Stuttgart 21: Kostendeckel gerissen!

Widerstand gegen Stuttgart 21 bleibt notwendig

Nicht einmal zwei Jahre nach der Schlichtungsfarce und ein Jahr nach der darauf begründeten Volksabstimmung musste die Bahn am 22. Oktober mitteilen, was die Spatzen von den Dächern posaunten: Für 4,526 Milliarden Euro ist kein „bestgeplantes Projekt“, geschweige denn ein funktionierender Tiefbahnhof zu haben.

von Alexander Brandner, Stuttgart-Bad Cannstatt

Mit der neuen Variante des S21-Flughafenhalts und den erforderlichen Nachbesserungen beim Brandschutz ist der sogenannte Kostendeckel für das Projekt offiziell gerissen. Abgesehen von mehreren Zugentgleisungen musste die Bahn als Bauherrin eingestehen (bevor ihr die Schweizer Gutachter der Gruner AG zuvor gekommen wären), dass ihr Brandschutzkonzept, welches schon vor Schlichtung und Volksabstimmung bestand, so schlecht ist, dass man schlicht von Murks, Pfusch und fahrlässiger Gefährdung der Gesundheit zu Gunsten der Profite reden muss.

Doch die Bahn wäre nicht die Bahn, würde sie den Orwell’schen „Neusprech“ nicht perfekt beherrschen und jedem Baumarkt-Praktiker („geht nicht gibt’s nicht, denn was nicht passt, wird passend gemacht“) aus der Seele sprechen. Diese Begründung ist so hilflos wie zynisch, dass man sie nicht oft genug zitieren kann: „Die Expertise der Gutachter sei nur so schlecht ausgefallen, weil sie auf der Verordnung für Versammlungsstätten basiere, die aber für deutsche Bahnhöfe nicht gelte“ (stz-online vom 23. Oktober).

Würden Wahlen etwas ändern …

Am 21. Oktober wurde dem marktradikalen Sebastian Turner, Mitinitiator der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, trotz massivem Werbe- und Kapitalaufwand, sowie Unterstützung von CDU, FDP und Freien Wählern, der OB-Sessel verwehrt. Der (von der LINKEN unterstützte) S21-Gegner und Stadtrat des kommunalen Bündnisses SÖS Hannes Rockenbauch konnte übrigens mit 10,4 Prozent im ersten Wahlgang einen Achtungserfolg erzielen.

Der wortradikale Grünen-Politiker Fritz Kuhn erhielt im zweiten Wahlgang 52,7 Prozent. Das sind wegen der niedrigen Wahlbeteiligung nur knapp ein Viertel der Wahlberechtigten. Viele Kuhn-WählerInnen erhoffen sich nun, eine stärkere Macht am Verhandlungstisch zu haben. Auf dem Papier trifft das auch zu. Im Stuttgart-21-Lenkungskreis sitzen der Bahn nun eine grün-rote Landesregierung, ein grün dominierter Gemeinderat und ein grüner OB gegenüber. Aber von Kuhn ist genauso wenig wie vom Ministerpräsidenten Kretschmann ein Stopp des Milliardenprojektes zu erwarten. Vielmehr wird sich Kuhn nahtlos in die Phalanx der kritischen Begleiter von S21 einreihen.

Die Stuttgarter Öko-Salami-Taktik

So können nun weiter munter Fakten geschaffen werden. Das Eisenbahnbundesamt erklärte die 5. Planänderung (3,2 Milliarden Liter Grundwasserentnahme) zum Grundwassermanagement für rechtens, so dass ab Mitte November die seit einem Jahr ruhende Baustelle weitergeführt werden kann. Und wird erst einmal gebaut, so wird es für die Oberen egal sein, ob die 7. Planänderung (6,8 Milliarden Liter) dann rechtens ist oder nicht. Auch die über 11.000 Einwendungen von Stuttgarter BürgerInnen werden dann obsolet sein. Die Stadt jedoch verspricht, ein „Frühwarnsystem“ zum Schutz der Bäume und Hänge zu etablieren – man fragt sich, wofür?

Weiter widersetzen

Am 22. Oktober taten viele StuttgarterInnen genau das Richtige. Zur Montagsdemonstration waren mit 4.500 Menschen weit mehr als sonst erschienen. Nicht nur um die Wahlniederlage von Turner zu feiern, sondern auch um erstmals lautstark einen Baustopp zu fordern. Spät, aber nicht zu spät setzt sich die Erkenntnis durch, dass mit „Vernunft und Klageweg“ sich noch jedes Recht beugen lässt. Gegen die enormen Kapitalinteressen auf Kosten der Öffentlichkeit hilft nur aktiver Widerstand und Durchhaltevermögen. Die neuen Katastrophenmeldungen sollten Anlass geben, den Protest verstärkt in die Stadtteile und ins Umland zu tragen, um den Kreis der S21-GegnerInnen wieder zu erweitern.