Debatte: Die Linke und der Salafismus

Wie mit Islamfeindlichkeit und Gruppen des rechten politischen Islam umgehen?

Islamfeindlichkeit ist der neue Rassismus. Von CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich bis Thilo Sarrazin (SPD) wird der Islam zum Schreckgespenst gemacht. „Pro Deutschland“ demonstriert vor Moscheen, provoziert dort mit dem Zeigen von Mohammed-Karikaturen und hetzt gegen Muslime.

Antifaschistische Bündnisse mobilisieren gegen solche rechtsradikalen Aufmärsche. Umstritten unter Linken ist jedoch das Verhältnis zu solchen Gruppen, die dem rechten politischen Islam zuzurechnen sind. Wie soll die Linke mit Islamfeindlichkeit und mit islamistischen Gruppen umgehen?

Sie schlagen die „Salafisten“ und meinen den Islam

von Werner Halbauer, Marx21 und Mitglied des Bezirksvorstands DIE LINKE Berlin-Neukölln

Zehn Jahre konnte die Nazi-Gruppe NSU morden. Die Staatsschützer wollen angeblich nichts gewusst haben. Die NPD fordert Deutschland in den Grenzen von 1937. Und sie darf flächendeckend gegen Muslime hetzen („Gute Heimreise!“). Gegen den Frankfurter islamischen Verein Dawa erwägt Innenminister Friedrich (CSU) dagegen ein Verbot, weil dieser sich gegen den „Gedanken der verfassungsrechtlichen Ordnung und der Völkerverständigung“ richte. Er propagiere den Kampf gegen Ungläubige und strebe die Errichtung eines Gottesstaates an.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Interpretation des Islam durch radikale Vertreter der Salafiten trägt fundamentalistische, voraufklärerische, ja mittelalterliche Züge. Ihr kreationistisches Weltbild steht dem von der katholischen Pius-Bruderschaft in Deutschland in nichts nach. Ihre Ausführungen zur Sexualmoral und zur Homosexualität sind alttestamentarisch, ihre Interpretation des islamischen Rechts (Scharia) wird auch von der großen Mehrheit der islamischen Religionsgelehrten abgelehnt.

Die Hausdurchsuchungen gegen Vereinigungen sogenannter Salafisten im Juni waren die bisher größte Polizeiaktion gegen Muslime in Deutschland. 81 Objekte in sieben Bundesländern bei drei religiösen Vereinigungen (Dawa/Frankfurt, „Die wahre Religion“/Köln und Millatu Ibrahim/Solingen) wurden von knapp 1.000 Polizisten umstellt und durchsucht. PCs, Handys, Post, Kontoauszüge wurden beschlagnahmt.

„Die wahre Religion“ Köln hatte sich mit einer bundesweiten Koran-Verteilung den Zorn „christlicher“ Politiker zugezogen. Wolfgang Bosbach (CDU-Innenexperte) verlangte beispielsweise von den Staatsschutzbehörden „genau zu prüfen, ob durch die Aktion [die Koranverteilung] die öffentliche Sicherheit gefährdet werde und deswegen die Verteilung des Koran verboten werden müsse“.

Das bisherige Drohpotenzial „islamistischer Terroristen“ war nicht ausreichend, antimuslimischen Rassismus breit zu verankern. Also ging Friedrich dazu über, die Salafisten kollektiv ins Visier zu nehmen. Dazu bedurfte es natürlich auch einer neuen Argumentationskette.

Die Gegenaktionen von Muslimen gegen „Pro Deutschland“ mit deren rassistischen Provokationen im NRW-Wahlkampf, bei denen auch Polizisten verletzt wurden, wurden zum Anlass genommen, Dawa Frankfurt und „Wahre Religion“ vorzuwerfen, im Internet die Gewalt der „Salafisten“ befürwortet zu haben.

Das macht sie dann auch schon zu Gewalttätern.

