Die aktuelle Lage im Kosova und die Position von MarxistInnen

Eine Lösung des nationalen Konflikts ist im Kapitalismus unmöglich


 

Ende Juli kam es im Norden von Kosova zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der serbischen Minderheit und der albanisch-kosovarischen Polizei sowie Einheiten der KFOR, der NATO-Besatzungstruppe in Kosova. Ein kosovarischer Polizist wurde bei den Kämpfen getötet. Nach Gesprächen zwischen der KFOR und serbischen Unterhändlern entschied der deutsche KFOR-General Bühler, dass bis Mitte September KFOR-Soldaten die Grenzkontrollen übernehmen, so dass sich die Lage kurzfristig beruhigte.

von Claus Ludwig und Sascha Stanicic

Doch die grundlegenden Probleme bleiben ungelöst. Kosova hat zwar 2008 die Unabhängigkeit erklärt, doch faktisch entscheiden die NATO-Truppen (KFOR) und die EU-„Rechtsstaatlichkeitsmission“ (EULEX) über entscheidende Belange des Landes und halten eine Art kolonialer Herrschaft aufrecht. EULEX mischt sich in die Wirtschaftspolitik ein und setzt z.B. Privatisierungen im Interesse ausländischer Konzerne durch. Die soziale Situation ist sehr schlecht, die Arbeitslosigkeit hoch, die Löhne niedrig. Die serbische Minderheit fürchtet, in einem unabhängigen Kosova diskriminiert und zu Sündenböcken gemacht zu werden. Es existieren serbische Enklaven, die circa 25 Prozent des Landesterritoriums ausmachen.

Hintergrund der jüngsten Eskalation war die Entscheidung der kosovarischen Regierung, die vollständige Kontrolle über die Außengrenzen zu übernehmen und einen Einfuhrstopp für Waren aus Serbien zu verhängen. Serbien hat die Unabhängigkeit des Kosova nicht akzeptiert und betrachtet das mehrheitlich von Albanern bewohnte Land als ein Teil des eigenen Staates. Es besteht ein Einfuhrverbot für kosovarische Waren nach Serbien. Der Norden des Kosova, in der Region um Mitrovica, wird mehrheitlich von SerbInnen bewohnt (und wurde das auch schon vor der faktischen Loslösung Kosovas aus Serbien 1999), die Teil Serbiens bleiben bzw. wieder werden wollen. Hier, wie auch in den anderen serbischen Enklaven, existieren von Serbien finanzierte parallele staatliche und wirtschaftliche Strukturen. Faktisch ist die Region nicht in den neuen Staat Kosova integriert.

Grundlegend treten SozialistInnen gegen den reaktionären Nationalismus ein, für die Betonung der gemeinsamen Interessen der arbeitenden und armen Menschen, für Klassenforderungen, für Arbeit, von der man leben kann, für gewerkschaftliche Rechte. Demokratische und kulturelle Rechte von Minderheiten müssen garantiert und respektiert werden. So allgemein werden das viele unterschreiben können. Doch die Wahrheit ist konkret und im Fall des Kosova ist die Lage recht kompliziert, weil sich verschiedene Ebenen von Unterdrückung und nationaler Widersprüche überlagern.

Koloniales Regime und Widerstand

Kosova hat zwar die formale Unabhängigkeit erreicht, ist jedoch faktisch ein koloniales Protektorat der EU. Im jüngsten Grenzstreit hat nicht die Regierung Thaci entschieden, sondern ein KFOR-Besatzungsgeneral hat einen Kompromiss mit der Regierung in Belgrad, die maßgeblichen Einfluss auf die de facto staatlichen Strukturen der SerbInnen in Nordkosova nimmt, gefunden.

Die sozialen Proteste der albanischen Bevölkerung Kosovas, die in den letzten Jahren stärker geworden sind, richten sich oft gegen die Fremdherrschaft der EULEX, der zu Recht vorgeworfen wird, per Privatisierung Kosova im Auftrag ausländischer Konzerne zu plündern.

