Beginn einer Zeit von Krisen und Klassenkämpfen

Bericht zum 10. Weltkongress des CWI


 

Vom 2. bis zum 9. Dezember fand im belgischen Nieuwpoort der 10. Weltkongress des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) statt. 120 Delegierte und Gäste aus über 30 Ländern nahmen daran teil. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die anhaltende tiefe Krise des Kapitalismus weltweit und die neue Welle von Masenprotesten, die vor allem mehrere Länder Europas erfasst hat. Die Arbeiterklasse, so die Analyse des Kongresses, hat die Bühne der Geschichte erneut betreten.

von Aron Amm, Berlin, und Claus Ludwig, Köln

Die Enthüllungen der Internet-Plattform WikiLeaks über die Machenschaften des US-Imperialismus stehen symbolisch für eine Zeit, in der für viele Menschen der wahre Charakter des Kapitalismus deutlich wird. Allerdings sickert diese Wahrheit nicht langsam aus einer undichten Stelle, sondern trifft viele wie ein Schlag ins Gesicht. Länder wie Irland und Portugal, in denen zeitweise die größten Illusionen existierten, Wohlstand und Stabilität seien auf marktwirtschaftlicher Grundlage möglich, erleben heute den heftigsten Absturz. In den 34 OECD-Ländern haben seit 2007 insgesamt 17 Millionen ArbeiterInnen ihren Job verloren. In Rumänien drückt die Regierung die Löhne um 25 Prozent und setzt das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre herauf – was der durchschnittlichen Lebenserwartung im Land entspricht!

Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse kann man, so Peter Taaffe vom Internationalen Sekretariat (IS) des CWI, in seiner Einleitung zur neuen Weltlage, davon sprechen, dass wir „am Beginn einer neuen Ära von Massenbewegungen“ stehen. In Frankreich blockierten ArbeiterInnen in diesem Herbst Ölraffinerien, Bahnstrecken und Autobahnen, besetzten den Hafen von Marseille und organisierten vielerorts Streikversammlungen. Hinzu kommen in diesem Jahr nicht nur die Generalstreiks in Griechenland, Spanien und Portugal sowie die größten Demonstrationen in Tschechien seit 1989, sondern auch der 100 Millionen TeilnehmerInnen starke Generalstreik in Indien am 7. September, die Ausstände bei Honda, Foxconn und anderen Fabriken Chinas sowie der südafrikanische Lohnkampf von über eine Million Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes.

Überakkumulationskrise

Peter Taaffe und mehrere Delegierte betonten, dass die heutige Krise letztlich auf das Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwungs Mitte der siebziger Jahre zurückgeht. Mangels profitabler Anlagemöglichkeiten in der Produktion wurden gewaltige Summen in die Finanzmärkte geschoben, die zu einer beispiellosen Aufblähung spekulativer Blasen führten. Lynn Walsh, ebenfalls Mitglied des IS, definierte die Krise als eine „klassische Krise von struktureller Überakkumulation von Kapital“. Das global angehäufte Kapital findet keine ausreichenden Verwertungsmöglichkeiten im produktiven Bereich, es fehlt an entsprechender Nachfrage.

Peter Taaffe erinnerte daran, dass das CWI 2008 keinem „Katastrophenszenario“ das Wort redete, sondern die Möglichkeit für die Kapitalisten und die regierenden bürgerlichen Parteien erkannte, mit besonderen Maßnahmen wie Konjunkturprogrammen, Banken-Rettungsaktionen, Politik der „quantitativen Lockerung“, also eine Ausweitung der im Finanzkreislauf befindlichen Geldmenge, erst einmal eine Große Depression, wie sie im Anschluss an 1929 passierte, abzuwenden.

Dennoch führten die weltweit mehr als zehn Billionen in Rettungsprogrammen investierten US-Dollar zu einer „Großen Rezession“, wie die bürgerlichen Ökonomen Nouriel Roubini, Robert Shiller und andere es formulierten. In den USA wurden eine Million Jobs gerettet – trotzdem gingen acht Millionen Arbeitsplätze verloren.

Neben dem staatlichen Eingreifen war das fortgesetzte Wachstum in China – dank der besonderen Auswirkungen der umgerechnet 400 Milliarden Euro Konjunkturgelder und der 1.000 Milliarden Euro Kreditdarlehen – ein wesentlicher Faktor zur Verhinderung eines weltweiten Crashs wie 1929.

