Griechenland vor den Wahlen: SYRIZA wählen! Für eine Regierung der Linken mit sozialistischem Programm

Wahlaufruf von „Xekinima“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland)

Bei den Parlamentswahlen am 17. Juni 2012 haben wir die Wahl zwischen Neuer Demokratie (ND) und SYRIZA („Bündnis der Radikalen Linken“). Das ist die wirkliche Alternative für jeden Einzelnen von uns: Einerseits die Fortsetzung der Politik des Memorandums (d.h. der Sparpolitik) und andererseits ein Stopp dieser Politik, damit sich ein alternativer Weg herausbildet.

Die zwei Parteien, die das Land seit fast vier Jahrzehnten regieren – die sozialdemokratische PASOK und die konservative ND – haben es in einen Zustand des Zerfalls geführt und das Leben von Millionen ArbeitnehmerInnen, Jugendlicher, RentnerInnen usw. zerstört.

Dieselben Parteien haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass eine Bande von faschistischen Mördern, die Patrioten spielen, Nostalgiker von Hitler und der Militärjunta (Diktatur von 1967-1974, Anm. d. Übers.) ins Parlament eingezogen sind. (gemeint ist die faschistische Organisation „Goldene Morgenröte“, Anm. d. Übers.)

Wir rufen jedes Einzelne der Millionen Opfer von PASOK und ND auf, das Mögliche zu tun, damit die Katastrophe nicht weiter fortgeführt wird. Das bedeutet heute: SYRIZA wählen.

Die Linke hätte zusammenarbeiten müssen

Vor den Wahlen des 17. Juni hätte die gesamte Linke zusammenarbeiten müssen mit dem Ziel, ein neues Kapitel für die Bevölkerung unseres Landes aufzuschlagen. Die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) und ANTARSYA („Antikapitalistische Linke Kooperation für den Umsturz“, ein Zusammenschluss mehrerer Organisationen der Radikalen Linken, Anm. d. Übers.) hätten positiv auf den Einheitsaufruf antworten müssen, den SYRIZA mit dem Ziel einer linken Regierung an sie gerichtet hat.

Sie begründen ihre Weigerung damit, dass das Programm von SYRIZA nicht genügend links oder radikal ist. „Xekinima“ teilt einen großen Teil der Kritik, die die KKE, ANTARSYA und andere Teile der Linken am Programm von SYRIZA üben. Doch dies ist kein ausreichender Grund für die Verweigerung der Zusammenarbeit, wenn diese Haltung den Weg für die Parteien des Memorandums (das Spardiktat) und der Troika (EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfond) offen lässt!

Die übrige Linke hätte ihre Differenzen mit SYRIZA aufrechterhalten können und trotzdem der Zusammenarbeit zustimmen müssen. Das gilt (aufgrund ihrer Größe) insbesondere für die KKE. Dann hätte sie SYRIZA dazu aufzurufen sollen, offen und öffentlich das Programm, das eine Regierung der Linken haben muss, zu diskutieren. Eine solche öffentliche Debatte würde der Bevölkerung helfen, sich über das Thema eine Meinung zu bilden und sich einzubringen. So würde offensichtlich, bei welchen Fragen es Übereinstimmung geben könnte. So könnte auf SYRIZA Druck ausgeübt werden, SYRIZA dazu gezwungen werden, sich in Richtung linkerer Positionen zu bewegen. Dies würde der KKE (oder ANTARSYA usw.) nicht ihre Unabhängigkeit rauben, da die Zusammenarbeit der Linken keiner Gruppe die ideologische, politische und organisatorische Unabhängigkeit nimmt. Weil die KKE eine solche Annäherung verweigert, wird sie in der Gesellschaft geschwächt und steht einer inneren Krise gegenüber.

Wie kann die Wirtschaft aus der Depression herauskommen?

Das Thema des Programms der Linken ist von wichtiger Bedeutung. Insbesondere, da der Weg zu einer Regierung der Linken sich geöffnet hat: Entweder direkt am 17. Juni oder später, da jegliche Regierung aus ND und PASOK eine Regierung der Krise und der vollständigen Instabilität sein wird.

Die Massen verfolgen mit Sorge die Tatsache, dass in diesem Punkt die Linke eine außerordentliche Schwäche zeigt. SYRIZA, die die Basis für eine morgige Regierung der Linken darstellt, hat große Defizite, Unklarheiten und Widersprüche zur Frage der nötigen Maßnahmen nach einem Wahlsieg.

