2012/2013: Bewegte Zeiten

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Rückblick und Ausblick zum Jahreswechsel

 

Von einem ruhigen Jahresende konnte keine Rede sein. Die Krise macht keine Pause und das nächste Krisenjahr wirft seine Schatten voraus. Egal, wo man hinschaut: überall findet man Anzeichen für den verrotteten und menschenfeindlichen Charakter dieses auf Profitmaximierung und Minderheitenmacht basierenden kapitalistischen Systems.

 Von Sascha Stanicic

 Das Jahr 2012 endete mit dem Tod einer indischen Studentin, die Opfer eine Gruppenvergewaltigung wurde. Die Stellung der Frau sagt über den Charakter einer Gesellschaft mehr aus, als alles andere. Doch nicht nur für Indien ist das ein vernichtendes Urteil. Auch für Irland, wo im Herbst 2012 eine junge Frau sterben musste, weil ihr aufgrund der herrschenden katholischen Bigotterie eine Abtreibung verweigert wurde. Und auch für jedes andere Land der Welt, in dem Frauen weiterhin benachteiligt sind, niedrigere Löhne erhalten und Opfer sexueller Gewalt werden. Das schließt die Bundesrepublik ein. Der Kapitalismus ist ein frauenfeindliches System – gegen das in Indien und Irland Frauen (und Männer) in Massendemonstrationen aufbegehren.

 Das Jahr 2012 endete mit einer Bombe auf eine Schlange vor einer Bäckerei in der syrischen Stadt Hafaja . Das Assad-Regime geht weiter mit rücksichtsloser Brutalität gegen das „eigene Volk“ vor, während die Führung der syrischen Opposition immer mehr in die Rolle des Stellvertreters imperialer und reaktionärer Mächte gedrängt wird. Die Arabische Revolution ist 2012 durch eine komplizierte Phase gegangen, in der die Kräfte der Konterrevolution ihr Haupt erhoben. Die Stärkung islamistischer Kräfte in Ägypten und Tunesien – manifestiert durch die Annahme der islamistisch geprägten Verfassung in Ägypten – führte jedoch zu einer massenhaften Reaktion von ArbeiterInnen und Jugendlichen, die den Kampf für ihre sozialen und demokratischen Rechte fortsetzen und die Arabische Revolution 2.0 eingeleitet haben. Auf dieser Basis kann eine unabhängige und sozialistische Arbeiterbewegung aufgebaut werden, die die sozialen und demokratischen Ambitionen der Massen dauerhaft erkämpfen und die Revolution zu einem Sieg führen kann.

 Das Jahr 2012 endete mit der Ankündigung des gerade (wieder) gewählten japanischen Regierungschefs Abe, den Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig zu machen und nicht nur abgeschaltete Reaktoren wieder ans Netz zu nehmen, sondern auch neue Atommeiler zu Ende zu bauen. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen schreitet weiter voran, nicht nur in Japan. Profitlogik und Umweltschutz sind ungefähr so gut vereinbar wie der Versuch ein Bad zu nehmen ohne nass zu werden ….

 Das Jahr 2012 war aber vor allem ein Jahr der Massenbewegungen und der Kämpfe. Das Jahr des ersten europaweiten Streiktags am 14. November, das Jahr des Boykotts der Haushaltssteuer von fünfzig Prozent der Betroffenen in Irland, das Jahr der größten Mobilisierungen in Südeuropa seit Jahrzehnten, das Jahr von Generalstreiks in Griechenland, Spanien, Portugal, Indien, Nigeria und das Jahr des großen Bergarbeiterstreiks in Südafrika, der einen Wendepunkt für die Arbeiterbewegung des 

Landes bedeutete. Streikkomitees der Bergarbeiter haben zusammen mit der Schwesterorganisation der SAV, der Democratic Socialist Movement (DSM), für 2013 die Gründung einer neuen linken Partei angekündigt. Diese „Workers‘ and Socialist Party“ soll den vielen Kämpfen der südafrikanischen Arbeiterklasse und Jugend eine gemeinsame politische Stimme verleihen. Sie wird die politische Landschaft nachhaltig verändern und den revolutionären Sozialismus, der im Kampf gegen die Apartheid breite Unterstützung hatte, wieder auf die politische Agenda setzen.

 Europa

 In Europa endete das Jahr 2012 mit beunruhigenden Nachrichten aus Zypern. Die kleine Insel diente in den letzten Jahren vor allem dem russischen Mafiakapital als Geldwaschanlage und droht nun unter einer Bankenkrise zusammenzubrechen. Der Kapitalbedarf übersteigt – gemessen an der Wirtschaftsleistung des Landes – alles, was Europa in den letzten Jahren gesehen hat. Ohne einen Schuldenschnitt sehen viele bürgerliche Kommentatoren keinen Ausweg – was wiederum die Bundesregierung und die EU-Regenten verhindern wollen, denn dann war der griechische Schuldenschnitt keine Ausnahme, sondern wird eine solche Maßnahme zur Regel mit unabsehbaren Folgen.

