Marshall-Plan für Griechenland?

DIE LINKE und die Euro-Krise


 

DIE LINKE hat am 27. Februar als einzige im Bundestag vertretene Partei das neue Griechenland-Rettungspaket abgelehnt. Alle anderen Parteien befürworten weitere Milliardenhilfen der EU, die fast ausschließlich an die Gläubigerbanken und das von der EU kontrollierte Sperrkonto fließen, während die Bevölkerung in Griechenland dadurch ins Elend gestürzt wird. Fast jeder weiß inzwischen, dass diese Maßnahmen den Kollaps der Eurozone nur heraus zögern können. Sogar Schäuble kündigt bereits weitere Rettungspakete an, die vor allem die Kettenreaktion nach einer offiziellen Zahlungsunfähigkeit Griechenlands eindämmen sollen. Oskar Lafontaine erklärt, „dass die EU auseinanderbrechen wird, wenn es so weiter geht“. Die Frage ist, welche Alternativen die LINKE für diese Sackgasse der EU vorschlägt.

von Heino Berg, Göttingen

In einer Erklärung der Linksfraktion vom 15.2., die als Flugblatt auf der Frankfurter Aktionskonferenz verteilt wurde, heißt es unter dem Titel „Nein zum Griechenlandpaket!“: „Die Krise der EU ist die Folge neoliberaler Politik“. Dagegen verlangt DIE LINKE 1. eine „Deutschland- und EU-weite Vermögensabgabe“, „eine Millionärssteuer“ und die „Überführung privater Großbanken in die öffentliche Hand,“ 2. eine „Finanztransaktionssteuer“ und „direkte EZB-Kredite“ an Griechenland, 3. „Konjunkturprogramme“, wobei die „Verwendung dieser Rettungsgelder durch Europa kontrolliert werden soll“ und 4. Die „Senkung des griechischen Militärhaushalts“.

Bedeutung des Marshall-Plans

Gregor Gysi hat in der Bundestagsdebatte vom 27. Februar einen „Marshall-Plan“ für Griechenland gefordert, welcher die Wirtschaft ankurbeln soll, anstatt sie ähnlich wie Heinrich Brüning vor dem Zweiten Weltkrieg durch Sparprogramme zu erdrosseln.

Die Bezugnahme von Gysi auf den – nach dem US-Außenminister (1947-49) George C. Marshall benannten – Wiederaufbauplan der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges erweckt den Eindruck, als könne die aktuelle Krise mit ähnlichen Mitteln und auf der Grundlage von kapitalistischen Eigentumsverhältnissen überwunden werden. Doch der Aufschwung der Nachkriegszeit folgte auf eine historisch beispiellose Zerstörung von Produktivkräften. Der damalige Boom basierte auf einer einmaligen ökonomisch-politischen Konstellation. Nach der Vernichtungsorgie des Krieges und aufgrund von Hungerlöhnen konnte in Europa, aber auch in Japan die Produktion wieder profitabel in Gang gesetzt werden. Gleichzeitig zwang die Systemkonkurrenz zum Ostblock die Kapitalisten zu Zugeständnissen, die seinerzeit die Kaufkraft förderten. Zusätzlich konnte der Welthandel durch die Vormachtstellung der USA (die den Dollar als Leitwährung etablierten und damit ihre Schulden auf den Rest der Welt abwälzen konnten) wieder in Schwung gebracht werden.

Damals und heute

Auf Basis des Marshall-Plans leisteten die USA damals Hilfen in Höhe von auf heute umgerechnet weniger als hundert Milliarden US-Dollar. Diese Hilfen waren nur „Schmiermittel“, die den Aufschwung weiter ankurbelten – aber nicht die eigentliche Quelle der Nachkriegserholung.

Heute hingegen befindet sich der Kapitalismus in der tiefsten Krise seit den dreißiger Jahren. Es fehlt an kaufkräftiger Nachfrage für die weltweite Überproduktion von hochmodernen Anlagen. Was als Unterstützung für den Neuaufbau eines zerbombten Europas nützlich sein konnte, taugt nicht als Antwort auf die Frage, wie brachliegende Produktionsmittel und Arbeitskräfte heutzutage ausgelastet werden können. Ausgerechnet die zentrale Perspektive für dieses Schlüsselproblem, nämlich die Forderung nach drastischer Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohn- und Personalausgleich, fehlt im Forderungskatalog der LINKEN zur Euro- und EU-Krise.

