Die Mafia – Jenseits der Mythen

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Die italienische Mafia wird in nicht wenigen Filmen als Organisation „ehrenwerter Männer“ bezeichnet. Glaubt man Hollywood sind Don Corleone und Konsorten „anständige Verbrecher“ die einem strengen Ehrenkodex folgen. Dieser Artikel soll abseits von Hollywood-Romantik auf die sozioökonomische und politische Entwicklung der Mafia blicken und Erklärungsansätze liefern. Besonderes Augenmerk liegt auf die „Ursprungsregion“ der Mafia – Sizilien.

von Jan Rybak, Salzburg

Wäre die Mafia ein „normales“ Unternehmen, wäre sie das umsatzstärkste Italiens. Der jährliche Gesamterlös wird auf 100 Mrd. Euro geschätzt – das Doppelte des Jahresumsatzes des Autokonzerns Fiat (und zwar vor der Krise der Automobilindustrie). Sieben Prozent des italienischen Brutto Inlands Produktes (BIP) wird von der Mafia und ihren Unternehmen erwirtschaftet. Dabei hat sie sich schon lange von kleinen Schutzgelderpressungen und Viehdiebstahl entfernt. Waffen- und Drogenhandel, Schmuggel und Geldwäsche stehen im Zentrum der mafiösen Wirtschaft. Dazu kommen zunehmend halb- und scheinlegale Engagements im Baugewerbe, dem Gesundheitswesen, der Müllentsorgung, etc. In zahlreichen italienischen Regionen gehen große Teile öffentlicher Bauausschreibungen mehr oder weniger selbstverständlich an der Mafia nahestehende Unternehmen. Selbst an manchen italienischen Universitäten hält die Mafia, bzw. ihr nahestehende Personen, nicht zuletzt ein Nebeneffekt der Kommerzialisierung des Bildungssystems, bedeutende Positionen.

Eine kapitalistische Geschichte

Erstmals findet sich der Begriff „Mafia“ in der Dialektkomödie „I mafiusi della Vicavia“ von 1860 in deren Mittelpunkt Gefangene stehen. Darin werden die „Mafiusi“ als besonders angesehene Gefangene bezeichnet. Der Begriff hat sich gehalten. Die Entwicklung der süditalienischen und im Besonderen der sizilianischen Mafia ist eng mit dem Zusammenbruch des Feudalsystems und der Entwicklung kapitalistischer Beziehungen verbunden. Sie reflektiert die sozialen und politischen Umwälzungen in der Phase des Niedergangs des Feudalismus und der Abschaffung der Leibeigenschaft. In Sizilien waren sowohl die Bourgeoisie als auch der italienische Staat zu schwach um die ökonomische und politische Lücke zu füllen, die nach der Abschaffung des Feudalsystems entstand. Die großen LatifundienbesitzerInnen, die ehemaligen LehnsherrInnen, setzten Steuereintreiber, die sogenannten „Gabelluti“ ein. Ihnen wurde das Recht auf Steuereintreibung verpachtet. Die Gabelluti setzten alles daran um von den Klein- und Pachtbauern/Bäuerinnen möglichst viel Geld zu erpressen. Zunehmend eigneten sie sich selbst polizeiliche Macht an, über die der italienische Staat in der Provinz nicht verfügte. Aus diesen zwitterhaften Strukturen, die teils Gegen-Staatsmacht, teils kriminelle Vereinigungen waren entwickelte sich die spätere Mafia. Bereits 1838 schrieb der Staatsanwalt von Palermo, Pietro Celó Ulloa, das Volk sei „ein stillschweigendes Übereinkommen mit dem Verbrechen“ eingegangen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts organisierten sich die ökonomisch gestärkten Gabelluti zusehends. Zum Schutz „ihres“ Landes und „ihrer“ Bauern/Bäuerinnen vor marodierenden Banden wurden eigene paramilitärische Truppen aufgestellt. Die Bauern/Bäuerinnen mussten dafür „Pizzu“- Schutzgeld bezahlen.