Als „Xekinima“ unterstützen wir SYRIZA, um die Umsetzung der Politik des Memorandums zu beenden und um die Troika zu verjagen. Gleichzeitig sehen wir ein Vakuum hinsichtlich des Programms und legen unseren eigenen Vorschlag vor. Unserer Meinung nach müssen grundlegende Punkte eines linken Programms folgende sein:

– Verweigerung der Schuldenzahlungen an die zinswucherischen Kreditgeber

Die Schulden von etwa 350 Mrd. € (160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) sind ein unstillbarer Blutverlust für die griechische Wirtschaft, der sie nie wird aufatmen lassen. Sie sind ein Ergebnis der zinswucherischen Kreditbedingungen seitens der Banker und der diesen Untergebenen von PASOK und ND. Die ArbeitnehmerInnen tragen keinerlei Verantwortung dafür. Die Zahlungsverweigerung der Schulden ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Wirtschaft „aufatmen“ kann.

– Verstaatlichung des Bankensystems

Mit den Einlagen der griechischen ArbeitnehmerInnen (heute 165 Mrd. €, doch mit vielen weiteren zur Zeit „unter dem Kopfkissen“ versteckten Mrd. €) spekulierten die griechischen Banker auf unsere Kosten und sammelten Jahrzehnte lang sagenhafte Reichtümer an. Heute sind unsere sehr geringen Einlagen in ihren Händen gefährdet. Die Verstaatlichung des Bankensystems ist das einzige Mittel, das die Einlagen der Bevölkerung garantieren kann, dass niedrig verzinste Kredite vergeben werden und dass Projekte finanziert werden, damit die Wirtschaft wieder wächst.

– Verstaatlichung der großen strategischen Unternehmen

Es ist nicht einzusehen, dass die Energie- und Kommunikationsunternehmen, die Häfen, das Transportwesen, die Zementwerke, die großen verarbeitenden und viele andere für die Wirtschaft wichtigen Unternehmen, die so viele Jahre mit dem Geld der Steuerzahler bezuschusst wurden – unser eigenes Geld – sich in den Händen des Privatkapitals befinden, damit dieses spekuliert und danach die ArbeitnehmerInnen auf die Straße wirft. Sie müssen in den Besitz der Gesellschaft übergehen, damit sie ein Hebel werden für (öffentliche) Investitionen und Wachstum. Und damit mit ihren Gewinnen das Bildungs- und Gesundheitswesen usw. gestützt werden.

Die Verstaatlichungen für sich allein reichen nicht aus. Damit diese Unternehmen der Gesellschaft dienen, muss folgendes institutionalisiert werden:

– Die Kontrolle und Verwaltung durch die ArbeiterInnen und die Gesellschaft,

so dass die ArbeitnehmerInnen und die Gesellschaft die Korruption, die Misswirtschaft und die Verschwendung, die Steuerflucht und die Sozialabgabenflucht der „Cleveren“ kontrolliert.

Auf Grundlage des oben Genannten wird die Wirtschaft im Dienste der gesellschaftlichen Bedürfnisse geplant werden können.

Sofortige Maßnahmen

Über die obigen Punkte eines allgemeinen Programms hinaus, muss eine Regierung der Linken unter ihren ersten und direkten Schritten zu Folgendem vorangehen:

– Der Mindestlohn muss wiederhergestellt und die Abschaffung der Kollektiv- und Tarifverträge aufgehoben werden.

– Alle Entlassungen müssen eingefroren und die prekäre Beschäftigung durch die Umwandlung aller Verträge in unbefristete abgeschafft werden.

Als Folge alles Obigen müssen massenhafte Einstellungen und Investitionen in den Bereichen stattfinden, in denen es drängende Bedürfnisse gibt, wie das Bildungs- und das Gesundheitswesen. Ebenso in die Bereiche, die dazu beitragen können, dass die Wirtschaft schnell auf eine Bahn des Wachstums kommt, wie die Infrastruktur. Ebenfalls in Bereiche, in denen die Wirtschaft im internationalen Vergleich Vorteile aufweist, wie die Landwirtschaft, den Tourismus, die Erneuerbaren Energiequellen usw.

Ein sozialistisches Programm

SYRIZA hat kein solches Programm, das ist Realität. Doch die Stimme für SYRIZA und die Wahl einer Regierung der Linken wird der Massenbewegung erstens die Möglichkeit geben, den Angriff zu stoppen und zweitens die Diskussion darüber zu eröffnen, welche Art von Regierung und welches Regierungsprogramm (welche „Maßnahmen“) die Linke will. Außerdem wird eine linke Regierung günstigere Bedingungen für den Kampf um die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse bedeuten.

Ein Programm wie das obige, ein sozialistisches Programm, ist absolut notwendig. Es ist der einzige Weg, damit „die Wirtschaft zu sich kommt“.

Konfrontation mit der EU – gemeinsam mit den ArbeitnehmerInnen des südlichen und des übrigen Europa

Die Herren der EU drohen mit Rausschmiss aus dem Euro, wenn Griechenland die „Verpflichtungen“ gegenüber den Kreditgebern nicht „erfüllt“. Im Namen des Verbleibs im Euro verlangen sie, die absolute Zerstörung und Auflösung unserer Gesellschaft zu akzeptieren! Die Antwort darauf ist „Nein“!

