Blutbad an südafrikanischen Bergleuten

– der Kampf geht weiter!

„Das ist nicht unsere Regierung!“

Wir veröffentlichen hier die Übersetzung eines Berichts einer Genossin unserer Sektion in Südafrika, dem „Democratic Socialist Movement“ (DSM) vom 22. August. Das Massaker hat zu einem Flächenbrand des Protestes in Südafrika geführt. Weitere Minen haben sich angeschlossen. Aktuelle Berichte und Artikel auf englischer Sprache sind unter http://www.socialistsouthafrica.co.za/ und socialistworld.net zu finden. Auf sozialismus.info werden weitere Artikel folgen.

von Liv Shange, „Democratic Socialist Movement“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Südafrika)

Am Montag, dem 20. August, waren um sieben Uhr morgens gut 10.000 streikende ArbeiterInnen der „Lonmin“-Mine mit BewohnerInnen der Gemeinde Marikana zu einer Massenveranstaltung auf den Feldern vor den Wohnheimen und Slums zusammengekommen, in denen sie alle leben. Nun stehen wir vor dem, was nach dem Einsatz von schweren Waffen am darauf folgenden Dienstag noch bleibt: 34 ArbeiterInnen sind tot, 78 wurden verwundet oder liegen im Krankenhaus und 259 KollegInnen sind inhaftiert (alle Angaben beruhen auf Polizeiaussagen). Das Streikkomitee organisierte danach ein Treffen, bei dem man sich darüber austauschen konnten, welche Bedeutung dieses Massaker und die weitere Ablehnung von „Lonmin“ hat, in Verhandlungen zu treten. Auch wurde über die Tatsache gesprochen, dass die Medien die Geschehnisse sehr verzerrt darstellen, wie man mit Streikbrechern umgehen soll und wie und wo man die Toten aufbaren und sie beerdigen kann. Wütend waren die Reaktionen auf das Ultimatum des Bergbauunternehmens, das den ArbeiterInnen gestellt wurde und bedeutet hätte, dass sie noch am selben Tag wieder an ihren Arbeitsplatz hätten zurückkehren sollen oder ihnen andernfalls gekündigt würde.

„Lonmin“ behauptete am Dienstag, dass ein Drittel der 28.000 Personen starken Belegschaft wieder zurück zur Arbeit gegangen sei. Trotzdem ist die Stimmung unter den ArbeiterInnen weiterhin entschlossen und von Widerstandswillen gekennzeichnet. Am Montag berichteten ArbeiterInnen, dass die, die an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt waren, von der Polizei unter Zwang wieder in die Grube geschickt wurden.

Am Wochenende verließen die ArbeiterInnen den Hügel, auf dem sie bis zu diesem Zeitpunkt zusammengekommen waren. Die Gegend blieb ruhig und die Leute machten einen nervösen Eindruck, als seien sie auf der Hut. Überall in der Gegend standen Polizisten und Sicherheitsleute des Bergbauunternehmens an Wachposten. Sie waren mit Fahrzeugen mit schwer bewaffneten Aufbauten ausgerüstet, hatten Gewehre und Maschinenpistolen bei sich und sperrten die Zugänge zum Minengelände ab. Ein Einsatzteam des Ministeriums, das zusammengestellt worden war, um eine Klärung herbeizuführen, traute sich nicht, wie geplant am Montag in Marikana einen Fuß auf den Boden zu setzen.