 Zypern ist ein gutes Beispiel für die von SozialistInnen aufgestellte These, dass die europäische Krise ihre Ursache nicht in einer „falschen“ Politik hat, sondern im kapitalistischen System selbst begründet liegt. Immerhin hat Zypern mit Christofias einen „kommunistischen“ Präsidenten. Doch ohne Bruch mit dem Kapitalismus, der Macht der Privateigentümer und der Konkurrenzlogik gibt es eben kein Entkommen aus der Krise.

 Diese Krise frisst sich weiter durch die Welt und hinterlässt Not und Elend. Am schlimmsten getroffen wurde in Europa die griechische Bevölkerung, die in den letzten Jahren eine Zerschlagung ihres Lebensstandards in unvorstellbaren Ausmaßen erleiden musste. Die griechische Gesellschaft steckt in einer Depression – nicht nur die Wirtschaft. Die Arbeiterklasse hat sich wieder und wieder gegen die Angriffe der Troika (EU, EZB und IWF) und der griechischen Kapitalistenregierung erhoben. Sie konnte aber nicht erfolgreich sein, weil sie an ihrer Spitze keine entschlossene und weitsichtige politische Kraft hat, die einen wirklichen Ausweg aus der Krise anbieten könnte. Der Aufstieg von Syriza von einer marginalen Kraft zur stärksten politischen Partei in den Meinungsumfragen zeigt, welche Möglichkeiten die Linke in Zeiten solcher gesellschaftlicher Verwerfungen hat. Die Syriza-Führung lässt aber auch eine klare Strategie und ein sozialistisches Programm zur Lösung der Krise vermissen, was wiederum den Faschisten der „Goldenen Morgendämmerung“ mehr Raum bietet ihre Basis auszuweiten und in Manier der SA MigrantInnen, Linke und GewerkschafterInnen zu terrorisieren. Die griechische Schwesterorganisation der SAV, Xekinima, baut mit anderen linken Kräften gemeinsam antifaschistische Komitees auf, die sich dem Aufstieg der Faschisten entgegen stellen. Das ist ein wichtiger Teil des Aufbaus einer breiten und organisierten Massenbewegung zur Durchsetzung der Interessen der griechischen Arbeiterklasse. Für Griechenland kann das Jahr 2013 zum Schicksalsjahr werden. Man sollte nicht darauf wetten, dass das Land in zwölf Monaten noch Teil des Euro ist. Vieles spricht dafür, dass die gegenwärtige Regierung nicht durchhalten wird und dann die Stunde von 

Alexis Tsipras und Syriza kommen wird. Um in Syriza für ein klares sozialistisches Programm zu kämpfen, damit diese Gelegenheit nicht zur Niederlage führt, hat Xekinima gemeinsam mit anderen sozialistischen Kräften die „Initiative der Eintausend“ ins Leben gerufen, die Vorschläge für ein sozialistisches Programm zur Lösung der Krise und für eine auf einem solchen Programm basierende Syriza-geführte Regierung vorgelegt hat und jetzt schon wichtige Debatten in der griechischen Linken ausgelöst hat.

 Deutschland

 In der Bundesrepublik erinnerte Vizekanzler Philip Rösler zum Jahresende daran, welchen Kurs das Kapital gerne einschlagen würde und forderte den Verkauf (sprich: Privatisierung) der verbliebenen staatlichen Beteiligungen an Telekom, Bahn und Post, sowie eine weitere Verschlechterung von Arbeitnehmerrechten im Bereich befristeter Arbeitsverhältnisse. Röslers Forderungen sind mehr als der Versuch einer Partei im Niedergang, Schlagzeilen zu machen und sich der eigenen Klientel in Erinnerung zu rufen. Sie sind eine Warnung für die Zukunft, wie auch das Papier aus Schäubles Finanzministerium, in dem nach Medienangaben ein Sparpaket und eine weitere Erhöhung des Renteneinstiegsalters für die Zeit nach den Bundestagswahlen geplant werden. Schon jetzt ist Deutschland zwar das Land, das (vorübergehend) nicht in den Krisenstrudel geraten ist, in dem aber die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird und das zur Republik der arbeitenden Armen wird. Hinzu kommt, dass die Wirtschaft in den Abschwung geraten ist und Kurzarbeit und Arbeitsplatzabbau wieder zunehmen – in der Autoindustrie, bei Siemens, Bombardier, bei Werften und in der Solarindustrie. 350.000 Arbeitsplätze gingen 2012 durch Firmenpleiten verloren – 46,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Dass eine solche Entwicklung eine Rezeptur für soziale Konflikte ist, scheinen die Kirchenoberen zu spüren, denn sie beklagten in ihren Weihnachtsbotschaften diese Entwicklung und warnten vor der Gefahr einer „Spaltung der Gesellschaft“. Diese Spaltung existiert aber ohnehin – in oben und unten, Kapitalistenklasse und Klasse der Lohnabhängigen. Sie wird nur immer schärfer.