Allerdings drohen in der Folgezeit für eine Reihe von Ländern Krisen vom Ausmaß einer Depression. Durch die mobilisierten Gelder explodierten die Staatsschulden. Um dieser Entwicklung Herr zu werden, steuern die meisten bürgerlichen Regierungen inzwischen um – womit sie eine verheerende Kahlschlagspolitik lostreten. So soll der Lebensstandard der irischen Bevölkerung auf Basis der bisherigen Kürzungspläne auf einen Schlag um 15 Prozent abgesenkt werden.

Peter Taaffe betonte, dass die Herrschenden über ihren wirtschaftspolitischen Kurs tief zerstritten sind. Durch die von einem Großteil der Regierenden mittlerweile eingeschlagenen Maßnahmen zur „Haushaltskonsolidierung“ könnte ihnen das gleiche Schicksal ereilen, was der Roosevelt-Administration in den USA in den Dreißigern widerfuhr: Damals schwenkten sie vorzeitig von der keynesianischen Linie zur „Sparpolitik“ um und steuerten schon 1936/37 auf die nächste Rezession zu.

Die globale Krise des Kapitalismus ist nicht gelöst, sondern nur in ein neues Stadium eingetreten, sie hat sich von der Finanz- und Wirtschaftskrise zu einer Krise der Staatsfinanzen entwickelt. Durch die anvisierte Kürzungspolitik könnte die Weltwirtschaft erneut einbrechen. Unabhängig vom genauen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung befinden wir uns in einer langgezogenen Depressionsperiode.

China, USA und der „Währungskrieg“

Das staatlich gestützte Wachstum in China führte zu einer Abdämpfung der Krisenfolgen für eine ganze Reihe von Ländern. Rohstoffproduzenten wie Australien, Chile und Brasilien bedienen die ressourcenhungrige chinesische Industrie, Deutschland konnte verstärkt Exportprodukte absetzen.

Nach einer Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) soll China die USA ökonomisch im Jahr 2016 vom ersten Platz verdrängt haben. Peter Taaffe verwies darauf, dass China, dessen Wirtschaftskraft sich derzeit auf 40 Prozent derjenigen der USA beläuft, in Sachen Arbeitsproduktivität und Lebensstandard noch weit zurückliegt. Konsens war auf dem Weltkongress zudem, dass sich das Wachstum des „Reichs der Mitte“ nicht auf Dauer in dieser Form fortsetzen lässt. Schließlich kann China seine auf den Export ausgerichtete Ökonomie nicht einfach über Nacht grundlegend umstrukturieren. Zudem sind der Ausweitung der kaufkräftigen Nachfrage aufgrund der dort praktizierten Superausbeutung der Arbeiterklasse Grenzen gesetzt. Abgesehen davon stellen die bestehenden Aktien- und Immobilienblasen „tickende Zeitbomben“ dar.

Mit ihrer zweiten Runde der „quantitativen Lockerung“ setzt die US-Notenbank auf eine Abwertung des Dollar, um ihre Probleme zu „exportieren“. Auch Russland und andere Staaten werten ihre Währungen in dieser Phase ab, um ihre Absatzaussichten zu verbessern. Sollte China, dessen Renminbi um bis zu 40 Prozent unterbewertet ist, zur Aufwertung gezwungen werden, könnte das laut Premier Wen Jiabao eine Welle von Fabrikschließungen auslösen. Darüber entsetzt sprach der brasilianische Finanzminister Guido Mantega schon von einem „Währungskrieg“ – der, wie der Kongress diskutierte, nur den Boden für einen erbitterten Handelskrieg und verschärfte Spannungen der Großmächte bis hin zu militärischen Konflikten und Stellvertreterkriegen in Afrika, Asien und anderswo bereitet.

Die Weltlage ist heute auch davon gekennzeichnet, dass der US-Imperialismus, nicht zuletzt wegen seinem Debakel im Irak und in Afghanistan, an Stärke eingebüßt hat. Damit leben wir, so Peter Taaffe, „nicht länger in einer unipolaren Welt“. Trotzdem ist keine Macht in Sicht, die die USA als führende Weltmacht ablösen kann.

