Kosova: Privatisierung von Ferronikel oder das „Harmagedon in Drenas“

Im Jahr 2006 wurde die Privatisierung von Ferronikel in Drenas, im Nordwesten Kosovas, gegen den Widerstand der ArbeiterInnen und der Bevölkerung abgeschlossen. Heute ist die Bilanz der Privatisierung für die Bevölkerung der Stadt, für die BewohnerInnen der Dörfer und für die Beschäftigten mehr als vernichtend.

von Max Brym, München

Die Privatisierung des Giganten Ferronikel vernichtete Arbeitsplätze, liquidierte ganze Dörfer, vergiftete die Umwelt und zerstört die Gesundheit der ArbeiterInnen am Arbeitsplatz. Die Lebensbedingungen der Menschen in und um Drenas gleichen einem Horrorfilm aus Hollywood. Kein Autor benötigt Phantasie, um schreckliche Drehbücher zu schreiben. Ein Besuch in Drenas reicht aus.

In Drenas müssen Bauern nur einen Spatenstich machen, um auf ihren Grundstücken Ölklumpen vorzufinden. Die Kühe, deren Wiesen vergiftet sind, geben nur noch gefährliche Milch. Geschlachtete Kühe in der Nähe von Ferronikel weisen schwarze Flecken auf. Kinder im Freien spielen zu lassen gleicht oftmals einem verantwortungslosen Abenteuer. Ärzte berichten über hohe Krebsraten, seit die Firma Alferon die Firma Ferronikel betreibt. BewohnerInnen aus den Dörfern erzählen von schrecklicher Atemnot, wenn der „Wind verkehrt steht“. Die rapide Zunahme von Gehirnkrebserkrankungen in der Umgebung von Ferronikel wird von Bauern und Ärzten mit den Schadstoffen aus den Türmen der Fabrik begründet. Am 29. August 2011 sprach Dr. Xhekaj in der Zeitung „ Koha Ditore“ und in „Kosova-Sot“ von massiven Erkrankungen der ArbeiterInnen und der Menschen in Drenas. Nach Dr. Tafil Xhekaj „stiegen Atemwegserkrankungen, Lungen und Muskelerkrankungen in Drenas, seit die Firma wieder in Betrieb ist, sprunghaft an“. Dr. Xhekaj ist Leiter des „ Medizinischen Zentrums“ in Drenas. Das Einatmen anorganischer Nickelverbindungen ist mit einem erhöhten Krebsrisiko für Lunge und der oberen Luftwege verbunden.

Kein Arbeiter in der Firma arbeitet mit entsprechender moderner Sicherheitskleidung. Staatliche Inspektoren kündigen sich zwei Wochen vor der Arbeitsplatzkontrolle bei der Geschäftsleitung an. Diese Kontrollen finden als Mittagessen mit der Geschäftsleitung statt. Böse Zungen behaupten, dass dabei bestimmte Briefe über den Tisch wandern. Dem Risikofaktor Arbeit mit Nickel wird nichts entgegengesetzt. Viele Krankheiten entstanden bei den ArbeiterInnen. Außerdem ist ein erhöhter Nickelgehalt in der Atemluft ein Risikofaktor für eine Sensibilisierung gegen Nickel bei Kindern. Wegen fehlender Filter musste die Firma Alferon kürzlich lächerliche 35.000 Euro an den kosovarischen Staat bezahlen. Durch Drenas fließt der Fluß Drenica. An bestimmten Stellen kann genau beobachtet werden, wie Schadstoffe und Öl in den Fluß geleitet werden.

Was war und was ist Ferronikel?

