Zurück in die Zukunft?

Lassen sich mit den Grünen doch Umweltkatastrophen oder Kriege verhindern?


 

18. September: Der Vorsitzende der Bundespartei Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, besucht die GegnerInnen von Stuttgart 21 im Schlossgarten, um seine Solidarität mit dem Protest bis zum endgültigen Stopp von S 21 zu bekunden. 3. September: Die Vorsitzende des baden-württembergischen Landesverbandes der Grünen, Silke Krebs, äußert sich im SWR skeptisch darüber, ob die Partei bei einem Wahlerfolg am 27. März das Projekt überhaupt noch kippen könne.

von René Kiesel, Berlin

In diesem Jahr feiern die Grünen ihr 30-jähriges Bestehen in der Bundesrepu-blik. Die Mitgliedschaft setzte sich anfangs aus einem Spektrum zusammen, das von K-Gruppen-Anhängern, kämpferischen Anti-AKW-AktivistInnen und Teilen der Friedensbewegung bis hin zu konservativen UmweltschützerInnen reichte. Als die Partei 1983 zum ersten Mal in den Bundestag einzog, war unter den Abgeordneten zwar auch der Stuttgarter Daimler-Kollege Willi Hoss. Trotzdem orientierten die Grünen nicht auf die abhängig Beschäftigten. 1987 wurde mit Joschka Fischer der erste Grüne Minister – unter SPD-Ministerpräsident Holger Börner in Hessen.

Die Geschichte der Grünen ist auch eine Geschichte der politischen Anpassung. In den Achtzigern unterschied man noch zwischen "Fundis" und "Realos". Zwar sollten Kriege und Umweltzerstörung ein für alle Mal beendet werden. Mehrheitlich stellte die Partei die Marktwirtschaft jedoch nie in Frage. Es zeigte sich aber, dass ohne sozialistische Perspektive über kurz oder lang die "Sachzwänge" des kapitalistischen Systems geschluckt werden. Nach der Beteiligung an weiteren SPD-geführten Regierungen verließen prominente Parteilinke wie Jutta Ditfurth nach 1989/90 die Bündnis-Grünen.

Kriegs- und Hartz-IV-Partei…

1998 bildeten die Grünen mit der SPD schließlich eine Regierungskoalition auf Bundesebene. Als Außenminister sah man Fischer bald in Camouflage aus einer Militärmaschine steigen. Das Kriegsgebiet war der Balkan. Die Teilnahme Deutschlands am Jugoslawien-Krieg 1999 unter Rot-Grün war ein wichtiger Schritt in Richtung Militarisierung der BRD-Außenpolitik. Seit diesem Zeitpunkt sind "humanitäre Interventionen", wie der Afghanistan-Krieg 2001 unter Beteiligung der Bundeswehr, ein gängiges Instrument zur Verfolgung ökonomischer und geostrategischer Ziele. Nachdem man dann 2002 mit dem "Atomkonsens" dem Druck der AKW-Lobby nachgab, wurde am 14. März 2003 von Kanzler Gerhard Schröder in einer Regierungserklärung die Agenda 2010 verkündet. Damit fällt auch die größte Attacke auf die sozialen Sicherungssyssteme in die Regierungsperiode von Rot-Grün.

…oder doch Partei des Widerstands?

Aber heute mobilisieren die Grünen – die im Bund auf 25 Prozent, in Baden-Württemberg sogar auf 32 Prozent kommen – offenbar doch wieder gegen Castor-Transporte. Oder beteiligen sich seit Monaten an den Demos gegen Stuttgart 21.

Die Gesetze der Schröder/Fischer-Regierung waren kein Betriebsunfall. Gegenwärtig "vergisst" die Partei ebenso eiskalt Wahlversprechen. Aktuell zum Beispiel in Hamburg (ob im Fall vom Kohlekraftwerk Moorburg oder bei der Elbvertiefung), nur um mit der CDU (!) zusammen regieren zu dürfen.

Und in der Auseinandersetzung um S 21 wollen die Grünen permanent die Wogen glätten. Seit Monaten sorgen sie sich um den "inneren Frieden" des Landes, schlagen Gespräche mit der schwarz-gelben Landesregierung vor und kritisieren Aktionen wie die Besetzung des Nord- und später des Südflügels vom Hauptbahnhof. Bei den Haushaltsberatungen 2010/11 im Gemeinderat lehnte die Fraktion einen Antrag ab, der die für S 21 zurückgelegten Gelder in den Haushalt einbringen wollte, um Kürzungen und Gebührenerhöhungen abzuwenden. In der Folge wurden, abgesehen von den Park- und Kita-Gebühren, fast alle Gebühren der Stadt um bis zu zehn Prozent erhöht. Dabei stellen die Grünen die größte Fraktion im Gemeinderat.

Wenn die Grünen Stuttgart 21 ablehnen, dann weil sie das Projekt für schlechte kapitalistische Politik halten. Die Profitlogik, die S 21 – wie anderen Sauereien im Kapitalismus – zu Grunde liegt, stellt diese durch und durch etablierte Partei hingegen nicht in Frage.

Stuttgarter Grüne und Konzerninteressen

"Was die Bewertung von Investorenvorhaben angeht, sehe ich eher eine Nähe zur CDU. (.) Gerade bei sozialen Fragen herrscht große Übereinstimmung in den Zielen." Werner Wölfe, Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Gemeinderat, im Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 17. Februar.

Ein Beispiel gefällig, wie Grüne Politik für Reiche machen? Vor knapp einem Jahr signalisierte die Partei, entgegen ihrem Wahlprogramm offen für den Bau von Luxusvillen durch den S-21-Großinvestor Häussler in der Villa Berg zu sein.