Deutschland und die Euro-Krise

Nachdem die deutsche Wirtschaft 2009 um fünf Prozent schrumpfte, dämpfte die Ausweitung der Kurzarbeit die Krise in den Betrieben, die Konjunkturpakete zeigten Wirkung. Deutschland profitierte durch den Export in höherem Maße von den Konjunkturpaketen anderer Länder. Dazu kamen die „Vorarbeiten“ des deutschen Kapitals mit Hartz IV und der Heraufsetzung des Rentenalters. So konnte auch die Arbeitslosigkeit erfolgreich „exportiert“ werden. Durch die seit Jahren sinkenden Reallöhne bei gleichzeitig hoher Produktivität wurden die Industrien der Nachbarländer niederkonkurriert. Dieser Erfolg führte zur Verschärfung der Euro-Krise und wird auch – mit zeitlicher Verzögerung – hierzulande krisenverschärfend wirken.

Die über den derzeitigen Aufschwung in Deutschland Begeisterten haben einen Tunnelblick. Wer Deutschland betrachtet und Europa ausblendet, sieht nicht einmal die halbe Wahrheit. Der stark integrierte europäische Kapitalismus befindet sich in einer historischen Krise. Die Länder in der „Peripherie“ – Irland, Griechenland, Portugal – sind die schwächsten Glieder in der EU-Kette. Würde sich die Krise der Staatshaushalte auf diese relativ kleinen Länder beschränken, wäre es denkbar, diese rauszuboxen und die Profite deutscher und anderer Banken zu retten. Doch schon wenn Spanien Richtung Staatsbankrott rutscht, dürfte – wie Tony Saunois vom IS in seinem Referat zu Europa betonte – die Grenzen der Stützungsmaßnahmen erreicht sein.

Die Haltung, dass Irland und Griechenland ohnehin auf die Staatspleite zutreiben, ist auch unter bürgerlichen Ökonomen weit verbreitet. Das würde dazu führen, dass diese Staaten aus dem Euro herausbrechen. In relativ kurzer Zeit könnte der Euro auf eine „Kernzone“ um Deutschland, Frankreich und die Nachbarländer zurückgeworfen werden. Auch ein chaotisches, komplettes Auseinanderbrechen der Währung ist nicht ausgeschlossen. Letztendlich kommt zum Tragen, dass die auch jetzt wieder beschworene politische Union der Euro-Länder aufgrund des Fortbestehens von Nationalstaaten (mit ihren in Konkurrenz stehenden herrschenden Klassen und Konzernen) gerade in Krisenzeiten ein Trugschluss bleibt.

Irland „geht schwanger mit der Revolte“

Die irische Bevölkerung galt noch vor sechs Jahren als die glücklichste in ganz Europa. „All changed, changed utterly – alles änderte sich, änderte sich vollständig“, diese von Peter Taaffe zitierten Zeilen des Dichters William Butler Yeats aus den Tagen des irischen Osteraufstands 1916 gegen die britische Besatzung bringen den dramatischen Wandel Irlands auf den Punkt. Am Samstag vor dem Beginn des Kongresses protestierten über 70.000 Menschen auf der Grünen Insel (mit einer Bevölkerung von 4,5 Millionen) gegen die angekündigte Kürzungsorgie.

Bis in die achtziger Jahre war Irland ein ex-koloniales Land, mit einem Lebenstandard weit unter dem Europas, dann kam der Boom der letzten Jahre, mit steigenden Löhnen und Hoffnungen. Jetzt fallen der IWF und die Europäische Zentralbank (EZB) wie neue Kolonisatoren ins Land ein und diktieren der Regierung ihre Politik, dies markiert ein wahrhaft historisches Scheitern des irischen Kapitalismus. Eine irische Zeitung schrieb, das von IWF und EZB diktierte Kürzungspaket sei „kein Marshall-, sondern ein Cromwell-Plan“. Der Marshall-Plan war ein Anschubfinanzierungsprogramm der USA für Nachkriegseuropa. Oliver Cromwell hingegen führte im 17. Jahrhundert die britische Eroberung Irlands an, verwüstete und plünderte das gesamte Land und verdammte es für Jahrhunderte zu einer verarmten Kolonie.

