CFM-Streik: ein Jahr danach

Die Mühen der Ebene

Vor einem Jahr begann der 89 Tage währende Streik beim Berliner Charité Facility Management (CFM) für einen Tarifvertrag. Am Ende stand ein Teilerfolg: seit Mai 2012 gilt ein Mindestlohn von 8,50 Euro, was für eine erhebliche Zahl der Beschäftigten eine deutliche Verbesserung bedeutete. Außerdem verpflichtete sich der Arbeitgeber in diesem Jahr Tarifverhandlungen zu führen. Diese werden auch seit Monaten geführt, es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass der Arbeitgeber bereit ist, einem für die Gewerkschaften ver.di und gkl akzeptablen Tarifvertrag zuzustimmen.

von Sascha Stanicic

Der Streik der 300 CFM-KollegInnen war in vielerlei Hinsicht beispielhaft. Er wurde (auch) als politische Auseinandersetzung geführt und die Forderung nach Wiedereingliederung der CFM in die Charité und die Rücknahme der Privatisierung wurde, auch wenn sie nicht Teil des offiziellen Forderungskatalogs für den Tarifvertrag sein konnte, permanent propagiert.

Der Streik löste eine breite Solidaritätswelle aus, deren Höhepunkte zwei Samstagsdemonstrationen mit hunderten TeilnehmerInnen aus verschiedenen Berliner Betrieben, Gewerkschaften, linken Organisationen und sozialen Bewegungen und eine öffentliche Streikversammlung mit über vierhundert TeilnehmerInnen aus allen wichtigen Berliner Betrieben waren. Solidaritätsaktionen fanden im ganzen Bundesgebiet und sogar im Ausland statt. Unterstützungsbotschaften kamen aus der ganzen Welt – von Brasilien bis Pakistan. Eine wichtige Rolle bei der täglichen Unterstützung des Streiks und den vielen Solidaritätsaktionen spielte das von Charité-GewerkschafterInnen, KollegInnen aus anderen Gewerkschaften und SAV-Mitgliedern gegründete Solidaritätskomitee.

Der Streik hob sich positiv von anderen Arbeitskämpfen ab. Es gab tägliche Demonstrationen und Aktionen – darunter zwei Mahnwachen (vor der Charité-Geschäftsführung und dem Sitz des SPD-Landesverbands), Blockaden von Transporten aus dem Charité-Zentrallager, Flash-Mobs im Kulturkaufhaus Dussmann (die Dussmann-Gruppe gehört zu den drei Gesellschaftern der CFM – Vamed, Dussmann, Hellmann), Beteiligung an Demonstrationen der Occupy-Bewegung und vieles mehr.

Auch hinsichtlich der demokratischen Beteiligung der Streikenden an der Organisierung und den Entscheidungen während des Streiks stach der CFM-Streik positiv hervor. Vom ersten Tag an gab es tägliche Informationsveranstaltungen am jeweiligen Streiklokal. Als klar wurde, dass dort (weil unter freiem Himmel vor dem jeweiligen Charité-Standort) eine lebendige Diskussion schwer zu erreichen war, wurden zwei Mal in der Woche Indoor-Streikversammlungen durchgeführt, wo auch über die nächsten Aktionen beraten und entschieden wurde. Der Streikabbruch wurde auf zwei solcher Versammlungen offen diskutiert bevor eine Urabstimmung eingeleitet wurde. Die Offenheit und Transparenz der Streikleitung zeigte sich unter anderem darin, dass die Sitzungen öffentlich waren und alle KollegInnen aufgefordert wurden, sich an der Streikleitung zu beteiligen. Neue Mitglieder wurden unbürokratisch kooptiert. Ein Novum war auch, dass drei Aktivisten des Solidaritätskomitees in die Streikleitung aufgenommen wurden. Diese halfen bei der Organisierung der Aktionen und bei der Herausgabe des täglich erscheinenden Streikkuriers und konnten an allen politischen und strategischen Debatten teilnehmen.

Was ist das Charité Facility Management (CFM)?

2006 wurden die nichtpflegerischen Tätigkeitsbereiche (Krankentransport, Reinigung, Sterilisation, Sicherheitsdienst etc) an der Berliner Charité in der CFM zusammen gefasst, ausgegliedert und teilprivatisiert. Seitdem hält das Land Berlin 51 Prozent und das aus den Firmen Vamed, Dussmann und Hellmann bestehende private Gesellschafterkonsortium 49 Prozent der Anteile. Die zum damaligen Zeitpunkt bei der Charité beschäftigten KollegInnen behielten ihre Arbeitsverträge mit der Charité und werden seitdem an die CFM entliehen. Man nennt diese KollegInnen „Gestellte“. Sie fallen unter den Charité-Haustarifvertrag. Die direkt bei der CFM beschäftigten KollegInnen unterliegen keinem Tarifvertrag. Bis zum Streik wurden in einigen Bereichen Stundenlöhne von unter sieben Euro gezahlt.

