„Früher hieß es Teile und Herrsche. Heute heißt es Integrationsdebatte.“

Gespräch mit Sascha Stanicic, Bundessprecher der SAV, über sein neues Buch „Anti-Sarrazin“ und die Gefahr von Rechts

Demnächst erscheint von dir ein Buch mit dem Titel „Anti-Sarrazin“, das sich mit den Thesen des Ex-Bundesbankers auseinandersetzt. Warum ist das nötig?

Sarrazins Buch wurde eine Million Mal verkauft und sein Inhalt dominierte in den letzten Monaten die öffentliche Debatte. Manche Menschen denken tatsächlich, er würde so genannte unbequeme Wahrheiten aussprechen. Dabei ist es eine Kampfschrift für knallharten Kapitalismus, für rücksichtslosen Sozialabbau. Sarrazins Rassismus ist dafür nur die Begleitmusik. Ich versuche in der Gegenschrift nicht nur Sarrazins Behauptungen zu widerlegen, sondern auch aufzuzeigen, was hinter dieser Debatte steckt.

Und was steckt dahinter?

Das ist alles ein groß angelegtes Manöver, um von der Verantwortung von Regierung und Kapital für soziale Missstände abzulenken. Wer dem arabischen Nachbarn oder der türkischen Kollegin die Schuld am katastrophalen Zustand der Gesellschaft gibt, gibt sie nicht denjenigen, die mit ihrer Macht und ihrem Geld diese Gesellschaft formen.

Und es ist ein Mittel, die Menschen, die diese Macht und dieses Geld nicht haben, davon abzuhalten, gemeinsam zu kämpfen. Früher hieß es Teile und Herrsche. Heute heißt es Integrationsdebatte. Darum ist mein Buch auch ein Appell für gemeinsame Gegenwehr von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Religion und Nationalität gegen Sozialabbau, Lohndrückerei und Kapitalismus.

Aber gibt es die von Sarrazin angesprochenen Probleme nicht wirklich?

Vieles, was er sagt, ist frei erfunden oder zumindest sehr frei interpretiert. Seine Zahlen zur Kriminalität arabischer und türkischer Jugendlicher in Berlin zum Beispiel. Oder seine Aussagen zur angeblichen Bildungsunfähigkeit von sozial Schwachen und Muslimen.

Das, was manche Menschen als Probleme des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen oder Nationalitäten empfinden, sind doch letztlich soziale Probleme. Probleme von Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Zukunftsängsten.

Also alles Einbildung oder medial konstruiert? Sehen das viele Leute in Berlin-Neukölln oder Köln-Kalk nicht anders?

Die meisten Leute in Stadtvierteln wie Neukölln und Kalk haben doch das Problem, dass sie erwerbslos sind oder zu Billiglöhnen schuften müssen. Bist du dann noch Migrant, darfst du nicht wählen, lebst je nach Status unter permanenter Angst, dass deine Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird und musst dich dann auch noch auf allen Kanälen als dumm und faul beschimpfen lassen. Natürlich ist das ein Nährboden für Konflikte, die sich leider auch entlang nationaler oder religiöser Linien entzünden. Aber die tiefere Ursache ist ja nicht, dass Menschen unterschiedlicher Nation oder Glaubensrichtung zusammen leben. Nicht Multi-Kulti ist gescheitert, sondern der Kapitalismus scheitert tagtäglich.

Und was kann man gegen das Aufbrechen solcher Konflikte tun?

Arbeit für alle zu menschenwürdigen Löhnen, ausreichende Kita-Plätze, mehr Lehrer und Sozialarbeiter in den Schulen, guter und günstiger Wohnraum, soziale Absicherung und demokratische Rechte für alle! Wenn das umgesetzt würde, gäbe es auch viel weniger Konflikte.

Das ist aber nicht gerade das Programm der Bundesregierung.

Und auch nicht von SPD und Grünen oder des Berliner Senats. Deshalb müssen die Betroffenen für diese Ziele selber kämpfen und sich organisieren. In den Betrieben, Schulen, Hochschulen und Nachbarschaften. Überall da, wo Arbeiter, Arbeitslose, Schüler, Studierende und Mieter zusammen kommen, stellen sie nämlich fest, dass sie gleiche Interessen trotz ungleicher Nationalität oder Hautfarbe haben. Und dass die wahre Parallelgesellschaft die der Reichen und Superreichen ist. Der gemeinsame Kampf für gemeinsame Interessen ist das beste Mittel, um nationale oder rassistische Spaltung und Konflikte zu überwinden und an die wahren Ursachen der sozialen Missstände ran zu gehen. Am besten gemeinsam in der Gewerkschaft, der Partei DIE LINKE und Mieter- oder anderen Initiativen.

Das Buch erscheint im Januar 2011 und wird 7,50 Euro kosten. Es kann in der SAV-Bundeszentrale bestellt werden.