Julius Malema, der ehemalige Präsident der Jugendorganisation des „African National Congress“ (Regierungspartei ANC), der im April dieses Jahres erst aus dem ANC ausgeschlossen worden war, redete hingegen am Samstag auf einer Massenversammlung. Seine Freunde von der Jugendorganisation ANCYL haben zudem einen Anwalt organisiert, der die 259 ArbeiterInnen vertreten soll, die am Montag vor Gericht erschienen. Ihnen wird eine ganze Reihe von Vergehen u.a. auch Mord vorgeworfen. Demgegenüber will der Anwalt die Polizeibeamten verklagen, die das Feuer auf die ArbeiterInnen eröffnet haben. Er übte vernichtende Kritik gegen Präsident Zuma und die verhasste Bergbaugewerkschaft „National Union of Mine Workers“ (NUM), deren Führung in der ANC-Fraktion von Zuma sitzt. Einer der größten Anteilseigner von „Lonmin“ ist Cyril Ramaphosa, der vom Generalsekretär der NUM zum Kapitalisten wurde und – nebenbei bemerkt – Vorsitzender des Disziplinarausschusses des ANC war, als dieser die Entscheidung fällte, Malema aus der Partei zu werfen. Malema wies korrekter Weise darauf hin, dass es sich bei dem Massaker um eine Regierungsentscheidung gehandelt habe, um die Profite auch eines Herrn Ramaphosa zu sichern. Er machte auch klar, dass die NUM keine Gewerkschaft mehr ist, weil sie durch ihre Geschäftstätigkeiten zum „Unternehmen“ geworden ist. Diese Aussagen stoßen bei den KollegInnen, die die Konterrevolution innerhalb der ehemals revolutionären NUM miterlebt haben, auf große Zustimmung. Dasselbe gilt übrigens auch für den ANC, weshalb es tragisch ist, dass Malema momentan noch das Ziel verfolgt, von der südafrikanischen Regierungspartei wieder aufgenommen zu werden, anstatt eine neue Kraft der ArbeiterInnen aufzubauen.

„Dies ist nicht unsere Regierung!“, sagte eine Frau, die am Samstag an den Protesten teilnahm und ihren Mann sucht, der seit Dienstag vermisst wird.

In den drei Minuten des besagten Dienstagnachmittag, als in Marikana 3000 Polizisten aufgefahren wurden, wurde Millionen von Menschen der Klassen-Charakter der ANC-Regierung und des Staatsapparats vor Augen geführt. Das kann einen Wendepunkt im Klassenkampf Südafrikas markieren, der sowieso schon an Intensität zugenommen hat. So wurden in den vergangenen drei Jahren jeden Tag durchschnittlich drei Massenproteste gezählt.

Gnadenlos wurde den ArbeiterInnen in Marikana auch die Rolle der Medien vor Augen geführt. Es kam zur Behauptung falscher Tatsachen (z.B. wurde berichtet, dass den ArbeiterInnen eine Lohnerhöhung von 300 Prozent zugesichert worden sei), dem Ausblenden von Fakten (z.B. wurde verschwiegen, wie es zu der Gewalt gekommen ist), der Verzerrung der Sachlage durch Fehlinformationen (z.B. wurde die Zahl der Toten anfangs mit 12 angegeben) und zu übertriebenen Darstellungen (z.B. wurde behauptet, dass ArbeiterInnen angeblich maßlos übertriebene Forderungen gestellt und daraufhin die Polizei angegriffen hätten, weil sie von einem „Medizinmann“ angestachelt worden seien). Unterdessen spitzt sich der Klassen-Hass, der vor allem an den Schreibern der Leitartikel offenbar vorbeigegangen ist, zu. So sagte ein Arbeiter bei der Massenversammlung am Montag: „Dieselben Leute, denen >Lonmin gehört, sind auch in Besitz der Medien.“

Auch wurde das Klassenbewusstsein der kapitalistischen herrschenden Klasse geschärft. So steht die gesamte Elite des Landes hinter der Zerschlagung des Arbeiteraufstands. Sie sind vollkommen jenseits von gut und böse. So trafen sich die Konzernchefs der Platin- und Goldminen des Landes am Samstag mit der Bergbauministerin Susan Shabangu, wo offenbar besprochen werden sollte, wie man die Lage wieder beruhigen und weitere Unannehmlichkeiten verhindern kann. Die wichtigste kapitalistische Zeitung Südafrikas, die „Business Day“, beschwört derzeit die kapitalistische herrschende Klasse und all ihre Mitläufer, sich jetzt gemeinsam hinter die NUM zu stellen. Zwar wird diese Parole in beschönigende Euphemismen verpackt. Es zeigt sich daran aber glasklar, welche Rolle diese Gewerkschaft dabei spielt, die Personalabteilung des Kapitals zu sein – wenn nicht noch schlimmeres.

