Was folgt auf Umfairteilen?

SPD und Grüne haben den Protest am 29.09. nicht gestärkt

Am 29. September gingen 40.000 Menschen in 40 Städten für eine höhere Besteuerung der Reichen auf die Straße. Die Erwartungen der InitiatorInnen wurden damit erfüllt. Jedoch stellten die Mobilisierungen keine Steigerung gegenüber den Blockupy-Protesten im letzten Mai dar.

von Michael Koschitzki, Berlin

Die größte Demonstration fand in Hamburg mit 7.000 TeilnehmerInnen statt. 5.000 protestierten in Berlin. Wenn man bedenkt, dass im Mai 30.000 Menschen gegen die Politik der Troika aus EU, IWF und EZB in Frankfurt am Main demonstrierten, stellt ‚Umfairteilen‘ keine Steigerung da. Auch wenn die Veranstalter die Kürzungspolitik in Europa nicht zum Thema der Proteste am 29. September machten, stand der Aktionstag im Zusammenhang mit den Kürzungen in Europa und den Protesten dagegen. Deshalb muss sich der Aktionstag ‚Umfairteilen‘ auch an der Mobilisierung von ‚Blockupy Frankfurt‘ messen lassen.

Wäre mehr drin gewesen?

Die 300 beteiligten Organisationen wären in der Lage gewesen, mehr Menschen auf die Straße zu bringen. Gerade ver.di hätte mit über zwei Millionen Mitgliedern und ihrem Apparat eine qualitativ andere Mobilisierung durchführen können. In vielen Orten war die Mobilisierung nicht ausreichend mit Plakaten und Flugblättern sichtbar. Außerdem zeigte sich, dass Organisationen, wie attac, campact und die Sozialverbände nur wenig mobilisierungsfähig sind.

DIE LINKE war auf allen Demonstrationen gut sichtbar vertreten. Sie hatte im Vorfeld eigene Plakate und Flugblätter herausgegeben, ihre Mitglieder mobilisiert und auch im Sommer in mehreren Orten Mobilisierungsaktionen unterstützt. Sie spielte eine wichtige Rolle, die Proteste voranzutreiben und zu stärken. Gemessen an ihrer Mitgliedschaft und ihren UnterstützerInnen blieb die Mobilisierung in vielen Landesverbänden jedoch unter den Möglichkeiten und hatte nicht genug Stellenwert in der Arbeit der Führung der Partei.

Eine bessere Mobilisierung der beteiligten Organisationen hätte viel mehr Menschen auf die Straße bringen können. Dennoch ist die Lage in Deutschland noch nicht mit der Situation in Portugal, Griechenland oder Spanien zu vergleichen. Diese Länder wurden von der Wirtschaftskrise in einem anderen Ausmaß erfasst und die Angriffe der Regierungen haben zu Massenprotesten geführt. In Deutschland hat die Krise noch nicht durchgeschlagen und es hat noch keine breiten Angriffe auf den Lebensstandard der Lohnabhängigen gegeben (auch wenn die Ausweitung des Niedriglohnsektors und der jahrelange Reallohnverlust Grund genug für Proteste sind). Merkel schlägt einen nationalistischen Ton in Europa an und es gibt in Teilen der Arbeiterklasse die Illusion, dass diese Politik ihr nützen würde. Angesichts dieser Situation, können Demonstrationen wie ‚Umfairteilen‘ zur Zeit nur eine politisch fortgeschrittenere Schicht der Bevölkerung erreichen. Um wirkliche Massenmobilisierungen zu erreichen, ist es die Aufgabe von Gewerkschaften, LINKE und sozialen Bewegungen, Aufklärungskampagnen in Betrieben und Stadtteilen durchzuführen und sich auf die kommenden Angriffe vorzubereiten. Dafür braucht es klare Forderungen und ein klares Programm.

Der Umgang mit SPD und Grünen

Die Forderungen des Bündnis ‚Umfairteilen‘ haben keine Höhe der Vermögenssteuer benannt und keine Aussage zur Kürzungspolitik in Europa getroffen. Damit sollten die Proteste anschlussfähig für SPD und Grüne gemacht werden. Das hatte jedoch auch Auswirkungen auf die Ausstrahlung der Proteste. Die taz zitierte einen Demonstrationsteilnehmer in Berlin, der sagte: „Das war heute ein netter Spaziergang, mehr nicht. Die Proteste sind zahnlos – und dann laufen hier auch noch Parteien mit, die die Misere mit zu verantworten haben!“

Die SPD versuchte sich pressewirksam zu profilieren: Steinmeier unterzeichnete am Tag der ersten Pressekonferenz des Bündnisses den Aufruf, die Bundes-SPD zwei Tage vor dem Aktionstag. Das führte jedoch nicht zu einer Stärkung der Proteste – auch nicht zahlenmäßig. Viele wissen, dass die SPD und Grünen die letzte Senkung des Spitzensteuersatzes unter Rot-Grün zu verantworten haben. Agenda 2010, Hartz IV und die Rente mit 67 werden ihnen zurecht nicht vergeben. Warum sollten die Genossen der Bosse eine Hilfe sein gegen die Reichen zu protestieren? Das schürte Zweifel, ob das Bündnis eine sinnvolle Strategie hat, die Besteuerung der Reichen umzusetzen.

Die taz kommentierte sie folgendermaßen: „Bis zum nächsten Herbst wollen sie SPD und Grüne vor sich hertreiben, auf dass diese am Ende nicht anders können, als ihre Linksrhetorik auch wirklich in einem möglichen Koalitionsvertrag festzuschreiben.“ Diese Strategie wird nicht aufgehen. Stattdessen werden Illusionen in SPD und Grüne geschürt, anstatt sich darauf vorzubereiten den Widerstand auch gegen eine mögliche rot-grüne Regierung fortzusetzen.