1973 hatte der chilenische Staat ein Defizit von 24 Prozent. Tatsächlich schaffte es der Staat, dieses Defizit auszugleichen. Allerdings brauchte er dafür die blutige Militärdiktatur des Generals Augusto Pinochet. Die irische Regierung will nun ihr Staatsdefizit in Höhe von 97 Prozent um zehn Prozentpunkte kürzen. Bis 2017 soll der Haushalt auf rund 50 Prozent des Niveaus von 2007 zusammengestrichen werden. Der Plan der irischen Regierung, Ähnliches ohne diktatorische Machtmittel zu schaffen, ist zum Scheitern verurteilt.

Obwohl es ein weit verbreitetes Gefühl gibt, dass Einheit wichtig wäre, pfiff ein großer Teil der DemonstrantInnen auf der Großkundgebung am 27. November die Gewerkschaftsführer aus, die im letzten Jahr ein Stillhalteabkommen abgeschlossen hatten. Die Gewerkschaftsführer bremsen weiterhin und so wird sich die Wut zunächst vor allem auf der Ebene der Wahlen ausdrücken. Die Regierungsparteien Fianna Fail und die Grünen bekommen nach Meinungsumfragen zusammen nur noch 16 Prozent. Die sich links gebenden Nationalisten von Sinn Fein liegen derzeit allein ebenfalls bei 16 Prozent. Das gerade erst gegründete Bündnis United Socialist Alliance (ULA), an der die Socialist Party, die irische Schwesterorganisation der SAV, führend beteiligt ist, soll laut Umfragen bis zu elf Prozent erhalten und mit mehreren Abgeordneten in den Dail, das irische Parlament, einziehen.

Großbritannen: Die Jugend geht voran

Die Beschlüsse der konservativ-liberaldemokratischen Regierung, die Studiengebühren auf umgerechnet 10.000 Euro im Jahr zu verdreifachen und den Zuschuss für arme SchülerInnen und Studierende zu streichen, haben in Großbritannien zur größten Jugendbewegung seit 25 Jahren geführt.

Mehrfach haben in den letzten Wochen Zehntausende demonstriert, eine Reihe von Unis und Colleges wurden besetzt. Die Polizeiangriffe haben nicht zur Einschüchterung der Jugendlichen geführt. Zu den nächsten Demonstrationen kamen mehr, sie waren entschlossen, sich zu wehren, sich nicht einkesseln zu lassen. Die Stimmung vor allem unter Arbeiterjugendlichen ist sehr kämpferisch. SchülerInnen riefen: „Jetzt kommt Frankreich nach Großbritannien!“

Die Jugendproteste sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. In allen größereren Städten formieren sich Bündnisse gegen die Kürzungen. 100.000 haben bereits an diversen lokalen Protesten teilgenommen. Ältere AktivistInnen berichten, dass sie sich an die Stimmung in der Bewegung gegen die „Poll Tax“, die von der rechten Thatcher-Regierung Ende der Achtziger beschlossene Kopfsteuer erinnert fühlen. Damals gelang es durch einen massenhaften Steuerboykott – bei dem „Militant“ (Vorläufer der Socialist Party) eine führende Rolle spielte – die „Poll Tax“ zu stoppen und Thatcher aus dem Amt zu jagen.

Politische Herausforderungen

In Griechenland kam es 2010 zu sieben eintägige Generalstreiks. Dennoch hält die Regierung ihren Kurs bei, senkt die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung um 20 bis 30 Prozent, attackiert das Tarifrecht und tritt eine neue Privatisierungswelle los. Offensichtlich ist der bisherige Widerstand noch nicht ausreichend, sondern eine Steigerung der Proteste und Streiks nötig. Zudem muss ein politischer Ausweg aufgezeigt werden. Xekinima, die griechische Sektion des CWI, argumentiert dafür, dass eine Arbeiterregierung die Schuldenzahlungen einstellen, die Banken verstaatlichen und für eine sozialistische Umwälzung eintreten müsste. Die KKE (Kommunistische Partei) und die linke Formation SYRIZA, die bei Umfragen vor zwei Jahren noch fast 20 Prozent erreichten, verloren wieder stark an Unterstützung. Mit ihrer abstrakten Kapitalismus-Kritik beziehungsweise reformistischen Positionen erwiesen sich ihre Programme so hilfreich wie ein durchlöcherter Regenschirm bei Unwetter (wie es der russische Revolutionär Leo Trotzki einmal formulierte).

