Bartsch oder Lafontaine – geht es nur darum?

Zur Personaldebatte in der LINKEN

Während in Frankfurt/Main anlässlich der Blockupy-Proteste demokratische Rechte in einem bisher nicht gekannten Maße außer Kraft gesetzt werden, spitzt sich die Debatte innerhalb der LINKEN drei Wochen vor dem Göttinger Bundesparteitag auf die Frage zu, ob Dietmar Bartsch oder Oskar Lafontaine der männliche Parteivorsitzende werden soll. Und während viele engagierte LINKE-Mitglieder und -Abgeordnete bei den Platzbesetzungen am Main dabei sind, werden gleichzeitig im Stundenrythmus neue Erklärungen aus den Reihen der Partei verfasst, die entweder den einen oder anderen oder auch beide an der Spitze der Partei sehen wollen. Doch genauso wenig, wie es bei dieser Auseinandersetzung nur um Personen geht, geht es einfach nur um die Frage Bewegungspartei versus Parlamentspartei, wie viele Erklärungen aus der Parteilinken den Eindruck erwecken. Dies sind nur die Ausdrucksformen der grundsätzlichen politischen Unterschiede, um die es eigentlich geht. Das sollte zumindest ausgesprochen und debattiert werden. Der Bundesparteitag steht deshalb nicht nur vor Personalentscheidungen, sondern auch vor einer politischen Richtungsentscheidung, zumindest vor der Entscheidung eine Richtung deutlich zurückzuweisen. Diese Herausforderung sollten die Delegierten annehmen.

von Sascha Stanicic, Berlin

Die Niederlagen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind nur Ausdruck einer Krise, die die Partei seit 2010 erfasst hat. Sie hat nichts mit der Politik der West-Landesverbände zu tun, sondern hat ihre Ursache in der Unfähigkeit der Partei insgesamt, und damit zuerst ihrer Führung und der Bundestagsfraktion, überzeugende Antworten auf die Weltwirtschaftskrise zu geben, die sich seit 2008 entwickelt hat. Alle diejenigen, die die Thüringer Kommunalwahlergebnisse als Beleg für die erfolgreiche Realpolitik in Ostdeutschland anführen, seien an den Niedergang der Linkspartei in Berlin erinnert. Berlin war das Versuchslabor des von Dietmar Bartsch repräsentierten so genannten Reformerflügels. Hier hat die zehnjährige Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit der SPD nicht nur zu dramatischen Stimmenverlusten geführt, sondern vor allem auch die Verbindung der Partei zu den sozialen Bewegungen, GewerkschaftsaktivistInnen und außerparlamentarischen Linken weitgehend gekappt. Hier wurde DIE LINKE mehr als anderswo zu einer staatstragenden, langweiligen, angepassten und für den sozialen Widerstand nahezu unbrauchbaren Partei wie jede andere.

Trotzdem fühlt sich der im Forum Demokratischer Sozialismus (fds) organisierte rechte Flügel der Partei selbstbewusst genug, um Bartsch ins Rennen um den Parteivorsitz zu schicken und dem ohnehin wachsweichen Leitantrag des Parteivorstands zum Bundesparteitag einen Alternativentwurf entgegenzustellen, der jegliche Bedingungen für Regierungsbeteiligungen mit der SPD aufgibt und so das Grundsatzprogramm, das erst vor einem Jahr in Erfurt beschlossen wurde, faktisch außer Kraft setzen soll. Kommt der fds damit durch, wird DIE LINKE eine andere Partei sein und ihr Gebrauchswert für soziale und betriebliche Kämpfe dramatisch sinken. Wird Dietmar Bartsch auf dieser Basis Parteivorsitzender wächst die Wahrscheinlichkeit, dass DIE LINKE nicht eine Entwicklung wie die griechische Syriza oder die spanische Vereinte Linke nimmt (die angesichts von Massenprotesten gegen Kürzungspolitik massive Stimmengewinne verzeichnen), sondern den Weg der italienischen Rifondazione Comunista geht, die trotz großer sozialer Mobilisierungen aufgrund ihrer Regierungsbeteiligung in der Prodi-Regierung in der Bedeutungslosigkeit versunken ist. Es geht also um viel, sehr viel.