Das Bündnis hätte sich stärker gegen den Sozialabbau, den SPD und Grüne mit zu verantworten haben, abgrenzen müssen. Statt mit den Parteien des Großkapitals SPD und Grüne gegen andere Parteien des Großkapitals gemeinsam demonstrieren zu wollen, wären klare Forderungen, eine Kritik am Fiskalpakt und Solidarität mit den Protesten gegen die Kürzungen in Südeuropa ein deutliches Signal der Solidarität in Europa gewesen. SPD- und Grüne-Mitglieder, die diese Forderungen unterstützen, wären auf den Demonstrationen willkommen gewesen – ohne dass das Bündnis hätte Rücksicht nehmen müssen auf die Steinbrücks und Roths dieser Parteien.

Eine Besteuerung der Reichen kann nur durch Druck von der Straße gegen die Parteien der Banken und Konzerne durchgesetzt werden. Deshalb ist es auch wichtig, dass DIE LINKE diese Bewegungen stärkt, statt auf Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen zu orientieren.

Europaweit gemeinsam kämpfen

Bei Umfairteilen wurde sich in vielen Städten mit den riesigen Massendemonstrationen solidarisiert, die zeitgleich in Portugal und Spanien stattfanden. Die Massenproteste und Bewegungen in Südeuropa setzen die Frage von gemeinsamen europäischen Widerstand auf die Tagesordnung. Das Treffen des EGB am 17. Oktober in Spanien bietet eine große Chance. Die beiden großen spanischen Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT haben die Idee von koordinierten Streikaktionen in Südeuropa am 14. November, zumindest eines Generalstreiks in Spanien und Portugal, in die Diskussion gebracht.

Dabei muss natürlich der jeweilige Rhythmus der Kämpfe in den einzelnen Ländern berücksichtigt werden und den Widerstand in den Ländern ergänzen statt von dringenden Aufgaben abzulenken. Ein europaweiter Aktionstag, an dem in den sogenannten Bail-Out-Ländern – den Ländern unter dem europäischen ‚Rettungsschirm‘ – gleichzeitig ein 24-stündiger Generalstreik stattfindet und an dem in Deutschland und anderen europäischen Ländern Demonstrationen und Kundgebungen durchgeführt werden, wäre ein entscheidender Schritt, internationale Kampfaktionen der ArbeiterInnen herbeizuführen, wie sie bisher noch nicht stattgefunden haben.

Zudem sollten Gewerkschaften und Linksparteien eine internationale Mobilisierung nach Brüssel durchführen: Ein europaweiter Protestmarsch (wie die Euro-Märsche gegen Erwerbslosigkeit in den neunziger Jahren), ein ‚Marsch auf Brüssel‘ anlässlich eines EU-Gipfels verbunden mit einer zentralen Demonstration könnte einen wichtigen Beitrag zur internationalen Vernetzung leisten.

Widerstand fortsetzen

Der Widerstand in Deutschland hinkt den Protesten in anderen Ländern noch hinterher. Doch auch hier gibt es Kürzungen in Kommunen und auf Landesebene. In Hamburg werden beispielsweise 3,5 Millionen Euro bei der offenen Kinder- und Jugendhilfe gespart. Dagegen gibt es Proteste, die gestärkt und aufgegriffen werden sollten. Auch beim Thema Wohnen führen die Mietsteigerungen und Wohnungsknappheit in Innenstadtgebieten zu großem Unmut. Der Abschwung in der Weltwirtschaft wird die exportabhängige Wirtschaft hier empfindlich treffen. Erste Unternehmen setzen schon wieder auf Kurzarbeit. Das wird zu Massenentlassungen und Einsparungen führen, wobei nicht klar ist, ob die Herrschenden das auf die Zeit nach der Bundestagswahl verzögern können.

LINKE, Gewerkschaften und soziale Bewegungen müssen sich sich in die Lage versetzen, darauf massenhaft und entschlossen, reagieren zu können: durch Aufklärung über die Hintergründe der Eurokrise, die Organisierung von Solidarität mit den Arbeitern und Jugendlichen Südeuropas und nächste Schritte des Protests in Deutschland. Zum einen sollte eine breite Debatte über die Euro-Krise und ihre Folgen in allen Gewerkschaften gefordert und Betriebs- und Vertrauensleute-Versammlungen, öffentliche Veranstaltungen und Aktionen vorgeschlagen werden. Die ver.di-Aktionswoche vom 5. bis zum 9. November kann dafür ein Anfang sein.

DIE LINKE kann einen Beitrag dazu leisten, wenn sie ernsthaft mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen eine Kampagne für eine Millionärssteuer und gegen die Kürzungspolitik von Troika und Bundesregierung organisiert. In Wahljahren haben die Herrschenden immer ein besonderes Interesse an gesellschaftlicher Ruhe, das kann von Gewerkschaften, Linkspartei und sozialen Bewegungen genutzt werden.

Zum anderen sollten Gewerkschaftslinke, soziale Bewegungen und AktivistInnen der LINKEN für Frühjahr oder Sommer 2013 eine bundesweite Großdemonstration vorschlagen. Eine solche Demo könnte zentrale Forderungen wie die Rücknahme der Rente mit 67 und der Hartz-Reformen, einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro oder die Einführung einer Millionärssteuer von zehn Prozent aufstellen. Dadurch könnte auch sichergestellt werden, dass die Agenda-2010-Parteien SPD und Grüne eine solche Demo nicht als Wahlkampfhilfe für sich vereinnahmen. Auch die Konferenz des Blockupy-Bündnisses im Oktober sollte diskutieren, ob sie durch einen solchen Vorschlag eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung zu konkreten Forderungen erreichen kann.