Veranstaltung: Die Euro-Krise heißt Kapitalismus

Solidarisches Streitgespräch der SAV-Bremen mit dem Landessprecher der Bremer LINKEN


 

Am Samstag nachmittag, dem 26.11. fand auf Einladung der SAV Bremen eine mit 20 TeilnehmerInnen gut besuchte Diskussion zur Eurokrise statt, die sich in den letzten Wochen ja noch einmal deutlich zugespitzt hat. Heino Berg (SAV Göttingen) stellte zunächst die Einschätzung und die Forderungen der SAV vor. Der Landessprecher der Bremer LINKEN, Christoph Spehr, vertrat die Mehrheitspositionen der LINKEN. Moderiert wurde die sehr solidarisch und konstruktiv ausgetragene Kontroverse von Sebastian Rave. Zwei weitere Mitglieder des neuen Landesvorstands sowie Peter Erlanson aus der Bürgerschaftsfraktion nahmen aktiv daran teil.

von Sebastian Rave, Mitglied der SAV und des Landesvorstands der Bremer LINKEN

Alle Referenten und TeilnehmerInnen waren sich darin einig, daß die explosive Lage in der Eurozone ein Ausdruck der weltweiten Systemkrise ist, die mit dem Beinahe-Kollaps des Finanzsystems 2008 offen ausgebrochen ist. Die ständig erweiterten Rettungsschirme dienen nur den Interessen der Banken, während die Kosten dafür auf die arbeitende Bevölkerung in Griechenland und in ganz Europa abgewälzt werden sollen. Die dafür von der EU verordneten Sparprogramme würden die Krise nicht überwinden, sondern nur weiter verschärfen. Sie stoßen auf massiven Widerstand der Betroffenen, nicht nur in Generalstreiks wie zuletzt in Portugal, sondern mit der occupy-Bewegung auch in den USA und damit im Zentrum des herrschenden Systems.

Unterschiedliche Einschätzungen betrafen die politischen Konsequenzen dieser Krise und die zentralen Forderungen. Christoph Spehr meinte, daß gemeinsame Staatsanleihen der EZB, sog. Euro-Bonds, den „Konstruktionsfehler“ der EU von unterschiedlicher wirtschaftlicher Macht der einzelnen Mitglieder, ohne dass diese mit Abwertungen darauf reagieren können, ausgleichen könne. Außerdem könnten so Spekulationen gegen einzelne Länder verhindert werden. Nötig wäre ein Ausbau der EU zu einer “Transfer-Union” mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Steuerpolitik. Neben der Verstaatlichung der Banken könnten eine Regulierung des Finanzsektors mit Teilverstaatlichungen sowie eine Transaktionssteuer sinnvolle Schritte in diese Richtung sein.

Vertreter der SAV wandten ein, daß die – jetzt auch von Baroso und Sarkozy geforderte – Emmission von Eurobonds oder der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB nichts an den bestehenden Schuldenbergen und dem Spardiktat von EU-Kommission und IWF ändern würden. Außerdem seien sie eine Lizenz zum Gelddrucken für eine Institution, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Da die Bevölkerung in Europa nicht verantwortlich sei für die Entscheidungen der Banken und Großkonzerne, wäre die Streichung der Staatsschulden notwendig.

Christoph Spehr kritisierte bei dieser Forderung, dass nicht zwischen verschiedenen Schuldnern differenziert werden würde, KleinanlegerInnen also Ihre Ersparnisse gefährdet sehen könnten. Heino Berg meinte in seiner Replik, daß durch eine Verstaatlichung und demokratische Kontrolle der Banken die von ihnen angehäuften Gewinne zur Entschädigung solcher Kleinanlagen genutzt werden könnten.

In der Diskussion wurde auch deutlich, dass die Forderung nach einer Transfer – bzw. Fiskalunion wie eine Verteidigung der undemokratischen EU Institutionen wirken könnten. Auf der Basis von kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen, so Heino Berg, sei ein solidarischer und demokratischer Staatenbund weder in Europa, noch irgendwo sonst auf der Welt zu verwirklichen. Die Euro-Zone sei auf Dauer ohnehin nicht aufrecht zu erhalten, weil in der Krise die Konflikte zwischen den Nationalstaaten und den hinter ihnen stehenden Konzernen unvermeidlich zunehmen würden.

Auf diesem Hintergrund entwickelte sich eine sehr lebhafte und spannende Debatte darüber, wie Linke und SozialistInnen die konkreten Tages- und Verteidigungsforderungen mit systemüberwindenden Perspektiven verbinden können.

Die weltweite Bewegung von Tunesien und Ägypten über Spanien und Griechenland bis hin zur „#Occupy-Bewegung” in den USA zeige trotz ihrer organisatorischen und politischen Schwächen, daß weltweit immer mehr Menschen nach grundlegenden Alternativen suchen würden. Deshalb dürfe sich die LINKE nicht darauf beschränken, in der praktischen Politik ähnlich wie SPD oder Grüne nur an Symptomen des kranken Systems (oder der EU) herum zu “doktern” und den Sozialismus nur in Sonntagsreden oder in Parteiprogrammen zu beschwören.

Peter Erlanson ergänzte, daß fast alle Forderungen (z.B. auch das Verbot von Spekulation) die politische Machtfrage aufwerfen würden. Deshalb dürfe auch die LINKE ihr und der dahinter stehenden Eigentumsfrage nicht ausweichen. Selbst innerhalb der Linkspartei gebe es sowohl Kräfte und Positionen, die den Arzt am Krankenbett des Kapitalismus spielen wollten, als auch Menschen, die den Kampf für eine neue Gesellschaftsordnung ernst nehmen würden. Es sei also eine Frage des Kräfteverhältnisses, welche Positionen die LINKE in dieser Frage vertritt.

Christoph Spehr trat in seinem Schlußwort ein, daß solche kontroversen Diskussions- und Schulungsangebote häufiger auch durch die LINKE angeboten werden müßten. Nur dann könne die LINKE erfolgreich in die Bewegung eingreifen und antikapitalistische Perspektiven entwickeln, anstatt nur die Ausgangsforderungen der Bewegung zu wiederholen.

Die solidarische Debatte von Mitgliedern der SAV und anderen Mitgliedern der LINKEN, die in dieser Form vor einigen Jahren sicherlich nicht stattgefunden hätte, ist auch ein Ausdruck der aktuellen politischen Situation, in der antikapitalistische Ideen auch in der LINKEN mehr Unterstützung erhalten. Ein politisches Klima, in dem die unter SozialistInnen strittigen Fragen offen, sachlich und konstruktiv angesprochen werden können, ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß die LINKE ihre Stagnation überwinden und das systemkritische Potenzial in der Bevölkerung nutzen kann.