Zurück zur Drachme?

Die Euro-Krise und die Diskussion über einen Ausweg aus der griechischen Katastrophe


 

Griechenland steckt in der Schuldenfalle fest. In fünf Jahren schrumpft die Wirtschaft um 15 Prozent. Die Erwerbslosigkeit ist auf 25 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit auf fast 50 Prozent angeschwollen. Trotz der drakonischen Auflagen der Troika (EU, EZB und IWF) wird für das Jahr 2020 immer noch eine Verschuldung von mindestens 120 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt erwartet. Aus diesem Grund argumentieren einige, dass die griechische Bevölkerung sich durch einen Austritt aus der Europäischen Gemeinschaftswährung vom Merkozy-Diktat befreien und eine Verbesserung ihrer Lage erreichen könnte.

In letzter Zeit wurden, auch unter Linken, vermehrt Stimmen lauter, die meinen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende; also lieber die Drachme wieder einführen, als sich bei einem Verbleib in der Euro-Zone die Daumenschrauben immer enger ziehen zu lassen.

In der taz vom 9. Februar schreibt der frühere Greenpeace- und heutige foodwatch-Geschäftsführer, Thilo Bode, über „Griechenlands Chance eines wirtschaftlichen Neuanfangs“. In seinem Gastbeitrag wirft Thilo Bode Fragen auf, die auch andere so oder ähnlich stellen. Darin heißt es: „Auch bei einem ausgeglichenen Staatshaushalt wäre Griechenland in der Währungsunion nicht wettbewerbsfähig, weil dessen Produkte zu teuer sind. Beispiel Tourismus: Mit einem um 20 Prozent höheren Preisniveau als in der Türkei bleiben die Touristen und damit die Einnahmen weg. Bei flexiblen Wechselkursen würde sich dieses Ungleichgewicht automatisch abbauen: Ferien in Griechenland würden billiger und die Deviseneinnahmen ansteigen, Importe würden teurer und zurückgehen. Diese Option existiert in einer Währungsunion mit starren Wechselkursen nicht. (…)

Der Austritt einzelner Defizitländer aus der Währungsunion muss eine realistische Option sein. Der Austritt würde die Anpassungslasten gleichermaßen den Defizit- wie den Überschussländern aufbürden.

Eine Währungsabwertung vermindert zwar das Realeinkommen der Bevölkerung in den Defizitländern, weil die Importe teurer werden. Aber das ist ja gerade beabsichtigt, denn inländische Anbieter, vor allem von Produkten des täglichen Bedarfs, etwa Lebensmitteln, würden dadurch wieder wettbewerbsfähiger.

Überschussländer dagegen müssten einen Rückgang ihrer Exporte in Kauf nehmen. Klar ist jedoch auch: Ein Austritt aus der Währungsunion wäre mit großen sozialen Härten verbunden, allerdings mit der reellen Chance eines wirtschaftlichen Neuanfangs. Zudem würden größere Lasten durch den Mittelstand und die Oberschicht getragen werden müssen.

Die Unsummen, die jetzt in einem bankrotten Staat verpuffen, könnten zudem viel sinnvoller die sozialen Härten einer Währungsabwertung abfedern. Ohnehin beruhen die (noch) billigen Importe Griechenlands auf einer Wohlstandsillusion. Denn Griechenland kann sie gar nicht bezahlen und häuft dafür exorbitante Schulden bei den Zentralbanken der Überschussländer an. Diese Schulden sind noch gar nicht im Risikokalkül der gegenwärtigen Rettungsschirmpolitik berücksichtigt.

Die Verkleinerung der Währungsunion ist noch ein Tabu und die Politik verkauft uns die Spar- und Rettungsschirmstrategie als alternativlos. Diese vorgebliche Alternativlosigkeit besteht aber nur, weil versäumt wurde, nach der Lehman-Pleite den Finanzsektor strikt zu regulieren und krisenresistent zu machen.“

Auf kapitalistischer Basis keine Lösung für die griechische Bevölkerung – Warum eine sozialistische Politik nötig ist

Andros Payiatsos, Sprecher der griechischen SAV-Schwesterorganisation Xekinima, verfasste im Herbst 2011 eine Broschüre über die Euro-Krise, die Folgen für Griechenland, die Debatten in der politischen Linken und über die Alternative aus marxistischer Sicht. Diese Broschüre veröffentlicht die SAV demnächst auf deutsch, sie kann in der SAV-Bundeszentrale vorbestellt werden. Als Vorabdruck bringen wir Auszüge zu der Frage, ob Griechenland die Euro-Zone verlassen sollte.

Argentinien ist von Linken als nachahmenswertes Beispiel empfohlen worden. Im Jahr 2002 hatte Argentinien unter dem Druck einer Bewegung von revolutionären Ausmaßen die Zahlung seiner Staatsschulden verweigert und die Dollar-Bindung seiner nationalen Währung abgeschafft. Was war das Ergebnis? Zwischen 2002 und 2008 konnte das Bruttoinlandsprodukt in erstaunlichem Maße gesteigert werden. Damit scheint der „argentinische Weg“ auf dem ersten Blick Antworten auf die griechische Krise zu bieten.

Aber wenn die Tatsache, dass ein Land über eine eigene Währung verfügt (und diese abwertet, wenn es nützlich ist), eine Lösung für wirtschaftliche Probleme darstellt: Warum wird die Welt dann überhaupt von ökonomischen Problemen heimgesucht? Die Existenz einer nationalen Währung kann offensichtlich unter bestimmten Umständen gewisse positive Ergebnisse zeitigen. Doch in der überwiegenden Mehrheit der Fälle wird dadurch kein entscheidendes Problem gelöst.