Ursachen statt Symptome bekämpfen

Um einen Weg aus der Krise zu weisen, müssen aber die Ursachen der Krise und nicht die Symptome bekämpft werden. Ein Parteivorsitzender Oskar Lafontaine steht für zweites. Er würde wie ein Schmerzmittel wirken, das einen kranken Körper vorübergehend handlungsfähig macht, aber nicht die Krankheit selber ausschaltet. Es mag notwendig sein, erst einmal ein solches Symptombekämpfungsmittel einzusetzen. Bleibt man aber dabei stehen, wird nichts gelöst. Dietmar Bartsch hingegen würde – um ein anderes Bild zu bemühen – wie ein Brandbeschleuniger in einem brennenden Haus wirken. Deshalb muss sich in der jetzigen Situation die Parteilinke mit Kräften den Zentrums verständigen, Bartsch zu verhindern. Das darf aber nicht zu einem Verzicht oder auch nur zu einer Abschwächung der nötigen inhaltlichen Kritik an einem Kurs führen, für den auch das Zentrum der Partei, für den auch Klaus Ernst, Oskar Lafontaine und andere mitverantwortlich sind.

Die Krise der LINKEN hat ihre tiefere Ursache in einer Politik, die nicht den Anforderungen der Zeit entspricht. Einer Politik, die mitten während der tiefsten Weltwirtschaftskrise seit achtzig Jahren keine antikapitalistische Perspektive aufzeigt, sondern auf eine Begrenzung der Krisenfolgen durch keynesianische Wirtschaftspolitik und Druck auf die Sozialdemokratie setzt. Alle schönen Worte des Erfurter Parteiprogramms über demokratischen Sozialismus ändern nichts daran, dass die reale Politik der Partei in den letzten Jahren genau diesen Charakter hatte. Das ist aber nicht nur die Politik von Dietmar Bartsch oder dem fds, dieser rechte Flügel der Partei treibt diese Politik nur auf die Spitze und landete bei der Beteiligung an Stellenabbau, Sozialkürzungen und Privatisierungen in den Landesregierungen von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass auch Lafontaine ein Regierungsbündnis mit der SPD im Saarland propagierte und dass auch Ernst und Gysi DIE LINKE immer wieder als soziales Korrektiv der SPD darstellen.

Das bedeutet nicht, dass es keinen Unterschied zwischen Lafontaine und Bartsch gibt. Dieser ist sogar sehr groß, denn Lafontaine vertritt einen linken Reformismus, der mobilisierend wirken kann und der Durchsetzung von Kapitalinteressen Schranken aufzeigen kann, während Bartsch eine offen bürgerliche und pro-kapitalistische Haltung einnimmt, die die Partei in einen unmittelbaren Widerspruch mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaftsaktiven bringt. Unter den gegebenen Bedingungen ist dieser Widerspruch sogar inkompatibel. Und das ist der Kern der Krise, nur traut sich leider niemand dies auszusprechen.

Warnungen bestätigt

Wir haben bei der Fusion von WASG und PDS davor gewarnt, dass ein Zusammenschluss auf prinzipienloser Grundlage, vor allem ohne eine kritische Aufarbeitung der Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin und des Kurses des dominierenden Teils der PDS und ohne eine Abkehr von dieser Politik, die neue Partei mit einem Geburtsfehler zur Welt bringen wird, für den sie teuer bezahlen muss. Die Dynamik der ersten Jahre nach der Fusion schien uns Lügen zu strafen, die Krise der letzten Jahre bestätigt unsere damalige Warnung. DIE LINKE besteht geradezu aus zwei Parteien in einer. Der Kitt, der diese zusammen hält, beginnt nun zu bröckeln. Ihn zu erneuern ist angesichts der fortschreitenden kapitalistischen Krise nicht dauerhaft möglich. Die Zuspitzung der objektiven Krise des Systems wird alle diejenigen, die die Illusion haben, den Kapitalismus zähmen, die Finanzmärkte kontrollieren, die Klassenwidersprüche abschwächen zu können, früher oder später vor die Alternative stellen, entweder eine Politik zu betreiben, die auf den Bruch mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen hinausläuft oder sich den so genannten Sachzwängen des Systems zu beugen und eine Politik gegen die eigenen Prinzipien zu betreiben.