Allerdings nehmen beispielsweise auch die Bergleute von Rustenberg die konzertierte Offensive der Kapitalisten zur Kenntnis. Sie sind sich in hohem Maße darüber im Klaren, dass es nötig ist sich zusammen zu tun und sich als ArbeiterInnen zu organisieren. Vor den Ereignissen in Marikana zögerten noch breite Schichten von ArbeiterInnen, sich aufgrund der Entartung der NUM von ihr abzuwenden und der unerprobten Alternative, der AMCU (Vereinigung der Bergleute und Baugewerkschaft), anzuschließen. Die Ereignisse der letzten Woche haben das Schicksal der NUM nun aber definitiv besiegelt.

„Die wichtigste Aufgabe besteht nun darin, den kompletten Wechsel aller Mitglieder in allen Stollen von der NUM in die AMCU zu bringen“, sagte einer der Arbeiter, der bei der Bergung der Toten half, um sie begraben zu können.

Auch wenn der Streik bei „Lonmin“ gar nicht unter der Führung von AMCU stand, und viele ArbeiterInnen zunehmend skeptisch sind, ob sie einen Arbeitskampf wirklich gut führen könnte, so ist doch klar, dass viele, viele ArbeiterInnen der AMCU beitreten werden. Bei der AMCU handelt es sich um eine Abspaltung von der NUM, die die meiste Zeit ihres zwölfjährigen Bestehens eine Existenz außerhalb des Rampenlichts führte. Die NUM positionierte sich im Prinzip nie anders als der Dachverband COSATU. Als die Kumpels bei „Lonmin“ im letzten Jahr scharenweise aus der NUM austraten, und Anfang dieses Jahres ähnliches auch bei „Impala Platinum“ und „Anglo Platinum“ passierte, gerierte sich die AMCU als die beste Alternative. Wie die KollegInnen aus den anderen Bergwerken in der Region um Rustenberg haben auch die ArbeiterInnen bei „Lonmin“ sich dafür entschieden, für maximale Einheit im Kampf zu sorgen, indem sie ein Streikkomitee gründeten, das weder zur NUM noch zu AMCU Verbindungen hat. Es scheint als sei der AMCU-Führung gerade am wichtigsten, den Vorwurf des verantwortungslosen Handels loszuwerden, der ihr momentan von Seiten der herrschenden Elite entgegengebracht wird. Welche Rolle diese Gewerkschaft weiterhin zu spielen im Stande ist, hängt davon ab, inwieweit ArbeiterInnen an ihrem kämpferischen, sozialistischen Programm anzusetzen in der Lage sein werden.

Zur Unterstützung der Beschäftigten bei „Lonmin“ ruft das „Democratic Socialist Movement“ zu einem Generalstreik auf, der die Forderung nach einem Mindestlohn von 12.500 südafrikanischer Rand monatlich aufstellt, die Gründung eines Forums zum Ziel hat, in dessen Rahmen VertreterInnen der ArbeiterInnen und EinwohnerInnen der Region Rustenburg zusammenkommen können, und auf einen landesweiten wie internationalen Aktionstag hinarbeitet, an dem überall Protest gegen das Massaker geübt und Unterstützung für die Forderungen der KollegInnen gezeigt wird.

In zwei anderen Minen in Rustenburg sind schon Streiks mit ähnlichen Forderungen geplant. Die KollegInnen bei „Lonmin“ berichten, dass die Polizei drei Busse gestoppt und zur Umkehr gezwungen hat, in denen KollegInnen von „Anglo Platinum“ saßen, dem weltgrößten Platinproduzenten, der vor kurzem erst von einem wilden Streik heimgesucht wurde. Diese KollegInnen wollten an der Massenveranstaltung vom Montag teilnehmen,um Solidarität zu zeigen, und dass ArbeiterInnen aus verschiedenen Schächten rund um Rustenburg ebenfalls Solidaritätsmaßnahmen eingeleitet haben.

