Fraport-Streik: Maßlose Egoisten?

Der Streik am Frankfurter Flughafen führt zu Debatten innerhalb der Gewerkschaften


 

Das Kapital schäumte. Auch dann noch, als der Arbeitskampf der Vorfeldbeschäftigten am Frankfurter Flughafen gerichtlich verboten wurde.

von Torsten Sting, ver.di-Mitglied, Rostock

„Maßlosigkeit“ und „unverschämte Forderungen“ – so bezeichnete Detlef Esslinger in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) am Tag danach die Forderungen der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF). Dasselbe Blatt, welches geradezu mit Schaum vor dem Mund gegen das Anliegen der Beschäftigten giftete, schrieb auf derselben Seite nüchtern über den „Ehrensold“ des Kurzzeitpräsidenten der Republik, der bis ans Ende seiner Tage 199.000 Euro im Jahr fürs blöd in die Kamera Grinsen bekommen soll! Wo bleibt der Aufschrei und der Ruf nach Gesetzen und Richtern, wenn es um die Maßlosigkeit der Herrschenden geht, die in Saus und Braus leben?! Wo sind die Klagen gegen die unverschämten Banker wie Ackermann die nach immer höheren Profiten gieren?! Wenn das Establishment so auf die Hinterbeine geht, scheint der Streik einen wunden Punkt getroffen zu haben.

Hintergrund

Etwa 200 KollegInnen, die u.a. als Vorfeldlotsen arbeiten und in der GdF organisiert sind, forderten deutliche Tarifsteigerungen und Anpassungen an die Löhne des Münchener Flughafens. So sollten u.a. die Einstiegsgehälter jener Beschäftigten, die in der Vorfeldaufsicht arbeiten, von derzeit 2700 Euro auf 3800 Euro brutto im Monat steigen. Dem entgegnet der arrogante bürgerliche Schreiberling, ganz zu Diensten seiner Freunde bei Fraport, dass diese Beschäftigten, die „lediglich einen Anlernberuf“ (SZ) ausüben, eh schon üppig bezahlt seien. Das Einweisen von Flugzeugen mit mehreren Hundert Passagieren an Bord ist aber eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe und im Gegensatz zur Börsenspekulation gesellschaftlich notwendig. Zudem handelt es sich hier um Facharbeiter, die über viele Monate in zusätzlichen Schulungen für diese Tätigkeit qualifiziert werden. Es mag sein, dass diese Beschäftigtengruppe besser bezahlt wird, als andere Facharbeiter am Flughafen. Dann spricht das aber nicht gegen deren offensive Forderungen, sondern gegen die Löhne anderer Beschäftigter und gegen die defensive Politik der Großgewerkschaften, in diesem Falle ver.di. Wenn sich Beschäftigte auf das Argument einlassen, es gebe andere ArbeitnehmerInnen, die weniger verdienen, ergibt sich daraus eine Spirale nach unten. Die GdF weist andererseits zurecht darauf hin, dass ihre Forderungen die Einkommen an das Niveau des Münchener Flughafens bringen würden.