Neben der Schutzgelderpressung traten zunehmend weitere kriminelle Aktionen ins Zentrum. Viehdiebstahl, Entführungen um Lösegeld zu erpressen und Schmuggel wurden zu bedeutenden Einnahmequellen, die es der Mafia ermöglichte, ihre ökonomische Macht weiter zu entfalten. In diese Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts fällt auch die Entwicklung der in Hollywoodfilmen so zelebrierten Moralkodizes. Sie entstanden auf der Basis einen bäuerlich geprägten, streng katholischen Gesellschaft. Allerdings wurden die Kodizes äußerst flexibel gehandhabt. So wurde etwa das Verbot mit Prostitution Geld zu verdienen nur insofern befolgt, als dass Prostitution „ausgelagert“ wurde. Das heißt nicht die Mafiafamilien selbst betrieben sie, Zuhälter und BordellbetreiberInnen waren aber von ihnen abhängig und lieferten einen guten Teil des Gewinnes ab. Allgemein ist auch festzuhalten, dass die Moralkodizes obwohl in vielen Filmen dargestellt letztlich den konkreten politischen und ökonomischen Interessen immer untergeordnet wurden, wenn es darauf ankam.

Bündnis mit der Reaktion

Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts (allerdings nur für Männer) im Jahr 1881 bedeutete eine Zäsur für die italienische Geschichte. Für die Mafia war sie Ausgangspunkt für das Eindringen in die Politik. In Süditalien fürchteten die konservativen Abgeordneten durch das allgemeine Wahlrecht den Verlust ihrer Positionen. Ein langanhaltendes Bündnis mit der Mafia wurde eingegangen. Vereinfacht lässt sich dieses auf folgende Formel reduzieren: Die Mafia sorgte für die „richtige“ Stimmabgabe, die konservativen Abgeordneten revanchierten sich indem sie im Parlament in Rom die Verabschiedung von Anti-Mafia-Gesetzen verhinderten.

Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert gewann die ArbeiterInnenbewegung massiv an Stärke. ArbeiterInnen und in den ländlichen Regionen Italiens auch zunehmend Bauern/Bäuerinnen begannen sich gegen die Macht der UnternehmerInnen und der GroßgrundbesitzerInnen zur Wehr zu setzen. Gerade in Sizilien bedeutete dies auch notwendigerweise einen Kampf gegen die Mafia. Die UnternehmerInnen und Großgrundbesitz kooperierten mit der Mafia um Streiks zu brechen und Bauern/Bäuerinnendemonstrationen zu zerschlagen. ArbeiterInnenheime wurden von HandlangerInnen der Mafia angegriffen. Bauern/Bäuerinnen rebellierten gegen die Macht der Mafia und forderten die Streichung ihrer Schulden. Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Bauern/Bäuerinnenorganisationen organisierten gezielte Streiks und Boykotte von Betrieben die von der Mafia kontrolliert wurden. Der italienische Staat und die Mafia taten sich zusammen und gingen gemeinsam gegen die organisierte ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnenbewegung vor. Die Repression war ein bedeutender Grund für die Auswanderungswelle aus Süditalien in die USA an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nicht wenige der Ausgewanderten spielten später zentrale Rollen in der us-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung; wobei hier anzumerken ist, dass die italo-amerikanische Mafia sich nicht aus dieser Welle der Migration zusammensetzte, sondern vielmehr aus den später unter dem Faschismus emigrierten Mafiosi.

Der ökonomische Durchbruch für die Mafia kam im Laufe des Ersten Weltkriegs. Die italienische Armee orderte bei der Mafia. Diese versorgte das Heer mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Waffen und erreichte damit eine noch nie gekannte ökonomische und politische Macht. Der während des Krieges „erwirtschaftete“ Reichtum legte für Jahrzehnte die Grundlage für die dominante Rolle der Mafia in Süditalien und besonders in Sizilien.

Mafia und Faschismus

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte international – geprägt durch die Erfahrung der Russischen Revolution – eine revolutionäre Welle ein. Auch in Italien kämpften Millionen ArbeiterInnen und Bauer/Bäuerinnen für eine sozialistische Gesellschaft (Hier ist nicht der Rahmen diese Bewegung und ihre Niederlage umfangreich darzustellen. Dazu sei auf folgenden Artikel verwiesen: http://www.slp.at/artikel+M5b749f59e94.html). Die Herrschende Klasse setzte auf den Faschismus um die ArbeiterInnenbewegung zu vernichten – die Mafia ebenfalls. In Teilen Süditaliens wurde die faschistische Partei von der Mafia finanziert und die paramilitärischen Schwarzhemden ausgerüstet. Besonders in Sizilien gab es auch starke personelle Überschneidungen.