 

Der Mai-Streik

Schon im Mai 2011 hatten die CFM-Beschäftigten zwei Wochen gestreikt und damit erste Tarifverhandlungen erkämpft. In den ersten Tagen lief dieser Streik zeitgleich mit dem Streik der Charité-Beschäftigten für Lohnerhöhungen, der eine enorme Dynamik entfaltete. Der Charité-Streik, an dem auch die „Gestellten“ der CFM teilnahmen, wirkte wie eine Lokomotive für den Kampf bei der CFM. Als die Charité-Beschäftigten aber ein ernstzunehmendes Angebot erhielten, entschieden sie sich ihren Streik auszusetzen. Das führte dazu, dass die CFM-Beschäftigten alleine weiter streiken mussten. Die Entscheidung, den Charité-Streik auszusetzen, wird von einigen sektiererischen linken Gruppen als Entsolidarisierung mit den CFM-Beschäftigten kritisiert. Tatsächlich handelte es sich um zwei formal separate Arbeitskämpfe. Die Charité-KollegInnen waren zur Durchsetzung eigener Lohnerhöhungen in den Streik getreten. Es gab in den Tagen des zeitgleichen Streiks, auch durch gemeinsame Aktionen, ein hohes Gefühl der Gemeinsamkeit und Solidarität. Aber den Charité-Streik als Solidaritätsstreik zur Durchsetzung eines Tarifvertrags bei der CFM fortzusetzen, hätte die große Gefahr beinhaltet, dass eine Spaltung unter den Charité-Beschäftigten hätte einsetzen können. Die Entscheidung wurde auf Streikversammlungen von den Streikenden selber getroffen. CFM-GewerkschafterInnen beschreiben die Situation gerne so: in der ersten Woche des Streiks hat die Mutter (Charité) der Tochter (CFM) das Laufen beigebracht, in der zweiten Woche konnte die Tochter es dann selber. Nach zwei Wochen stimmte die CFM-Geschäftsleitung Tarifverhandlungen zu. Damit war das Streikziel für die CFM erreicht. Als diese Verhandlungen keine Ergebnisse brachten, wurde im August erneut eine Urabstimmung eingeleitet und der nächste Streik vorbereitet.

Schwere Streikbedingungen

Der Streik musste unter schwierigen Bedingungen geführt werden. Es war vom ersten Tag an ein Streik der Minderheit der Belegschaft. Das hatte verschiedene Ursachen: KollegInnen mit befristeten Verträgen trauten sich in der Regel nicht, am Streik teilzunehmen, da sie (zurecht) befürchteten damit die Chance auf eine Entfristung zu verspielen; aus organisationsegoistischen Gründen sabotierte die Gewerkschaft IG BAU, die einen Teil der Reinigungskräfte organisierte, den Ausstand; es gab massive Einschüchterungsversuche und Repressionen durch die Geschäftsleitung und leitende Angestellte; der Teil der CFM-Belegschaft, der einen Arbeitsvertrag bei der Charité hat, die so genannten „Gestellten“, trat – bis auf wenige Ausnahmen – nicht in den Solidaritätsstreik, obwohl die Gewerkschaft dazu aufgerufen hatte.

Das führte nicht nur dazu, dass nur eine Minderheit streikte, sondern bedeutete auch, dass die Arbeitsabläufe in der CFM zwar gestört, aber nicht zum Stillstand gebracht werden konnten. Der Einsatz von LeiharbeiterInnen als StreikbrecherInnen kam hinzu. Das bedeutete, dass die Geschäftsleitung nicht durch einen streikbedingten wirtschaftlichen Schaden in die Knie zu zwingen war. Es musste also versucht werden, durch politischen Druck und einen Imageschaden für die Charité und die an der CFM beteiligten Firmen einen Erfolg zu erzielen.

