschäftsstelle zu schützen. Trotz der hohen Zahl an Ermordeten und Verletzten, blieb der Tahrir-Platz das Zentrum der Wut. In diesen Kämpfen kämpften Menschen, die genug davon haben, in Armut leben zu müssen und unterdrückt zu werden. Sie haben keine Hoffnungen mehr, dass die Eliten für eine Lösung sorgen könnten.

So also wurde der bonapartistisch anmutende Putschversuch durchgeführt, und deshalb scheiterte er auch direkt in der Anfangsphase. Mursi ist Louis Bonaparte nur in seiner Kleinlichkeit und was seine mäßige Begabung angeht ähnlich. Mit Abdel Nasser hat er nichts gemein, außer dass er die tyrannischen Gesetze wieder einführen will. Der gemeinsame Nenner zwischen Nasser und Bonaparte – so die allgemeine Sichtweise – ist, dass es sich bei beiden um Vertreter der Kleinbauern handelt, wobei Mursi der Gesandte einer reaktionären religiösen Organisation ist, die für den rechten Flügel der herrschenden Klasse steht. Unter den Massen, die die Revolution begonnen hatten, war es zu Frustration gekommen. Die Praxis der MB an der Regierung sowie ihre Hegemonie und Arrgoganz forcierte die Intensität des Konflikts und hat dazu beigetragen, den Augen der Massen ihr wahres Gesicht zu zeigen. Die Opposition auf der Straße wird immer stärker, und die MB versucht aus der Sackgasse wieder herauszukommen.

Welche Folgen haben diese Ereignisse für das Ansehen der MB in der Bevölkerung?

Viele ihrer SympathisantInnen waren schockiert und einige von ihnen haben sich gegen die eigene Führung gestellt. Aber es gibt noch viele MB-Mitglieder, die Mursis Maßnahmen gutheißen und die die Führung unterstützen. Diese greift auf Rechtfertigungen und Anschuldigungen gegen die Opposition zurück. Demnach wolle sie „Hand anlegen an Islam und Sharia“ und auf die „Überbleibsel des alten Regimes“ zurückgreifen. Sie benutzen sogar dieselben Begriffe wie das Mubarak-Regime während der Revolution und bezeichnen die AktivistInnen als „Verräter“. Sich selbst stellen sie als „Verteidiger der Revolution“ oder ähnliches dar. Aus allen ländlichen Regionen mobilisieren sie ihre Mitglieder in die Städte, um dort Versammlungen abzuhalten, während die oppositionellen Massen örtlich in einigen Gegenden Mobilisierungen durchführen. Sicher ist, dass die Praktiken von Mursi und der MB-Führung deren wahre Agenda auch für „einfache“ Menschen haben sichtbar werden lassen. Einige von ihnen hatten für sie gestimmt, um die Nachfolger von Mubarak aus dem Rennen zu werfen. Die MB hat Millionen von Menschen aus den ländlichen Gebieten angesprochen, weil er mit Klarheit und Redekunst aufwarten konnte.

Was ist zu den sich verschlechternden Lebensbedingungen und über die Stimmung unter den armen Massen zu sagen? Schließlich spricht Mursi immer davon, die „einfachen Bürger“ im Blick zu haben…

Was die „Lebensbedingungen“ angeht, so schenken da nur wenige der „einfachen“ BürgerInnen den Reden von Mursi großes Vertrauen. Und diese Versprechungen haben bislang auch nicht gereicht, um die Massen zu beruhigen und die revolutionäre Situation zu beenden. Mursis Regime wurde durchgeschüttelt und ist so weit destabilisiert worden, dass es selbst nicht mehr für Stabilität sorgen kann. Das ist auch der Grund dafür, weshalb das Regime seine Maßnahmen bis auf Weiteres auf Eis gelegt hat und nun abwartet, wie die Ereignisse ihren Lauf nehmen. Statt irgendeinen Lösungsvorschlag für die Krise und zur Behebung des Leids anzubieten, das die Massen ertragen, versuchte Mursi auf Kosten der Massen die Krise seines eigenen Regimes zu lösen. Die Preise wurden angehoben, die öffentliche Daseinsvorsorge eingeschränkt und der Polizei wurde freie Hand gelassen, DemonstrantInnen zu töten oder aufzureiben – wer streikt, kann dafür mittlerweile vor Gericht gebracht werden.

