Südafrika: „Was sollen wir mit dieser Regierung machen, die auf uns schießen lässt?“

Der Kampf für eine neue Massenpartei der ArbeiterInnen mit sozialistischem Programm

Interview mit Mametlwe Sebei, „Democratic Socialist Movement“, DSM (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Südafrika)

Am 18. September, nach sechs Wochen unerbittlicher Streikaktionen und nachdem die Polizei im Namen der Bergwerksbetreiber mehr als 40 Bergleute erschossen hat, haben die Bergleute aus den Platinminen im südafrikanischen Marikana bei Rustenburg eine bedeutsame Lohnerhöhung in Höhe von 22 Prozent erreicht.

Der Streik von Marikana hat auf die ganze Bergbauindustrie übergegriffen und die Wut der Konzernherren hervorgerufen – wie auch der Regierungsminister von der Partei des „African National Congress“ (ANC).

Am 5. Oktober feuerte der Bergbaukonzern „Anglo American Platinum“ 12.000 Kumpel, die für bessere Bezahlung streikten. Sie haben aber kaum Hoffnung, diese entlassenen ArbeiterInnen ersetzen zu können.

Die Streiks und die Antwort der Regierung darauf haben in der Arbeiterklasse Südafrikas zu einem politischen Erdbeben geführt. Dabei findet die Forderung nach einer neuen Massenpartei der ArbeiterInnen immer mehr Zustimmung.

Im Folgenden veröffentlichen wir ein Interview mit Mametlwe Sebei, der Mitglied des „Democratic Socialist Movement“ (DSM), der Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Südafrika, ist. Er spielt eine führende Rolle im „Strike Coordinating Committee“ (dt.: „Streik-Koordinierungskomitee“) der Bergleute und erklärt, vor welchen politischen Aufgaben die Arbeiterbewegung im Land steht.

„Die ablehnende Haltung der eigenen traditionellen Verhandlungsführer hat es deren Rivalen von der AMCU und dem >Committee for a Workers International< (CWI), einer kommunistischen Gruppe, ermöglicht, unter den Bergleuten Mitglieder zu gewinnen und die Streiks anzuführen.“ (südafrikanische Wochenzeitung „Sunday Tribune“, 7. Oktober 2012)

Auszüge aus einem Artikel aus dem „Daily Maverick“, einem südafrikanischen Online-Nachrichtenportal, vom 4. October; von Mandy De Waal:

Die Arbeitskämpfe werden nicht nur geführt, um bessere Löhne zu bekommen, sagt Mametlwe Sebei, ein führendes Mitglied von Südafrikas „Democratic Socialist Movement“, das dabei hilft, in Rustenburg und darüber hinaus unabhängige Streikkomitees zu koordinieren.

„Wir führen eine Kampagne für eine neue Partei, dafür, dass eine Arbeiterpartei oder eine sozialistische Partei entsteht.“, sagt Sebei, der hinzufügt, dass das „Democratic Socialist Movement“ damit beauftragt wurde, eine Resolution auszuarbeiten, über die die Bergleute abstimmen sollen und die Argumente für eine neue Partei liefern soll.

Das Papier, das bisher noch nicht unter ArbeiterInnen verbreitet worden ist, wird demnach auch das Programm und die Ideologie beschreiben, die die neue sozialistische Arbeiterpartei ausmachen sollen.

„Diese Idee ist nicht bei uns im >Democratic Socialist Movement< entstanden, sondern in der Tat von der Basis ausgegangen“, sagt Sebei. „Das heißt nicht, dass wir nicht auch bewusst eine Kampagne dafür geführt hätten. Aber die Umstände und Bedingungen in Rustenburg haben das Bewusstsein sehr schnell verändert. Die ArbeiterInnen fragen: >Was sollen wir mit dieser Regierung machen, die auf uns schießen lässt?<. Der ANC hat die Arbeiterklasse noch nie repräsentiert. Und auch wenn dieses Land auf dem Blut der Bergleute aufgebaut ist, so vertritt auch COSATU [der wichtigste Gewerkschaftsbund] nicht die Arbeiterklasse. Die illegalen Streiks zeigen, dass die NUM [„National Union of Mineworkers“; Bergbaugewerkschaft und größte Einzelgewerkschaft im COSATU] bewusst im Widerspruch zu dem Mandat gehandelt hat, das ihnen von den ArbeiterInnen gegeben wurde. Und wenn sie überhaupt irgendetwas sind, dann die bewussten Agenten der Bergbau-Bosse. Die NUM ist über ihren Dachverband COSATU mit der tripartite alliance verbunden und damit den Interessen der Bergwerksbetreiber verpflichtet, die wiederum vom ANC vertreten werden.“ [tripartite alliance = politische Allianz zwischen ANC, COSATU und „Südafrikanischer Kommunistischer Partei“ (SACP); Anm. d. Übers.]

