S21: Wie weiter nach der Volksabstimmung?

Stellungnahme der SAV


 

Die Stellungnahme ist als Faltblatt hier zu finden.

Der Ausgang der Volksabstimmung ist eine Niederlage für den Widerstand gegen Stuttgart 21. Bei einer landesweiten Wahlbeteiligung von 48,3 Prozent haben 58,8 Prozent mit „Nein“ zum Ausstieg gestimmt. In Stuttgart votierte bei einer überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung von 67,8 Prozent eine knappe Mehrheit mit 52,9 Prozent, wobei es in den direkt von der Megabaustelle betroffenen Innenstadtteilen mit Ausnahme von Stuttgart-Nord eine Mehrheit gab und in diesen vier Bezirken sogar das 33-prozentige Quorum überschritten wurde.

Das Ergebnis bringt die Bewegung gegen Stuttgart 21 vorerst in die Defensive und schwächt sie. Die Bewegung steht jetzt vor der großen Herausforderung, die Ereignisse bis zur Volksabstimmung zu bilanzieren, die Lehren zu ziehen und eine Perspektive und weitere Strategie zu entwickeln. Gleichzeitig muss diskutiert und entschieden werden, wie wir uns auf den von der Bahn für Anfang Januar angekündigten Abriss des Südflügels und die Fällung der Bäume im Schlossgarten vorbereiten.

Wir brauchen Zeit, um zwei Fragen ausführlich zu diskutieren: Erstens – was sind die Gründe für das Ergebnis vom 27. November? Zweitens – welche Aufgaben stellen sich nun für die Bewegung? Die Diskussion darüber hat in den einzelnen Gruppen bereits begonnen und es ist gut und richtig, dass das Aktionsbündnis mit dem „Großen Ratschlag“ am 4. Dezember die Diskussion darüber beginnt, „Kräfte zu tanken, Kräfte zu sammeln, Kräfte zu bündeln und zu erneuern“.

Filz von Wirtschaftsbossen und Tunnelparteien gegen ehrenamtliches Engagement und begrenzte Spenden

Die Bewegung gegen S21 überraschte immer wieder aufs Neue durch Ausdauer, Kreativität und Engagement. Auch in den Kampf um die Volksabstimmung stürzten sich Tausende AktivistInnen mit unglaublichem Eifer. Dennoch ist es so, wie die „junge Welt“ am 29. November erklärte: „Der Abstimmungskampf war wie David gegen Goliath. Nur leider läuft es im wirklichen Leben oft nicht wie in der Bibel.“

Am 27. November gewann das große Geld gegen unser Engagement. Die S21-GegnerInnen hatten für ihre Kampagne nur begrenzte finanzielle Spendengelder. Was sie aber von den S21-Befürwortern radikal unterschied, war das enorme Engagement einer großen Zahl von AktivistInnen, die Flyer steckten, gut besuchte Veranstaltungen organisierten, Infotische auf die Beine stellten und am landesweiten Aktionstag in über 80 Orten Präsenz zeigten. Die Überlegenheit der Befürworter und ihre Kontrolle über die Medien konnte damit aber nicht wettgemacht werden. Unternehmer, IHK, Arbeitgeberverbände, Kirchen, Kreisräte, Landräte setzten ihre ganze Macht ein, um den S21-GegnerInnen eine Niederlage beizubringen. Bosch, Mahle und andere Konzerne betrieben Stimmungsmache, die Bauindustrie stellte allen Arbeitgebern einen Mitarbeiterbrief zur Verfügung, Daimler und der Arbeitgeberverband Südwestmetall sponserte den „S21-Infobus“, die Bahn als weltweit zweitgrößtes Transportunternehmen nutzte ihre gesamte PR-Abteilung, der Verband der Region Stuttgart ließ eine Million Euro Steuergelder in die S21-Kampagne fließen und OB Wolfgang Schuster veruntreute 130.000 Euro aus der Stadtkasse für einen Lügenbrief an alle Wahlberechtigten.

