Die "junge Welt" und die Mauer

jW-Redaktion diskreditiert den Sozialismus


 

Zum Jahrestag des DDR-Mauerbaus hat die Tageszeitung junge Welt eine Titelseite veröffentlicht, die bei jedem kritischen Sozialisten nur Empörung hervorrufen kann. Neben einem Bild von NVA-Soldaten vorm Brandenburg Tor, das Gewehr im Anschlag, wird sich dort unter anderem für 28 Jahre „Geschichtswissenschaft statt Guidoknoppgeschichten“, „Club-Cola und FKK“, „Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe“ und einige tatsächliche soziale Errungenschaften der DDR bedankt.

von Sascha Stanicic

Bei wem wird sich eigentlich bedankt? Bei der Mauer selbst oder den abgebildeten NVA-Soldaten, die von der Partei- und Staatsführung gezwungen wurden, auf Menschen zu schießen, die die DDR verlassen wollten? Bei eben dieser Staats- und Parteiführung oder direkt bei den „roten“ Bonzen in Moskau? Und warum eigentlich nur für 28 Jahre? Gab es die beschriebenen Dinge in den Jahren der DDR vor der Mauer nicht? Intellektuell bewegt sich diese Titelseite auf einem so niedrigen Niveau, dass jede Auseinandersetzung damit einer Beleidigung der Intelligenz der LeserInnen gleich kommt. Aber leider ist die junge Welt die einzige linke Tageszeitung, die einen antikapitalistischen Anspruch vertritt und dementsprechend sind auch viele auf die in ihr enthaltenen Informationen angewiesen, die angesichts dieser Titelseite angewidert den Kopf schütteln. Aus diesem Grund ist dann wohl doch eine Auseinandersetzung innerhalb der Linken mit diesem Thema nötig.

Eine sachliche Auseinandersetzung mit der DDR sieht jedenfalls anders aus. Beispiel „Geschichtswissenschaft“: In einem Staat, in dem die Zensur herrschte und beispielsweise die historischen Werke Leo Trotzkis zur Oktoberrevolution und der Geschichte der Sowjetunion nicht frei zugänglich waren, von „Geschichtswissenschaft“ zu reden ist blanker Unfug. Leider ist es eine Wahrheit, dass trotz des Einflusses der Kapitalisten auf Wissenschaft und Forschung, es in Westdeutschland mehr Raum für kritische, ja marxistische Arbeiten gab – Raum, den die Arbeiterbewegung und die Linke sich erkämpft hatte.

Der Mauerbau war ebenso wie die hohe Zahl derjenigen DDR-Bürger, die nach Westdeutschland übersiedelten, Ausdruck der Tatsache, dass die DDR zu keinem Zeitpunkt sozialistisch war und auch keine sozialistischen Prinzipien der Selbstorganisation und Selbstregierung der Arbeiterklasse verwirklichte. ArbeiterInnen verließen die DDR, weil sie dieses Land eben nicht regierten, weil sie die Betriebe eben nicht in ihrer Hand hatten, weil sie eben nicht selber an der Gestaltung der Zukunft arbeiten konnten. „Wäre die DDR sozialistisch gewesen, hätte Adenauer eine Mauer bauen lassen“, ist ein Bonmot, das den Nagel auf den Kopf trifft.

Ob der Mauerbau im Rahmen der 1961 real existierenden internationalen politischen und ökonomischen Verhältnisse kriegsverhindernd wirkte, ist auch zu bezweifeln. Die Bedrohung durch eine Intervention des Westens hat die Mauer jedenfalls nicht verhindert. Sie hat nur zur Aufrechterhaltung eines bürokratischen und diktatorischen Systems gedient, dass den Sozialismus in den Köpfen von Millionen Menschen diskreditierte und das die verstaatlichte Planwirtschaft untergrub und selbst die Verantwortung für den Zusammenbruch in den Jahren 1989/90 und die kapitalistische Restauration trägt. Und: eines Systems, das bis heute mit dafür verantwortlich ist, dass es uns Linken so schwer fällt – trotz kapitalistischer Weltkrise – breite Unterstützung für die Idee des Sozialismus zu mobilisieren.

Und hierin liegt auch die Schuld der jW-Redaktion, denn diese in jeder Hinsicht dumme Titelseite wird zu einer Waffe in der Hand der Sozialismus-Gegner – siehe BILD-Zeitung. Wieder müssen wir uns von den heuchlerischen Vertretern des Kapitalismus – der in Westdeutschland kein Problem damit hatte, haufenweise alte Nazis in den neuen Staat zu integrieren – anhören, dass der Sozialismus Stasi, Mauertote und politische Unfreiheit bedeutet – und eine antikapitalistische Tageszeitung bestätigt das auch noch, indem sie sich das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen zurück wünscht. Worin übrigens auch wirkliche Sozialisten gewandert sind, die an den Ideen von Marx, Lenin und Luxemburg festhielten und den Marxismus als eine kritische Wissenschaft verstanden und sich das Recht auf Kritik nicht nehmen lassen wollten.

Also: danke, jW-Redaktion – Ihr habt dem Sozialismus einen Bärendienst geleistet. Wenn man so eindimensional denken würde, wie Ihr, müsste man ein Abo Eurer Zeitung abbestellen. Aber die jW sind nicht nur die Stalinisten und DDR-Fans in ihrer Redaktion, sondern die vielen AutorInnen, die eine solche Titelseite niemals unterschrieben hätten und nicht zuletzt die Leserinnen und Leser, die oftmals AktivistInnen aus Gewerkschaften und linken Bewegungen sind, und die Informationen aus der jW brauchen. In diesem Sinne kann man nur dazu auffordern, die jW zu verändern, damit ein solcher Mist nicht noch einmal den Weg auf die Titelseite findet.

Der Chefredaktion sei geraten, die Seiten der jW für eine breite Debatte zum Charakter der DDR und zum Mauerbau zu öffnen, in denen alle Strömungen der sozialistischen Linken ihre Positionen darlegen können.