Bei den Massenprotesten in Frankreich im Herbst wehte ein „Hauch von 68“ durch das Land. Arbeitsniederlegungen und Jugendproteste gingen Hand in Hand. Die Beteilligung war hoch, ebenso die Entschlossenheit. Damit wurden wir Zeuge des intensivsten gesellschaftlichen Konflikts seit dem dreiwöchigen Massenstreik im Öffentlichen Dienst 1995. Zwar brachten die Initiativen von unten die angepasste Gewerkschaftsspitze ordentlich ins Schwitzen. Leider fehlte jedoch eine überregionale Koordinierung und Vernetzung der Kämpfe. Alex Rouillard und Cedric Gerome bewerteten das Ende des Ausstandes auf dem Kongress nur als Unterbrechung, bei der man sich sammelt und auf den Gong zur nächsten Runde wartet. Sollte die Führung in den kommenden Kämpfen jedoch keine Perspektive geben, droht auch die Gefahr von Erschöpfung, isolierten Kämpfen und Verzweiflungstaten. Zudem haben die Maßnahmen von Nicolas Sarkozy gegen die Roma im Vorfeld seiner Rentenpläne vor Augen geführt, dass die Regierung verstärkt die rassistische Karte zücken will. Offen ist, welche Rolle die im Februar 2009 gegründete Neue Antikapitalistische Partei (NPA) künftig spielen wird.

Warnung

Sehr ernst genommen werden müssen die Schritte in den USA, ganz Europa und anderen Teilen der Welt hin zum Abbau demokratischer Errungenschaften. Gesetzesverschärfungen und Einschränkungen gewerkschaftlicher Handlungsmöglichkeiten werden schon seit Jahren umgesetzt. Polizeiübergriffe wie bei Stuttgart 21 oder gegen die britischen SchülerInnen nehmen zu.

Der spanische Staat ist jedoch einen Schritt weiter gegangen. Unter der sozialdemokratischen PSOE-Regierung wurde ein Streik der Fluglotsen Anfang Dezember, der sich gegen Lohnkürzung, Arbeitszeitverlängerung und Privatisierung richtete, mit den Mitteln einer Militärdiktatur zerschlagen. Der Ausnahmezustand wurde verkündet, die Streikenden von Armeekräften umzingelt und mit vorgehaltener Waffe an die Arbeit gezwungen. Ihnen drohen Geldstrafen und Disziplinarmaßnahmen, bei Zuwiderhandlung hätten sie sich vor einem Militärgericht verantworten müssen. Die Regierung verlängerte den Ausnahmezustand sogar, um die Einarbeitung von Militärangehörigen in die Arbeit der Fluglotsen zu ermöglichen. Diesen Rückgriff auf das Instrumentarium der bis 1975 herrschenden Franco-Diktatur war die direkte Reaktion der Regierung darauf, dass spanische Staatsanleihen zuvor als quasi unverkäuflich galten. Die Regierung wollte ihre Entschlossenheit demonstrieren, mit allen Mitteln die Kreditwürdigkeit des spanischen Staates und die Renditen der Banken zu verteidigen.

Zur Kenntnis nehmen müssen wir auch die Hasstiraden US-amerikanischer Politiker über die WikiLeaks-Enthüllungen, die dessen Chef Julian Assange lieber heute als morgen in einem US-Gefängnis verrotten lassen würden. Immer öfter werden die Herrschenden auf den wachsenden Widerstand mit der Peitsche reagieren, ihr Zuckerbrot-Vorrat wird knapper.

Stürmische Entwicklungen

In den letzten zwei Jahrzehnten verlief das Auf und Ab des Kapitalismus stark verlangsamt. Auf Einbrüche folgen Aufschwünge, die zumindest bei Teilen der Lohnabhängigen die Hoffnungen auf Stabilität und Wachstum weckten. Verbunden mit der tiefen ideologischen Krise der Arbeiterbewegung nach dem Zusammenbruch der fälschlicherweise als sozialistisch bezeichneten Staaten Osteuropas – in Wirklichkeit monströse bürokratisch-stalinistische Karikaturen auf den Sozialismus – führte das dazu, dass sich die Klassenkonflikte nur langsam entfalteten.