Das Ergebnis zeigte, wie stark die Meinungsmache der Wenigen mit dem vielen Geld wirkt, die tagein tagaus über Schulen, Unis, Betriebe, Parlamente, Zeitungen, Fernsehen, Rundfunk, Gerichte die Bevölkerung beeinflussen. Abgesehen davon, dass die S21-Gegner ohnehin nicht jedes Dorf im letzten Winkel des „Ländle“ abdecken konnten, gelang es auch in der Region Stuttgart offensichtlich nicht, alle Schichten der Gesellschaft zu erreichen. Das gilt unter anderem für große Teile der Jugend, vor allem aber auch für das Gros der abhängig Beschäftigten.

Ein ausschlaggebender Vorteil für die S21-Unternehmer und -Parteien, der bei der Volksabstimmung zum Tragen kam, ist die immer noch vorhandene relative wirtschaftliche Stabilität in der Region. Wenn keine Entlassungen auf der Tagesordnung stehen und Stadt und Land aufgrund von Steuermehreinnahmen noch keine drastischen Sozialkürzungen durchführen müssen, wenn es keine betrieblichen Kämpfe oder Bewegungen gegen sozialen Kahlschlag gibt, dann hat es der Filz von Wirtschaftsbossen und Tunnelparteien einfacher, mit ihrer Propaganda von der Finanzierbarkeit von Stuttgart 21, dann glauben die Leute eher, dass S21 Arbeitsplätze schaffen könnte.

Gerade die Jugend, die noch keine Erfahrung hat mit harten Angriffen hier und noch nicht in Kämpfe zur Verteidigung ihrer Interessen gezwungen wurde, verhält sich nach wie vor überwiegend passiv bei der Auseinandersetzung. Die Aktivitäten der „Jugendoffensive“ und ihre Kampagne während der Volksabstimmung stieß dabei an ihre Grenzen.

In den Betrieben wären die Gewerkschaften gefordert gewesen. Zwar positionierte sich der DGB gegen das Projekt. Aber es ist eine Sache, dass IGM-Chef Berthold Huber in der Zeitung „einundzwanzig“ zum Ausstieg aufruft, es wäre eine ganz andere Sache gewesen, über Betriebs- und Mitgliederversammlungen sowie über Aktionen vor den Betrieben Anstrengungen zu unternehmen, die Beschäftigten zu überzeugen. Schlimmer noch: Der Gesamtbetriebsratschef von Daimler, Erich Klemm, hat die Standortlogik so sehr verinnerlicht, dass er ganz offen im Befürworter-Lager agierte.

Die Volksabstimmung fand außerdem zu einem Zeitpunkt statt, als die S21-GegnerInnen durch die „Schlichtung“ und den „Stresstest“ bereits in die Defensive geraten waren. Zwar waren mit der 100. Montagsdemo und der Kundgebung am Tag vor der Abstimmung binnen einer Woche erneut zweimal um die 10.000 auf der Straße, trotzdem konnten sich die S21-GegnerInnen nicht auf eine Massenbewegung wie in den Hochzeiten des Konflikts stützen. Aber genau das war gewollt – von einem Teil der Bewegung: den Grünen. Schon im August 2010 hatte der Tübinger OB Boris Palmer erst eine „Schlichtung“ (verbunden mit einem Aussetzen von Demonstrationen!) und dann bei diesem angeblichen „Faktencheck“ einen „Stresstest“ vorgeschlagen. Und diese undemokratische Volksabstimmung strebte nicht nur Nils Schmid von der SPD an, auch Winfried Kretschmann forderte diese bereits vor Jahresfrist. Und über die Grünen trat das Aktionsbündnis schließlich selbst für die Volksabstimmung ein und schürte Illusionen in sie.

Wie schon bei der Atompolitik oder in der Frage von Kriegseinsätzen der Bundeswehr zeigen die Grünen auch bei Stuttgart 21, dass für sie ein paar Regierungsposten wichtiger sind als eine eigenständige Massenbewegung. Kein Wunder, dass die Vorsitzenden der Grünen von Baden-Württemberg, Chris Kühn und Thekla Walker, bereits am 28. November verkündeten, ihre Partei werde die Gegenwehr „grundsätzlich beenden“. Jemand wie Kretschmann feiern die Herrschenden gern als „Politiker des Jahres“.

Der Widerstand muss weitergehen – aber wie?