In den letzten Jahren konnte z.B. die Bewegung „Selbstbestimmung!“ (alb.: Vetëvendosje!), deren führender Kopf der ehemalige Studentenführer Albin Kurti ist, an Unterstützung gewinnen. Oberflächlich betrachtet mag „Selbstbestimmung!“ vor allem nationalistisch wirken. Tatsächlich aber greift die Bewegung auch die sozialen Forderungen der arbeitenden und armen Menschen auf und transportiert damit antiimperialistische Forderungen und ist in Widerspruch zur pro-kapitalistischen und korrupten Thaci-Regierung geraten.

Sie organisiert einen Teil der kosovarischen Jugend, der sich aufgrund der sozialen Lage radikalisiert. Sie nimmt verbal keine aggressiv-nationalistische, unterdrückerische Haltung gegenüber der serbischen Minderheit ein, sondern verkündet, die nationalen Probleme endlich lösen zu wollen, um sich der Vertretung sozialer Interessen widmen zu können.

Allerdings verfügt „Selbstbestimmung!“ nicht über ein sozialistisches oder auch nur eindeutig linkes Programm. Daher ist offen, wohin sich diese Bewegung zukünftig entwickelt. Auf der Grundlage von Klassenkämpfen im Kosova, internationalen Entwicklungen und dem Eingreifen linker Kräfte könnte ein Teil dieser Bewegung zu sozialistischen Positionen gewonnen werden und die Gruppe insgesamt eine positive Rolle spielen. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich die Bewegung vor dem Hintergrund zunehmender nationaler Spannungen und aufgrund des Fehlens eines klaren sozialistischen (und internationalistischen) Klassenstandpunkts, in Richtung eines reaktionären Nationalismus entwickelt.

Im Zusammenhang mit der komplizierten Grenzfrage im Norden von Kosova stößt die kämpferische Selbstbestimmungs-Rhetorik an ihre Grenzen. Auf der einen Seite ist es zwar gegen das Kolonial-Regime der EU gerichtet, wenn gefordert wird, dass die KFOR sich von den Außengrenzen zurückzieht und die Kontrolle kosovarisch-albanischen Polizisten und Zöllnern übergibt. Auf der anderen Seite hat genau dieser Versuch des kosovarischen Staates zur neuen Eskalation nationalistischer Auseinandersetzungen geführt. Denn die Kontrolle der kapitalistischen kosovarischen Staatsorgane über die Außengrenzen im Norden lösen keines der sozialen Probleme, schon gar nicht für die serbische Minderheit. An den bürgerlichen Staat zu appellieren untergräbt außerdem die dringendste Aufgabe – den Aufbau einer kämpferischen Arbeiterbewegung, die ArbeiterInnen aller Nationalitäten zusammen führen könnte.

Es reicht nicht, in dieser Situation auf einen antiserbischen Nationalismus zu verzichten, bei dieser sensiblen nationalen Frage ist eine aktive Haltung für die Einheit der arbeitenden Menschen nötig. Formal mag die Grenzkontrolle zur Komplettierung staatlicher Unabhängigkeit nötig sein – auch ein Importverbot kann Sinn machen, um die eigenen Produzenten zu schützen – faktisch führt sie zu einem nationalen Konflikt mit der serbischen Minderheit in Nordkosova und bildet damit ein Hindernis für den Aufbau einer Arbeiterbewegung, welche die gewaltigen sozialen Probleme in Kosova angeht.

Der kosovarische Staat ist bürgerlich-kapitalistisch, mit starken mafiosen Strukturen. In einer Auseinandersetzung zwischen diesem Staat und den quasi-staatlichen Strukturen der SerbInnen in Nordkosova, gestützt von der serbischen Regierung, ergreifen wir als SozialistInnen keine Partei.

Serbische Minderheit

Über Jahrhunderte hat Serbien Kosova beherrscht, ebenso lange haben sich SerbInnen in der Provinz angesiedelt. Die SerbInnen im Kosova sind keineswegs nur ehemalige Staatsbeamte, sie sind nicht die organisierte Speerspitze für eine serbische Landnahme oder Bewohner von Wehrdörfern.

