Islamfeindlichkeit und Frauenfrage

Ein Leserbrief zum „Anti-Sarrazin“ und eine Antwort des Autors


 
Lieber Genosse Stanicic, ich erlaube mir Kritik in Sachen Feminismus an deinem ansonsten vortrefflichen Anti-Sarrazin Buch. Um es gleich vorweg zu nehmen – ich stelle nicht erst seit o.g. Buch fest, dass in Rassismusdebatten der bürgerliche Feminismus momentan als Bauernopfer herhalten muss. Warum werden die Themen Frauenunterdrückung in muslimischen Gesellschaften und Sarrazins Sündenbockkonstruktion/Rassismus miteinander vermischt? Diese beiden Themen stehen für sich und gehören deshalb einzeln diskutiert. Die These, dass Frauendiskriminierung in einer Gesellschaft, in der es allen gut (gleich) geht, nicht vorkommt, teile ich nicht. Das funktioniert(e) schon im Kleinen nicht. Siehe die legendäre Burschenherrlichkeit in der linken Geschichte von APO bis heute. Und die Frauenfreundlichkeit in der DDR hat sich ja nun auch als Mogelpackung herausgestellt. Usw. In deinem Buch widersprichst du dir in diesem Punkt übrigens selbst. Du schreibst, Sarrazin, der gegen das Kopftuch wettert, hätte aber nichts dagegen, wenn die Frauen des Ölscheichs verschleiert über Hamburgs teuere Einkaufsmeile flanieren (und natürlich Geld dort ausgeben). Deiner Theorie nach dürften diese Frauen aber gar nicht verschleiert sein, denn der Ölscheich ist kein Opfer, das erfahrene Unterdrückung an seine Frau weiterreichen muss. Umgekehrt legten viele, als Fabrikarbeiterinnen ausgebeutete Türkinnen der ersten Generation ihre Kopftücher ab, um besser schaffen zu können. Mit Genehmigung ihrer ebenso ausgebeuteten Männer. Ein Thema ist, mit dem ´Islamproblem´ vom Sozialabbau abzulenken, auf einem anderen Blatt steht Frauenunterdrückung in der (muslimischen) Gesellschaft. Z. b. diskutiert von bürgerlichen Feministinnen, auch mit türkischen Wurzeln. Beispiel Seyran Ates, Anwältin für misshandelte türkische Frauen, von deren Männern so massiv bedroht, dass sie die Kanzlei zeitweise aufgab. Ein Schreiberling der ZEIT aus der ´linken´ Garde  fragte daraufhin, wie es käme, dass die türkischen Frauen jetzt auch noch hysterisch werden würden. Offenbar war der Mann der Meinung gewesen, der Türke hätte sein Weib im Griff. So eine Enttäuschung! Aber gut, zum Glück gibt es ja noch die Kopftuchträgerinnen, die in einem Maße biologisch mit dem Willen ihres Mannes verwoben sind, dass sie ihn als ihren eigenen annehmen. Das gefällt offenbar auch dem ´linken´ ZEIT-Mann. Eigentlich überflüssig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass keine muslimische lesbische oder sonstige Frau, die sich nicht auf Männer bezieht, auf die Idee käme, ein sie in ihrer Bewegungsfreiheit massiv einschränkendes Kopftuch zu tragen. Und das obwohl auch ein Großteil dieser Frauen den Islam als ihre Heimat/Kindheit/Herkunft/Geschichte sehen. Natürlich ist es geradezu absurd, die westliche/christliche/katholische Bevölkerung gegen Muslime aufzuhetzen, mit der Begründung, diese unterdrückten ihre Frauen. Aber der Umkehrschluss kann nicht heißen, dass Feministinnen, ob bürgerlich oder nicht, Frauenunterdrückung im Islam nicht angeprangert dürfen, weil das nicht ins linke Konzept passt/weil Menschen entweder nur Opfer oder nur Täter sein können. Von GenossInnen der Linken werden Kaffeekränzchen mit ultrarechten türkischen Herren alias armen Opfern von Diskriminierung abgehalten, wenn eine Frau Kelek oder Frau Schwarzer jedoch ihr wesentlich gemäßigteres konservatives Gedankengut zum Ausdruck bringt, ist das linke Geschrei groß. Warum eigentlich? Weil letztere ´nur´ Frauen sind? Schwarzers Geifern gegen islamische Unterdrücker und deren Gehilfinnen aus ihrer Sicht -30 Jahre im Dienste für die Rechte der Frau- ist ebenso nachvollziehbar wie die Verteufelung der freien westlichen Gesellschaften mit ihren Frauen- und Homosexuellenrechten aus der Weltsicht o.g. muslimischer Herren. 2. „Alice Schwarzer geht weiter: Sie vergleicht das Kopftuch mit dem Judenstern und rückt jede Kopftuch tragende Frau in die fundamentalistische Ecke.“ – das habe ich aus dem Buch von Achim Bühl über Islamfeindlichkeit.