Streikverlauf

Der Tarifkonflikt zog sich über viele Wochen und es kam zu keiner Einigung. Die Parteien einigten sich auf eine Schlichtung. Fraport nominierte den CDU-Politiker, Ole von Beust. Der Schlichterspruch wurde von der GdF angenommen, Fraport lehnte diesen jedoch ab. Die Gewerkschaft verlängerte einseitig die Friedenspflicht um eine weitere Woche, um eine Einigung ohne Arbeitskampf noch zu ermöglichen. Zudem wurden die Forderungen nach unten korrigiert. Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass es sich die GdF mit der Entscheidung zum Streik nicht leicht gemacht hat. Nachdem sich die Unternehmerseite nicht bewegte, wurden die Beschäftigten am 16. Februar zum erstenmal stundenweise zum Streik aufgerufen. Am Folgetag wurden die Aktionen ausgeweitet. Als die GdF ab dem 20.2. ankündigte mehrere Tage hintereinander zu streiken, lenkte Fraport scheinbar ein und bot Verhandlungen an. Diese waren jedoch eine Provokation, da die Kapitalseite weniger anbot als im Schlichterspruch vorgesehen war. So sollten die etwa 100 Kollegen der Vorfeldaufsicht gar nicht unter die Geltung des Tarifvertrages fallen! Dem konnte die GdF nicht zustimmen. Offensichtlich sollte die Gewerkschaft mürbe gemacht und der Öffentlichkeit als Sündenbock für die ausfallenden Flüge präsentiert werden. Zudem ging es den Arbeitgebern wohl um Grundsätzliches. „Fraport will in dem viel beachteten Streit ein Exempel statuieren“ so die Einschätzung der Financial Times Deutschland (FTD) am 27. Februar. Die GdF rief daraufhin zu neuen Arbeitsniederlegungen auf. Zwar fielen etwa zwanzig Prozent der Flüge aus und es gingen Millionen für die Kapitalisten verloren, dennoch ein relativ überschaubarer Schaden. Da der öffentliche Druck immer größer wurde, suchte die Führung der GdF die Entscheidung und rief die Fluglotsen im Tower zu Solidaritätsstreiks auf. Daraufhin zogen die Kapitalisten vors Gericht und bekamen „Recht“. Sowohl der Solistreik als auch der reguläre Ausstand wurden verboten. Ersterer sei unverhältnismäßig, für letzteren fanden die Richter „Formfehler“. Unabhängig von der offiziellen Begründung des Richters ist dies ein weiterer Schlag gegen das in der Verfassung verbriefte Grundrecht auf Streik.

Kritik an Streikführung

Positiv ist der Mut der beteiligten KollegInnen, gegen die massive Propaganda der Herrschenden für ihre Rechte zu kämpfen. Eine überschaubare Anzahl ArbeiterInnen hat für Tage die Schlagzeilen von BILD bis Tagesschau bestimmt. Dennoch wurden wichtige Fehler gemacht, aus denen Lehren gezogen werden müssen. Es war für die Unternehmerseite und ihre Medien relativ leicht über die Streikenden herzuziehen. Die GdF betreibt leider keine offensive Informationspolitik hinsichtlich ihrer berechtigten Forderungen. Auf der Internet-Seite der GdF sind die Zahlen und Prozente der gewerkschaftlichen Forderungen kaum zu finden. Wenn man nicht deutlich macht, wofür man steht und erklärt, dass man letztlich im Interesse aller Beschäftigten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpft, hat man die Schlacht um die Köpfe der Unbeteiligten schon verloren. Dies ist jedoch ein zentraler Aspekt. Der Arbeitskampf der Lokführer vor einigen Jahren war auch deshalb erfolgreich, weil die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen diesen unterstützte. Auf dieser Grundlage hatten die Kollegen die Courage der Deutschen Bahn solange die Stirn zu bieten.

Angst der Kapitalisten

Die Befürchtung des Flughafenbetreibers Fraport, seines größten Kunden Lufthansa und der Mehrheit der Politiker war, dass bei einem Erfolg der GdF KollegInnen in anderen Bereichen ebenfalls „unverschämt“ werden. Und das kurz vor den wichtigen Tarifrunden bei Metall, im Öffentlichen Dienst und der Chemieindustrie. Ein hoher Abschluss der GdF würde hier die Erwartungen der Beschäftigten steigern. Dieses aktuelle Augenmerk trifft aber auf ein generelles Interesse der Arbeitgeber und leider auch der Führungen der DGB-Gewerkschaften.