Sie gehören zu großen Teile der Arbeiterklasse an und leiden unter der sozialen Lage, der kolonialen Ausbeutung des Kosova und der nationalen Spaltung, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht.

Im Zuge des Sieges von NATO und UCK und des Abzuges der serbischen Truppen wurde auch nationale Unterdrückung gegen SerbInnen ausgeübt. Es gab Diskriminierung und Vertreibungen. Viele tausend SerbInnen aus dem ganzen Kosova flohen nach Serbien oder eben in Nordkosova, wodurch die Mehrheit der SerbInnen in dieser Region noch erdrückender wurde. Daraus ergibt sich für SozialistInnen in Kosova, die Frage der Arbeitereinheit und der Rechte für alle nationalen Minderheiten, d.h., der SerbInnen und der Roma aufzuwerfen.

SAV und CWI verteidigen das Recht auf nationale Selbstbestimmung. In vielen Regionen der Welt ist es nötig, diesen Umweg hin zu Autonomie oder eigener Staatlichkeit zu gehen, damit die Arbeiterklasse unterdrückter und sie unterdrückender Nationen wieder gegenseitiges Vertrauen gewinnen können.

Die Abtrennung Kosovas von Serbien ist ein wohl unvermeidbares Ergebnis der jahrzehntelangen Unterdrückung der albanischen Kosovaren durch Serbien und wir haben das Recht der Kosovaren verteidigt, dies selbst zu entscheiden. Dabei haben wir jedoch immer darauf hingewiesen, dass eine Unabhängigkeit Kosovas auf kapitalistischer Grundlage die nationale Unterdrückung nur umkehren würde und keine Perspektive für einen steigenden Lebensstandard und soziale und demokratische Rechte für die Massen darstellen kann. Deshalb sind wir immer für ein unabhängiges, sozialistisches Kosova mit garantierten Rechten für die dort lebenden Minderheiten eingetreten.

In diesem Zusammenhang verteidigen wir allerdings auch das Recht der serbischen Minderheit im Norden Kosovas, über Zugehörigkeit zu Kosova oder Serbien selbst zu entscheiden. Das bedeutet nicht, dass wir eine mögliche Abtrennung des Nordens von Kosova gut heißen oder gar fordern. Unter anderem, weil gerade die größte Stadt Mitrovica und die nahe gelegene Mine Trepca, am Schnittpunkt beider Nationen liegen, würde das die nationalen Konflikte möglicherweise nicht lösen, sondern nur verschieben und die ethnische Teilung des Landes zementieren. Es bedeutet allerdings, eine Abtrennung als letztes Mittel zu akzeptieren, wenn die SerbInnen den Verbleib bei Kosova ablehnen.

Es gibt im Kern zwei Möglichkeiten, solch eine ethnische Aufspaltung von Kosova zu verhindern: 1) Der Staat Kosova setzt die vollständige Übernahme der Grenzen und den Verbleib des Nordens in Kosova auch gegen den Willen der serbischen Bevölkerung um. 2) Es gelingt eine einvernehmliche Lösung mit der serbischen Minderheit.

Die Möglichkeit 1) halten wir für reaktionär, denn sie könnte auch bedeuten, dass der kosovarische Staat dies gewaltsam durchsetzt. Dies könnte anstatt zu einer Lösung der nationalen Widersprüche zu erneuten größeren Konflikten auf dem Balkan führen. Daher führt an der Möglichkeit 2) kein Weg vorbei.

Die Umsetzung von Lösung 2) ist keine einfache Frage, aber der erste und sehr wichtige Schritt wäre, alle Maßnahmen zu unterlassen, welche diese Lösung erschweren oder unmöglich machen. Die Besetzung der Außengrenzen des Kosova durch albanisch-kosovarische Polizisten und Zöllner sowie die Verhängung von Importverboten gegen Serbien sind Maßnahmen, welche für die SerbInnen in Nordkosova deutlich machen, dass ihre Meinung nicht gefragt ist. Solche Maßnahmen treiben die serbische Bevölkerung noch stärker in die Arme des Nationalismus.

