Der LIBOR-Skandal

Für die Verstaatlichung der Banken und Finanzinstitutionen und demokratisches öffentliches Eigentum

Vorbemerkung:

Laut „Frankfurter Rundschau“ vom 17. Juli 2012 wird „einer ganzen Reihe von internationalen Großbanken […] vorgeworfen, von 2005 bis 2009 den Londoner Interbankenzins LIBOR mit falschen Angaben zu ihren Gunsten manipuliert zu haben, um ihre Refinanzierungskosten zu verschleiern und ihre Gewinne zu steigern“.

Bei der LIBOR handelt es sich um den Referenzzinssatz für das Interbankengeschäft. LIBOR steht für: „London Interbank Offered Rate“.

Die „Financial Times Deutschland“ (FTD) schreibt dazu, dass „Barclays […] als erste Bank vorsätzliche Falschangaben bei der Berechnung des Libor-Zinssatzes zugegeben und eine Strafe von umgerechnet 360 Mio Euro akzeptiert [hat]. Die gesamte Führungsspitze einschließlich [Vorstandschef] Diamond musste zurücktreten.“ Demnach sei auch die „Deutsche Bank“ in diesen Skandal verwickelt.

Doch anstatt die Hintergründe der illegalen Absprachen zwischen den internationalen Bankhäusern zu analysieren oder einfach nur festzustellen, wer in welcher Funktion und mit welchen Beweggründen mit wessen Geldern jongliert hat, werden von den etablierten Zeitungen nur die möglichen Strafzahlungen beziffert, die den Banken nun drohen. DER SPIEGEL bezieht sich auf Angaben des US-amerikanischen Bankhauses „Morgan Stanley“, das „Strafen und Schadensersatzforderungen von bis zu 22 Milliarden Dollar“ für die beteiligten Banken in Aussicht stellt. Unter Berufung auf das Londoner Bankhaus „Autonomous Research“ geht die „FTD“ sogar von 34 Milliarden Euro an Bußgeldzahlungen aus, die auf die unter Manipulationsverdacht stehenden Bankhäuser „Citibank“, „Bank of America“, „HSBC“, „JP Morgan“, „Credit Suisse“, „UBS“ und die „Deutsche Bank“ zukommen.

Uns bleibt hingegen die Aufgabe vorbehalten, davon ausgehend die größere, gesellschaftliche Bedeutung all dessen zu hinterfragen. Dazu soll im Folgenden der Leitartikel aus der aktuellen Ausgabe der britischen Wochenzeitung „The Socialist“ dienen, die unsere Schwesterorganisation, die „Socialist Party“, in England und Wales herausgibt.

Die „New York Times“ beruft sich jedenfalls in ihrer Dienstagsausgabe auf Gerichtsakten und schreibt, dass die mittlerweile in weiten Teilen verstaatlichte „Royal Bank of Scotland“ sogar die Herausgabe von Unterlagen zu diesem Fall verweigert. Das ist ein Beleg dafür, dass die Forderung, die die SAV wie auch das CWI (das „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dem die SAV angeschlossen ist) die einzig richtige ist: Verstaatlichung allein reicht nicht aus! – Sie muss einhergehen mit einer Kontrollaufsicht, die durch die Beschäftigten des jeweiligen Unternehmens, GewerkschaftsvertreterInnen und nötigenfalls auch durch Nichtregierungsorganisationen durchgeführt wird, die mit dem jeweils vorliegenden Geschäftsmodell des zu verstaatlichenden Unternehmens in Zusammenhang stehen. So muss beispielsweise im Fall einer etwaigen Verstaatlichung des Stromgiganten RWE in Deutschland die Kontrolle über die Geschäftsführung natürlich von den dort arbeitenden KollegInnen, GewerkschaftsvertreterInnen und auch von VertreterInnen der örtlichen Umweltinitiativen ausgehen, die sich seit Jahren mit den Auswirkungen der Unternehmenspraxis auf Mensch und Umwelt befassen.

Max Höhe, Köln

Leitartikel aus „The Socialist“, Wochenzeitung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)

Wenn der jüngste Auftritt von Bob Diamond, Vorstandschef der „Barclays Bank“, vor dem Finanzausschuss des Unterhauses dazu gedacht war zu zeigen, dass Bankiers vor dem britischen Parlament und der Öffentlichkeit irgendeine Form von Verantwortung übernehmen, dann ist dieses Vorhaben gründlich schief gegangen.

Vielmehr wurde bei dieser Gelegenheit klar, wie zaghaft der Anspruch der kapitalistischen Politiker aus dem Establishment ist, die Spitzen-Bankiers tatsächlich zu belangen.

Abgesehen von dem üblichen populistischen Getöse kam Diamond, der über ein Jahrzehnt die Gier und Betrügereien bei „Barclays“ und „Barclays Capital“ personifiziert hat, ohne größere Blessuren hinsichtlich des Betrugsfalls um die LIBOR davon.

Selbst ein bekannter Abgeordneter, der auch Mitglied im o.g. Ausschuss ist, musste zugeben: „Es ist durchaus angebracht zu sagen, dass wir nutzlos waren“.

Nun sieht alles danach aus, als würde Diamond zusätzlich zu den einhundert Millionen britischer Pfund, die er seit 2005 sowieso schon bezogen hat, des Weiteren mit einer Millionen von Pfund schweren Abfindung für seine jetzige Entlassung davonkommen.

„Einfache Leute“ wollen, dass mit Gold behangene Betrüger wie Diamond eingesperrt werden.

Wenn der LIBOR-Skandal weitere Kreise zieht, kann nicht ausgeschlossen werden, dass – wie im Falle des Abhörskandals um Murdock und seine Zeitung „News of the World“ (Erg. d. Übers.) – einige der Haupt-Beschuldigten strafrechtlich belangt werden. Doch die zu erwartenden Strafen verblassen, sobald man sie mit den Summen vergleicht, die die Bankiers aus ihren kriminellen Aktivitäten gezogen haben.

Die kapitalistische Klasse will die in ihren Reihen befindlichen aggressiveren „Finanz-Parasiten“ in Zaum halten, um nicht der Gefahr anheim zu fallen, nicht nur den „Ruf“ des Finanzsektors und der Banken, sondern den des ganzen kapitalistischen Systems aufs Spiel zu setzen.

Paul Tucker, Vizegouverneur der „Bank of England“, sagte, dass das LIBOR-System, welches Verträge im Wert von 360 Billionen US-Dollar reguliert, zusammenbrechen kann und – sollten US-amerikanische Prozesse in dieser Hinsicht erfolgreich sein – als Folge des Betrugs die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährdet ist.

Die Angst vor einer Aushöhlung des Systems ist der Grund dafür, weshalb der Gouverneur der „Bank of England“, Mervyn King, Diamonds Position für unhaltbar erklärte, was zu dessen Rücktritt führte.

Eine neue Studie des „Democratic Audit“, die vergangene Woche als „Exklusivbericht“ in der britischen Tageszeitung „The Guardian“ behandelt wurde, warnt demnach vor einem „lang anhaltenden Niedergang“ der britischen Demokratie.

Der Bericht bezog sich ausdrücklich auf „Unternehmensmacht“ und „nicht repräsentative Politiker“. Und der Skandal um die „Barclays Bank“ bestätigt genau dies.

Die Dominanz des Finanzsektors in Großbritannien ist für die Wirtschaft zu einer schweren Belastung geworden. Nicht nur die Wirtschaft selbst befindet sich sozusagen im Würgegriff, auch alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens sind davon betroffen; dazu zählen auch die drei wichtigsten pro-kapitalistischen Parteien.

„The Guardian“ enthüllte, dass vom Finanzdienstleistungssektor allein im letzten Jahr rund 100 Millionen brit. Pfund dafür ausgegeben wurden, um Lobbyismus bei der Regierung und den Parlamentariern zu betreiben.

Das Gift sickert sogar bis in die Verwaltung der Regierung mit ihren hochrangigen Beamten ein, die übrigens eine Reichen-Steuer verhindern.

Selbst die britische Zollbehörde „HM Revenue and Customs“ mit einem Direktor, der ein Unternehmen führt, das seinen Sitz in der Steueroase Guernsey hat, ist betroffen.

Bankiers durchgeboxt

Der Finanzminister von den konservativen Tories, George Osborne, boxt alles durch, was die Bankiers brauchen. So kämpft er auch gegen Vorschläge, die auf EU-Ebene diskutiert werden und nach denen die Boni der Bankiers auf „bloß“ das Doppelte ihrer siebenstelligen Einkommen beschränkt werden sollen.

Der Vorschlag, der für Osborne ja schon zu viel war, würde nicht viel dazu beitragen, ihre obszönen Gehälter wirklich zu begrenzen. Das liegt einzig und allein daran, dass die Bankiers schon damit begonnen haben ihre Bezüge zu steigern, um ihre Bonuszahlungen eingedenk möglicher Beschränkungen davon unabhängig zu machen.

Der Wirtschaftsminister von den „Liberaldemokraten“, Vince Cable, drückte die Frustration des produzierenden Gewerbes aus, als er die Banken beschuldigte, eine Wiederbelebung der Wirtschaft „abzuwürgen“.

Durch die „Bank of England“ wird versucht, neue Investitionen anzuregen. Aus diesem Grund wurden zusätzlich zu den bereits geflossenen 325 Milliarden brit. Pfund, die in Form von sogenannten Rettungspaketen überwiesen wurden, weitere 50 Milliarden brit. Pfund als „quantitative Easing“ (Lockerungsmaßnahmen) an die Banken weitergegeben. Wie Cable erklärt, findet davon aber nur ein Bruchteil seinen Weg in die Realwirtschaft oder wird als Kredit an kleine oder mittlere Betriebe ausgegeben.

Er gestand ein, dass die Banken „unverhältnismäßig flüssig“ sind, er hingegen machtlos sei, darauf einen wesentlichen Einfluss auszuüben. Sein Vorschlag zur Trennung der risikoreichen Investitionstätigkeit des Kasino-Kapitalismus von den seriöseren Finanzoperationen der Banken hätte nur einen geringen Effekt. Das liegt daran, dass die Behörden sich noch nicht einmal leisten können, unabhängige Investment-Banken den Bach runtergehen zu lassen, weil auch dies für das Gesamtsystem wie ein Knock-Out wirken würde.

Und was tun die Vertreter der sozialdemokratischen „Labour Party“? – Vor und während der Bankenkrise – als sie noch an der Macht waren – konnten sie gut damit leben, den Banken die volle Kontrolle zu überlassen und somit derartige Betrügereien wie den nun bekannt gewordenen LIBOR-Skandal möglich zu machen. Heute nun rufen sie nach mehr regulativen Maßnahmen.

Zwar fordern sie eine „unabhängige“ Untersuchung des LIBOR-Skandals, meinen damit aber nicht, dass diese Ermittlungen unabhängig von den Interessen der reichen Konzerne ablaufen sollen, die durch tausende von Fäden mit den Banken verbunden sind.

Die Sozialdemokraten wünschen sich einen herkömmlichen Richter, der diese Untersuchungen führen soll und die ganze Chose somit schön innerhalb der sicheren Schranken der kapitalistischen Elite belässt.

„The Socialist“ fordert hingegen eine wirklich unabhängige Untersuchung, die von VertreterInnen der Gewerkschaften, durchschnittlichen HypothekennehmerInnen, RentnerInnen, kleinen Gewerbetreibenden und jungen Menschen durchgeführt wird, die das ganze Ausmaß des Betrugs, die Korruption und die in der City of London, dem Finanzzentrum Großbritanniens, verübten Erpressungen offenlegen können.

„Labour“ hingegen traut sich nicht, die dem britischen Kapitalismus zugesicherten Interessen herauszufordern. Deshalb bedeuten ihre Reformvorschläge auch nichts weiter als einen freundlichen Klaps auf die Finger der Bankiers.