Während Ex-Daimler-Vorstandsmitglied Rüdiger Grube und Co. für eine profitgierige Minderheit tätig sind, machen sich die S21-GegnerInnen für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung stark. Um so schwerer wiegt, bei der Volksabstimmung weder in Land noch Stadt eine Stimmenmehrheit erreicht zu haben. Deshalb ist die erste Frage, die sich stellt, wie wir darauf antworten.

Zunächst ist Walter Sittler beizupflichten, der im ZDF-Morgenmagazin am 28. November erklärte: „Ein vergoldetes Stück Blech wird nicht Gold, bloß weil eine Mehrheit das sagt.“ Die Volksabstimmung schafft keine der benannten Risiken und Gefahren aus der Welt oder wie Volker Lösch am Abend der Volksabstimmung sagte, S21 wird durch das Ergebnis nicht sinnvoll und der Widerstand nicht sinnlos. Trotz geballter und finanzstarker Gegenmacht konnten wir in Stuttgart immerhin 117.310 Menschen (47,1 Prozent) überzeugen.

Viele WählerInnen erhofften sich, dass mit der Volksabstimmung „der ganze Ärger“ um S21 ein Ende haben werde. Aber der größte Ärger steht erst noch bevor: Vernichtung vom Mittleren Schlossgarten, Abriss des Südflügels, Verkehrsbehinderungen durch die Rohrverlegung für das Grundwassermanagement, Gefährdung der Mineralquellen, jahrelange Megabaustelle im Stadtzentrum, S-Bahn-Chaos, aus dem Ruder laufende Kosten, darauf folgende drastische Fahrpreiserhöhungen und Sozialkürzungen. Diese Erfahrungen werden die S21-GegnerInnen bestätigen und können in Zukunft den Kreis der Gegnerschaft enorm erweitern.

Darum heißt dies für uns: Wir haben solch eine beeindruckende Bewegung gegen ein Projekt, das man schon vor über 15 Jahren hinter verschlossenen Türen unter Dach und Fach bringen wollte und das lange Zeit besiegelt schien, auf den Weg gebracht. Das darf nicht umsonst gewesen sein. Zumal wir dieses Projekt noch immer kippen können – und müssen. Deshalb setzen wir unsere Argumentation und unseren Widerstand gegen dieses Milliardengrab fort.

Die Bewegung gegen S21 wird aber einen langen Atem brauchen. Während die S21-GegnerInnen stark geschwächt sind, sehen sich die Befürworter deutlich gestärkt. Das Blatt kann sich früher oder später aber wieder wenden. Wenn nur ein Bruchteil der Katastrophen, die wir befürchten, eintreten, dann wird sich der Unmut in der Bevölkerung neu aufbauen und kann uns wieder in die Offensive bringen. Wir müssen auch davon ausgehen, dass die kapitalistische Krise in den nächsten Monaten und Jahren die Region voll erfasst. Das heißt, es wird zu Arbeitsplatzabbau, Entlassungen und Betriebsschließungen kommen. Belegschaften, die sich heute noch in Sicherheit wiegen, werden gezwungen sein, um ihre Existenz zu kämpfen. Hinzu kommt, dass Stadt und Land in Folge der Krise mit dramatischen Steuermindereinnahmen konfrontiert sein und die Kosten auf die Bevölkerung abwälzen werden. Das wird Leute in Kämpfe zwingen, die am 27. November mit „Nein“ gestimmt haben. Die Wut wird sich dann verstärkt gegen die Politiker und Unternehmer, von Schuster bis Zetsche, richten, die auch zu den treibenden Kräften bei S21 zählen. Aufgrund dieser Perspektive muss die Bewegung bereits heute die Schlussfolgerung ziehen, den Einpunkt-Charakter zu überwinden. Mit dem Auftritt der Behr-Kollegen bei Montagsdemos und der gemeinsamen Demonstration gegen AKW und S21 im Frühjahr 2011 war das bereits ansatzweise vorhanden. Es war aber mehr zufällig als bewusst.

Die Bewegung muss sich davon verabschieden, dass Stuttgart 21 sowieso an seinen inneren Widersprüchen oder einer Kostenexplosion scheitert. Das ist im Moment der unwahrscheinlichste Fall. Und der Einsatz der Befürworter bei der Volksabstimmung hat das deutlich gemacht. Es geht hier um sehr viel Profit und sie werden in nächster Zeit alles dafür tun, dieses Profitprojekt zu retten.