Der kapitalistische kosovarische Staat, basierend auf Korruption, die Massenarmut lediglich verwaltend, wird die SerbInnen in Nordkosova nicht davon überzeugen können, dass ein gutes Zusammenleben möglich ist. Das könnte nur eine kosovarische Arbeiterbewegung und Linke, welche eine klare sozialistische Strategie verfolgt. Eckpfeiler eine solchen Strategie wären z.B.:

– Opposition gegen die korrupte kosovarische Regierung und alle Formen des aggressiven Nationalismus.

– Widerstand gegen das EULEX-KFOR-Regime und die damit verbundene Plünderung des Kosova durch Privatisierung. Erklärung, dass auch die SerbInnen im Nordkosova und in Serbien selbst Opfer der neoliberal-kapitalistischen Politik der EU sind.

– Herauslösen der nationalen Frage aus dem engen Korsett des Kosova selbst, in dem diese kaum lösbar erscheint. Eintreten für eine freiwillige demokratische, sozialistische Föderation des Balkan, für die Kooperation der Völker, gegen die Fremdherrschaft durch die imperialistischen Länder.

– Angebot an die SerbInnen in Nordkosova, einvernehmliche Regelungen zu finden, z.B. bei den Grenzkontrollen oder der Frage des Rückkehrrechts von Angehöriger beider Nationen an ihre ursprünglichen Wohnorte. Förderung der Idee einer gemeinsamen Kommission von ArbeiterInnen beider Nationen, um darüber zu befinden, wie die natürlichen Reichtümer der Mine Trepca vor Ausbeutung geschützt und im Interesse der Menschen in der Region genutzt werden können.

Ohne Zweifel sind die meisten SerbInnen im Nordkosova nationalistisch orientiert und zur Zeit für eine gemeinsame Staatlichkeit mit der albanischen Mehrheit schwer zu erreichen, während für viele albanische Kosovaren ihre soziale Frage im Vordergrund steht. Es mag sein, dass die oben skizzierte Strategie erst einmal wenig Resonanz bei den SerbInnen findet. Doch bei zugespitzten nationalen Konflikten geht es erst einmal darum, überhaupt das Vertrauen aufzubauen, um miteinander reden und einvernehmliche Lösungen vorbereiten zu können.

Wenn sich die kosovarische Arbeiterbewegung oder ein starker sozialistischer Flügel in der Bewegung sich konsequent für diese Ideen einsetzen würde, würde nach und nach Vertrauen aufgebaut werden können. Bis dahin bleibt es wichtig, dass Linke im Kosova die einseitigen Maßnahmen des Staates, welche zur nationalen Eskalation führen können, ablehnen und ein Programm für Arbeitereinheit skizzieren.

Claus Ludwig ist Mitglied im SAV-Bundesvorstand und Stadtrat für DIE LINKE in Köln. Sascha Stanicic ist SAV-Bundessprecher.

Zum Weiter Lesen:

Vorschlag für ein sozialistisches Programm für Kosova

von Sascha Stanicic, 29.11.2007

Die albanische Mehrheit der Arbeiter, Bauern und der Jugend Kosovas haben Jahrzehnte von politischer und sozialer Diskriminierung hinter sich – ob unter Tito und seinen Nachfolgern im alten Jugoslawien, dem Serbien Milosevics oder dem UNMIK-Protektorat seit 1999. Genauso haben die Arbeiter und Bauern der anderen Nationalitäten und Volksgruppen (Serben, Roma und andere) unter der Armut, Entrechtung und Ausbeutung gelitten. Der serbische Nationalismus war ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Dominanz der serbischen Eliten über Kosova und diente vor allem auch der Spaltung der Arbeiterklasse, um diese von einem gemeinsamen Kampf abzuhalten. Dass in der albanischen Mehrheitsbevölkerung die Forderung nach einem Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Bildung eines eigenen unabhängigen Staates aufkommt, ist logische Konsequenz aus diesen Erfahrungen. Sich gegen dieses Recht auszusprechen hieße, die politische Diskriminierung der Mehrheit der Menschen im Kosova zu sanktionieren.