Umverteilungs- und Steuerforderungen

Die von der LINKEN versprochene Ankurbelung der Wirtschaft in Südeuropa durch Lohnzuwächse und eine Stärkung des öffentlichen Sektors ist sicher wünschenswert, aber heute unvereinbarer denn je mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. Natürlich ist es notwendig, die Löhne zu erhöhen und das Finanz- und Großkapital endlich für die Zahlung der Krisenkosten heranzuziehen. Die von der EU-Kommission verordneten Massenentlassungen, Rentenkürzungen und Lohnsenkungen beschleunigen nur die Krisenspirale, die Griechenland ebenso wie Spanien, Portugal, Irland oder Osteuropa in den Abgrund reißen. Dieser Mechanismus ist so evident, dass ihn auch viele bürgerliche Ökonomen und Politiker nicht mehr bestreiten können.

Allerdings würde der Verzicht auf diese brutalen Kürzungen nichts an den Konkurrenznachteilen ändern, denen die griechische Wirtschaft auf dem europäischen Binnenmarkt ausgesetzt ist.

Außerdem hatte bereits die bloße Ankündigung von Trippelschritten für eine Minimal-Besteuerung der Reichen in Griechenland massive Kapitalflucht und Fabrikschließungen zur Folge. 69 Milliarden Euro sollen seit 2009 von griechischen Konten abgezogen worden sein. Wer „Millionärsteuern“ oder „Vermögensabgaben“ als Alternative zum Sozialabbau durch die europaweite Schuldenbremse fordert, muss auch zur Enteignung derjenigen Fabrikbesitzer bereit sein, die ihr Kapital schon bei der Veröffentlichung der bisherigen Steuerschulden ins Ausland transferieren. Solche Transaktionen können nur verhindert werden, wenn die Banken nicht nur in Gemeineigentum überführt, sondern auch der Kontrolle durch die arbeitende Bevölkerung (incl. der Bankangestellten und ihrer Gewerkschaften) unterworfen werden.

Direkte EZB-Kredite

Die von der LINKEN geforderten Maßnahmen greifen zu kurz , wenn sie auf halben Wege stehen bleiben. Halbheiten sind in prinzipiellen Fragen leider nicht „besser als nichts“, sondern können das Gegenteil ihres Anspruchs bewirken. Weil argumentative Lücken sofort für reaktionäre Kampagnen genutzt werden können. Wenn DIE LINKE zum Beispiel „Rettungsgelder“ für Griechenland fordert, deren Verwendung durch „Europa“ kontrolliert werden soll, stellt sich doch sofort die Frage: Welche Institutionen sind zu diesen Kontrollen ermächtigt? Die EU-Kommission, die bereits jetzt die (parlamentarische) Demokratie in Griechenland außer Kraft gesetzt hat und mit Sperrkonten die Hand auf den griechischen Haushalt gelegt hat? „Direkte EZB-Kredite“ an die hochverschuldeten Länder greifen zwar die berechtigte Kritik an den Spekulanten auf, die die lukrativen Zinsdifferenzen zwischen den Krediten der Zentralbanken und ihrer Weitergabe durch Privatbanken ausschlachten. Aber die europäische Zentralbank ist Teil der verhassten EU- und IWF-Troika – und keineswegs eine Institution, der die arbeitende Mehrheit Europas ihre Steuergelder oder gar ihr politisches Schicksal anvertrauen könnte!

Rettung der Eurozone?