Zuvor war der Innenminister von NRW vor den Gerichten gescheitert, das Zeigen von beleidigenden Mohammed-Karikaturen vor Moscheen verbieten zu lassen.

Praktisch spielen sich „Pro NRW“ und Innenminister Friedrich (CSU) hier die Bälle zu. Die seit Monaten anhaltende Kampagne von Friedrich, Bosbach, Kauder und anderen Verteidigern einer „christlich-abendländischen Leitkultur“ gegen angeblich „gewaltbereite Salafisten“ schuf erst das politische Klima, in dem dann „Pro NRW“ mit ihrem rassistisch motivierten Wahlkampf anknüpfen konnte. Nicht die Salafisten, sondern die Bosbachs und Friedrichs liefern die ideologische Basis für „viele, die dann gewalttätig werden“ (Friedrich über die Salafisten).

Damit wird nicht nur das innenpolitische Klima vergiftet, sondern fatal ist, dass viele junge Muslime in Deutschland täglich beobachtet, verdächtigt, kriminalisiert und ausgegrenzt werden. Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass der Salafist Pierre Vogel unter jugendlichen Muslimen Zuhörer und Anhänger findet.

In Frankfurt/Main haben sich Linke, unter anderem die örtliche Anti-Nazi-Koordination, jetzt an die Spitze des Protestes gegen einen Auftritt von „Pro NRW“ vor einer Moschee gestellt. Sie haben zusammen mit jungen Muslimen vor der Moschee gestanden und so auch die Polizeileitung gezwungen, den Rassisten das Zeigen von provokativen Mohammed-Karikaturen zu verbieten. Und sie haben die Jugendlichen nicht gefragt, ob sie sich als „Salafisten“ verstehen. In Berlin hat DIE LINKE Neukölln zusammen mit anderen Antifaschisten dafür geworben, den Widerstand gegen „Pro Deutschland“ gemeinsam mit den betroffenen Moscheen zu organisieren.

Die größte Gefahr für ein multikulturelles Zusammenleben geht in Deutschland von den konservativen Stichwortgebern der Rassisten aus. Dazu gehört auch der von BILD inszenierte neue Bundespräsident Gauck mit seiner Korrektur von Amtsvorgänger Wulffs Satz, dass der Islam zu Deutschland gehöre.

Es geht hier nicht um die Verteidigung der religiösen Ideen sogenannter Salafisten, sondern darum, das Recht auf uneingeschränkte Religionsfreiheit zu verteidigen, gegen Friedrich und gegen die Nazis. Sozialisten sollten aus der Geschichte lernen. 1872 beschloss der Reichstag auf Betreiben des neu gewählten Reichskanzlers Bismarck ein Verbot gegen den katholischen Jesuitenorden. Der Jesuitenorden war damals die Speerspitze der Gegenaufklärung in Europa, ein äußerst reaktionärer religiöser Orden, der gegen die Zivilehe, gegen jede Trennung von Staat und Kirche und für die Wiedererrichtung eines Gottesstaates mitsamt Gewaltmonopol für das Kirchenrecht kämpfte. Bei der Abstimmung im Reichstag ging die gesamte liberale Linke Bismarck auf den Leim, der sich zum Anwalt von Fortschritt und Säkularismus erklärte. Nur Bebel und Liebknecht stimmten gegen das Verbot. Bebels Argumente im Reichstag gelten auch heute. Er warf Bismarck vor, er wolle mit dem „Wauwau“ des Jesuitenordens das Volk ablenken, damit es nicht gegen seine eigene Entrechtung durch Bismarck protestiere. Das Gleiche gilt für Innenminister Friedrich und das von ihm aus dem Hut gezauberte Schreckgespenst des Salafismus. Er haut die Salafisten und meint den Islam, er verteidigt angeblich den inneren Frieden und ruft doch zum rassistischen Krieg gegen den Islam auf. Gewinner werden die offenen Rassisten und Faschisten von „Pro Deutschland“ und andere rassistische Hetzer sein.