Mursis Regime hat den Offenbarungseid geleistet und mitzuerleben wie ein Parlament mit islamistischer Mehrheit funktioniert, ist einfach nur schockierend. Wir haben ein Parlament mit amateurhaften Idioten, die nichts anderes im Sinn haben, als reaktionäre Regeln durchzusetzen. Die Erklärungen der MB sind für die Massen so etwas von abstoßend. Und dann noch Mursis vollmundige Versprechungen, die wie die fehlgeschlagenen Versuche erscheinen, das Bewusstsein der Massen zu verwirren. Schließlich geschieht dies zu einem Zeitpunkt, da die Opposition ja schon Alternativen wie etwa „einen Mindest- und einen Maximallohn“ anzubieten hat, um damit die öffentliche Daseinsvorsorge sicherzustellen. Außerdem wird damit auch anerkannt, dass die Subventionen auf lebensnotwendige Waren erhöht werden müssen (statt diese zu beschneiden). Mursi und die MB stehen auf der Seite der großen Unternehmen und sogar als es um Gaza ging bestand ihre Rolle darin, mit Israel in Verhandlungen zu treten. Für die Bevölkerung ist das ein wichtiger Punkt und es herrscht das Gefühl, als wolle die Bruderschaft „den Sinai an die Palästinenser“ verkaufen – als alternativen Wohnraum. Bei dieser Idee vom „alternativen Wohnraum“ handelt es sich um einen alten Ansatz des israelischen Staates.

Am Schwarzen Donnerstag wurde das Gesetz über die Gewerkschaften (Nr. 35 aus dem Jahre 1976) durch eine Rechtsverordnung des Präsidenten (Nr. 97 aus dem Jahr 2012) abgeändert. Es war sehr überraschend, als dieser Akt am 24. November plötzlich und unvermittelt in der Ausgabe Nr. 47 des öffentlichen Amtsblatts verkündet und veröffentlicht wurde. Die Männer der neuen herrschenden Partei, der Muslimbruderschaft, hatten somit einen schweren Angriff durchgeführt und den ArbeiterInnen und anderen sozialen Gruppen das Recht abgesprochen, ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen und sich in die Debatte einzubringen. Auch wurde damit ihre Rolle eingeschränkt, an Verhandlungen teilzunehmen und Rechte einzufordern. Die herrschende Partei befindet sich damit allerdings in absoluter Übereinstimmung mit dem offiziell anerkannten Gewerkschaftsbund, der von den Konzernen geführt wird. Es handelt sich hierbei um eine Einrichtung des Staates und ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Hegemonie über die Arbeiterbewegung. Damit soll die unabhängige Bewegung unterdrückt und verdrängt werden. Sie sind darauf aus, den alten Gewerkschaftsbund aufrecht zu erhalten und den freien Gewerkschaften gegenüber feindlich eingestellt. Letztere werden genauso behandelt wie es vor Mubaraks Sturz mit Mitgliedern der offiziellen Gewerkschaftsorganisationen gemacht wurde. Das ist das Gegenteil einer pluralistischen Gesellschaft und bedeutet die Abschaffung des Arbeitnehmerrechts, Gewerkschaften gründen zu können. Damit sollen die ArbeiterInnen gezwungen werden, sich ausschließlich in einer einzigen Gewerkschaft zu organisieren. Gewerkschaftliche Vielfalt wird abgelehnt und gleichzeitig wird behauptet, man sei „darauf aus, für die Einheit der Gewerkschaftsbewegung zu sorgen und besorgt, diese könnte geschwächt werden“!

Zu dieser Abänderung des Gesetztes Nr. 97 aus dem Jahr 1976, die am Schwarzen Donnerstag verkündet wurde, gehörte auch, dass alle Mitglieder des Geschäftsführenden Vorstands des Gewerkschaftsbunds, die bereits im rentenfähigen Alter sind, durch Nachrücker ersetzt werden. Dabei sollte die Stimmenzahl der ausschlaggebende Punkt sein und orientieren wollte man sich an den Ergebnissen der letzten Wahlen. Sollten dazu keine Zahlen vorliegen, dann würden die neuen Mitglieder vom Arbeitsminister ernannt.