An der Macht (ab 1922) hatte Mussolini anfangs allerdings wenig Interesse, sich für die Unterstützung zu revanchieren. Die Macht der Mafia, besonders auf Sizilien, stellte, wenn nicht unbedingt eine Bedrohung, so doch eine beachtliche Konkurrenz für den faschistischen Zentralstaat mit seinem allumfassenden Machtanspruch dar. Die großen Mafiafamilien auf Sizilien dachten auch nicht daran sich wirtschaftlich und machtpolitisch von der neuen Regierung einschränken zu lassen. 1926 schickte Mussolini seinen „eisernen Präfekten“ Cesare Mori nach Sizilien um die Mafia zu bekämpfen. Tauende wirkliche und vermeintliche Mafiosi wurden auf kleine Mittelmeerinseln verbannt. Viele flüchteten nach Tunis oder in die USA. Die Repression richtete sich aber vor allem gegen jene Familien, die keine oder nur geringe Verbindungen zum faschistischen Regime hatten. Teilweise existierte zwischen einflussreichen Mafiafamilien und den herrschenden FaschistInnen Personalunion. So war der Sekretär der faschistischen Partei in Palermo selbst Chef einer einflussreichen Familie. Als Oberhaupt der sizilianischen Mafia wurde ein Mann namens Di Giorgio genannt, Bruder des Oberkommandierenden der italienischen Armee auf Sizilien. 1929 wurde Cesare Mori nach Rom abberufen, wobei in Folge der faschistische Staat seinen Kampf gegen die Mafia weitgehend einstellte. Die relativ enge Verbindung zwischen Regime und einigen Familien verhinderte die Zerschlagung der Mafia als Ganzes. Tatsächlich fand nur eine „Bereinigung“ statt, also eine Entmachtung und Entfernung einiger Familien zu Gunsten anderer. Die Macht der Mafia war nach Moris Abzug nicht gebrochen sondern vor allem in wenigen Händen konzentriert. Besonders am Land übten einige Familien unter faschistischer Herrschaft die uneingeschränkte Kontrolle über Wirtschaft und Bevölkerung aus.

Der große Nachkriegsaufschwung

Bereits in Vorbereitung der alliierten Landung auf Sizilien 1943 fand der amerikanische Geheimdienst OSS bei der Mafia Unterstützung. Nach der Landung suchten die amerikanischen Behörden nach vertrauenswürdigen Verbündeten und setzten zahlreiche Mafiachefs vor allem am Land als Bürgermeister ein. Diese galten als Garanten – sowohl gegen den Faschismus als auch gegen die nach dem Krieg aufsteigende ArbeiterInnenbewegung. Die Mafiafamilien sicherten sich so weiterhin die absolute Macht über die bäuerliche Bevölkerung und verteilten Land und Ressourcen unter sich.

Nach dem Krieg kehrten viele der Flüchtlinge zurück und die alten Familien entstanden neu. Der Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft hatte ein Machtvakuum hinterlassen, das die Mafia gerne füllte, während die US-Behörden beide Augen schlossen. In der durch Mangel an allem geprägten Nachkriegsitalien sicherte sich die Mafia Einfluss auf dem Schwarzmarkt. Sie verdiente Unsummen mit dem illegalen Verkauf von Hilfslieferungen und durch Schmuggel.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg kam es, wie schon nach dem Ersten, zu einer revolutionären Welle in Italien. Sie ebbte wieder ab, da sich die PCI, die Kommunistische Partei Italiens, nicht Willens und nicht in der Lage zeigte die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen zum Sturz des Kapitalismus zu organisieren und mobilisieren. Die Mafia stellte sich wie schon zuvor auf die Seite des bedrohten Kapitals und Großgrundbesitzes. In Sizilien wurden alleine zwischen 1945 und 1961 41 führende Persönlichkeiten der Bauern/Bäuerinnen- und Landlosenbewegung ermordet.

Das Bündnis mit dem konservativ-klerikalen Lager wurde nach dem Krieg erneuert. Der neue treue Bündnispartner der Mafia wurde die Democratia Christiana, die dominierende Partei Italiens. Nach deren Zerfall Anfang der 90er übernahm Berlusconis Forza Italia, die dann in die neue Partei Popolo della Libertá integriert wurde, die entsprechende Rolle. Gemeinsam mit den Konservativen in Rom wurde 1946 der Autonomiestatus Siziliens beschlossen. In Folge war der Zugriff der römischen Zentralmacht, vor allem der Staatsanwaltschaft auf die sizilianische Mafia eingeschränkt. Sie konnte noch mehr als zuvor schalten und walten und gewann so auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Festland-Mafia, etwa in Kalabrien. In diese Periode fiel auch die sogenannte „Plünderung Palermos“. Unter Regie der Mafia wurde die historische Altstadt Palermos dem Verfall überlassen. Die Bauaufträge der Stadt gingen an mafiaeigene Unternehmen, die im Umland der Hauptstadt billige Substandardwohnungen bauten. Nach dem gleichen Prinzip wurde (und wird) in vielen Regionen Süditaliens gebaut. Besonders in den erdbebengefährdeten Regionen bedeuten die billigen Konstruktionen der Mafiabauunternehmen eine lebensbedrohliche Gefahr für die BewohnerInnen.