Die antirassistische Bewegung steht in Deutschland vor einer großen Aufgabe und sie ist ideologisch schlecht darauf vorbereitet. Die Stimmenthaltung der Mehrheit der Bundestagsfraktion der LINKEN bei der Abstimmung über ein Gesetz zur Legalisierung von Beschneidung ist Ausdruck dieser Schwäche. Nicht die Salafisten, sondern die Sarrazinisten gilt es zu bekämpfen. Sie bedrohen den inneren Frieden eines multikulturellen Zusammenlebens.

Gegen Islamfeindlichkeit und jede Form von Diskriminierung

von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher und Mitglied der LINKEN in Berlin-Neukölln

Rassismus ist ein konstitutiver Bestandteil der kapitalistischen Klassengesellschaft. Er ist Mittel zur Durchsetzung des Prinzips „Teile und Herrsche“ und dient zur Ablenkung von den tatsächlichen sozialen Missständen und ihren Verursachern. Rassismus kennt viele Formen und Gesichter, in den letzten Jahren ist aber zweifellos die Islamfeindlichkeit zum dominierenden Rassismus in der Bundesrepublik und in vielen anderen westlichen Ländern geworden. PolitikerInnen etablierter Parteien, Medien und diverse PublizistInnen von Necla Kelek bis Henryk M. Broder und Rechtspopulisten von Thilo Sarrazin bis „Pro Deutschland“ stellen Muslime unter einen Generalverdacht. Angeblich sind sie potenzielle Bombenleger, Frauenunterdrücker und Sozialschmarotzer, integrationsunwillig und demokratiefeindlich. Islamfeindlichkeit zeichnet sich unter anderem durch zwei Dinge aus: erstens durch die weitgehende Gleichsetzung der Religion Islam mit politischen Strömungen, dem sogenannten politischen Islam (der weitgehend von rechten, reaktionären Gruppierungen dominiert wird), die die Religion für politische Zwecke instrumentalisieren. Zweitens durch ein hohes Maß an Pauschalisierungen und die Weigerung, die Vielfältigkeit und Komplexität der Lebensrealität von Muslimen anzuerkennen.

Eine Folge dieser islamfeindlichen Kampagnen ist, dass eine wachsende Zahl von Muslimen sich ihrer Religion und religiösen Gemeinschaften verstärkt zuwendet, weil sie in einer feindlichen Umgebung in diesen Schutz und Identifikationsmöglichkeiten suchen (und weil die Linke und die Arbeiterbewegung für viele kein überzeugendes Angebot darstellt). So treibt auch die Kampagne von Innenminister Hans-Peter Friedrich gegen den Salafismus muslimische Jugendliche, die die Freiheit ihrer Religionsausübung bedroht sehen, eher in die Arme eben dieser Salafisten. Denn sie spüren, dass hier ein Phänomen aufgebauscht wird, um alle Muslime zu diskriminieren. Dem Satz „Sie sagen Salafisten und meinen alle Muslime“ ist daher zuzustimmen. Die Aufmerksamkeit, die (nach Verfassungsschutzangaben) circa 5.000 Salafisten in Deutschland, von denen circa 150 gewaltbereit sein sollen, bekommen, ist ein leicht durchschaubares politisches Ablenkungsmanöver.

Die Ablehnung von Rassismus muss unteilbar sein. Alle Opfer von rassistischer Diskriminierung müssen dagegen verteidigt werden – egal welcher politischen Überzeugung sie sind, welcher Nation sie angehören oder ob sie arm oder reich sind. Wenn Rassisten und Faschisten, wie kürzlich in Berlin geschehen, vor Moscheen aufmarschieren, um gegen Islamismus zu demonstrieren, muss die Linke und die Arbeiterbewegung ihnen die Straße streitig machen, denn sie nutzen ihr Demonstrationsrecht nur dazu, um menschenverachtende Propaganda zu verbreiten und bereiten so dem rechten Terror den Weg. Außerdem muss die Linke Religionsfreiheit ebenso verteidigen, wie das Recht darauf, keine Religion auszuüben.