Am Nachmittag des 5. März 2012 kam es in der Firma Ferronikel zu einer gewaltigen Explosion. Dabei wurden vier Arbeiter schwer verletzt und ein Arbeiter verlor fast sein Leben. Die Ursachen der Explosion sind bis dato nicht geklärt. Die neue Eigentümerin, die Firma Alferon, tut alles, um die Öffentlichkeit und die Beschäftigten zu verwirren. Es erfolgte keine durchschaubare Aufklärung über diesen Vorfall. Der Gewerkschafter Osman Osmani (UNIA) aus der Schweiz schreibt dazu: „Die Explosion kann als direkte Folge der Privatisierungspolitik betrachtet werden.“ In der Tat, einst gehörte Ferronikel zu den modernsten Betrieben in Kosova. Der Gigant wurde für 35 Millionen Euro im Jahr 2006 an die Firma Alferon verkauft. Unmittelbar nach der Privatisierung wurden von mehr als 2.000 Arbeitern knapp 1.000 entlassen. Der Firma wurden zudem keinerlei Auflagen in puncto Schutz der Beschäftigten gemacht. Es gab auch keinerlei Auflagen für den Umweltschutz. Aus dem einst gut funktionierenden Giganten Ferronikel wurde ein Monster, welches das Leben der ArbeiterInnen und der Bevölkerung von Drenas gefährdet. Es gibt eine hohe toxische Verschmutzung in der Firma und in der Umgebung von Ferronikel. Es existieren barbarische Arbeitsbedingungen, speziell in der Gießerei verbunden mit öfter wiederkehrenden Explosionen. Die Explosion vom 5. März war nur eine der schlimmeren Explosionen.

Von Anfang an war die Privatisierung von Ferronikel schädlich für die ArbeiterInnen und die Gesellschaft in Kosova. Die Verarbeitung von Eisen und Nickel in Ferronikel kommt nicht der Gesellschaft, sondern nur dem privaten Profit der Firma Alferon zu Gute. Die Privatisierung ist ein Resultat der neoliberalen Regierungspolitik im Kosova. Der Fraktionsvorsitzende der „Bewegung für Selbstbestimmung“ im Parlament Visar Yimeri beschrieb im Interview mit „Kosova-Aktuell“ die Privatisierung von Ferronikel mit folgenden Worten: „Was Ferronikel, die Minen und Schmelzöfen angeht, ist dies der bedeutendste Fall von Schäden, welche die Privatisierung im Kosova angerichtet hat. Ferronikel wurde 1984 gebaut und produziert seit dieser Zeit Eisen- und Nickellegierungen nur für den Export. Im Laufe der 90er Jahre wurde die Produktion abgebaut und im Jahr 1998 fast vollständig heruntergefahren. Doch die wichtigsten Arbeitsinstrumente wurden nicht zerstört.“ Zum Zeitpunkt der Privatisierung hatte Ferronikel die Kapazität zur Herstellung von 12.000 Tonnen Nickel pro Jahr. Im Jahr 1989 gab es 2.000 ArbeiterInnen in Ferronikel.

Der neue Eigentümer die Firma Alferon hat nur 35 Millionen Euro bezahlt. Dieser Preis ist absolut lächerlich. Er wurde mittels Bestechung realisiert. Die KPA (Kosovarische Privatisierungsagentur) führt den Privatisierungsprozess, diese Agentur wurde von der UNMIK gegründet. Daneben gibt es für die Firma Ferronikel ein umfangreiches und sehr günstiges Stromversorgungsabkommen. Ferronikel benötigt ungeheure Strommengen zum Billigpreis und der Stromversorger KEK muss Strom aus Serbien beziehen, um Ferronikel gerecht zu werden. Dies steigert das Defizit beim Stromversorger KEK. Im Jahr 2008 verbuchte die KEK wegen Ferronikel Verluste in der Höhe von 20 Millionen Euro.