Außerdem dürfen wir eines nicht vergessen: Die griechische Bevölkerung unterstützte den EU- und Euro-Beitritt, weil die Zeit der Drachme eine Zeit der Krise, der wirtschaftlichen Instabilität und hoher Inflation war.

Bevor es in Argentinien zum Wirtschaftsaufschwung kam, verlor der Peso über 70 Prozent seines Wertes. Das Land war mit einer gewaltigen Rezession konfrontiert. Die Währungsabwertung machte die Exporte zwar wettbewerbsfähiger. Dennoch brauchte es fast vier Jahre, bis Sommer 2005, bis die Zahl der Armen und Hungernden auf das Niveau der Vorkrisenzeit zurückging. Zudem konnte sich Argentinien damals auf eine sehr günstige internationale Konjunktur stützen. Denn von 2002 bis 2007 wuchs die Weltwirtschaft. Die globale Krise trat erst 2008 ein. Argentinien wertete seine Währung also unter sehr vorteilhaften Bedingungen ab. Das setzte sich auch nach 2007 weiter fort, weil die Hauptabnehmer der argentinischen Exporte, China und Brasilien, weiterhin hohe Wachstumsraten verzeichnen konnten. Allerdings wird diese besonders günstige Konstellation nicht auf Dauer anhalten.

Was wird nun also genau passieren, wenn Griechenland den Euro und die EU verlässt? Zunächst wird die Ersetzung des Euro durch die Drachme eine Abwertung gegenüber dem Euro zur Folge haben. Die Inflation wird zu einem festen Bestandteil der griechischen Wirtschaft werden. Einerseits werden die Exportpreise aufgrund der abgewerteten Drachme sinken. Andererseits werden die verteuerten Importe (Rohstoffe, Kapital- und Konsumgüter) die Preise nach oben treiben. Die Beschäftigten werden sich unentwegt abstrampeln müssen, damit die Löhne nicht weiter sinken, während die Lebenshaltungskosten permanent steigen.

Wird die Lage nun unter der Drachme oder unter dem Euro besser sein? Das kann niemand im voraus endgültig sagen. Unter gewissen Umständen mag die Krise etwas weniger katastrophal ausfallen. Unter anderen Umständen könnte sie noch katastrophaler verlaufen.

Wir fassen zusammen: Bei Beibehaltung des Euro und innerhalb der EU wird die griechische Gesellschaft in den Abgrund gerissen. Bei der Einführung der Drachme (und außerhalb der EU) wird das selbe geschehen. Vielleicht wird es etwas besser, es kann aber auch noch schlimmer werden.

Angesichts einer Wirtschaftskrise, die die tiefste seit 1929 und wahrscheinlich sogar noch verheerender als diese ist, lässt sich das Dilemma zwischen Euro und Drachme – solange das kapitalistische System fortbesteht – mit einer Situation vergleichen, in der man vor sich den Abgrund und hinter sich die Flut hat. Es macht keinen Sinn, sich für den Abgrund oder für die Flut zu entscheiden. Die Linke muss eine andere Antwort auf die Krise geben: Und zwar den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft.

Damit die arbeitende Bevölkerung sich vor den Angriffen, denen sie heute ausgesetzt ist, wirksam schützen kann, sind folgende Maßnahmen nötig: Die Verweigerung der Schuldenzahlung, die Verstaatlichung des Bankensystems, die Verstaatlichung der privatisierten Unternehmen und der Schlüsselbereiche der Wirtschaft, Arbeiterkontrolle und -verwaltung sowie die Planung der Wirtschaft nach den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft statt für den Gewinn einer Handvoll von Kapitalisten.

Dies kann Wunder bewirken, wenn der eigentlich vorhandene Reichtum in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Produktion investiert wird. Ein Reichtum, der sich nutzbar machen lässt, wenn die Schuldenzahlungen eingestellt werden. Und wenn die ungefähr 200 Milliarden Euro der arbeitenden Menschen auf den Bankkonten nicht verspekuliert werden, sondern für produktive und nützliche Zwecke im Interesse der Allgemeinheit verwendet werden können.

Es ist naheliegend, dass eine solche Politik nur von einer Regierung, einer Staatsmacht umgesetzt werden kann, die sich in den Händen der Arbeiterklasse befindet. Eine solche Regierung muss sich aus gewählten, kontrollierbaren und jederzeit abwählbaren Repräsentanten von Komitees in Betrieben und Stadtteilen zusammensetzen, die wiederum in demokratischen Versammlungen gewählt werden.

Diese Maßnahmen bedeuten einen vollständigen Bruch mit dem heutigen System. Dadurch wird der herrschenden Klasse (und es sind nur ein paar Dutzend Familien, die die griechische Wirtschaft dominieren) sowohl die ökonomische als auch die politische Macht entrissen.

Die erste Aufgabe, die sich nach einer sozialistischen Revolution und der Schaffung einer Arbeiterdemokratie unmittelbar stellt, ist der Zusammenschluss von Ländern in einer freiwilligen, demokratischen, gleichberechtigten sozialistischen Föderation. Folglich lautet die Antwort auf das Europa der Kapitalisten nicht „Raus aus der EU und dem Euro“, sondern „Für ein vereinigtes sozialistisches Europa“.