Der Einfluss der „Spartengewerkschaften“ ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Organisationen wie Marburger Bund (Ärzte), Cockpit (Piloten), GdL (Bahn), GdF (Lotsen), haben zuletzt Arbeitskämpfe geführt und immer wieder zweistellige Lohnzuwächse erstritten. Diese Entwicklung steht im Gegensatz zu den Reallohnverlusten der Masse der Lohnabhängigen. Diese hängen -wenn überhaupt- von Tarifverträgen ab, welche durch die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften ausgehandelt werden. Gerade deswegen gewinnen die kleinen Gewerkschaften auch immer mehr an Bedeutung. Ihre Macht gründet darauf, dass sie besser qualifizierte Teile der ArbeitnehmerInnen, oftmals in neuralgischen Punkten des öffentlichen Dienstes, organisieren. Mit relativ wenig Aufwand können diese großen ökonomischen Druck ausüben. Neben den rein materiellen Ergebnissen verdeutlichen sie zudem sehr eindrucksvoll wie groß die Macht der Arbeiterklasse eigentlich ist. Das wissen natürlich auch die Strategen des Kapitals. Daher schüren sie Panik davor, dass die Wirtschaft „kaputt gestreikt“ werde , wenn dauernd irgendwo eine Gewerkschaft in den Ausstand gehe. Im Zuge des Ausstands am Frankfurter Flughafen wird in der Regierung wieder lauter über eine Beschneidung des Streikrechts für die Spartengewerkschaften nachgedacht. Dabei ist Deutschland bis heute ein Land mit wenigen Arbeitskämpfen und einem sehr eingeschränkten Streikrecht. Eine Einschränkung für die „kleinen“ wird dann auch die großen Gewerkschaften schwächen, auch wenn das deren Spitzenkräfte anders sehen.

Kollege Streikbrecher

Die Haltung der führenden ver.di-Funktionäre in diesem Konflikt ist schlicht skandalös und lupenreiner Streikbruch. Der Gesamtbetriebsrat von Fraport ermutigte den Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite hart zu bleiben. „Wir fordern den Vorstand auf, den überzogenen Forderungen der GdF keinesfalls nachzugeben“, heißt es in einem Flugblatt des Betriebsrates. (FR, 21.2.) Offenkundig hatten diese „KollegInnen“ großen Bammel davor, von ihrer Basis unter Druck zu kommen um selber in die Offensive zu gehen. Dieses Verhalten reiht sich ein in die Politik der Gewerkschaftsführungen von IGM, ver.di und Co., die auf die Herausforderung durch die Spartengewerkschaften damit reagierten, in dem sie zusammen mit dem Bundesverband der Arbeitgeberverbände (BDA) Gesetze forderten, die nur der stärksten in einem Unternehmen vertretenen Gewerkschaft das Recht auf Abschluss eines Tarifvertrags zugestehen sollten. Das hätte eine Einschränkung des Koalitions- und Streikrechts zur Folge, wogegen BasisgewerkschafterInnen in den DGB-Gewerkschaften zurecht Sturm gelaufen sind. In ver.di wurde der Druck von unten so groß, dass die Führung die Unterstützung der DGB/BDA-Initiative vorerst zurückgezogen hat. Laut der Argumentation von Bsirkse sind die „Kleinen“ Spalter, da sie sich von der Masse der Beschäftigten abgrenzen. Zudem seien sie egoistisch, da sie ihre exponierte Stellung nur zum eigenen Vorteil nutzen und jene ArbeitnehmerInnen im Stich lassen, die nicht so viel Druck machen können.

Spalter?

Einheit ist ein zentrales Anliegen der Arbeiterbewegung seit jeher. Aus gutem Grund. Ist eine Belegschaft im Arbeitskampf nicht geschlossen, kann ein Streik unterlaufen werden und ist ein Erfolg schwer erreichbar. Aber sind die Kolleginnen und Kollegen, die sich in der relativ kleinen GdF und nicht in der Massenorganisation ver.di organisieren, deshalb Spalter? Verraten sie das kostbare Gut der gewerkschaftlichen Einheit?