Die Bewegung muss sich auch davon verabschieden, darauf zu setzen, die Befürworter mit Argumenten zu überzeugen. Eine Einbindung in irgendwelche Runden Tische, Dialogforen oder eine „kritische Begleitung“ des Projekts muss abgelehnt werden. Im Gegenteil. Die Betrügereien des Bahn-Vorstands sollten zum Anlass genommen werden, die Absetzung von Grube, Kefer und Co. und die demokratische Verwaltung der Bahn durch VertreterInnen von Belegschaft und NutzerInnen zu fordern.

Wir müssen mit unseren Kräften haushalten. Schließlich markiert der 27. November den bislang größten Rückschlag. Die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender vom BUND, hat ihren Posten aufgegeben. Es ist nicht auszuschließen, dass sich einige AktivistInnen oder ganze Gruppen zurückziehen. Manche demoralisiert, manche erschöpft. Der Druck, der jetzt aufgebaut wird, den Streit zu beenden und den Widerstand einzustellen, kann dies befördern. Allerdings sind durch die Volksabstimmungskampagne auch neue AktivistInnen dazugestoßen.

Um die 4.000 S-21-GegnerInnen waren auf der 101. Montagsdemo. Die Stimmung bewerteten selbst die Stuttgarter Nachrichten als „kämpferisch“. An der Blockade am selben Tag hatten ebenfalls über 140 Personen teilgenommen und die Baustelle von 6 bis 10.30 Uhr blockiert. Die Bekanntgabe dieses Blockadeerfolgs bei der Montagsdemo wurde mit riesigem Beifall bedacht. Für den 5. Dezember ist ein Frauenblockade an der Baustelle des Grundwassermanagements geplant. Die ersten Gruppentreffen nach der Volksabstimmung sind sehr gut besucht. Die „Gewerkschafter gegen Stuttgart 21“ hatten nach der 101. Montagsdemo eines ihrer größten Treffen und kamen zu dem Ergebnis, für die Fortsetzung der Montagsdemos für die Organisierung einer Großdemo Anfang Januar einzutreten. Auch das Treffen der Schorndorfer Initiative gegen S21 beispielsweise war das bestbesuchte seit langem. Für diese und viele der 47 Prozent sind jetzt natürlich Signale wichtig, dass die Flinte nicht ins Korn geworfen wird. Darum ist es zentral, dass die Montagsdemos als Rückgrat der Bewegung nicht ausgesetzt werden. Generell wäre es ein falsches Zeichen, bereits gesetzte Termine wie Montagsdemos oder Blockaden abzusagen.

Schuster und Föll stoppen

Stuttgart 21 ist nach Angaben der Projektbetreiber in erster Linie ein Städtebauprojekt der Stadt Stuttgart. Mit seinem Brief an jeden Wähler und der Androhung einer Schadensersatzklage gegen das Land für den Fall des Ausstiegs macht sich Wolfgang Schuster erneut zur Speerspitze des Pro-Lagers. Während die Stadt Stuttgart mindestens 1,6 Milliarden Euro für S21 verschwendet, wird uns bei den jetzt laufenden Haushaltsberatungen wieder erzählt, dass kein Geld da sei für dringend notwendige soziale Maßnahmen. CDU-Finanzbürgermeister Föll will mit dem neuen Haushalt den geplanten Ausbau bei den Kitas und der Schulsanierung sogar weiter strecken. Dabei fehlen nach Angaben der Stadt aktuell 4.600 Krippen- und 3.500 Ganztagsplätze in Kitas sowie tausende Hortplätze. „Der vorhandene und der wachsende Bedarf der Eltern kann nicht annähernd gedeckt werden“, verkündete die Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer. Laut Schulbürgermeisterin Eisenmann sind hungrige Kinder an den Schulen inzwischen zum Massenproblem geworden. Trotzdem ist der Mehrheit im Gemeinderat die Finanzierung von S21 oder dem Rosensteintunnel wichtiger als ein kostenloses Mittagessen an den Schulen.

Wir lassen uns nicht weismachen, dass die Stadt die Verträge zu Stuttgart 21 nicht kündigen kann. Die Bahn hat bei Vertragsunterzeichnung die wahren Kosten bewusst verschwiegen. Das ist ein Grund, Verträge für null und nicht zu erklären und sogar Schadensersatz zu verlangen.