Im selben Moment, wo sie mit Rausschmiss aus dem Euro drohen, führen die Venizelos (PASOK-Vorsitzender), die Samaras (ND-Vorsitzender) und die Leute der Troika mit ihrer eigenen Politik Griechenland aus dem Euro – sie sind folglich die Letzten, die das Recht haben, Lehren zu erteilen! In der Tat wird auf der Basis ihres eigenen bankrotten kapitalistischen Systems ein abruptes Ausscheiden aus dem Euro und die Rückkehr zur Drachme einen Schock für die Wirtschaft, eine drastische Abwertung der Währung und eine hohe Inflation bedeuten.

Eine Regierung im Dienste der ArbeitnehmerInnen jedoch kann, gestützt auf ein sozialistisches Programm wie das obige, erfolgreich dem Angriff Brüssels entgegentreten, das den Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro durch das Ende der Kreditzahlungen und parallel durch das Hervorrufen einer Erstickung des griechischen Kreditwesens verfolgt.

Diesem Angriff kann man entgegentreten. Im Prinzip, indem man platte und oberflächliche Parolen der Art „Sofort raus aus dem Euro und der EU“ vermeidet und indem man eine Politik des schrittweisen Übergangs zu einer nationalen Währung wählt, da Brüssel nicht die Möglichkeit hat, ein Land innerhalb von „24 Stunden“ aus dem Euro „rauszuschmeißen“ (dieser könnte so aussehen, dass neben der Einführung einer nationalen Währung für den Binnenhandel, die Euro-Bestände im Land für eine Zeit zum Außenhandel verwendet werden, Anm. d. Redaktion.). Dieser Prozess kann viele Monate dauern – eine Periode, in der mit einem sozialistischen Wiederaufbauprogramm die Wirtschaft auf eine Bahn des Wachstums kommen kann und die Folgen aus der Währungsinstabilität drastisch begrenzt werden können.

In derselben Periode gibt es einen anderen parallelen Kampf, der geführt werden muss. Es ist der Kampf des Internationalismus: Gemeinsam mit den ArbeitnehmerInnen im übrigen Europa, gegen die gemeinsamen Feinde in Brüssel und im IWF, gegen das Kapital und die multinationalen Konzerne. Unser Ziel kann kein anderes sein als ein Europa der ArbeitnehmerInnen und des Sozialismus, denn kein Land kann, langfristig betrachtet, alleine eine sozialistische Oase aufbauen, umzingelt von einer feindlichen kapitalistischen Umwelt. Und das Beispiel Griechenlands kann Dutzende Millionen Menschen in ganz Europa inspirieren – das sollten wir nicht unterschätzen!

Sogar in dem Falle, wo die großen Umstürze nicht schnell die gesamte EU erfassen, können sie Südeuropa erfassen, die Länder, die in diesem Moment unter der Schuldenkrise stöhnen: Spanien, Portugal, Irland, Italien. Gemeinsam mit diesen können wir vorankommen, sogar zu einer gemeinsamen Wirtschaftszone mit gemeinsamer Währung.

Einige werden sagen, dass solche Umstürze von einem Tag auf den anderen nicht geschehen. Doch die griechische Erfahrung hat ganz Europa genau das Gegenteil gezeigt, nämlich dass sie es können.

Historische Aufgaben

Die Linke hatte in der Vergangenheit wiederholt historische Chancen, doch leider sind sie alle verloren gegangen und haben in Tragödien der einen oder anderen Art geführt. Die grundlegende Ursache hinter allen von ihnen war keine andere als die Weigerung oder Schwäche der Linken, die tagtäglichen Kämpfe zu verbinden mit einem Programm des Bruchs mit der Macht des Kapitals. Heute bietet der Aufstieg von SYRIZA wiederum der Bewegung eine historische Chance. Diese Chance darf nicht verloren werden.

Die griechische Arbeiterbewegung kann über ihre harten Streikkämpfe und die Besetzungen (z.B. von Ministerien und anderen staatlichen Institutionen, von Rathäusern, Straßen usw. – das Alles gab es in den letzten Jahren, Anm. d. Übers.) der vorangegangenen Periode, über die Bewegung der „Empörten“, die „Aganaktismeni“ mit ihren Platzbesetzungen, die Bewegung „Ich bezahle nicht“ (beispielsweise wurden Mautstellen an Autobahnen besetzt und die Autofahrer wurden kostenlos durchgewunken, die Fahrkarten in öffentlichen Verkehrsmitteln, die drastisch erhöht wurden und die „Kopfsteuer“ auf Immobilien und Wohneigentum wurden nicht bezahlt, Anm. d. Übers.), über ihre Volksversammlungen usw. und heute durch ihre Stimmabgabe, die Troika dazu zwingen, abzuhauen. Wir können den ArbeitnehmerInnen in ganz Europa, insbesondere im Süden, eine Botschaft des Widerstandes und der Hoffnung schicken und die Vision der alternativen Gesellschaft zu neuem Leben erwecken.

Übersetzung von Hubert Schönthaler