DIE LINKE und der Charité-Streik

Worthülsen statt praktischer Solidarität


 

Seit Montag, dem 2. Mai, streiken tausende Beschäftigte an der Berliner Charité und bei der ausgegliederten Tochter CFM (Charité Facility Management). Die Beschäftigten bei der Charité verdienen seit Jahren deutlich weniger als Krankenhausbeschäftigte im Bundesdurchschnitt. Sie fordern eine Lohnerhöhung von 300 Euro, um diese Lücke zu schließen. Außerdem fordern sie eine Ende der Ungleichbehandlung von Ost- und Westbeschäftigten, Gleichbehandlung mit den Ärzten bei zukünftigen Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Bei CFM gibt es gar keinen Tarifvertrag. Dort werden LeiharbeiterInnen eingesetzt und sind befristete Verträge an der Tagesordnung. Es werden zum Teil Stundenlöhne von 5,50 Euro gezahlt.

von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher und Mitglied in DIE LINKE

Die Charité ist eine Landesklinik, bei CFM hält das Land Berlin einen Anteil von 51 Prozent. Der Senat fungiert also als Arbeitgeber – der Senat, an dem die Partei DIE LINKE in einer so genannten rot-roten Koalition beteiligt ist.

Nun hat der Landesvorstand der Partei und auch ihr gesundheitspolitischer Sprecher Erklärungen abgegeben, die den Anschein erwecken, die Führung der Berliner LINKEN sei solidarisch mit den Streikenden. So heißt es in einer Information über eine Landesvorstandssitzung: „Der Landesvorstand bekräftigte den Beschluss des Landesausschusses vom 15. April und stellte erneut fest, dass DIE LINKE. Berlin die Beschäftigten der Charité in ihrem Kampf für bessere Tarifbedingungen und für die Angleichung ihrer Gehälter an das Bundestarifniveau des TVÖD unterstützt. In diesem Sinne hat sich Wolfgang Albers auch in einer aktuellen Presserklärung gemeldet und haben am Dienstag Genossinnen und Genossen der LINKEN an den Aktionen der Streikenden teilgenommen.“

Tatsächlich hat Wolfgang Albers die Löhne bei CFM als „inakzeptabel“ bezeichnet und eine Ende der Lohndiskrepanz zu anderen Krankenhausbeschäftigten gefordert. Das klingt aber besser, als es tatsächlich ist. Denn der Landesvorstand unterstützt nicht die von ver.di und den Streikenden aufgestellten Forderungen und äußert sich so allgemein, dass seine Position auch die völlig unzureichenden Angebote der Arbeitgeberseite – 120 Euro Lohnerhöhung jetzt und die weitere Erhöhung bis 2016 – abdeckt. In der konkreten Auseinandersetzung zwischen einer kämpferischen und streikenden Belegschaft, die für eine schnelle und deutliche Lohnerhöhung kämpft, und einer Geschäftsleitung, die angesichts des Streiks zu Zugeständnissen gezwungen ist, diese aber begrenzt halten will, nimmt der Landesvorstand keine Position für den Streik ein. Im Gegenteil: seine größte Sorge scheint der Streik an sich zu sein, denn Wolfgang Albers" Erklärung trägt den Titel: „Schnelle Einigung an Charité wünschenswert.“. Nicht etwa: „Unterstützt den Streik an der Charité!“

DIE LINKE, und vor ihr die PDS, im Berliner Senat hat eine traurige Bilanz von Lohndumping und arbeitnehmerfeindlicher Politik im öffentlichen Dienst. Nicht zuletzt hatte der Senat den Tarifvertrag für das Land Berlin 2003 einseitig gekündigt und die Beschäftigten zu massiven Lohnkürzungen gezwungen. Stellen wurden beim Land Berlin abgebaut und auch die Ausgründung des technischen Charité-Personals in die CFM – mit allen Folgen für Löhne und Arbeitsbedingungen – hat der rot-rote Senat zu verantworten. Konfrontiert mit einer kämpfenden Belegschaft und faktischem Personalmangel (weil viele Pflegekräfte nicht mehr bereit sind, zu solchen Niedriglöhnen zu schuften) hat der Arbeitgeber nun gar keine andere Wahl, als Zugeständnisse zu machen. Die Frage ist nur, ob diese ausreichend sein werden, um die KollegInnen zufrieden zu stellen und ihre Lage merklich zu verbessern. Dazu äußert sich der LINKE-Landesvorstand nicht. Faktisch hält er damit dem Arbeitgeber den Rücken frei, Druck auf die Streikenden auszuüben und ein möglichst niedriges Ergebnis auszuhandeln.

Solidarität sähe anders aus, denn Solidarität ist vor allem etwas Praktisches. Während SAV-Mitglieder und andere GewerkschafterInnen täglich bei den Streikposten sind, um dies praktisch zu unterstützen und während zweihundert Studierende am 5. Mai eine Solidaritätsdemonstration durchführten, ist von der Partei DIE LINKE bei den Streikposten wenig zu sehen. Und auch in der Öffentlichkeit vermisst man Plakate, Flugblätter, geschweige denn eine Kampagne zur praktischen Solidarität mit den Streikenden. Ein Aufruf an Parteimitglieder zur praktischen Unterstützung hat mich bisher auch noch nicht erreicht. Bei der großen Streikdemo am 3.5. war nur eine handvoll LINKE-Mitglieder – neben den SAV"lerInnen – dabei. Als bei einer Demonstration am 5.5. einige LINKE-Mitglieder ihre Fahnen ausrollten, ernteten sie wütende Reaktionen von KollegInnen, weil diese die Partei eben nicht als aktive Kraft an ihrer Seite erleben, sondern sie als Teil der Arbeitgeberseite sehen und das Schwenken einer Fahne bei Streikaktionen dann eher danach aussieht, als wolle DIE LINKE den Streik für ihre Interessen nutzen, als ihn tatsächlich und praktisch zu unterstützen.

Wenn DIE LINKE-Führung in Berlin den Streik unterstützen wollte, würde sie ihren Koalitionspartner eine klare Ansage machen: entweder die Forderungen der Beschäftigten werden erfüllt oder DIE LINKE verlässt die Koalition! Das würde nicht nur bei den Charité-KollegInnen die Unterstützung für DIE LINKE sprunghaft steigen lassen, sondern bei allen ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen, die die Nase voll haben von Niedriglöhnen und prekären Arbeitsbedingungen. Stattdessen liegt die Partei in Umfragen für die Abgeordnetenhauswahl mittlerweile bei circa zehn Prozent. Warum? Weil niemand die Kopie braucht, wenn es auch das sozialdemokratische und grüne Original gibt und weil viele lieber gar nicht wählen gehen oder eine Kleinstpartei wählen, als DIE LINKE für zehn Jahre prokapitalistische Armutsverwaltung und Kürzungspolitik auch noch zu belohnen.

Linke in der LINKEN sollten sich von der Untätigkeit des Landesvorstands nicht bremsen lassen und selbständig praktische Solidarität für den Charité-Streik organisieren. Das wäre auch ein geeignetes Mittel, um eine linke Opposition im Berliner Landesverband zu stärken.