Was ist also zu tun? Erstens muss verhindert werden, dass der rechte Parteiflügel Dietmar Bartsch zum Vorsitzenden macht und durch eine Annahme seines alternativen Leitantrag den antikapitalistischen und widerständigen Anspruch des Erfurter Parteiprogramms in Frage stellt. Unter den gegebenen Bedingungen ist deshalb eine Kandidatur Oskar Lafontaines zum männlichen Parteivorsitzenden zu unterstützen. Doch damit sind weder die personellen und schon gar nicht die politischen Probleme der Partei gelöst. Es werden ja nicht nur die Vorsitzenden, sondern auch ein neuer Parteivorstand gewählt. Zweitens muss also sicher gestellt werden, dass diesem mehrheitlich Genossinnen und Genossen angehören, die die antikapitalistischen Positionen des Parteiprogramms ernst nehmen und die Partei als Teil der antikapitalistischen, sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen mit einem Schwerpunkt der außerparlamentarischen Arbeit und des Parteiaufbaus (und nicht mit einem Schwerpunkt auf parlamentarische Tätigkeit, bei dem die Fraktionen in der Regel die Politik der Partei dominieren und das Bild der Partei nach Außen prägen) verorten. Drittens muss die Parteilinke sich besser zusammen schließen und koordinieren, um ein starkes innerparteiliches Bollwerk gegen den Reformerflügel zu schaffen und perspektivisch für eindeutige Mehrheiten für eine klar antikapitalistische und sozialistische Politik kämpfen zu können. Viertens muss die Debatte, wie eine solche Politik angesichts der tiefen Krise des Weltkapitalismus aussehen kann, auf allen Ebenen der Partei geführt werden.

Die folgenden Punkte sind aus unserer Sicht unerlässlich, um DIE LINKE als eine Partei der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend, des Widerstands und des Antikapitalismus aufzubauen und die Chance, in Deutschland in Zukunft ähnliche Wahlerfolge zu erzielen, wie Syriza in Griechenland und die Linksfront in Frankreich, aber mehr noch die Chance auf den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei zu wahren:

– DIE LINKE muss sich als unversöhnliche Alternative zu allen etablierten Parteien, einschließlich SPD und Grünen begreifen,

– es reicht nicht aus, sich als irgendwie antikapitalistisch zu definieren, sondern es muss klar sein, dass die Diktatur des Kapitals überwunden und eine sozialistische Demokratie aufgebaut werden muss. Dazu gehört auch, die politischen Verhältnisse in der DDR unzweideutig als Diktatur einer privilegierten Schicht zu kennzeichnen und deutlich zu machen dass der von ihr angestrebte Sozialismus mit diesem System nichts zu tun hat, weil er auf der demokratischen Selbstbestimmung der arbeitenden Bevölkerung basiert

– daraus müssen sich auch die Positionen und Forderungen für die so genannte Tagespolitik ableiten. Daraus leitet sich auch ab, dass Regierungskoalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien wie SPD und Grünen abzulehnen sind und DIE LINKE sich an keinen Regierungen beteiligen wird, die den kapitalistischen Status Quo verwalten.

– die Teilnahme am Kampf in sozialen Bewegungen und Betrieben muss das Primäre sein und die Position in Parlamenten konsequent zu deren Unterstützung genutzt werden

– die Verankerung und persönliche Glaubwürdigkeit auch dadurch zu verstärken, dass (nach dem Vorbild der niederländischen SP) für MandatsträgerInnen verpflichtend ist: a) an außerparlamentarischen Aktivitäten teilzunehmen

b) alle Zuwendungen oder Diäten an die Partei abzuführen und von dieser einen Ersatz von Aufwendungen bzw. bei Vollzeit einen Durchschnittseinkommen zu erhalten.