= Falls sie das gesagt hat, so ist der Vergleich ebenso missverständlich/unglücklich gewählt wie der Vergleich von Kopftuchzwang und Diätenzwang im Anti-Sarrazin Buch Ein Kopftuch-Verbot bringt natürlich gar nichts. Aber auch keine unsinnigen Pro-Kopftuch oder Pro-Islam-Kampagnen, die Religion, ein Unterdrückungssystem, aufrecht erhalten. Es gibt nur eins: Frauen müssen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden, in einer Weise, dass sie das unterdrückende aber immerhin Geborgenheit gebende System Religion nicht mehr nötig haben oder zumindest so frei auslegen, dass sie damit wirklich selbstbestimmt leben können – in einer Gesellschaft, in der sich die Frau weltweit je nach Blickwinkel immer nur ´falsch´ verhalten kann. Ist das erreicht, wird jede Frau von selbst das Kopftuch ablegen. Beste Grüße Juliane Beer

Antwort von Sascha Stanicic:

Liebe Juliane Beer, vielen Dank für Deinen Leserbrief. Du sprichst darin wichtige Fragen an, die zweifellos viele Linke bewegen, die sich sowohl über Sarrazins Rassismus als auch über Frauendiskriminierung in Teilen der muslimischen Bevölkerung und über das von bestimmten muslimischen Verbänden geprägte Frauenbild empören. Leider argumentierst Du in Deinem Brief teilweise gegen Positionen, die ich in meinem „Anti-Sarrazin“ gar nicht vertrete. Angefangen damit, dass „der bürgerliche Feminismus“ als ein „Bauernopfer“ herhalten müsse. Um ehrlich zu sein, verstehe ich diesen Vorwurf nicht ganz, denn ich frage mich für wen oder was, dieses Bauernopfer denn gemacht würde. Aber ganz unabhängig davon kritisiere ich nicht „den“ bürgerlichen Feminismus pauschal, sondern weise darauf hin, dass es „eine starke und aggressive Islamfeindlichkeit aus einer bürgerlich-feministischen Richtung“ gibt. Dies ist meiner Meinung nach unbestreitbar. Der Umgang von Alice Schwarzer und anderen mit dem Islam entspricht den von mir angeführten Merkmalen für Islamfeindlichkeit: „erstens (…) die Gleichsetzung der Religion Islam mit politischen Strömungen, dem so genannten politischen Islam oder islamischem Fundamentalismus, die die Religion für politische Zwecke istrumentalisieren. Zweitens durch ein hohes Maß an Pauschalisierungen und der Weigerung, die Vielfältigkeit und Komplexität der Lebensrealität von Muslimas und Muslimen anzuerkennen.“ Das von Dir in Frage gestellte Zitat von Alice Schwarzer erschien im Jahr 2006 in einem Interview in der FAZ: „Das Kopftuch ist die Flagge des Islamismus. Das Kopftuch ist das Zeichen, das die Frauen zu den Anderen, zu Menschen zweiter Klasse macht. Als Symbol ist es eine Art „Branding“, vergleichbar mit dem Judenstern.“ Hier macht Schwarzer deutlich, dass sie das Tragen des Kopftuchs nicht der Religion Islam, sondern dem Islamismus zuordnet. In meinem Buch zitiere ich Necla Kelek mit den Worten: „Ich definiere Islam nicht nur als Glauben, sondern als eine politische Ideologie und ein gesellschaftliches System.“ Bei Sarrazin heißt das etwas undeutlicher, „dass der Islam eine gesellschaftspolitische Dimension jenseits der Religion hat.“ Ich kritisiere an Schwarzer und anderen bürgerlichen Feministinnen weder, dass sie Feministinnen sind, noch dass sie sich gegen Frauendiskriminierung in der muslimischen Welt bzw. muslimischen Community in Deutschland einsetzen, sondern dass sie das mit Argumenten und in einer Art und Weise machen, die der allgemeinen Islamfeindlichkeit und dem antimuslimischen Rassismus – ob gewollt oder ungewollt – Vorschub leistet. Du schreibst, Frauenunterdrückung in muslimischen Gesellschaften und Sarrazins Rassismus gehören nicht vermischt. Aber Sarrazins pseudo-progressive Argumente zum Thema Frauenunterdrückung im Islam müssen beantwortet werden. Damit vermische ich nicht diese beiden Themen, sondern gebe auf das Thema Frauenunterdrückung in muslimischen Gesellschaften eine andere Antwort als Sarrazin, Schwarzer oder Kelek. Denn diese vermischen die beiden Themen, nicht ich. Und an keiner Stelle vertrete ich die Meinung, dass „Feministinnen die Frauenunterdrückung im Islam nicht anprangern dürfen, weil das nicht ins linke Konzept passt“. Mir ist sehr wohl bewusst, dass es manche linke Kräfte gibt, deren Antirassismus insofern zu weit geht, als dass sie sich islamischen und selbst islamistischen Kräften gegenüber unkritisch verhalten. Genau das tue ich in meinem Buch aber nicht. Die Frage ist, mit welchen Argumenten und Positionen, die Frauenunterdrückung angeprangert wird bzw. ob tatsächlich diese Unterdrückung angeprangert wird oder nicht pauschal alle gläubigen Muslime. Nebenbei bemerkt vertrete ich nicht die These, dass „Frauendiskriminierung in einer Gesellschaft, in der es allen (gleich) gut geht, nicht vorkommt.