»Strategie für Bildungsstreik ist jetzt nötig«

Im November wollen Studenten, Schüler und Lehrlinge wieder auf die Straße gehen. Ein Gespräch mit Michael Koschitzki


 

Interview von Ralf Wurzbacher

Das Interview erschien zuerst in der Tageszeitung Junge Welt am 28. September

Das bundesweite Bündnis Bildungsstreik hat für November Schüler, Auszubildende und Studierende zu neuerlichen Protesten in ganz Deutschland aufgerufen. SAV-Mitglieder sind in mehreren Städten an den Vorbereitungen beteiligt. Was ist Anlaß des Vorhabens?

Anlässe gibt es genug. Seit den letzten Protesten hat sich so gut wie nichts an der Situation im Bildungssystem geändert, und die Zeichen stehen sogar noch auf Verschlechterung. Die Unis werden nach der Aussetzung der Wehrpflicht und den ersten Doppeljahrgängen aus allen Nähten platzen. Wochenendseminare und Vorlesungen bis Mitternacht sind angesetzt und viele zusätzliche Studienplätze nicht ausfinanziert. Im Zuge der Euro-Krise wird der Rotstift bei der Bildung angesetzt. In Brandenburg sind es zum Beispiel 24 Millionen Euro weniger im nächsten Jahr. Die Schuldenbremse wird zur Bildungsbremse. Mehr Unterrichtsstunden für Lehrkräfte sind in Bremen geplant. Aber dort sieht man auch schon, wie die Kürzungen zu Schulbesetzungen und Streiks führen.

Was konkret ist für die kommenden Wochen geplant?

Anfang September hat eine bundesweit organisierte Bildungsstreikkonferenz in Berlin beschlossen, zu Streiks, Demonstrationen, Flashmobs und Besetzungen am 17. November aufzurufen. Darüber hinaus gibt es aber leider noch wenig Vorschläge. Nötig ist jetzt eine Strategie, wie sich Schüler und Studierende organisieren und den Bildungsstreik in die eigenen Hände nehmen können. Außerdem fehlt ein Plan, wie es danach weitergeht. Das muß jetzt an Ort und Stelle entwickelt und beim nächsten Treffen geklärt werden.

Wer trägt die Proteste? Inwieweit kann man bei der Mobilisierung an vorhandene Strukturen früherer Bildungsstreiks anknüpfen?

In einigen Orten existieren Ansätze für Strukturen. Beispielsweise gab es im Juli in Dortmund einen Schülerstreik gegen Atomkraft. Die beteiligten Aktivisten treffen sich noch und wollen den Bildungsstreik vorbereiten. In Baden-Württembergs Hauptstadt wird die Jugendoffensive gegen »Stuttgart 21« mitmachen. Insgesamt ist es aber viel zu wenig. Die letzte Konferenz war vor allem von politischen Organisationen geprägt. Aber der Bildungsstreik darf nicht über die Köpfe von Schülern, Auszubildenden und Studierenden hinweg geplant werden – das funktioniert nicht.

Politische Organisationen können helfen, örtliche Bündnisse aufzubauen, aber sie müssen dann zu wirklichen Treffen von Schülern, Auszubildenden und Studierenden werden. Die Linke.SDS und die Linksjugend [’solid] haben in den letzten Jahren in vielen Orten eine große Rolle im Bildungsstreik gespielt. Sie sollten bei der Selbstorganisation und Vorbereitung mithelfen.

An die Breitenwirkung des ersten bundesweiten Bildungsstreiks im Sommer 2009 mit Hunderttausenden Beteiligten reichten die beiden Neuauflagen im darauffolgenden Herbst und im Juni 2010 nicht annähernd heran. Hat man daraus die nötigen Schlüsse gezogen?

Letztes Jahr wurden die Probleme einer mangelnden Selbstorganisation, fehlender demokratischer Strukturen und zu wenig klaren Zielen auf Bundesebene deutlich. Die Einbeziehung von Auszubildenden und der Schulterschluß mit den Antikrisendemonstrationen waren aber von einer neuen Qualität. In Kassel nahmen 300 Auszubildende von VW am Bildungsstreik teil. Substantielle Zugeständnisse der Herrschenden wurden aber nicht erreicht. Proteste und Strukturen sind eingeschlafen. Über die Fehler muß diskutiert werden, damit man sie nicht wiederholt.

Die Hochschulen werden zum Wintersemester hoffnungslos überlaufen sein, mehr als 450000 Studienneuanfänger werden erwartet. Schlummert hier nicht Potential für eine Massenbewegung?

Ja, genau. Daß in Bremen vier Schulen hintereinander besetzt wurden, zeigt aber auch, wie die Wut bei den Schülern steigt. Diese Leute müssen wir zusammen mit den Erstsemestern organisieren und mit ihnen Forderungen diskutieren. Wie können wir sie zuspitzen, um besser zu mobilisieren? Eine Verbindung zu einer umfassenden Bildungskritik muß hergestellt werden. Das Potential kann geweckt werden, wenn wir reale Verbindungen zu kämpfenden Belegschaften herstellen und Proteste zusammenführen. Die Aktionen in Chile geben eine Vorstellung davon, wie Massenbewegungen aussehen, die dieses System ins Wanken bringen können.