Tempo und Rhythmus der kommenden Kämpfe lassen sich nicht detailliert vorhersagen. Doch es wäre ein Fehler, die Behäbigkeit der vergangenen 20 Jahre fortzuschreiben. Es gibt viele Anzeichen, dass Europa und die Welt jetzt in eine weit dynamischere Phase eingetreten sind. Sicher geglaubte soziale Errungenschaften stehen unter Beschuss. Protest und Wut der Jugend und der Beschäftigten brechen sich vermehrt explosiv Bahn. Heftige Angriffe führen nicht automatisch zu Widerstand. Sie können auch zu vorübergehender Lähmung führen, zur Suche nach individuellen Lösungen und einer Zunahme von Gegenwehr erst in Zeiten ökonomischer Erholung. Zumindest zeitweise zeigte sich die griechische Arbeiterklasse vom Kahlschlag geschockt. Doch die Gleichzeitigkeit der staatlichen Kürzungen und der Geschenke an die Banken scheinen unter dem Strich eher eine aufrüttelnde Wirkung zu haben.

Neu ist, dass die Protestbewegungen in verschiedenen Ländern sehr zeitnah ablaufen und sich im Kern gegen die gleichen Probleme richten. Die Kämpfe sind noch nicht länderübergreifend, der jeweilige Nationalstaat ist der Bezugsrahmen, die Regierungen und die nationalen Kapitalisten sind die Gegner. Doch Aufruhr gegen die Kürzungsdiktate der EU beinhalten die Möglichkeit international vernetzter Kämpfe.

Der Hass auf Politiker und Banker ist gewaltig. Viele ahnen, dass dieses System nichts mehr anzubieten hat. Die meisten haben aber keine klare Vorstellung davon, dass eine Vergesellschaftung der Konzerne und eine demokratisch geplante Wirtschaft nötig sind. Da der Arbeiterklasse in den meisten Ländern heute eine eigene politische Stimme, eine eigene Partei, fehlt, verzögern sich Bewusstseinsentwicklungen deutlich. Insofern gibt es zwar eine Stimmung gegen die Kapitalherrschaft, aber noch kein ausgeprägtes antikapitalistisches Bewusstein.

Das zentrale Element der kommenden Jahre werden häufigere und intensivere Klassenkämpfe sein. Deren Verstetigung wird dazu führen, dass sich Klassenbewusstsein und die Erkenntnis, dass der Kapitalismus überwunden werden muss, weit schneller verbreiten können als in der vorherigen Periode.

Auf dem Kongress dominierte weitgehende Übereinstimmung in den entscheidenden politischen Fragen und große Zuversicht. Das CWI hat sich zur Aufgabe gestellt, in die kommenden Auseinandersetzungen aktiv einzugreifen, die Kämpfe voran zu treiben und einen wichtigen Beitrag zu leisten, sozialistisches Bewusstsein zu fördern und zu verstetigen.

MarxistInnen aus über 30 Ländern beim Kongress

Teilgenommen haben an dem Weltkongress des CWI neben weiteren Gästen Delegierte und VertreterInnen aus Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Chile, England und Wales, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Hong Kong, Indien, Irland, Israel, Italien, Kasachstan, Libanon, Malaysia, Niederlande, Nigeria, Österreich, Polen, Portugal, Quebec, Russland, Schottland, Südafrika, Sri Lanka, Schweden, Taiwan, Tschechien, USA, Venezuela und Zypern. Leider konnten keine Delegierten der CWI-Organisationen in Bolivien und Pakistan nach Belgien kommen, weil ihnen die dafür nötigen Visa vorenthalten wurden.

Die Plenumsdebatten fanden zur ökonomischen und politischen Weltlage, zu Europa und zum Aufbau des CWI statt. Zudem gab es Kommissionen zu Asien und Lateinamerika.

Das CWI ist eine demokratische, sozialistische Organisation. Der Kongress diskutierte sechs Dokumente und befasste sich auch mit Änderungsanträgen. Die sechs am Ende beschlossenen Dokumente werden bald auf der SAV-Website zu finden sein. Außerdem wählten die Delegierten einen neuen internationalen Vorstand.