Wer das Spardiktat einer durch keine gewählten Abgeordneten legitimierten EU-Kommission und der hinter ihnen stehenden (Finanz)konzerne angreift, darf dagegen nicht auf die Rückkehr zur scheinbaren „Souveränität“ der bürgerlichen Nationalstaaten setzen. Auch der Austritt bzw. der Rauswurf hochverschuldeter Staaten aus der Eurozone ist keine Lösung für die Krise, weil die Rückkehr zu den früheren Währungen zwar Abwertungen erlauben und den Konkurrenzdruck aus Deutschland mildern, die erdrückende Schuldenlast in Euro aber für diese Länder sogar noch unbezahlbarer machen würde. Auf der Basis von kapitalistischen Eigentumsverhältnissen hat die arbeitende Mehrheit dieser Länder weder innerhalb noch außerhalb der Euro-Zone eine Zukunft. Wir wenden uns in der Krise der EU und der Euro-Zone gegen jeden Nationalismus – aber das bedeutet nicht, dass wir die bestehende EU und ihre Institutionen „retten“ oder verteidigen sollten! Wenn die bürgerlichen Parteien in Deutschland von „unserem“ Interesse am Erhalt der Eurozone sprechen, dann meinen sie damit die Exportinteressen des hiesigen Kapitals – und keineswegs die der Lohnabhängigen in Deutschland, die für die Konkurrenzvorteile des deutschen Kapitals in Südeuropa mit Dumpinglöhnen bezahlen müssen. DIE LINKE bezeichnet die EU in ihrem Erfurter Programm als „Europa der Banken und Konzerne“. Dieses Europa und seine Währung wollen wir keineswegs „retten“, sondern als sozialistische Staatengemeinschaft „neu gründen“.

Schuldenstreichung

Das Krisenprogramm der LINKEN enthält keine Forderung zur zentralen Schuldenfrage. Wenn die Auslandsschulden Griechenlands aber nicht durch die dortige Bevölkerung verursacht wurden und ihre Bedienung ohne Rücksicht auf die Wirtschaftskraft des betroffenen Landes nur dem Finanzkapital nutzt – warum verlangt DIE LINKE dann nicht die vollständige Streichung der Staatsschulden gegenüber diesen Gläubigern? Soweit Kleinanleger oder Lohnabhängige (z.B. über Rentenfonds) davon betroffen sind, würde ein winziger Bruchteil der beschlossenen Rettungsmilliarden für ihre Entschädigung ausreichen. Vermögens- und Transaktionssteuern sind zur Milderung der sozialen Krisenfolgen notwendig – keineswegs aber zur Bedienung staatlicher Schuldentitel gegenüber Hedgefonds und anderen Spekulanten.

Europaweite Generalstreiks

Die Antwort der LINKEN auf den „Krieg der Bank gegen die Völker Europas“, wie Oskar Lafontaine die Milliardenpakete zur Rettung der zerfallenden Europazone bezeichnet hat, ist zu Recht ein klares Nein. Dies unterscheidet DIE LINKE fundamental von allen anderen Parteien in Deutschland, die sich genauso wie ihre Kollegen in Griechenland (einschließlich der PASOK) als Lakaien des Finanzkapitals geoutet und durch ihre Unterwerfung unter den „Fiskalpakt“ von Merkozy endgültig von ihren Traditionen als Arbeiterparteien verabschiedet haben. Ein bloßes Nein der europäischen Linksparteien in den Parlamenten reicht aber nicht aus, um dieses Diktat wirklich zu stoppen. Auch wiederholte, aber befristete Generalstreiks in den unmittelbar betroffenen Ländern konnten diesen Rückfall in die Barbarei früherer Jahrhunderte nicht stoppen.

Der Kapitalismus hat in seiner historischen Krise nach der langen und durch gigantische Verschuldungsprogramme künstlich verlängerten Nachkriegsphase keinen Spielraum mehr für substantielle Zugeständnisse an die Arbeiterbewegung. Deshalb können die europäischen Linksparteien der System- und Machtfrage nicht mehr ausweichen. Notwendig sind in Griechenland und in ganz Europa gemeinsame Mobilisierungsinitiativen der Gewerkschaften und der Parteien bzw. Organisationen, die sich links von der Sozialdemokratie aufgestellt haben und den Anspruch erheben, das verwaiste Erbe der traditionellen Arbeiterparteien auf dem Kontinent anzutreten. Für Streiks bis zur Erfüllung der Forderungen und für den Sturz der Regierungen, die Europa dem Diktat der Finanzmärkte unterordnen wollen.