Die MB ignoriert einfach die neuen Arbeiter-Organisationen, die nach der Revolution als „unabhängige Gewerkschaften“ gegründet worden sind. Stattdessen kommt man nun mit diesen Gesetzesänderungen, die es der MB erlauben, die Vereinigung der Gewerkschaften in Ägypten (den offiziellen Gewerkschaftsbund also) und deren Eigentum zu kontrollieren, das auf mehrere Millionen ägyptischer Pfund geschätzt wird und den ArbeiterInnen zur Verfügung stehen sollte. Wenn also behauptet wird, man wolle die Überbleibsel des alten Regimes loswerden, dann sorgt diese Gesetzesänderung nur dafür diejenigen loszuwerden, die älter sind als sechzig. Das gehörte seit Jahren schon zu unseren Forderungen, doch unsere Forderung beinhaltete auch, dass man die Geschassten strafrechtlich verfolgt und sich nicht nur ihrer entledigt. Die MB sagt, sie wolle die korrupten Führer loswerden und tue dies, indem sie alle über 60-Jährigen aussortiere. Sie machen aber nicht den Anschein auch daran zu denken, die unter 60-jährigen korrupten Führungspersonen belangen zu müssen! Die Gesetzesänderungen erlauben es dem „Minister für Arbeitskräfte“ auch, die Mitglieder der gewerkschaftlichen Gliederungen zu ernennen und somit die Kontrolle und Macht über den Gewerkschaftsbund zu behalten. Die alten Führungsfiguren, die im Sinne Mubaraks handelten, werden nun durch MB-Mitglieder ersetzt.

Was kannst du über liberale oppositionelle Kräfte erzählen und über die Führung der Arbeitgeberseite, die heute in ihrem Kampf um die Macht die Parole der „Freiheit“ ausgibt, die – wenn sie an der Macht ist – die Arbeiterbewegung aber genauso unterdrücken will, um die eigenen Profite zu verteidigen?

Auch wenn ihre unmittelbaren Interessen sich mit den Interessen des Kapitalismus decken, so sind die Liberalen doch auch Teil des Kampfes gegen die Herrschaft der MB. Was die Freiheit und demokratischen Rechte angeht, so herrscht ein Gefühl des Schreckens, weil das von der herrschenden MB unterdrückt wird. Auch Teile der Bürgerlichen hegen reale Befürchtungen.

Die Arbeiterbewegung ist immer noch stark und macht wichtige Schritte in Richtung Selbstorganisation. Aber im Moment ist sie nicht politisch organisiert. Organisierte ArbeiterInnen sind mit der Opposition gegen die MB solidarisch. Es finden in diesen Tagen tausende von laufenden Arbeiterprotesten statt, in denen die daran Beteiligten Seit an Seit mit der Bewegung für Freiheit und demokratische Rechte stehen. Ein Positivbeispiel bilden die Beschäftigten der Stahlfabrik „Koota“. Sie haben gerade erst einen erfolgreichen Kampf geführt und die Führung der Fabrik übernommen. Der Oberstaatsanwalt sah sich gezwungen, eine Erklärung abzugeben, die der Belegschaft das Recht auf Selbst-Bestimmung in der Produktionsstätte einräumt. Dieses ist ein Beispiel, das wir nutzen, um eine erfolgreiche Erfahrung an andere ArbeiterInnen weiterzugeben und damit ein Modell anbieten zu können, wie man vorgehen kann. Damit können wir KollegInnen aus anderen Fabriken ermutigen, dass auch sie sich für Selbst-Bestimmung am Arbeitsplatz einsetzen.

Wie sieht in dieser Phase das Programm der „Revolutionären Linken“ aus?

Unsere momentanen Aufgaben: die umfassende Beteiligung am Kampf zur Vertreibung des Präsidenten und zur Abwehr dieser Verfassung. Wir wollen maximale Aufmerksamkeit legen auf und uns verstärkt kümmern um: die Organisation, die Bewusstseinsbildung und die Vorbereitung der Volksmassen unter der Führung der ArbeiterInnen. Wir wollen zu mehr Unterstützung für die radikalen Forderungen kommen und in der Auseinandersetzung mit diesen Forderungen auch um Unterstützung werben. Dazu zählt auch die Forderung nach „einer gewählten Verfassunggebenden Versammlung aller Bevölkerungsschichten, das Recht der Bevölkerung, die Kontrolle über alle Bereiche zu haben, das Recht auf Selbstorganisation, das Demonstrationsrecht, das Streikrecht und das Recht, ohne Einschränkungen Protest äußern zu dürfen. Außerdem die Konfiszierung aller Gelder des alten Regimes und „Begrenzung“ des Privateigentums.