Die Ferronikel-ArbeiterInnen führten im Sommer 2008 einen Streik durch. Sie forderten Lohnerhöhungen und bessere Bedingungen am Arbeitsplatz. Dieser Streik endete nach der Intervention von Hashim Thaci, dem Premierminister von Kosova. Hashim Thaci versprach an einem Runden Tisch, sich für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Nach diesen Zusagen beendeten die Beschäftigten den Streik. Nichts von dem, was Thaci versprach, wurde Wirklichkeit. Einige Wochen nach dem Streik wurden zwei Arbeiter der Firma Ferronikel verhaftet. Die Verhaftungen wurden von der Polizei durchgeführt. Dabei waren Fernsehteams anwesend. Die Verhaftungen waren Teil der Hauptnachrichten im abendlichen Fernsehprogramm. Die Streikführer wurden beschuldigt, sich an privatem Firmeneigentum vergriffen zu haben.

Profitschleuder Ferronikel

Pro Tag wird in Ferronikel im Dreischichtbetrieb ein Wert von einer Million Dollar verarbeitet. GewerkschafterInnen und Ökonomen schätzen den Profit, den Ferronikel pro Monat erwirtschaftet, auf einen Betrag zwischen zehn und 15 Millionen Dollar. Jeden Monat werden zwischen 900 und 1.000 Tonnen Nickel gewonnen. Die Kapazitäten der beiden Schmelzöfen liegen bei der Verarbeitung von 45.000 Tonnen pro Jahr. Gegenwärtig ist ein völlig veralteter Schmelzofen außer Betrieb. Es gab für diese gigantischen Öfen fast keinerlei Neuinvestitionen. Der eine Schmelzofen muss jetzt allerdings überholt werden, da es fast monatlich zu Explosionen kommt. Insgesamt wurden durch diese Explosionen 36 private Häuser in den letzten beiden Jahren in der Nähe von Ferronikel schwer beschädigt. Der enorme Profit, welche die Dreckschleuder Ferronikel produziert, kommt im Wesentlichen zwei israelischen Kapitalisten zugute. Dies vermeldete vor einigen Monaten die israelische Tageszeitung „Haaretz“ in einem längeren Artikel. Die Firma Alferon betreibt nur das Management und wird von griechischen Managern geführt.

Die Exporte gehen oftmals über Makedonien und Albanien in EU-Staaten. Die deutsche Stahl- und Automobilindustrie ist ein wichtiger Abnehmer von Nickel und Nickelprodukten aus Ferronikel. Ein PR-Sprecher des Unternehmens erklärte vor einiger Zeit: „Ich muss sagen, unser Mut wurde bezahlt, weil in der Zwischenzeit der Nickelpreis nach oben gegangen ist, und das ist gut für unsere Firma und unsere Aktionäre. Ferronikel wird der größte Steuerzahler im Kosovo sein, Ferronikel ist die größte Privatfirma, die mehr als 1.000 Mitarbeiter hat. 100 Prozent unserer Produkte sind für den Export. Man respektiert uns, weil die wissen, wie wichtig wir für das

ganze Kosovo sind.“ Die Region Drenica, in der sich der Nickel-Bergbaukomplex Ferronikel befindet, ist eine der ärmsten Regionen in Kosova. Dies war vor der Privatisierung so und ist jetzt noch schlimmer. Heute bezahlt Ferronikel fast keine Steuern. Kosova wurde und wird als Steueroase propagiert.

Der Landhunger von Ferronikel

Hinter Ferronikel gräbt sich die Firma immer weiter in die Landschaft. Drei Dörfer wurden durch Grabungen voneinander getrennt. Die Dorfbewohner können sich nicht mehr regulär treffen. Die Firma will das Land der Bauern, deren Böden brutal vergiftet werden, günstig abnehmen. Vor einem Jahr bot Alferon den Bauern noch 60.000 Euro für den Hektar. Im Jahr 2012 nur noch 40.000 Euro pro Hektar. Die Widerstandskraft der Bauern geht zur Neige, Sie sind voneinander getrennt worden und ihre Böden sind vergiftet. Letztendlich will Alferon die Dörfer für einen Apfel und ein Ei erwerben. Die Regierung und die staatlichen Kontrollbehörden Kosovas befinden sich, was Ferronikel angeht, im Tiefschlaf. Die Korruption feiert Urstände.

