Übernahme: Die Tarifkonflikte sind wichtig für Auszubildende

Übernahme für alle erkämpfen


 

Seit Anfang März läuft die Tarifrunde für zwei Millionen ArbeiterInnen und Azubis bei Bund und Kommunen – vom Finanzamt bis zur Müllabfuhr, von der Kita bis zur Friedhofsgärtnerei. Die Gewerkschaft ver.di fordert 6,5 Prozent mehr Lohn, eine Erhöhung um mindestens 200 Euro – und die Übernahme aller Azubis. Aber nicht nur ver.di hat sich die Forderung nach unbefristeter Übernahme auf die Fahnen geschrieben. Auch die IG Metall, deren Tarifauseinandersetzung für 3,6 Millionen Beschäftigte einen Monat nach der ver.di-Tarifrunde startete, will die unbefristete Anstellung ausgelernter Azubis. GEW und Beamtenbund stellen diese Forderung ebenfalls auf.

von Jan Hagel, Parchim

Im März war auf der Arbeitgeberseite des Öffentlichen Dienstes bei den Verhandlungen von unbefristeter Übernahme keine Rede. Bloß eine Übernahme für zwölf Monate wurde angeboten – und auch das nur, wenn die Abschlussnote mindestens „befriedigend“ ausfällt und nicht „über Bedarf“ ausgebildet wurde. Also keine wirkliche Verbesserung gegenüber dem Status Quo, wie die ver.di-

Jugend zu Recht kritisierte. Auch die geforderte Fahrtkostenerstattung für Azubis, die zur Berufsschule weit fahren müssen, und die Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 100 Euro wurde bei den ersten beiden Verhandlungsrunden ausgeschlagen. Erst bei einer Mindestwegstrecke von 25 Kilometern und einer Eigenbeteiligung von 75 Euro wollten die Arbeitgeber was springen lassen.

Geld und Arbeit wären da

Ob bei Bund und Kommunen oder in der Metall- und Elektoindustrie – überall wird behauptet, die Forderungen seien nicht finanzierbar. Aber sehen wir uns das mal genauer an, zum Beispiel im Öffentlichen Dienst: Ja, es stimmt, dass die Kassen leer sind. Doch selbst dort würde die geforderte Lohnerhöhung nur 4,5 Milliarden Euro im Jahr kosten – und damit gerade mal sieben Prozent dessen, was der Staat jährlich als Zinsen an die Banken zahlt. Wenn die Banken öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle wären, dann wäre dieses Problem gelöst. Es wäre auch genug Arbeit da, um alle Azubis zu übernehmen. Schließlich wurde seit Mitte der neunziger Jahre jede dritte Stelle im Öffentlichen Dienst wegkürzt und damit die Belastung für die verbliebenen Beschäftigten enorm erhöht. Wenn dann noch die Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich verkürzt würden, könnte man locker allen Azubis zu sicheren Arbeitsplätzen verhelfen.

Vollstreik notwendig

Ob das passiert oder nicht, ist eine Frage des Kräfteverhältnisses zwischen den Beschäftigten und Auszubildenden auf der einen und den Arbeitgebern auf der anderen Seite. Wenn der Öffentliche Dienst streikt, bleiben Kitas und Ämter zu, Müllwagen und Straßenbahnen bleiben stehen. Bei Arbeitsniederlegungen in der Metall- und Elektroindustrie gingen keine Autos mehr vom Band, Waschmaschinen und Kühlschränke würden nicht gebaut, die Profite wären bedroht. Die Arbeitgeber würden sich schnell überlegen, ob sie nicht vielleicht doch auf die Forderungen eingehen sollten.

Vor der dritten Verhandlungsrunde hat der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske „den größten Streik seit 20 Jahren“ angekündigt, wenn es keine Einigung geben sollte. Wenn die Arbeitgeber in diesen Tarifauseinandersetzungen also stur bleiben und die Gewerkschaftsführung ernsthaft die Interessen der ArbeiterInnen vertreten will, muss sie ernst machen, tatsächlich einen Vollstreik organisieren und die Kämpfe bei Metall und Öffentlichem Dienst zusammenbringen.

Mitstreiken!

An einem Streik dürfen sich alle Beschäftigten beteiligen, egal ob sie Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht. Anders als manche Vorgesetzte behaupten, dürfen auch Azubis streiken, sobald sie von der Gewerkschaft dazu aufgerufen werden. So waren im März ja schon etliche Auszubildende von ver.di bei Warnstreiks einbezogen worden. Eine Ausnahme gilt nur für den Berufsschulunterricht, der auch im Streik offiziell nicht „geschwänzt“ werden darf. Betriebe könnten versuchen, ihre Azubis während des Streiks aus der Schule zurückzuholen, Azubis dürfen aber nicht zur Arbeit während des Streiks (= Streikbruch) gezwungen werden. Und wenn sich massenhaft BerufsschülerInnen beteiligen sollten, hätten die da oben es auch schwer, eine solche Streikbeteiligung abzustrafen.

Tarifpolitischer Durchbruch?

Zu Redaktionsschluss war noch völlig offen, ob es über die Warnstreiks hinaus zu Arbeitskämpfen kommt. Vor allem war offen, wie konsequent die Gewerkschaftsspitzen den Konflikt führen wollen – schließlich haben sie sich in der Vergangenheit immer wieder auf faule Kompromisse eingelassen.

Offen ist auch, wie ernsthaft das Ziel der unbefristeten Übernahme von Auszubildenden nach erfolgreicher Abschlussprüfung gemeint ist. Sollte das jedoch gelingen, wäre es ein tarifpolitischer Durchbruch. Bislang sind verbindliche und unbefristete Übernahmeregelungen in Tarifverträgen nämlich die riesengroße Ausnahme.