Ein typisches Beispiel dafür, meint Sebei, ist die Unterstützung, die Patrice Motsepe dem COSATU zukommen lässt. Motsepe gilt mit einem Nettovermögen von rund 22,75 Milliarden südafrikanischen Rand [rund zwei Milliarden Euro] als viertreichster Mann Südafrikas, wie „Forbes“ für März 2012 feststellt.

Motsepe hält über den Konzern „African Rainbow Minerals“ Aktien in der Platin-, Gold-, Kohle-, Eisen- und Manganbranche. Dieses Unternehmen, das ihm seine Milliarden bescherte, war einer der ersten Nutznießer des „Black Economic Empowerment“-Programms [mit dem nach Abschaffung der Apartheid dunkelhäutige Firmengründungen unterstützt wurden; Anm. d. Übers.]. Nach der Einführung der Demokratie 1994 wurden Bergbaulizenzen nur an Konzerne vergeben, die diesem Programm entsprachen.

In der Beschreibung Motsepes spricht „Forbes“ davon, dass dieser in diesem Land als „Oligarch“ bezeichnet wird. „Seit Jahren sponsort Motsepe nun schon den COSATU. Wenn man sich den Rechenschaftsbericht des Gewerkschaftsbunds vor dem anstehenden Kongress ansieht, dann geht daraus hervor, dass Motsepe der größte Geldgeber war. Das heißt, dass der COSATU in höchstem Maße manipuliert wird“, so Sebei.

„Nun ist eine Debatte darüber entbrannt, ob es an der Zeit ist, die Arbeiterbewegung neu aufzubauen“, sagt Sebei. „Es ist eine Debatte, die wir im DSM führen. Aber die Ereignisse von Rustenburg und die Maßnahmen, zu denen die ArbeiterInnen von sich aus gegriffen haben, um den Minenbetreibern und der NUM entgegen zu treten, zeigen, dass eine Bewegung entsteht, um die Arbeiterbewegung ernsthaft und von Grund auf neu aufzubauen. Die ArbeiterInnen werden die Arbeiterbewegung wieder für sich beanspruchen und wieder die Kontrolle über die Arbeiterbewegung erlangen wollen – im Interesse ihres eigenen Kampfes. Und ich denke, dass das auch eine Warnung an den COSATU und für die anderen Gewerkschaften im COSATU ist, die meinen, dass sie das von Gott gegebene Recht haben, die ArbeiterInnen zu vertreten.“

Sebei sagte, dass das „Democratic Socialist Movement“ eine Kampagne führt, damit eine neue sozialistische Arbeiterpartei entsteht. „Wir kommen dazu, eine politische Massenpartei aufzubauen, die alle ArbeiterInnen in der Bergbauindustrie mit allen Beschäftigten aller anderen Branchen vereint. Aber auch die Gemeinden und Wohnviertel, die sich im Kampf befinden, und die jungen Leute in den Hochschulen müssen einbezogen werden […] dies ist eine Idee, die in Rustenburg und darüber hinaus ihr Echo gefunden hat.“

Der Aufruf, eine politische Alternative für die Massen anzubieten, die laut Sebei auf den Ideen und dem Programm des Sozialismus aufbauen muss, soll am 13. Oktober weite Verbreitung finden. Dann nämlich werden ArbeiterInnen, AktivistInnen und junge Leute vom Kirchplatz in der Hauptstadt Pretoria zu den Gewerkschaftshäusern ziehen.

„Wir sagen, dass die gesamte Bergbauindustrie und der Rest der Wirtschaft unter die demokratische Kontrolle und Geschäftsführung der Arbeiterklasse gestellt werden müssen. Das bedeutet, dass die Bergwerke zuerst verstaatlicht werden müssen, damit die Wirtschaft geplant werden kann, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und nicht um die Profite derjenigen zu erwirtschaften, die in den letzten 18 Jahren der Demokratie auf unser aller Kosten zu den reichsten Menschen dieses Landes geworden sind“, sagt Sebei.

„Die Arbeiterklasse braucht eine politische Partei und eine Regierung, die ihre Interessen vertritt. Gebraucht wird eine Regierung, die die gesamte Ökonomie unter demokratische Kontrolle stellt, um sicherstellen zu können, dass unser Schweiß und Blut nicht für einige wenige vergossen wird und um sicherzustellen, dass das Leid, dem wir ausgesetzt sind, kein Naturrecht ist. Unser Land sitzt auf enormen Reichtümern. Es ist reich genug, um allen, die im Elend, in Armut und Arbeitslosigkeit leben, ein besseres Leben zu bieten. Bei sämtlichen bestehenden Parteien handelt es sich um Schattierungen des Kapitalismus. Es gibt aber keine Partei, die die Interessen der Arbeiterklasse vertritt.“

„Wenn man weiß, wie viele Menschen zwar wahlberechtigt sind, aber nicht zur Wahl gehen, dann liegt das nicht daran, dass sie so wenig politisch interessiert sind. Es liegt daran, dass niemand die ArbeiterInnen vertritt. Es gibt niemanden, der unsere Anliegen in die Regierung trägt“, sagt er.

Sebei sagt, dass man sich zuerst einmal an den Streiks beteiligen muss. Damit verknüpft er aber die Vorhersage, dass die neue, von den ArbeiterInnen geführte Partei wahrscheinlich im nächsten Jahr gegründet werden wird.

Erklärung des „Rustenburg Joint Strike Coordinating Committee“ vom 12. Oktober 2012

„Im ganzen Land befinden sich mehr als 100.000 Bergleute im Streik. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Forderung nach einem Mindestlohn von 12.500 südafrikanischen Rand (rund 1.157 Euro), gleiches Geld für gleiche Arbeit und ein Ende der Leiharbeit. Sie protestieren gegen den lebensgefährlichen Mangel an Sicherheitsstandards unter Tage und die unmenschlichen Lebensbedingungen in den Wohnvierteln, in denen die Bergleute und ihre Familien leben. Am Samstag, dem 13. Oktober 2012, wird das Rustenburg Joint Strike Coordinating Committee, das die Arbeitsniederlegungen in den Bergwerken der Region um Rustenburg – darunter auch die von Anglo Platinum, Samancor und Royal Bafokeng Platinum – koordiniert, in Marikana ein erstes landesweites Treffen von Streikkomitees abhalten. [Marikana ist der Ort, an dem am 16. August dieses Jahres 34 Kumpel erschossen wurden; Anm. d. Übers.]

  • Wir kommen zusammen, um gemeinsame und koordinierte Aktionen zu beschließen. Unser Kampf ist ein vereinter Kampf, und es ist höchste Zeit, dass wir zusammenkommen und dies auch sicherstellen – dass es das ist, was die KollegInnen wollen, sagt Gadaffi Mdoda, Mitglied des Rustenburg Joint Strike Coordinating Committee und Arbeiter bei Anglo Platinum
  • Dieses erste Treffen für ein landesweites Streikkomitee wird auch die Möglichkeit bieten, darüber zu diskutieren, wie es für die einzelnen Streikkomitees weitergehen kann, was nach dem Blutbad von Marikana die politischen Schlussfolgerungen für die KollegInnen und die Gemeinden der Arbeiterklasse sein müssen und welche Perspektive die anhaltende Streikwelle hat, sagt Mametlwe Sebei vom Democratic Socialist Movement, das im Koordinierungskomitee eine Schlüsselrolle spielt.
  • Die Massenentlassungen von ArbeiterInnen bei Anglo und anderen Minenbetreibern werden auch auf der Tagesordnung stehen, und auch VertreterInnen der Wohnvierteln werden vertreten sein.“

Mitglieder des DSM legen jede Woche tausende von Kilometern von und nach Rustenberg und darüber hinaus zurück, um dabei zu helfen, die Aktionen der streikenden Bergleute zu koordinieren. Das DSM ruft alle Mitglieder und SympathisantInnen des CWI auf, diese Arbeit zu unterstützen.

Spendenaufruf für die KollegInnen und GenossInnen in Südafrika  [in Englisch]