Doch auch den rechten bürgerlich-nationalistischen albanischen Kräften muss die Rote Karte gezeigt werden. Ihr Nationalismus hat nicht nationale und soziale Befreiung zum Ziel, sondern ist Mittel zur Schaffung einer albanischen Elite, die in Zusammenarbeit mit den westlichen Regierungen und Konzernen die Mehrheit der Bevölkerung ausbeutet. Dieser rechte bürgerliche Nationalismus richtet sich auch gegen die im Kosova lebenden Minderheiten. Er setzt zusammen mit der UNMIK mittels des geplantem EU-Protektorates auf die ethnische Teilung des Landes.

Alle im Kosova lebenden Arbeiter, Bauern, Erwerbslosen und Jugendlichen brauchen eine soziale und demokratische Perspektive. Diese kann nur verwirklicht werden, wenn der Kampf um nationale Selbstbestimmung erstens mit dem Kampf gegen Privatisierung, Arbeitslosigkeit und Armut verbunden wird und zweitens nicht gegen die im Kosova lebenden Minderheiten gerichtet wird. Der Widerstand der Arbeiter muss mit der Rebellion der Jugend kombiniert werden. Dies ist umso wichtiger, da in Kosova fast 50 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt sind.

Auf kapitalistischer Grundlage wird die Rückständigkeit des Kosova, die Ausbeutung und Dominanz durch multinationale Konzerne und korrupte albanische Eliten, werden Armut und Massenarbeitslosigkeit nicht überwunden werden können. Ein kapitalistisches unabhängiges Kosova könnte weder eine starke nationale Industrie, tatsächliche Unabhängigkeit, noch wirkliche Demokratie entwickeln. Dazu bedarf es einer Veränderung der grundsätzlichen gesellschaftlichen Strukturen und der Logik des Wirtschaftens – weg von Profitproduktion und hin zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung, weg von kapitalistischer Ausbeutung und hin zu sozialistischer Demokratie. Diese müsste basieren auf der Überführung der Schlüsselbereiche der Wirtschaft in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung dieser Bereiche durch demokratisch gewählte Komitees der Belegschaften. Statt Produktion für den kapitalistischen Markt zur Erzielung eines maximalen Profits für die Minderheit der Privateigentümer, müsste ein demokratischer Wirtschaftsplan zur Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse entwickelt werden.

Ein kapitalistisches unabhängiges Kosova würde auch die Gefahr beinhalten, die nationalen Spannungen in der ganzen Region zu verstärken. Unter der Herrschaft von Kapitalisten und Großgrundbesitzern und dem Einfluss des Imperialismus ist eine solidarische und kooperative Entwicklung des Balkans nicht denkbar.

Die ausländischen Truppen müssen sofort abgezogen werden und das UNMIK-Protektorat aufgelöst werden. Aus Wahlen zu einer demokratischen Verfassungsgebenden Versammlung durch die Arbeiter, Erwerbslosen, Bauern und Jugendlichen des Kosova müsste der Umbau Kosovas zu einer sozialistischen Demokratie hervor gehen. Eine solche würde allen nationalen Minderheiten nicht nur gleiche Rechte wie der Mehrheitsbevölkerung garantieren, sondern ihnen spezielle Minderheitenrechte, wie die Ausübung der eigenen Sprache und Kultur, eigene Bildungseinrichtungen usw. inklusive des Rechts auf Autonomieregelungen zugestehen und diese finanzieren. Nur auf dieser Basis könnten die Ängste der Minderheiten vor nationaler Unterdrückung in einem unabhängigen, albanisch-dominierten Kosova genommen werden und tatsächliche Einheit der Arbeiter und aller unterdrückten Schichten erreicht werden. Dies wäre gleichzeitig ein deutliches Signal an die Arbeiterklassen der anderen Balkan-Länder, dass ein unabhängiges sozialistisches Kosova den Nationalismus auf dem Balkan überwinden will und die Kooperation der Balkan-Völker anstrebt. Ein Aufruf müsste an die Arbeiter und Bauern der Völker des ehemaligen Jugoslawiens und Albaniens ergehen, ebenfalls einen sozialistischen Weg einzuschlagen und eine gemeinsame freiwillige, demokratische und sozialistische Föderation der Balkan-Länder zu bilden.