Massaker an Minenarbeitern: Beschäftigte ohne Angabe von Gründen über drei Tage in Bergwerksschächten festgehalten

Berichte von Folterungen

Am Samstag, dem 18. August, marschierte eine Gruppe von rund 100 Frauen auf das Betriebsgelände der ersten Schachtanlage von „Lonmin“. Sie forderten Zugang ins Innere, und dass sie ihre Männer, Brüder, Ehemänner, Väter zu Gesicht bekommen würden, die sie seit dem Polizeieinsatz vom Donnerstag nicht mehr gesehen hatten.

Laut Polizeiangaben waren am Donnerstag 34 Menschen erschossen worden, 78 wurden verwundet und 259 inhaftiert. Die Frauen, die vor dem verschlossenen Eingang protestierten, äußerten, dass viele weitere vermisst werden.

„Ich suche meinen Bruder!“, sagte eine junge Frau. „Ich habe ihn seit Donnerstag nicht mehr gesehen. Ich kann nichts mehr essen und auch nicht mehr schlafen.“

„Ich habe eine SMS von meinem Bruder bekommen“, sagte eine andere junge Frau, „er schrieb mir, dass sie im Schacht gezwungen werden, sich auszuziehen und dass die Polizei heißes Wasser [Chemikalien] über ihnen ausschüttet, rotes und blaues Wasser. Und sie schlagen sie.“

Der Protestzug, der von GenossInnen der Ortsgruppe des „Democratic Socialist Movement“ aus dem nahegelegenen Matebeleng und studentischen AktivistInnen der Technischen Universiät Tshwane unterstützt wurde, zog vor das betriebseigene Andrew Saffy Hospital von „Lonmin“. Dort wurde uns gesagt, dass es Informationen darüber gäbe, wer von der Polizei festgehalten würde. Am Krankenhaus angekommen stand die Demonstration vor verschlossenen Toren, sah sich bewaffneten Sicherheitskräften und einem „Hippo“ (Fahrzeug mit aufgebauter Bewaffnung) gegenüber. Nach einer guten Stunde heißen Protestes und der Verhandlungen mit der Geschäftsführung des Krankenhauses und der Sicherheitsdienste konnten wir ein kleines Zugeständnis erringen: Die Liste mit den Namen der im Krankenhaus befindlichen, toten und verhafteten Personen wurde vorgelegt. Die meisten der Anwesenden waren an dieser Liste aber nicht interessiert. „Da stehen nicht die richtigen Namen drauf“, sagten einige der Frauen. „Die Leute sind eingeschüchtert und die Liste sagt rein gar nichts aus.“

Andere erklärten, dass das Ziel des Demozuges einzig und allein darin bestand, die festgesetzten ArbeiterInnen zu sehen, dass sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen wollten, wer alles erschossen worden sei, dass sie nicht auf eine Situation vorbereitet seien, in der einige unter ihnen womöglich zusammenbrechen könnten und der Protest auf diese Weise zerfallen könnte. Dann brach die Dunkelheit herein und die Frauen einigten sich darauf, sich am folgenden Tag wieder zu treffen.

Am Sonntag, beim Begräbnis eines der Polizisten, die bei den Zusammenstößen vom 13. August getötet worden waren, sagte Riah Phiyega, der gerade erst auf den Posten des südafrikanischen Polizeichefs berufen worden war, dass die Polizei kein Bedauern zeigen solle. Unterdessen stellte die Geschäftsführung von „Lonmin“ den ArbeiterInnen ein erneutes Ultimatum, um zur Arbeit zurückzukehren oder andernfalls entlassen zu werden. Die 259 Männer, die blutgetränkte Kleidung trugen und von denen einige provisorische Verbände an hatten, erschienen am Montag vor Gericht, nachdem man sie mehr als drei Tage lang ohne Angabe von Gründen festgehalten hatte. Ihnen wurde unter anderem auch Mord vorgeworfen, und sie wurden blieben in U-Haft.