Alle Versuche, den politischen Druck qualitativ zu erhöhen, den Streik auszuweiten, die Unruhe auch in die Charité-Belegschaft zu tragen reichten nicht aus, um den Arbeitgeber zum Einlenken zu zwingen. Hierzu wäre eine Solidaritätskampagne ganz anderer Qualität durch die Gewerkschaften und DIE LINKE nötig gewesen. Bei einem so beispielhaften und wegweisenden Kampf, sollten die Gewerkschaften unbürokratisch mehr Personal- und Geldmittel zur Verfügung stellen, sollten mit Massenflugblättern in allen anderen Betrieben, Plakat- und Medienkampagnen die Öffentlichkeit permanent informieren und Solidarität mobilisieren. Auch DIE LINKE hätte die Solidarität mit dem CFM-Streik zum Dauerthema machen können. In den ersten Wochen des Streiks fand gleichzeitig der Abgeordnetenhaus-Wahlkampf statt. Statt aber bei jeder Gelegenheit die Einführung eines Tarifvertrags bei der CFM zum Wahlkampfthema zu machen und sich aktiv an die Seite der Streikenden zu stellen, hielt sich der Berliner Landesverband der Partei bei der Solidarisierung mit den Streikenden ziemlich zurück. Schließlich wollte DIE LINKE in Berlin die Koalition mit der SPD gerne fortsetzen. So waren es vor allem die Bundestagsabgeordneten Jutta Krellmann und Inge Höger, die den Streik solidarisch begleiteten. Gregor Gysi fand den Weg zum Streiklokal erst am 86. Streiktag.

Als die Weihnachtszeit immer näher rückte und die streikbedingten Verdienstausfälle vielen Streikenden zu schaffen machten, kam das oben erwähnte Verhandlungsergebnis zustande, was von einer großen Mehrheit beider Gewerkschaften angenommen wurde, obwohl es nur für einen Teil der Belegschaft Verbesserungen bedeutete und der Arbeitgeber die KollegInnen dadurch spalten wollte, dass er die Reinigungskräfte von einer einmaligen Sonderzahlung ausschloss. Dem begegnete die Tarifkommission und das Solidaritätskomitee durch eine Spendenaktion, deren Einnahmen an die ReinigungskollegInnen, die sich am Streik beteiligt hatten, ausgezahlt wurde.

Die KollegInnen spürten, dass sie dieses Angebot nur ausschlagen hätten können, wenn sie beim Streik noch „eine Schippe“ hätten drauf legen können. Das war angesichts der Erschöpfung und der fehlenden Perspektive auf eine Ausdehnung des Streiks nicht realistisch. Deshalb haben auch die am Streik beteiligten SAV-Mitglieder eine Annahme des Verhandlungsergebnisses und damit die Aussetzung des Streiks empfohlen. Während der letzten Streikversammlungen wurde immer wieder von Seiten der gewerkschaftlichen und anderer RednerInnen betont, dass diese Verhandlungen nur erfolgreich sein können, wenn der Druck aufrecht erhalten wird, aktive betriebliche Gewerkschaftsgruppen aufgebaut werden und die Belegschaft streikbereit bleibt. Die KollegInnen gingen mit dem Slogan „Wir kommen wieder“ wieder an die Arbeit und nicht wenige hofften, dass es eher schneller als später zu einem neuen Ausstand kommen würde.

Tarifverhandlungen

Nun laufen seit Monaten die Tarifverhandlungen ohne, dass ein Ergebnis in Sicht wäre. Gleichzeitig ist es bisher nicht gelungen, die gewerkschaftlichen Betriebsgruppen deutlich zu stärken und die Zahl aktiver GewerkschafterInnen im Betrieb zu erhöhen. Verhandlungen begleitende Protestaktionen wurden, wenn auch zu spät und zu zurückhaltend, durchgeführt, trafen aber auf wenig Resonanz in der Belegschaft. Ein Faktor dabei kann in einigen Bereichen die Schikane und Repression gegen StreikteilnehmerInnen nach Streikende sein, so haben sich vor allem die Abteilungsleiter des Sicherheitsdienstes am Standort Mitte damit hervor getan, dass sie Abmahnungen hageln ließen. Auch haben Beschäftigte gegenüber GewerkschaftsvertreterInnen geäußert, dass bei Bewerbungsgesprächen in diesem Bereich unterschrieben werden muss, dass man kein Gewerkschaftsmitglied ist.

Die Stimmung unter den ehemals Streikenden ist gemischt, aber ein Teil scheint zur Zeit nicht bereit zu sein, wieder in den Streik zu treten. Woran liegt das? Ein Teil der Verantwortung liegt sicher bei den Gewerkschaften, die nach Streikende zu lange brauchten, um KollegInnen Angebote zur Organisierung zu machen. Die erste ver.di-Mitgliederversammlung fand erst im 22. März 2012 statt. Das ist auch Ausdruck eines bürokratischen Apparats, der viel zu träge agiert und oftmals in Routine erstarrt. Gleichzeitig zeigt sich darin auch die Schwäche des ver.di-Hauptamtlichenapparats im Fachbereich Drei, wo es einfach nicht genügend Hauptamtliche gibt, um die vielen Betriebe ausreichend zu betreuen. Die wenigen aktiven GewerkschafterInnen im Betrieb fanden aber auch bisher keinen Weg (und sind zudem oftmals mit Betriebsratstätigkeit überlastet), das Vorhaben umzusetzen, ein Netzwerk gewerkschaftlicher Vertrauensleute zu schaffen, die als MultiplikatorInnen in den verschiedenen Standorten und Abteilungen agieren könnten. So ging die Dynamik aus den Streikmonaten verloren, was bis zu einem gewissen Grad zwangsläufig geschieht, weil die KollegInnen wieder voneinander getrennt sind, ihre Arbeit verrichten und sich um ihr, während des Streiks vernachlässigtes, Privatleben kümmern müssen.