Sie darf dabei aber nicht stehen bleiben. Ziel muss es sein, die Einheit von ArbeiterInnen, Erwerbslosen, Jugendlichen unabhängig von Religion, Nationalität oder Hautfarbe herzustellen, um die sozialen Kämpfe zur Durchsetzung der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse zu fördern. Das beinhaltet einerseits, dass Linke keine Berührungsängste mit Gläubigen haben dürfen und gemeinsam mit ihnen kämpfen müssen – ohne Vorbedingungen in weltanschaulichen Fragen aufzustellen. Letztlich muss die Linke in der Praxis unter Beweis stellen, dass sie die sozialen Interessen von ArbeiterInnen und Unterdrückten besser vertritt als irgendeine Religionsgemeinschaft, weil sie die Einheit der Betroffenen unabhängig von Religion, Nationalität oder Hautfarbe herstellt und somit den Widerstand stärkt. Andererseits sollte sich die Linke nicht nur oder auch nur vor allem an religiöse MigrantInnen wenden. Es gibt viele MigrantInnen muslimischen Ursprungs, für die die Religion keine zentrale Rolle spielt oder für die, zum Beispiel vor allem unter vielen IranerInnen und KurdInnen, die Befreiung von religiösen Vorstellungen und Autoritäten eine große Rolle im Selbstverständnis spielt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass auch die migrantische Bevölkerung und die muslimische „Community“ eine Klassenstruktur hat – mit ArbeiterInnen und kleinen und größeren Kapitalisten. Ziel muss es sein, das Klassenbewusstsein zu steigern, um ArbeiterInnen, Jugendliche, Erwerbslose mit Migrationshintergrund für die Linke und die Arbeiterbewegung zu gewinnen. Das bedeutet auch, den potenziellen Konflikt mit Teilen der muslimischen Bevölkerung und ihrer religiösen Repräsentanten einzugehen, wenn es zum Beispiel um Frauen- oder Homosexuellenrechte geht – wie Linke dazu ja auch nicht schweigen, wenn sie zum Beispiel in Arbeitskämpfen mit rückständigen Ansichten unter männlichen, deutschen oder christlichen ArbeiterInnen zu tun haben.

Die Linke darf jedoch die Augen nicht davor verschließen, dass Gruppen des rechten politischen Islam existieren und versuchen, ihren politischen Einfluss in dem migrantischen Teil der Arbeiterklasse auszudehnen. Deren Aktivitäten untergraben in der muslimischen Bevölkerung die Möglichkeit, Arbeitereinheit herzustellen und gemeinsame soziale Kämpfe zu entwickeln. Sie sind reaktionär, arbeiter-, frauen-, demokratie- und homosexuellenfeindlich. Sie sind heute klein, und Linke sollten sich nicht daran beteiligen, das Problem aufzubauschen. Sie sollten es aber auch nicht leugnen. Und ein politischer Kampf gegen diese Kräfte ist innerhalb der muslimischen Bevölkerung nötig, auch wenn dieser erstens nicht mit dem Kampf gegen die Rassisten gleichzusetzen ist und zweitens deutlich gemacht werden muss, dass es dabei nicht um die Religion Islam geht, sondern um Gruppen, die die Religion für reaktionäre politische Ziele missbrauchen.

Daraus sollte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass politische Gruppen sogenannter rechter Islamisten oder Salafisten keine Partner, zum Beispiel in antifaschistischen Bündnissen, sein sollten. Das bedeutet nicht, auf einer Demonstration bärtige und südländisch aussehende Männer nach ihrer Gesinnung zu fragen. Das wäre Diskriminierung. Aber es bedeutet, in der Auswahl der Bündnispartner darauf zu achten, dass organisierte Gruppen des rechten politischen Islam durch die Beteiligung an solchen Bündnissen keine Akzeptanz erlangen, die sie innerhalb der muslimischen Bevölkerung zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele einsetzen können.