Mit dem im Nachkriegsaufschwung gewonnen Kapital konnte sich die Mafia sowohl wirtschaftlich als auch geographisch in neue Gebiete ausdehnen. Die Internationalisierung die ab den 1960er einsetzte fand vor allem im Bereich der Drogenproduktion und des Handels statt. Opium wurde vor allem aus dem Nahen Osten, meist dem Libanon eingekauft und auf Sizilien selbst zu Heroin weiterverarbeitet. Wobei sich die Mafia während des libanesischen BürgerInnenkrieges von allen Seiten beliefern ließ. Das zurückfließende Geld und die Waffen leisteten einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zum schrecklichen libanesischen BürgerInnenkrieg. Später, ab Ende der 70er, als Kokain zur zunehmend dominanten Droge auf dem europäischen Markt wurde, begann eine enge Zusammenarbeit der sizilianischen Mafia mit dem kolumbianischen Medellin-Kartell. Mit dem Kokainhandel konnte sich die Mafia weiter nach Europa ausbreiten. Das so erwirtschaftete Vermögen wurde umfangreich in Börsen- und Bankspekulationen investiert. Internationale Finanziers wie Michele Sindona und Roberto Calvi investierten Mafiagelder um Gewinne zu steigern und sie reinzuwaschen. Beide dürften später ermordet worden sein (Sindona mit einem vergifteten Espresso).

Ende der 70er brachen die Spannungen zwischen den einzelnen Familien der Mafia auf. Auf Makroebene spielte sich dies vor dem Hintergrund des Endes des Nachkriegsaufschwungs ab. In allen kapitalistischen Ländern wurde der zu verteilende „Kuchen“ kleiner. Notwendigerweise musste dies zu härteren Verteilungskämpfen zwischen den konkurrierenden Familien auf Sizilien führen. Die Situation führte zum blutigen „Großen Mafiakrieg“ (1981-83) in dem sich die Familie der Corleoneser als führende Kraft auf Sizilien etablieren konnte. „Mattanza“, die „blutige Ernte“ kostete über 1.000 Menschen das Leben. In Palermo fand durchschnittlich jeden dritten Tag ein Mafiamord statt. Zunehmend wurden auch VertreterInnen des italienischen Staates die den Corleonesern im Wege standen zu Zielen. Carabinieri, BeamtInnen und PolitikerInnen die sich gegen die Mafia engagierten wurden nicht selten zu Opfern. Der Vorsitzende der sizilianischen Organisation der PCI, der Abgeordnete Pio La Torre, wurde am helllichten Tag auf offener Straße in Palermo erschossen. Er hatte die Grundlagen für das „Rognoni-La-Torre-Gesetz“ gelegt, das zum wichtigsten juristischen Instrument im Kampf gegen die Mafia wurde. Unter den Corleonesern, die sich durch ihr rücksichtsloses Vorgehen und ihre ökonomische Stärke als führende Kraft der auf Sizilien etablieren konnten, wagte die Mafia die direkte Konfrontation mit dem italienischen Staat und stellte in gewissem Sinne die Machtfrage. Um die Hilflosigkeit des Staates zu demonstrieren wurden Leichen ermordeter Sicherheitskräfte vor Kasernen und Polizeistationen aufgereiht. 1982 war der Staat gezwungen den Kontrollverlust über Sizilien einzugestehen. 20.000 italienische Soldaten mit Panzern und schwerem Gerät wurden nach Sizilien verlegt um dort die Staatsmacht wiederherzustellen. Die Mafia verlor durch ihr brutales Vorgehen zunehmend Rückhalt in der Bevölkerung. Sie startete auch Versuche, um von der Mafiagewalt abzulenken. Am 23. Dezember 1984 explodierte in einem Schnellzug zwischen Neapel und Mailand eine Bombe, die 16 Menschen das Leben kostete und 200 verletzte. Der Anschlag, der gemeinsam mit einem rechtsextremen Netzwerk durchgeführt wurde, sollte der radikalen Linken in die Schuhe geschoben werden um so die Aufmerksamkeit auf den „Linksterrorismus“ zu lenken. Selbst die katholische Kirche, die an sich über sehr weitgehende Kontakte mit der Mafia verfügte (und verfügt), wurde zum Anschlagsziel. In Folge dieser Herangehensweise isolierte sich die Mafia selbst zunehmend von der Bevölkerung und verlor große Teile ihrer (ländlichen) Basis. Dies erleichterte es dem Staat und der Anti-Mafia-Bewegung ihren Einfluss einzudämmen und die Gewalt zurückzudrängen.

In den 90ern beendete die Mafia weitgehend ihre offene Aggression gegen den italienischen Staat. Die ausgerufene „Pax mafiosa“ führte zu einem Rückgang der Kämpfe zwischen den Familien und eine Aufteilung der jeweiligen Interessensgebiete was einen Rückgang der Morde zur Folge hatte.

Die ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnenbewegung gegen die Mafia

Eine der bedeutendsten Figuren des Kampfes gegen die Mafia war der sizilianische Sozialist Giovanni „Peppino“ Impastato. Selbst aus einer bedeutenden Mafiafamilie stammend, brach er mit seinem Hintergrund und schloss er sich der „Partido Socialista Italiano d’Unitá Proletaria“ (Sozialistische Partei Italiens der proletarischen Einheit) an. Er wurde zum Anführer des Protestes der Bauern/Bäuerinnen gegen den von der Mafia forcierten Bau der dritten Landebahn des Flughafens Palermo. In einer Radiosendung prangerte er offen die Geschäfte und Politik der Mafia und der mit ihr verbundenen PolitikerInnen an. In der Nacht von 8. auf 9. Mai 1978 wurde er ermordet. Am ersten Jahrestag seiner Ermordung fand die erste Demonstration gegen die Mafia in der Geschichte Siziliens statt an der sich Tausende beteiligten.

Innerhalb der italienischen Linken wurden die Politik gegenüber der Mafia und ihr Charakter intensiv diskutiert. Dies war entscheidend um gegen die vorgehen zu können. Die PCI sah, ähnlich wie Impastato, die Mafia primär als eine kriminelle Organisation und nicht als einen integralen Bestandteil des italienischen Kapitalismus. Die logische Konsequenz daraus war gemeinsam mit der „guten, demokratischen“ italienischen Bourgeoisie und dem italienischen Staat gegen die Mafia vorzugehen. Die Schwäche dieser Analyse zeigte sich insofern als das selbst das härteste Vorgehen des italienischen Staates (mit der Armee) nicht zu einer Zerschlagung der Mafia führte sondern bestenfalls zu ihrer Zurückdrängung, bzw. sie dazu zwang weniger offensive Taktiken anzuwenden. Auf politischer Ebene bedeutete diese Politik eine künstliche Differenzierung zwischen „guten“ und „bösen“ KapitalistInnen, was gezwungenermaßen zu einer Unterordnung unter die Bourgeoisie führte.

Dabei lässt sich die Entwicklung der Mafia nicht von der Entwicklung des Kapitalismus trennen. Wie bereits am Anfang erwähnt erwirtschaftet die Mafia sieben Prozent des italienischen BIP. Hier eine Trennung zwischen kriminellem und nicht-kriminellem Kapital zu machen ist letztliche künstlich und nicht haltbar. Historisch ist die Mafia ein Ausdruck einer besonderen Form der ursprünglichen Akkumulation. Also das Entstehen einer besonderen KapitalistInnenklasse in einer Situation in der die „normalen“ KapitalistInnen und der italienische Zentralstaat zu schwach sind um die führende Rolle in der Entwicklung des Kapitalismus zu übernehmen. Das System der Mafia stellt eine besondere Form des Kapitalismus in dieser Region dar, verbunden mit einer Verlängerung feudaler Strukturen. Der Forscher Umberto Santino spricht in diesem Zusammenhang von der „Borghesia mafiosa“, also der Mafia-Bourgeoisie. Der Kampf gegen die Mafia kann also nur in Form eines antikapitalistischen Kampfes gewonnen werden. Die italienische ArbeiterInnenbewegung hat jeweils nach den beiden Weltkriegen hervorragende Versuche gestartet um diesen Kampf zu führen. Eine neue sozialistische Anti-Mafia-Bewegung muss diese Traditionen neu aufgreifen und mit der „Borgesia mafiosa“ ebenso wie mit der Herrschaft der „normalen“ Bourgeoisie Schluss machen.