Stellvertreterhaltung

Unter vielen Beschäftigten war aber auch schon während des Streiks eine Haltung festzustellen, die man als Stellvertreterhaltung bezeichnen kann. Es gab die Bereitschaft am Streik und an Aktionen teilzunehmen, wenn diese von den Aktiven aus den Gewerkschaften und dem Solidaritätskomitee organisiert wurden. Den Schritt vom Teilnehmer zum Aktivisten bzw. dazu Verantwortung zu übernehmen, machten nur Wenige. So gab es beispielsweise nur wenige KollegInnen, die das Angebot an nahmen, während des Streiks der Streikleitung beizutreten und in dieser mitzuarbeiten. Die Ursachen für diese Haltung mögen vielschichtig sein. Der Verlust gewerkschaftlicher Traditionen ist sicherlich ein Faktor.  Das relativ niedrige politische Bewusstsein ein weiterer. Dieses bedeutet, dass die größere gesellschaftliche Bedeutung des betrieblichen und gewerkschaftlichen Engagements nicht erkannt wird oder aber nicht die Hoffnung besteht, dass sich dieses lohnen könnte. Andererseits ist es vorstellbar, dass KollegInnen mit wenig politischer und gewerkschaftlicher Erfahrung nicht das Selbstbewusstsein haben, mit den GewerkschaftsaktivistInnen auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten. Hier müssen Mittel und Wege diskutiert werden, die nötigen Brücken zwischen unerfahrenen KollegInnen und den wenigen betrieblichen AktivistInnen zu bauen.

Nicht hilfreich in diesem Zusammenhang ist die Politik einiger Gruppen (Vitamin C, RIO), die bei der CFM intervenieren und Kontakt zu einzelnen KollegInnen aufgebaut haben und diese nicht dazu motivieren, in den gewerkschaftlichen Gruppen und dem Solidaritätskomitee aktiv zu werden, sondern am Rande bleiben und pauschale und undifferenzierte Kritik an der Gewerkschaft und den betrieblichen GewerkschafterInnen üben.

Was kann getan werden? Die Tarifkommission hat sich bisher nicht so weit unter Druck durch den Arbeitgeber setzen lassen, irgendwelchen schlechten Regelungen für einen Tarifvertrag zuzustimmen. Viele KollegInnen sagen zurecht: lieber keinen Tarifvertrag, als einen schlechten. Lieber jetzt nichts unterschreiben, um die Kräfte für einen nächsten Streik zu sammeln. Um eine Mobilisierungs- und Kampffähigkeit zu erreichen, müssen die KollegInnen informiert und einbezogen werden. Der Schritt die gewerkschaftlichen Betriebsgruppen von ver.di und gkl in Zukunft gemeinsam tagen zu lassen, kann dabei helfen. Es sollten neben der vom Solidaritätskomitee und der ver.di-Betriebsgruppe gemeinsam produzierten Betriebszeitung „Gegengift“ regelmäßige Tarifinformationen herausgegeben werden. Der Versuch ein Netz von gewerkschaftlichen AnsprechpartnerInnen in allen Bereichen aufzubauen, sollte fortgesetzt werden. Und vor allem muss durch gewerkschaftliche Kleinarbeit gegen die alltäglichen Schikanen und Probleme das Vertrauen der KollegInnen in die Gewerkschaft und in ihre eigene Kampffähigkeit wieder hergestellt werden.

Die anstehende Tarifauseinandersetzung an der Charité für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz sollte von ver.di genutzt werden, um nicht nur auf den immer noch tariflosen Zustand bei der CFM hinzuweisen, sondern auch die Forderung nach einer vollständigen Wiedereingliederung des Servicebereichs in die Charité zu propagieren. Die wachsende Unruhe unter Charité-Beschäftigten kann auch ein Funke sein, der den Widerstandswillen unter CFM-KollegInnen wieder entfacht. Das sollte durch entsprechende Angebote gewerkschaftlicher Versammlungen und Aktionen gefördert werden.

Weitere Artikel: Politische Bilanz des CFM-Streiks

Sascha Stanicic ist aktiv im Solidaritätskomitee für die CFM-Beschäftigten und war in der Streikleitung des CFM-Streiks. Er ist auch Bundessprecher der SAV und aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln.