Zum 60-jährigen Kronjubiliäum in Großbritannien

Nicht nur ein „Relikt vergangener Tage”

Die Regierung wird hoffen, dass die Parade aus eintausend Schiffen auf der Themse anlässlich des Thronjubiläums der Queen als nützliche Ablenkung dient, während sie weitere gewaltige Kürzungen durchdrückt.

von Becci Heagney, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)

Beim 60-jährigen Thronjubiläum handelt es sich um mehr als nur um Zerstreuung. Hinter all dem Glanz und Gloria bedeutet die reine Existenz der Monarchie eine potentielle Bedrohung im Kampf gegen sogenannte Sparprogramme und andere Einschnitte.

Es wird berichtet, dass im ganzen Land das „Jubiläums-Fieber steigt“. Dabei kam letztes Jahr noch eine Umfrage der Tageszeitung „The Guardian“ zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut ICM auf das Ergebnis, dass 49 Prozent der Bevölkerung sich mehr über einen weiteren arbeitsfreien Tag freuen würden als darüber, mit anzusehen wie Will und Kate sich das „Ja-Wort“ geben. Und wenn man genauer hinsieht, wird klar, dass das „Jubiläums-Fieber“ gar nicht so hoch ist wie Regierung und die Queen gern hätten.

1977, beim 25-jährigen Thronjubiläum, fanden mehr als 100.000 Straßenparties statt. Heute sind in London bisher nur um die 1.800 Absperrungen von Straßen geplant. Dabei kann der Stadtbezirk Barking and Dagenham mit einer der höchsten Arbeitslosen- und Armutsraten in ganz London auf die niedrigste Zahl von nur fünf organisierten Festivitäten verweisen. Menschen aus der Arbeiterklasse haben nichts gemein mit den Lebensweisen der königlichen Familie, und allein die Königin hält ein „Privatvermögen“ von geschätzten 1,15 Milliarden brit. Pfund (~ 1,43 Mrd. Euro; Erg. d. Übers.).

Als die Queen 1952 an die Macht kam, war sie der „Head of the Commonwealth“ und klammerte sich noch an die Reste des „British Empire“. Das Land Jamaika, das dieses Jahr zum fünfzigsten Mal seinen Unabhängigkeitstag begeht, fasst heute ins Auge, alle Bande zur britischen Monarchie abzureißen und die Queen als Staatsoberhaupt durch einen jamaikanischen Präsidenten zu ersetzen.

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht die Queen als harmlose Touristenattraktion an und die königliche Familie wird oft behandelt als handele es sich bei ihnen um Charaktere aus einer Daily-Soap oder um „Prominente“, die man aus den Medien kennt. In den letzten Jahren waren verschiedene Angehörige der „Royal Family“ immer wieder in Skandale verwickelt, und Angestellte des Königshauses gaben des Öfteren Geheimnisse an verdeckt arbeitende Reporter weiter. Ein Mitglied der königlichen Familie hatte sich als Nazi verkleidet und der Ehemann der Queen machte in der Öffentlichkeit eine ganze Reihe an bigott-rassistischen Kommentaren.

In der Hoffnung, neue Unterstützung für sie zu bekommen, ist es schon öfter zu Versuchen gekommen, die Monarchie zu „modernisieren“. Deshalb betonte man auch so sehr die angebliche Progressivität von Kate Middleton, einer „nicht-Adligen“(!), die Prinz William heiraten würde. Die Eltern von Kate besitzen ein Unternehmen, das Schätzungen zufolge 30 Million brit. Pfund (~ 36,5 Millionen Euro; Erg. d. Übers.) wert ist, und sie selbst ging auf Privatschulen, was nicht gerade die Annahme zulässt, dass sie den einfachsten Verhältnissen entstammt.

2011 zeigte eine Umfrage von „Ipsos Mori“, dass 44 Prozent der Bevölkerung meinen, dass die königliche Familie „nichts mit der Realität der „einfachen“ Leute zu tun hat“. Und eine jüngste Erhebung von „The Guardian“ und ICM dazu wies aus, dass junge Leute noch geneigter sind zu denken, dass Großbritannien besser dran wäre ohne Monarchie. Doch die Queen ist weit davon entfernt, bloß eine Touristenattraktion oder nur Prominente zu sein.

Das Recht auf ihrer Seite …

Als einige Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im Juni 2011 zu einem Streik-Aktionstag aufriefen, wurden diese von Parlamentsabgeordneten der konservativen Partei gebrandmarkt, den wirtschaftlichen Aufschwung zu gefährden. Und gerade erst warnte der Präsident der „Bank of England“, Mervyn King, dass die freien Tage anlässlich des Thronjubiläums der kränkelnden Wirtschaft Großbritanniens Schaden zufügen könnte. Er schätzte, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dadurch um 0,5 Prozent zurückgehen würde. Dessen ungeachtet ruft Premierminister David Cameron zur „Mutter aller Feste“ auf. Doch wie kommt es zu diesem scheinbaren Widerspruch?

Generell besteht die Rolle der Monarchie darin, das Gefühl der Ehrerbietung gegenüber unserer herrschenden Klasse zu verstärken. Es gibt allerdings auch eine ernstzunehmendere Lesart. Bei der Königin handelt es sich um das nicht gewählte Staatsoberhaupt, die allein aufgrund ihrer Geburt dieses Amt inne hat. Sie soll sich „politisch neutral“ verhalten, weil sie ja schließlich Teil einer „konstitutionellen Monarchie“ ist, und wir einen Premierminister haben, der die formelle politische Macht hat.

Trotzdem müssen alle Gesetzesvorlagen das „königliche Einverständnis“ haben, um in Kraft treten zu können. Es muss also zur vorherigen Prüfung durch die Königin kommen. Das bedeutet, dass sie die Macht hat, zu jeder Entscheidung der gewählten Regierung ihr Veto einzulegen.

Mit den Gesetzen, die von den „Con-Dems“ („to condemn = verachten; Ein Wortspiel, mit dem die Haltung gegenüber der konservativ/liberal-demokratischen Regierungskoalition zum Ausdruck gebracht wird; Anm. d. Übers.) oder von ihren ebenfalls Kürzungen um Kürzungen betriebenen Vorgängerregierungen der sozialdemokratischen „Labour“-Partei erarbeitet wurden, hatte die Queen keine Probleme, weil beide die kapitalistische Gesellschaft stützen und alles dafür tun, damit sie fortbesteht. Hätte eine Regierung aber versucht Gesetze durchzusetzen, die eine Bedrohung für diese Art der gesellschaftlichen Ordnung darstellen, dann hätte die Königin ihre Zustimmung dazu verweigern können.

Von daher schwebt die Monarchie nicht „über“ der Politik, sondern kann in Wirklichkeit auf beträchtliche politische Macht zurückgreifen. Die Königin hat auch den Oberbefehl über die bewaffneten Kräfte und die Polizei. Parlamentsabgeordnete, leitende BeamtInnen und RichterInnen legen einen Eid ab, der Krone und nicht dem Parlament gegenüber loyal zu sein.

Diese Machtbefugnisse könnten durchaus auch genutzt werden, um die bewaffneten Kräfte gegen zukünftige Massenbewegungen und Streiks einzusetzen. Einen Vorgeschmack davon gab es im Jahr 2000 als die Queen während der Proteste der Tanklast-FahrerInnen die „Notstandskräfte“ anrief.

In den nächsten Jahren wird es zu einer steigenden Anzahl an Protesten und Streiks kommen, da die Regierung versucht, ihre sogenannten Sparmaßnahmen durchzusetzen und die Arbeiterklasse sich dagegen zu wehren wissen wird. Es ist möglich, dass monarchistische „Notstandkräfte“ eingesetzt werden, um der kapitalistischen Klasse dabei zu helfen, genau dies zu unterdrücken.

Berufen ins Amt

Formell ernennt der Monarch den Premierminister und kann dies auch dann tun, wenn bei Wahlen keine politische Partei die Mehrheit erreicht. Dies gilt auch für den jetzigen konservativen Premierminister. 1931, als der Vorsitzende der sozialdemokratischen „Labour“-Partei, Ramsay MacDonald, als Premierminister zurücktrat, ernannte König Georg V. ihn zum Kopf der „nationalen Regierung“ aus einer Koalition mit den konservativen „Tories“ und den Liberalen, um Attacken auf die Arbeiterklasse durchzudrücken.

Ähnlich verhält es sich mit der Macht, die der britische Monarch hat, um das Parlament aufzulösen. 1975 entließ der damalige Vertreter der Queen in Australien, Generalgouverneur Kerr, Premierminister Gough Whitlam von der sozialdemokratischen „Labour“-Partei und ernannte an seiner Stelle Malcolm Fraser, den rechts-konservativen Chef der „Liberal Party“, als Interimspremier.

All dies zeigt, dass die herrschende Klasse unter bestimmten Bedingungen auf „Reserve-Kräfte“ der Monarchie zurückgreifen kann, um Maßnahmen gegen die Arbeiterklasse und sozialistische Bewegungen zu ergreifen. Auch wenn davon nicht sehr oft Gebrauch gemacht wird, so werden die entsprechenden Kräfte nicht lange zögern dies sofort zu tun, wenn es für sie zu kriseln beginnt.

Und dennoch braucht es ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Unterstützung für die Queen, um es den beschriebenen Kräften zu erlauben, in Amt und Würden zu bleiben. Deshalb wird die Königin als harmlos, segensreich und als jemand dargestellt, der Respekt verdient.

Der Kapitalismus befindet sich derzeit in seiner schwersten Krise seit 80 Jahren. Um ihr System am Leben zu erhalten, dreschen die Großkonzerne und ihre Vertreter in der Regierung auf die Arbeiterklasse ein und versuchen, uns die Errungenschaften, die wir erreicht haben (z.B. das brit. Gesundheitssystem NHS), wieder abzunehmen.

Mit den diesjährigen Feierlichkeiten zum 60. Thronjubiläum der Königin versucht die Regierung, Unterstützung für die königliche Familie, den Inbegriff von Oberklasse und Privilegien, zu erhaschen. Damit wollen sie einen Beitrag leisten, ihr Profit-geleitetes System zu verteidigen, das zu Gunsten des oberen einen Prozent der Gesellschaft in Gang gehalten wird.

Die Monarchie und die erste Kammer des Parlaments, das „House of Lords“ („Oberhaus“, dessen Mitglieder nicht durch Wahl bestimmt werden sondern z.Zt. aus 25 Bischöfen und Erzbischöfen sowie 723 von den Parteien ernannten, sogenannte „weltlichen Lords“ besteht. Erstere sind Teil des „Oberhauses“, solange sie ihr kirchliches Amt bekleiden, letztere sind auf Lebenszeit ernannt; Anm. d. Übers.) sind Relikte aus der Ära des Feudalismus und sollten abgeschafft werden. Diese Einrichtungen sind undemokratisch und werden benutzt, um die wachsende Spaltung zwischen den gesellschaftlichen Klassen zu verteidigen. In einer sozialistischen Gesellschaft wäre kein Platz für derlei parasitäre, mittelalterliche Symbole der Macht.

Zur königlichen Buchhaltung:

– 1,15 Milliarden brit. Pfund umfasst das geschätzte „Privatvermögen“ der Queen (~ 1,43 Mrd. Euro; Erg. d. Übers.)

– 52.000 brit. Pfund kostet es jedes Mal, wenn der königliche Zug benutzt wird (~ 64.500 Euro)

– Die Queen gehört zu den Leuten mit dem größten Landbesitz auf der Erde

Sie besitzt:

– eine 10 Milliarden brit. Pfund teure Kunstsammlung (~ 12,4 Mrd. Euro)

– eine 100 Millionen brit. Pfund teure Briefmarkensammlung (~ 124 Mill. Euro)

– einen Fuhrpark im Wert von sieben Million brit. Pfund ( ~ 8,6 Mill. Euro)

Wie viel Geld bekommen sie?

Der Besitz der britischen Krone umfasst ein dickes Stück einer sehr reichhaltigen Torte: Grundbesitz im West End von London, die Pferderennbahn von Ascot, einen Landstrich von 22 km Umfang entlang der britischen Küste und noch viele andere Grundstücke.

In den letzten 250 Jahren sind alle Einnahme aus dem königlichen Besitz in die Kasse des Finanzministeriums geflossen, das seinerseits dann die königliche Familie mit einer jährlichen Zuwendung von derzeit 30 Millionen brit. Pfund (~ 37,5 Millionen Euro; Erg. d. Übers.) bedacht hat. Das kommt noch zu den 150 Millionen brit. Pfund (~ 186 Mio. Euro) hinzu, die die Sicherheitsmaßnahmen verschlingen. Einer im nächsten Jahr in Kraft tretenden Neuregelung zufolge wird der Monarch dann jährlich schätzungsweise 37,5 Millionen brit. Pfund (~ 47 Mio. Euro) erhalten. Das ist eine kräftige Steigerung bei den royalen Zuwendungen. Und sie findet in Zeiten statt, die für uns nur sogenannte Sparprogramme parat haben.