Das bloße Auge auf die Bäume bei Ferronikel macht sofort die Umweltvergiftung in Drenas deutlich. Entweder sind die Bäume absolut tot oder sie haben völlig unnatürliche goldfarbene Blätter. Das Ungeheuer Ferronikel will sich dem privaten Profit zuliebe weiter in die Landschaft fressen. Mensch, Tier und Umwelt sind dem privaten Profit von Alferon unterworfen. Drenas gleicht immer mehr den apokalyptischen Bildern aus der Schlacht von Harmagedon im Johannes-Evangelium.

Widerstand und Forderungen

Die Situation in Drenas ist unhaltbar. Einige Arbeiterinnen und Arbeiter treffen sich im „Geheimen“, sie möchten über Selbstorganisation und Widerstand die Kontrolle über die Firma zurückgewinnen. Sie fordern „die sofortige Rechenschaftspflicht der Firma über die ausgestoßenen Schadstoffe in die Umwelt, die Ursachen der Arbeitsunfälle und der erzielten Gewinne“. Und weiter: „Mittels Selbstorganisation gilt es, die Arbeiterkontrolle über die Produktion herzustellen. Es darf kein Geschäftsgeheimnis der Firma Alferon geben.“ Viele Menschen und ArbeiterInnen in Drenas fordern zudem, Alferon entschädigungslos zu enteignen. Ein Arbeiter von Ferronikel erklärte, ohne seinen Namen zu nennen: „Die Kapazitäten von Ferronikel müssen wieder der

Gesellschaft im Kosova dienen und nicht dem privaten Profit. Dazu bedürfen die Arbeiter aber der Unterstützung der einfachen Menschen im Kosova und von Arbeitern und Umweltinitiativen aus der gesamten Welt.“

Im Drenica-Gebiet ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Viele KollegInnen mit einem Verdienst von 300 bis 400 Euro im Monat sind oft die einzige Geldquelle ganzer Familien. Trotz enormen Arbeitsdruck, Ausbeutung und Gesundheitsgefährdung haben die Arbeiter und Arbeiterinnen oftmals Angst vor offensiven

Widerstandsaktionen. Die Beschäftigten können jederzeit gefeuert werden. Dennoch kann diese Angst überwunden werden. Kosova benötigt den Reichtum von Ferronikel in der Hand der gesamten Gesellschaft – dies ohne Ausbeutung, Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefährdung.

Anhang: Hintergründe zu Ferronikel

Alferon Management Limited aus London ist eine Management-Gesellschaft zuständig für den Betrieb des International Mineral Resources (IMR) in Kasachstan. International Mineral Resources (IMR) ist eine in Zürich ansässiges Holding-Tochterunternehmen der Eurasian Natural Resources Corporation (ENRC), einer der weltweit größten privaten Bergbau- und Metallindustrie-Gruppe von drei kasachischen Geschäftsleuten Alexander Mashkevich, Patokh Chodiev und Alijan Ibragimov.

Haupteigentümer von Alferon sind Alexander Mashkevich und Patokh Chodiev.

Alexander Mashkevich, geboren 1954, ist ein Geschäftsmann und Investor. Er verfügt über bedeutende Beteiligungen und enge politische Beziehungen in Kasachstan. Er hat sowohl die kasachische und die israelische Staatsbürgerschaft, “selten verbringt er mehr als eine Woche pro Monat in Kasachstan.”

Patokh Chodiev, geboren am 15 April 1953, in Jizzakh (Usbekistan), ist ein in London ansässiger usbekischer Oligarch mit belgischer Staatsangehörigkeit, der mit

Alexander Mashkevich und Alijan Ibragimov Teil einer Gruppe von zentralasiatischen Geschäftsleuten sind, die ihr Vermögen durch durch Mineralien, Öl, Gas und Banken in Kasachstan gemacht haben. Chodiev ist derzeit Nr. 287 auf der Forbes-Liste der Milliardäre.