Stuttgart in Aufruhr

Großdemonstration gegen Bahnhofsumbau in Baden-Württembergs Landeshauptstadt am Samstag. Studie belegt Sinnlosigkeit des Unterfangens


 

Zu einem Sternmarsch mobilisieren für Samstag »S21«-Gegner gegen eins der teuersten Verkehrsprojekte Deutschlands in die baden-württembergische Landeshauptstadt. »S21« steht für »Stuttgart 21«.

von Ursel Beck

Die Bahn AG will den Hauptbahnhof der Metropole in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umbauen. Dafür sollen 30 Kilometer Tunnel durch die Stadt gegraben werden. Zusätzlich ist eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen nach Ulm geplant. Im Schloßgarten stehen dem Projekt knapp 300 Bäume im Weg, die gefällt werden sollen. Stuttgarts Innenstadt verwandelt sich für die kommenden 15 bis 20 Jahre in Europas größte Baustelle. Das Ganze soll rund 14 Milliarden Euro kosten. Die Bahn behauptet, daß »Stuttgart 21« die bestgeplante Großbaustelle sei. Doch bereits die derzeit stattfindende Umstellung der Signalanlagen bedeutet tägliches Chaos bei der S-Bahn und im Regionalverkehr.

Aber das ist erst der Anfang. Eine neue Studie der Züricher Firma SMA kommt laut Stern vom Donnerstag zu dem Befund, daß durch das Verkehrsprojekt »Infrastrukturengpässe« entstehen. Die Gutachter haben laut dem Hamburger Magazin »Konflikte zwischen Hauptbahnhof und Flughafen mit dem Regionalverkehr« festgestellt. Das alles sei »nicht kompatibel mit den angenommenen Fernverkehrszügen in Stuttgart«, so das vernichtende Urteil. Zu befürchten seien Fahrzeitverlängerungen. Eine »Gestaltung des Fahrplans« sei »nur in geringem Maße möglich.« Die knapp 60seitige Studie wurde laut Stern vor zwei Jahren vom baden-württembergischen Innenministerium in Auftrag gegeben – und sei seitdem unter Verschluß.

Die Proteste gegen den »Milliardenwahnsinn« laufen seit Monaten auf Hochtouren. »In Stuttgart hat sich das politische Klima völlig verändert. Das ist so etwas wie ein beginnender Volksaufstand«, berichtet Hannes Rockenbauch im Gespräch mit junge Welt. Rockenbauch ist Stadtrat und Vorsitzender der Fraktion Stuttgart Ökologisch Sozial und Die Linke. Die kommende Woche beginnt mit der 34. Montagsdemo gegen »S21«, die seit Oktober 2009 am Nordausgang des Hauptbahnhofs stattfinden. In den vergangenen Wochen zählten die Veranstalter immer um die 4000 Teilnehmer, so Rockenbauch. Im April kamen zu einer regionalen Demonstration 10000 Menschen. Mehr als 15000 Stuttgartet haben sich als Parkschützer eingetragen (www.parkschuetzer.de), um die gefährdeten Bäume im Schloßpark zu retten. Seit Ende April gibt es die Initiative »GewerkschafterInnen gegen ›S21‹«.

Für Samstag rechnet der Stadtrat und Mitorganisator mit »mindestens 20000 Protestierern«. Das sei eine klare Ansage im Hinblick auf die Landtagswahlen im März 2011. Der Widerstand soll sich allerdings nicht in Demonstrationen erschöpfen. »Wenn im Herbst versucht werden sollte, den Nordflügel des Hauptbahnhofes abzureißen, wird es auch Massenblockaden geben«, so Rockenbauch. 1400 Parkschützer wollen sich zudem den Baggern in den Weg stellen, wenn die 282 Bäume im Schloßgarten abgeholzt werden sollen. »Die Leute haben kein Verständnis dafür, daß die Landesregierung über eine Rekordverschuldung jammert, überall kürzen will und gleichzeitig 1,3 Milliarden an ›S 21‹ und weitere 950 Millionen für die Hochgeschwindigkeitstrecke verschleudert.«

Samstag, 10. Juli, landesweite Demonstration gegen »S21«, Beginn der Sternmärsche ab 11.30 Uhr, ab 14 Uhr Kundgebung im Schloßgarten südlich des Hauptbahnhofs, www.­kopfbahnhof21.de
Dieser Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung junge Welt.