Die Ausstiegsgewinne bei Stuttgart 21 sind für die Stadt enorm: mindestens 750 Millionen Euro für die Rückgabe des Gleisvorfelds; 186 Millionen, die unter anderem für den Risikofonds reserviert sind; zwölf Millionen Euro, weil die Neckarrealschule bleiben kann; 13 Millionen für die Rückgabe des Geländes der Gäubahn; 650.000 Euro jährlich für die laufenden Aktivitäten (zum Beispiel 300.000 für die Propagandashow im Turmforum). Mit dem vielen Geld könnten entscheidende Verbesserungen bei den Kitas, Schulen, im Klinikum, bei der SSB, im Wohnungsbau und so weiter finanziert werden. Die Fraktion SÖS und LINKE hat entsprechende Anträge zu den Haushaltsberatungen eingebracht. Doch ohne öffentlichen Druck wird nichts erreicht.

Dabei bietet sich eine enge Verzahnung mit dem Bürgerbegehren zur Rekommunalisierung der Wasser- und Energieversorgung und mit dem Widerstand gegen den Rosensteintunnel an. Wir sollten alles dafür tun, dass das Bürgerbegehren des Stuttgarter Wasserforums und der Aktion Stadtwerke die nötigen Unterschriften bis Anfang Dezember zusammenbekommt (www.aktion-stadtwerke-stuttgart.de) .

Gegenwehr

Ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes gegen S21 beinhaltete neben Veranstaltungen und Demonstrationen auch Formen des zivilen Ungehorsams (von Spontandemos über Blockaden bis zu Baustellen-Besetzungen). Es bleibt weiter richtig, dass die Bauarbeiten der Bahn nicht allein durch symbolische Handlungen, sondern nur durch Massenproteste und konkrete Widerstandsaktionen aufgehalten werden können. Die Blockaden beim Grundwassermanagement bleiben Sand im Getriebe und verzögern die Arbeiten. Allerdings hat die Bewegung heute nicht Rückenwind, sondern starken Gegenwind. Das wird die Mobilisierung erschweren. Falsch wäre es jetzt, mit Kleingruppen Straßenblockaden oder andere Aktionen zu organisieren, weil dabei die VerkehrsteilnehmerInnen betroffen wären und dadurch weitere Teile der Bevölkerung gegen uns aufgebracht werden würden.

Die Diskussionen in der Bewegung über eine Großdemo Anfang Januar gehen in die richtige Richtung. Auch die bereits getroffene Entscheidung, dass im Falle von Parkräumung, Südflügel-Abbruch und Bäumefällungen ein Parkschützeralarm ausgelöst wird, muss eingehalten werden. Wir müssen aber damit rechnen, dass wir aufgrund der Polizeigewalt vom 30. September und aufgrund der Niederlage der Volksabstimmung es schwerer haben, größere Blockaden zu organisieren. Hinzu kommt, dass möglicherweise ein Teil der AktivistInnen ihrer Wut freien Lauf lassen wollen und zu Aktionen greifen, die andere abschrecken oder verängstigen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass ein Parkschützeralarm und eine entsprechende Mobilisierung mit Initiativen und Strukturen verbunden werden, die am Ort des Geschehens Handlungsfähigkeit zeigen und als Autorität anerkannt werden. Das Bezugsgruppensystem wird hier – wie bereits mehrmals gezeigt – nicht funktionieren. Es geht darum, dass die AktivistInnen aus den verschiedenen Widerstandsgruppen die Verantwortung übernehmen. Wenn die Polizei mit einer Übermacht von 9.000 Polizisten anrückt, können wir die Auseinandersetzung militärisch nicht gewinnen. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unseren Aktionen neue Unterstützung in der Bevölkerung aufbauen. Am 30. September war es die riesige Empörung über den Polizeieinsatz gegen friedliche DemonstrantInnen, die die Mappus-Regierung mit dem Rücken an die Wand drängte. Klar ist auch, dass die neue Regierung Bilder wie vom 30. September nicht haben will. Allerdings wirken unter den für die Räumung Verantwortlichen verschiedene Kräfte. Deshalb sollten wir auf unterschiedliche mögliche Vorgehensweisen eingestellt sein. Wie groß unsere Mobilisierungskraft ist, wenn es an die Bäume geht, ist unklar. Es gibt inzwischen 32.593 eingetragene ParkschützerInnen, darunter 13.736 mit der „Stufe Rot“. Viele Leute haben sich aber schon vor langer Zeit eingetragen. Es ist offen, wie viel bereit sind, sich der Fällung der Bäume in den Weg zu stellen. Es wäre sinnvoll, alle in der „Stufe Rot“ Anfang Januar zu einem Treffen einzuladen, um die Lage zu diskutieren.