Eine solche sozialistische Föderation hätte nichts mit dem angeblichen „Sozialismus“ von Tito in Jugoslawien oder Enver Hoxha im früheren Albanien gemein. Sie würde basieren auf der jederzeitigen Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionäre, welche keinerlei materiellen Privilegien aus ihren Positionen erwerben dürften und nicht mehr verdienen dürften, als einen Durchschnittslohn. Organe direkter Demokratie müssten geschaffen werden, die die Entwicklung einer abgehobenen diktatorischen Bürokratie, wie sie unter Tito und Hoxha herrschte, verhindern würden.

Ein solches Programm mag heute im Kosova noch nicht von einer Mehrheit vertreten werden. Aber viele tausend Jugendliche und Arbeiter, die sich gegen die UNMIK-Repressionen und gegen Privatisierungen und Entlassungen zur Wehr setzen, haben sich auf den Weg begeben, einen Ausweg aus der Sackgasse, in der sich Kosova befindet, zu suchen.

Der Wiederaufbau einer starken, demokratisch-sozialistischen Arbeiterbewegung – von Gewerkschaften und einer Arbeiterpartei – sind eine Voraussetzung um einen solchen Ausweg zu finden. Erste Schritte müssen heute in diese Richtung gegangen werden. Der Aufbau einer marxistischen Organisation, auch wenn sie anfangs nur schwache Kräfte umfassen würde, wäre dazu ein erster wichtiger Schritt. Eine solche müsste eine Programm von Übergangsforderungen entwickeln, die an den unmittelbaren Kämpfen anknüpfen, einen Weg zum Erfolg für diese aufzeigen und gleichzeitig die Perspektive einer demokratisch-sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft als absolute Notwendigkeit für eine selbstbestimmte und soziale Zukunft des Kosova aufzeigen.

Der Vorschlag für ein solches Programm und einer daraus resultierenden Strategie müsste auch in die LPV hinein getragen und dort offen debattiert werden, denn diese ist zur Zeit die einzige politische Kraft mit Massencharakter, die den Wunsch der albanischen Massen nach Selbstbestimmung zum Ausdruck bringt, sich gegen die Diskriminierung von Minderheiten ausspricht und die neoliberale Politik der Privatisierung ablehnt.

Zentrale Forderungen eines solchen Übergangsprogramms müssten sein:

– Nein zu jeglicher Privatisierung, Rückführung der schon privatisierten Bereiche in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung

– Einführung eines Mindestlohns, der ein Leben in Würde sichert

– Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich mit dem Ziel die vorhandene, gesellschaftlich sinnvolle Arbeit auf alle Arbeitsfähigen zu verteilen

– Kampf der Korruption und Bereicherung der albanischen Eliten

– Massive staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur

Sofortiger und bedingunsloser Abzug aller ausländischen Truppen und Auflösung der UNMIK-Verwaltung

Sofortige Aufhebung des Hausarrests gegen Albin Kurti und Freilassung anderer politischer Gefangener der LPV

– Wahl zu einer demokratischen Verfassungsgebenden Versammlung von Vertretern der Arbeiter, Erwerbslosen, Bauern und Jugendlichen

– Kampf gegen jegliche Diskriminierung nationaler und religiöser Minderheiten, volle Gleichberechtigung von Minderheiten und Gewährung politischer und kultureller Minderheitenrechte

– Aufbau kämpferischer und multi-nationaler Gewerkschaften zur Verteidigung der unmittelbaren Interessen der Lohnabhängigen

– Aufbau einer demokratisch-sozialistischen Arbeiterpartei

– Für ein unabhängiges, sozialistisches Kosova, das seinen Minderheiten alle Rechte garantiert, als Teil einer freiwilligen demokratischen sozialistischen Föderation des Balkans