Den Klassenkampf von oben mussten auch die Opelanerinnen und Opelaner in Bochum wieder einmal spüren. Sie erhielten als verfrühtes Weihnachtsgeschenk den Beschluss zum Ende der Autoproduktion in ihrem Werk im Jahr 2016. Man kann nur hoffen, dass die Wut der KollegInnen im neuen Jahr in Widerstand umschlägt und dass sie sich beim Kampf um ihre Arbeitsplätze nicht von einer zögerlichen Gewerkschaftsführung zurück halten lassen. Gerade das Ruhrgebiet hat eine reiche Tradition spontaner Arbeitskämpfe – ob der Kampf um das Krupp-Stahlwerk in Rheinhausen im Jahr 1987 oder der sechstägige „wilde“ Streik bei Opel Bochum im Jahr 2004. An diesen Traditionen gilt es anzuknüpfen.

2012 gab es auch in der Bundesrepublik Proteste und Widerstand. Die Blockupy-Aktionstage waren ein Protest-Höhepunkt – nicht zuletzt weil die Stadt Frankfurt/Main sie zu einem (Negativ-)Höhepunkt der Einschränkung demokratischer Rechte nutzte. Was wiederum zu einem Bumerang für die Stadtoberen wurde und nur mehr Menschen auf die Straßen der Bankenmetropole mobilisierte. 2013 wird es eine Neuauflage von Blockupy geben. Die SAV wird mit vielen anderen Gruppen zusammen einen Beitrag dazu leisten, dass auch in diesem Jahr Zehntausende gegen die Macht der Banken und Konzerne demonstrieren werden. Auch das Bündnis UmFairteilen hat die Demonstrationen vom 29. September 2012, als bundesweit circa 40.000 auf der Straße, nur als Beginn ihrer Kampagne für eine Reichensteuer betrachtet. Im Vorfeld der Bundestagswahlen plant das Bündnis wieder Demonstrationen. Die Monate bis dahin sollten genutzt werden, um in dem Bündnis Positionen und Forderungen durchzusetzen, die es SPD und Grünen nicht möglich macht, die Proteste für ihren Wahlkampf zu missbrauchen.

2013 wird das Jahr der Bundestagswahl. Und wenn es 2012 eine positive Entwicklung gegeben hat, dann die Erholung der Partei DIE LINKE in den Meinungsumfragen nach ihrem Göttinger Parteitag im Juni. Die Fünf-Prozent-Hürde ist wieder weiter entfernt, aber die Partei kann wieder „von oben“ darauf herab blicken. Das sollte nicht zum Anlass genommen werden, sich zurückzulehnen. Nichts ist sicher und bis zum September wird noch viel geschehen. Vor allem aber darf das Ziel nicht der Wiedereinzug ins Parlament, sondern ein Stimmenergebnis möglichst nah an den 11,9 Prozent der letzten Wahlen und vor allem der Aufbau der Partei als antikapitalistischer Gegenkraft zum bürgerlichen Einheitsbrei sein. Bernd Riexinger und Katja Kipping ist es gelungen, die innerparteilichen Auseinandersetzungen in den Hintergrund zu drängen. Aber der Versuch, es allen Recht zu machen (indem Bernd Riexinger zum Beispiel sowohl die Parteilinke durch seine Beteiligung an Anti-Merkel-Demonstrationen in Athen und Forderungen nach kämpferischer Gewerkschaftspolitik, als auch die Parteirechte durch ein unkritisches und sogar wohlwollendes Kommentieren der SPD/LINKE-Koalition in Brandenburg „bedient), kann für die Partei keine Strategie bedeuten, dazu sind die politischen Differenzen zwischen den Flügeln zu groß. AntikapitalistInnen und Parteilinke müssen sich für einen kämpferischen und bewegungsorientierten Wahlkampf einsetzen, den DIE LINKE als eigenständige Kraft führen muss und der keine Anbiederungen an SPD und Grüne enthalten darf. Alles Flirten mit einer möglichen Regierungsbeteiligung nach den Wahlen muss beendet werden. Mit Steinbrück, Gabriel, Trittin und Göring-Eckardt, mit den prokapitalistischen Parteien SPD und Grünen ist eine linke Politik unmöglich!

Revolution und Konterrevolution

 Die Weltwirtschaftskrise, die 2007/08 begann entwickelt sich zu einem langanhaltenden Niedergang des kapitalistischen Systems. 2012 sah auch das Einsetzen eines globalen Wirtschaftsabschwungs. 

Die so genannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) sind davon besonders getroffen, was wiederum Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft hat. Die USA stehen zum Jahreswechsel vor der „Fiskalklippe“ und der formellen Zahlungsunfähigkeit. Auch in Deutschland lässt die Wirtschaftsleistung nach und gibt es eine Zunahme von Arbeitsplatzabbau und Kurzarbeit. 2013 wird durch mehr soziale Konflikte weltweit gekennzeichnet sein. Die Epoche von Revolution und Konterrevolution wird sich fortsetzen. Massenbewegungen werden auch das nächste Jahr prägen Diese werden zusammen mit den Erfahrungen mit der Krise des Kapitalismus und den Aktivitäten von SozialistInnen die Basis für eine Renaissance von sozialistischem Bewusstsein in der Arbeiterklasse und der Jugend bieten.

 

Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV und verantwortlicher Redakteur von sozialismus.info.