„Hier wird unsere Zukunft vergraben“

„Jugendoffensive“ setzt auf Schülerstreik gegen Stuttgart 21


 

Am Mittwoch, den 25. August um 14.25 Uhr begann der Abriss des Nordflügels am Stuttgarter Hauptbahnhof. Damit erhofften sich die Befürworter von Stuttgart 21 (S 21), dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es geschah aber das Gegenteil. Sie gossen damit weiter Öl ins Feuer. Die „Jugendoffensive gegen Stuttgart 21“ will jetzt auf einen Schülerstreik im Herbst hinarbeiten – und damit einen wichtigen Schritt tun, um die Bewegung weiter aufzubauen.

von Florian Toniutti, Stuttgart

Am Tag X, als der Abrissbagger am Nordflügel loslegte, waren Tausende Menschen auf der Straße, legten mit Blockaden zentraler Kreuzungen den Verkehr lahm und hinderten einen TGV über 40 Minuten an der Abfahrt nach Paris. Das Dach des Hauptbahnhofs wurde von sieben Aktivisten über Nacht besetzt.

S 21 statt Bildung und Subkultur?

Gerade Jugendliche werden besonders die Auswirkungen von Stuttgart 21 spüren. Die Neckar-Realschule in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs muss komplett umziehen, die SchülerInnen sollen der Bauleitung weichen. Während die Kosten für das unsinnige Projekt täglich steigen – mittlerweile kursieren Zahlen von weit mehr als zehn Milliarden Euro – gibt es einen riesigen Sanierungsstau an Stuttgarter Schulen und Hochschulen. Zudem sollen einige der beliebtesten Einrichtungen der Subkultur dem Tiefbahnhof weichen – wie die Waggons, Rocker 33, Wagenhallen, und die Röhre.

Jugend blutet aus

Darum haben junge AktivistInnen der SAV und von Linksjugend [’solid] die „Jugendoffensive gegen Stuttgart 21“ mit gegründet, welche versucht, Schülerinnen, Studierende und junge Beschäftigte zu organisieren. Die Selbstorganisation ist hier von elementarer Bedeutung. Denn wir Jugendliche wissen ganz genau, was wir wollen und brauchen. Und eines wollen wir sicherlich nicht. Dass Milliarden von Geldern in die Taschen von Bauunternehmen und Immobilienspekulanten fließen.

Die Zahl der Jugendlichen, die zu den „Jugendoffensive“-Treffen kamen, stieg trotz Ferienzeit stetig. Bei spontanen Blockadeaktionen spielt die „Jugendoffensive“ oft eine dynamische Rolle. Bei der 40. Montagsdemo organisierte die „Jugendoffensive“ ein Straßentheater unter dem Motto: „Hier blutet die Jugend aus – hier wird unsere Zukunft vergraben.“ Dabei lagen mit Tomatensoße beschmierte Jugendliche „blutend“ am Boden und wurden von OB Wolfgang Schuster, Kanzlerin Angela Merkel und Verkehrsminister Peter Ramsauer „zertreten“. Die Aktion kam bei allen Teilnehmenden der Montagsdemo und bei der Presse extrem gut an.

Schülerstreik – warum?

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass der zivile Ungehorsam bis hin zu den Blockadeaktionen die S-21-Befürworter enorm unter Druck setzt. Trotzdem wollen sie das Projekt weiter verfolgen und setzen dabei auf massiven Polizeieinsatz.

Wichtig ist, dass die Gewerkschaften, die Tausende Beschäftigte in der Stadt organisieren, die Proteste stärken. Hier kann die „Jugendoffensive“ eine wichtige Rolle spielen. Denn mit einem Schülerstreik kann man „vormachen“ und aufzeigen, dass gegen Stuttgart 21 auch gestreikt werden muss. Wenn an Dutzenden Schulen einen Tag nichts mehr geht und die SchülerInnen in der Innenstadt gegen Profit, Prestige und Umweltzerstörung demonstrieren und den Bildungskahlschlag anprangern – dann kann der Druck auf die Politiker noch weiter erhöht werden. Gleichzeitig gibt das auch eine Vorstellung, was passieren könnte, wenn die Beschäftigten ebenfalls streiken würden.

Am 13. September beginnt wieder die Schulzeit. Die „Jugendoffensive“ will für einen Schülerstreik schon jetzt mit Tausenden von Flugblättern werben und die Frage auf ihren Treffen diskutieren. Direkt nach Schulbeginn sollten sich in allen Schulen Aktive zusammentun, dort Veranstaltungen dazu anbieten, sich mit der „Jugendoffensive“ kurzschließen und den Schülerstreik gemeinsam vorbereiten.

Kampf gegen S 21 – und das war‘s dann?

Auch wenn der Kampf gegen Stuttgart 21 erfolgreich sein sollte: Es ist klar, dass die Gelder, die aktuell für Stuttgart 21 verschleudert werden sollen, nicht automatisch in gute Bildung und Soziales investiert werden. Im Kapitalismus geht es schließlich um den Profit, und nicht um die Interessen von Jugendlichen und Beschäftigten. Deswegen ist es wichtig, den Kampf gegen Stuttgart 21 zu verbinden mit dem Kampf für wirkliche Verbesserungen in Bildung, Ausbildung, Sozialem und für eine sozialistische Gesellschaft. n

Hintergrund: SchülerInnen stinkt‘s

Während mit Stuttgart 21 Milliarden vergraben werden sollen, liegt die Kinderarmut bei 15 Prozent. In der reichsten Großstadt Deutschlands fehlt es in den Schulen an allen Ecken und Enden. Im Dillmann-Gymnasium müssen 90 Eltern an vier Tagen das Mittagessen in der Schule selber kochen. Das Sanierungsdefizit der Schulen beläuft sich auf 260 Millionen Euro. Die Elternbeiratsvorsitzenden des Leibnitz-Gymnasiums und des Neuen Gymnasiums in Stuttgart-Feuerbach reden schon von „gruseligen Zuständen“ in diesen Schulen. „Neben den abgestützten Fassaden und maroden Fenstern stinkt den Schülern und Eltern dabei vor allem die Jahrzehnte alte Toilettenanlage in beider Schulen“ (Stuttgarter Zeitung vom 20. Juli). „Wer Glück hat, der wohnt so nah an der Schule, dass er in der Pause nach Hause rennen kann. Die anderen verdrücken es sich, bis der Bauch weh tut“, so die Vertreterin des Leibnitz-Gymnasiums. n

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