Politische Alternativen aufzeigen

Die Materialproduktion darf mit der Volksabstimmung nicht beendet werden. Wir müssen der Bevölkerung erklären, warum die Volksabstimmung undemokratisch war, warum wir unseren Widerstand fortsetzen, warum wir weiter Montagsdemos und Blockaden machen.

Bei allen Diskussionen über den künftigen Widerstand sollte die Bilanz über den Verlauf der Volksabstimmung nicht vergessen werden. Zu den Schlussfolgerungen gehört die Notwendigkeit, für unabhängige, kritische Medien einzutreten. Mit der Wochenzeitung „kontext“ und dem Blatt „einundzwanzig“ hat die S21-Bewegung auch hier kleine Schritte nach vorn gemacht. Solange aber die beiden großen Zeitungen der Landeshauptstadt in der Hand eines Verlegers Richard Rebmann sind und generell eine Handvoll Pressezaren den Ton angeben können, bleibt es ungemein schwer, dagegen anzukommen. Die bereits begonnene Diskussion über die Medien muss deshalb weitergeführt werden. Die SAV ist der Meinung, dass die privaten Medienunternehmer enteignet gehören und alle Medien demokratisch verwaltet und kontrolliert werden müssen, damit alle (mit Ausnahme der Faschisten) Zugang haben.

Eine weitere Lehre vom 27. November besteht darin, dass wir große Teile der arbeitenden Bevölkerung, viele Angestellte und ArbeiterInnen, noch nicht für die Bewegung gewinnen konnten (auch wenn zu den S21-GegnerInnen eine nicht unerhebliche Zahl der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes gehört). Das hängt auch damit zusammen, dass die Gewerkschaftsführung sich an die kapitalistischen Verhältnisse angepasst hat. Wir brauchen demokratische und kämpferische Gewerkschaften. Dies muss von unten durchgesetzt werden. Die Bewegung gegen Stuttgart 21 kann diesen Prozess befördern, indem sie weiter Druck auf die Gewerkschaften aufbaut, ihre Machtmittel gegen S21 einzusetzen.

Die Grünen haben sich bundesweit als Kriegs-, Atom- und Hartz-IV-Partei erwiesen. Nun wird unter der von ihnen geführten Landesregierung das Projekt S21 fortgesetzt und wahrscheinlich schon bald unter ihrer Verantwortung einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte Baden-Württembergs durchgeführt. Die Politik der Grünen stellt dir Frage nach einer politischen Alternative in aller Schärfe. Die SAV sieht in der LINKEN einen Ansatz für eine breite antikapitalistischen Partei und kämpft in der Linkspartei dafür, dass die Partei das Vakuum, das die Grünen in der Bewegung gegen S 21 hinterlassen, füllt und nicht dort landet, wo SPD und Grüne bereits angekommen sind.

Ganz Gallien ist von profitgierigen Unternehmern und korrupten Politikern besetzt… Ganz Gallien? Nein, ein Dorf leistet unermüdlich Gegenwehr. Zwar gab es auch hier am 27. November eine knappe Mehrheit, die eine andere Position einnahm. Doch der Stuttgarter Talkessel (die Bezirke Mitte, Süd, West, Ost – bis auf Nord) stellte sich dem Projekt auch an diesem Tag mehrheitlich entgegen. Trotzdem mussten sie (Zaubertränke gibt es leider nur in Comics) ordentlich was einstecken. Eine Schlacht ging verloren, jedoch nicht die „letzte Schlacht“. Der Konflikt wird noch lange andauern. Aber nach einer Niederlage ist es immer nötig, die Truppen zu sammeln, neu auszurichten und dem Gegner keinesfalls geschwächt ins offene Messer zu laufen.