“ Ich habe mich in dem Buch aus Platzgründen gar nicht ausführlich mit den historischen und gesellschaftlichen Ursachen der Frauendiskriminierung beschäftigt. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass die systematische Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Unterdrückung der Frau nur in einer klassenlosen Gesellschaft überwunden werden kann, weil nur in einer solchen Gesellschaft keine herrschende Minderheit mehr ein Interesse an der Frauenunterdrückung haben kann. Dass dies kein automatischer Prozess sein wird und eine Bewusstseinsveränderung bei Männern (und auch Frauen) voraussetzt, ist klar. Aber die Basis für eine solche Bewusstseinsveränderung muss nach meiner Überzeugung in einer Veränderung der gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Bedingungen liegen. Ohne die vollständige ökonomische Unabhängigkeit der Frau ist eine völlige gesellschaftliche Emanzipation nicht denkbar. Das von Dir angeführte Beispiele der DDR trifft aber nicht zu, denn in der DDR gab es keine soziale Gleichheit, sondern es herrschte eine privilegierte Bürokratenschicht. Auch hinsichtlich meines Beispiels der verschleierten Ölscheich-Gattin scheinst Du meine Argumentation zur Kopftuchfrage misszuverstehen. Denn ich sage nicht, dass der Mann der Kopftuch tragenden Frau ein „Opfer“ sein muss, damit diese sich verschleiert. Ich unterscheide auch zwischen den in Deutschland das Kopftuch tragenden Muslimas, die in ihrer Mehrheit (sehr wahrscheinlich, denn es gibt dazu keine mir bekannten Statistiken) nicht unmittelbar dazu gezwungen werden und den Frauen in muslimischen Ländern wie Iran oder Saudi-Arabien, wo alle Frauen dazu gezwungen werden – egal, ob sie die Frau eines Arbeiters oder eines Kapitalisten sind. Ich weise nur darauf hin, dass die Motivation für Muslimas in Deutschland oder Westeuropa, das Kopftuch zu tragen, vielfältig ist und nicht auf Unselbständigkeit, Unterwerfung unter den Mann und religiösen Fanatismus reduziert werden kann. Du kritisierst außerdem, ich hätte in meinem Text den Kopftuchzwang mit dem Diätzwang verglichen. Das habe ich aber gar nicht getan. Die Stelle, auf die Du Dich beziehst, setzt sich mit der Frage auseinander, wie der Begriff der Freiwilligkeit verstanden werden kann, wenn man davon spricht, dass in Deutschland eine Mehrheit der Muslimas das Kopftuch freiwillig anlegt. Ich schreibe dann: „Wobei Freiwilligkeit nicht absolut zu verstehen ist, da sie im Rahmen von gesellschaftlichen Normen, Traditionen und mehr oder weniger direkt geäußerten Erwartungshandlungen im sozialen Umfeld stattfindet. Aber die Entscheidungen von deutschen oder christlichen Frauen, sich die Beine zu rasieren oder Diäten durchzuführen, um im Bikini eine „gute Figur“ zu machen, basieren auf einer ähnlich relativen Freiwilligkeit.“ Hierbei handelt es sich nicht um eine Gleichsetzung von Kopftuch(zwang) und Diäten(zwang), sondern einen Vergleich der Umstände unter denen die einen Frauen ein Kopftuch anlegen und andere bestimmte Schönheitsrituale vollziehen. In beiden Fällen ist die Freiwilligkeit als etwas Relatives zu betrachten. Natürlich ist die politische Wirkung des Kopftuchs in der muslimischen Welt für die gesellschaftliche Rolle der Frau weitaus verheerender als die Wirkung von Diäten oder Schönheitsidealen in der westlichen Welt (wobei die individuellen Auswirkungen hier differenzierter zu betrachten sein mögen). In der wesentlichen Schlussfolgerung scheinen wir uns aber einig zu sein: ein Kopftuchverbot ist abzulehnen und die Rechte und das Selbstbewusstsein von Frauen müssen gestärkt werden. Solidarische Grüße Sascha Stanicic