Natürlich wird der Sturz des Präsidenten nicht mehr als nur ein weiterer bedeutsamer Schritt in dieser Auseinandersetzung sein. Das ist noch nicht der Sieg der Revolution. Aber die Volksmassen sind – im Sinne einer inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung – immer noch nicht bereit, eine revolutionäre Alternative entgegen zu halten. Daher hat die herrschende Klasse immer noch die Möglichkeit, mit einer liberalen Alternative aufzuwarten, die ausreicht, um ihr Gesellschaftssystem abzusichern. Es sei denn, dies würde von den Massen unterbunden, falls sie sich an den letzten Auseinandersetzungen gegen die reformistische bürgerliche Alternative aus El Baradei, Hamdeen oder einem Bündnis beider beteiligen sollte.

Welche Schritte schlägt die RL der Gewerkschafts- und der Freiheitsbewegung vor, um zu einer einzigen Massenbewegung der ArbeiterInnen zu kommen – mit politischem Programm im Sinne der ArbeiterInnen? Und was sagt ihr zur Idee, eine eigene alternative Massenpartei aufbauen zu müssen?

Wir betonen, wie notwendig eine Arbeiter-Alternative und eine Arbeiterpartei ist, indem wir auf mehrere Elemente hinweisen. Dazu zählt auch, dass wir auf die Konzerne aufmerksam machen, die privatisiert worden sind. Wir sagen, dass es nötig ist, dass die ArbeiterInnen selbst die Geschäftsführung über die Betriebe übernehmen müssen. Und auf diese Weise ziehen wir auch die Verbindung zur Krise des Systems und der Tatsache, dass dieses System nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen und dass deshalb eine Alternative der ArbeiterInnen selbst und Sozialismus nötig ist.

Welche Strategie hat die RL der Arbeiterbewegung anzubieten, um sich politisch zu organisieren und den reaktionären Kräften die Macht aus der Hand zu reißen?

Wir befinden uns in einer revolutionären Phase und die Linke muss die ArbeiterInnen aufrufen, die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen – ohne dabei zu irgendeiner Phase im Klassen-Konflikt Illusionen zu schüren. Es ist nämlich so, dass die unterschiedlichen kapitalistischen Regime kommen und gehen und sich immer wieder anders geben. Sie haben aber immer nur ein einziges Ziel: die Arbeiterklasse nieder zu halten.

Der Gewerkschaftsbewegung sind schon mehrfach Knüppel zwischen die Beine geworfen worden, nachdem die Regierung der MB Angriffe auf die Führungspersonen der unabhängigen Gewerkschaften gefahren hat. Das hat die Gewerkschaften geschwächt, weil sie einige ihrer wichtigsten VertreterInnen verloren hat.

Weiterhin gilt: Die Aufgabe, die Massen zu organisieren, deren Bewusstsein zu heben und den Bereitschaftsgrad zu erhöhen, ist eine nötige Voraussetzung für einen entscheidenden Erfolg über das gesamte bestehende System. Dies ist eine Aufgabe, mit der sich nur die radikalsten Kräfte beschäftigen werden. Die Nationalisten oder Liberalen würden sich derlei Aufgaben nicht ins Stammbuch schreiben, sondern ein solches Programm vielmehr mit Furcht und Argwohn betrachten. Sie wollen die wütenden Massen nur dazu nutzen, sich selbst in die Schaltzentralen der Macht zu hieven. Dass die organisierten Massen selbst die Macht übernehmen, ist nicht in ihrem Sinne.

Wir heben hervor, dass es einen Plan bzw. ein Projekt der ArbeiterInnen geben muss. Dabei geht es um den Kampf in Richtung einer Arbeiterpartei. Wir sprechen über die Arbeitskräfte, den Produktionsprozess und den Kampf gegen das kapitalistische System. Innerhalb der Opposition stehen wir für ein Programm der ArbeiterInnen. Dort gibt es weitere linke VertreterInnen, die eine führende Rolle spielen und unseren Vorstellungen sehr nahe sind. Mit ihnen bauen wir gerade eine sozialistische Front auf.