In (West-) Deutschland hat sich nach dem 2.Weltkrieg, die Tradition der „Einheitsgewerkschaft“ entwickelt. Unter dem Dach des DGB versammelten sich Großorganisationen, die nach dem Motto agierten: „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“. Dies bedeutete, dass man keine Konkurrenz im Betrieb untereinander wollte. Deshalb ist bis heute klar, dass z.B. bei Daimler, alle Beschäftigten, egal ob Bandarbeiter, oder Entwicklungsingenieure wenn sie Mitglied im DGB sind, der IG Metall „zufallen“. Dies war ein Fortschritt. Zurecht wurde früher die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) bekämpft, da sie eben nicht die Produktionsbeschäftigten organisierte und die historische Spaltung in Arbeiter und Angestellte zementierte. Zudem war die DAG politisch konservativ gepolt und spielte keine progressive Rolle im Klassenkampf. Über Jahrzehnte war die Rolle der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) eine ähnliche. Sie war eine Standesorganisation, kümmerte sich also vorzugsweise um die Belange der besser gestellten Lokführer und führte keine Arbeitskämpfe. Aufgrund dieser Gemengelage haben MarxistInnen in Deutschland grundsätzlich das Prinzip der Einheitsgewerkschaft verteidigt. Obwohl diese Einheit auch immer mit den bürokratischen Methoden der mehrheitlich sozialdemokratischen Funktionärselite einherging, die demokratische Debatten bis heute zu unterdrücken versuchen. Mit der Rechtsverschiebung in den Gewerkschaften seit den 90er Jahren, der Offensive der Kapitalisten und der zunehmenden Krise des kapitalistischen Systems wird es immer schwieriger mit althergebrachten Methoden Erfolge zu erzielen. Früher konnten IGM, ÖTV usw. auf hohe Lohnabschlüsse, Arbeitszeitverkürzung und bessere Arbeitsbedingungen verweisen, die man erkämpft hatte. Dies war u.a. der Kitt, der die unterschiedlichen Berufsgruppen zusammenhielt. In den letzten 15 Jahren haben die Großgewerkschaften aber immer mehr dabei geholfen, Verschlechterungen abzusegnen und tragen Verantwortung für eine Zersplitterung des Tarifgefüges. Da ist es zwar beklagenswert, aber auch nachzuvollziehen, weshalb Teile der Beschäftigten sich bei der kleineren Konkurrenz umschauen.

Wie soll man nun mit dieser Situation umgehen? Im Sinne aller KollegInnen sollte man größtmögliche Einheit im Kampf anstreben. Forderungen und Aktionen sollten, wenn möglich abgestimmt und kein Streikbruch zugelassen werden. Dafür sollten sich Gewerkschaftsmitglieder auf beiden Seiten einsetzen. Linke Gewerkschafter im DGB können positiv an den offensiven Forderungen und Streikmethoden der Spartengewerkschaften anknüpfen und dem oft verbreiteten Pessimismus der Führung entgegentreten. Nur durch eine offensive und kämpferische Politik der DGB-Gewerkschaften könnten solche beschäftigte, die sich den kleineren Spartengewerkschaften zugewandt haben, zurückgewonnen werden. Stellen sich die Führungen der Großgewerkschaften gegen die berechtigten Forderungen der „Kleinen“, so vertiefen sie nur die Spaltung und laufen Gefahr, dass sich immer mehr KollegInnen umorientieren (wie zum Beispiel nach dem Erfolg der GDL in verschiedenen Städten bei den Nahverkehrsunternehmen geschehen).

Darüber hinaus müssen aber – gerade vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise – gewerkschaftsübergreifend wieder grundlegende Debatten über die Grundlagen gewerkschaftlicher Arbeit und über Alternativen zum Kapitalismus geführt werden. Denn die dramatische Entwicklung in Griechenland zeigt, dass die Kapitalisten keine Hemmungen haben, all das zu zerstören, was über viele Jahrzehnte aufgebaut wurde.