Die beiden bekannten „Labour“-Politiker Ed Miliband und Ed „leichte Hand“ Balls schlagen eine Sonderabgabe für die nationalen Geschäftsbanken vor, die lediglich dazu führen würde, dass man sich zurück auf dem Level vor Beginn der Krise im Jahr 2007 befände, als die Bankhäuser „NatWest“ und „HBOS“ noch eigenständige Banken waren, die aus der Not heraus von anderen Finanzhäusern übernommen werden mussten.

Auch eine Ausweitung der Machtbefugnisse des „Serious Fraud Office“ (Betrugsbekämpfungsbehörde) und die Schaffung der Möglichkeit, dass Bankiers einfach „abgezogen“ werden können, werden nicht viel an der Situation ändern, so lange man weiter in der Lage ist, durch Betrügereien Millionenbeträge aus dem Bankensystem herauszuholen.

Und dass die Banken das Finanzsystem kontrollieren, bedeutet, dass sie weiterhin Mittel und Wege finden werden, um derlei Restriktionen zu umgehen. Die Ideen von Miliband, dass man Banken unter guter Verwaltung unterscheiden müsse von Banken des Casino-Kapitalismus und durch professionelle Assoziationen einfach eine neue „Kultur“ eingeführt werden könne, geht auf seine Vorstellung zurück, nach der man auch „räuberische“ von „verantwortungsbewussten“ Kapitalisten zu unterscheiden habe. Dabei verhält sich doch das gesamte System räuberisch gegenüber den arbeitenden Menschen.

Bei der Übernahme des Kapitalismus durch seine eigenen Finanzinteressen handelt es sich um ein globales Phänomen, dass wegen des Abbaus der dortigen Industrieproduktion vor allem in Britannien zu Tage tritt. Und diese Entwicklung kann nicht einfach durch ein paar schmerzlose Kniffe rückgängig gemacht werden.

Miliband versucht den Eindruck zu erwecken, dass „Labour“ sich gewandelt habe von der Banken-freundlichen „New Labour“-Regierungspartei, deren erste Maßnahme es war, die „Bank of England“ teilweise zu privatisieren.

Die erste Reihe der „Labour Party“ lehnte es sogar ab, auch nur den eigenen Abgeordneten John McDonnell darin zu unterstützen, seinen doch sehr moderaten Vorschlag durchzubringen, dass das Unterhaus des brit. Parlaments an der Auswahl des nächsten Gouverneurs der „Bank of England“ beteiligt werden sollte.

Gesellschaftliche Kluft

Der LIBOR-Skandal hat der Masse der arbeitenden Menschen erneut in Erinnerung gerufen, dass es eine enorme Kluft in der Gesellschaft gibt. Auf Seiten einer winzigen, parasitären Elite existiert unvorstellbarer Wohlstand, während Millionen von RentnerInnen und KollegInnen im Niedriglohnbereich großes Leid auferlegt wird.

Was nötig ist, ist eine neue Partei der Arbeiterklasse, die die Empörung der Massen auf die Wenigen ausdrücken kann.

Und um die Gesellschaft zu verändern, muss eine solche Partei ein Programm annehmen, das den Krebs des parasitären Finanzsystems chirurgisch aus der Gesellschaft entfernen kann – ein sozialistisches Programm, das auf Folgendem aufbauen muss:

– Verstaatlichung der Banken und wichtigsten Finanzinstitutionen zu demokratischem, öffentlichen Eigentum bei Entschädigungen nur im Falle nachgewiesener Bedürftigkeit.

– Eine Staatsbank, die unter der Leitung von VertreterInnen der Bankbeschäftigten und Gewerkschaften, der breiteren Arbeiterklasse wie auch der Regierung steht.

– Günstige Hypotheken und Privatkredite, die sicher und mit garantierten niedrigen Zinsen versehen sind.

– Kapitalhandel, der sich in öffentlichem Eigentum befindet und demokratisch kontrolliert ist, um sicherzustellen, dass der in der Gesellschaft geschaffene Wohlstand der Masse der Bevölkerung zur Verfügung steht, die diesen erarbeitet haben, damit die Reichen sich nicht die Taschen vollstopfen können.