Vorschläge für die nächsten Schritte im Widerstand

Fortführung der Montagsdemos

Die Montagsdemos haben sich zum Rückgrat des Widerstands entwickelt. Ihre Bedeutung als wöchentlicher Treffpunkt, als Ort des Krafttankens und der Selbstvergewisserung ist jetzt noch wichtiger. Deshalb sollten sie weiter geführt werden. Auf teurere Technik sollte indessen verzichtet werden. Ob es nur eine Kundgebung oder auch eine Demo gibt, muss von Fall zu Fall entschieden werden.

Protestaktion vor und im Gemeinderat während der Haushaltsverabschiedung am 15./16. Dezember

Damit bietet sich eine konkrete Möglichkeit, deutlich zu machen, dass die Stadt mit ihrer finanziellen Unterstützung für das Wahnsinnsprojekt S21 an der falschen Stelle Geld verheizt, während es anderswo brennt.

Großdemo Anfang Januar, Parkschützeralarm und Proteste am D-Day

Zur Vorbereitung des Parkschützeralarms sollten alle mit „Stufe Rot“ per E-Mail zu einem Treffen vor Weihnachten oder spätestens Anfang Januar eingeladen werden.

Nach dem Dreikönigstag ist jederzeit mit dem „D-Day“ zu rechnen. Um diesem Angriff nicht ohnmächtig gegenüber zu stehen und gleichzeitig öffentlich deutlich zu machen, was S21 wirklich bedeutet, sollte für diesen Nachmittag oder Abend eine Großdemo geplant werden.

Teil des Widerstands sollten in Zukunft weiterhin nicht nur Mobilisierungsaktionen und Demonstrationen, sondern auch Blockaden (bis hin zur Besetzung von Baustellen) sein. Blockaden sind um so wirksamer, je besser sie vorbereitet werden und je stärker die Beteiligung daran ist. Beim „D-Day“ sollten die Proteste und Blockaden dem Ziel dienen, die Aufmerksamkeit für die Auswirkungen von S21 zu erhöhen, zu zeigen, dass der Widerstand nicht tot ist und mehr Verständnis und Unterstützung für die S21-Bewegung zu erreichen.

„Kampf um die Köpfe“

Die S21-Befürworter behaupteten bei der Volksabstimmung, es ginge nur noch darum, „fertig zu bauen“ oder exorbitante Rechnungen zu zahlen. Das ist eine Lüge. Dies muss deutlich gemacht werden. Zugleich gilt es zu erklären, warum S21 nicht nur verschwenderisch teuer und überflüssig, sondern auch unsozial, unökologisch und undemokratisch ist. Ein neues Massenflugblatt des Aktionsbündnisses zum „D-Day“ wäre sinnvoll.

Verbindung vom Kampf gegen S21 mit dem Kampf gegen Sozial- und Arbeitsplatzabbau

Mit einer weiteren Zuspitzung der Finanz- und Wirtschaftskrise werden Gemeinderat und grün-rote Landesregierung den Rotstift zücken. Parallel dazu sind früher oder später Stellenstreichungen und sogar Betriebsschließungen in der Region zu befürchten. Statt Milliarden in ein Profit- und Prestigeprojekt zu stecken, brauchen wir mehr Geld für Bildung und Soziales. Bei S21, Kürzungen und Arbeitsplatzvernichtung haben wir es mit den gleichen Kontrahenten zu tun. Darum sollten diese Kämpfe zu einer Bewegung gegen alle Angriffe zusammengeführt werden und das kapitalistische System insgesamt in Frage gestellt werden.

Weitere Ratschläge und Plena

Nicht alle Fragen über die Gründe der Volksabstimmungsniederlage und die anstehenden Aufgaben lassen sich schnell klären und ausdiskutieren. Dafür sollten sich alle Gruppen in der S21-Bewegung Zeit nehmen (jede und jeder sollte sich auch in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, unter Freunden und Verwandten umhören). Bei einem weiteren Ratschlag, bei Plena von Parkschützern, bei Vernetzungstreffen der Stadtteilgruppen kann die Diskussion fortgeführt werden. Auf dieser Basis könnte nicht nur die Vorbereitung auf den „D-Day“ konkretisiert werden, sondern auch über die weitere Organisierung des Widerstands, über Strukturen und politische Forderungen diskutiert werden.