Der „Sargfighter“

50 Jahre nach Beginn der Starfighter-Affäre


 

Die „Starfighter-Affäre“ hat bis heute alle Bestandteile eines zweitklassigen Krimis: Ein untaugliches Kampfflugzeug für Millionen an Steuergeldern eingekauft, Bestechung, Bedrohung, Lügen, Betrug und Leichen über Leichen

von Steve Kühne, Dresden

Geboren wurde der Lockheed F-104 Starfighter im Korea-Krieg. Die United States Airfoce machte aufgrund der Erfahrungen mit dem sowjetischen Jagdflugzeug MiG 15 eine Ausschreibung für ein Hochleistungsjagdflugzeug: Es sollte doppelte Schallgeschwindigkeit erreichen und jeden Gegner in den Schatten stellen. Die Rüstungsschmiede Lockheed zog den Auftrag an Land und witterte ein Milliardengeschäft.

Fehlkonstruktion

Lockheeds Flugzeug erwies sich bereits in der Testphase als Fehlkonstruktion. Mehrfach mussten sich Airfoce-Testpiloten mit dem Schleudersitz retten, da die F-104 abschmierte. Genau genommen war die Maschine nicht flugfähig: Sie stellte sich unkontrolliert auf das Heck, wodurch das Triebwerk ausfiel und der Starfighter mitsamt Piloten nach unten durchsackte. Zudem hatte das Triebwerk die unangenehme Angewohnheit den Auslass der Schubdüse ohne Vorwarnung zu öffnen, was zu Schubverlust und Absturz führte. Die Lebenserhaltungssysteme des Piloten funktionierten in gleicher Weise „zuverlässig“, weshalb die Testpiloten der Airforce alsbald zu dem vernichtenden Urteil kamen: „Gerät unbrauchbar.“

Der Hersteller war über so viel Ehrlichkeit selbstverständlich wenig erfreut. Lockheed war sich durchaus darüber im Klaren, dass das Votum der Testpiloten großen Einfluss auf die Beschaffungspläne der Airforce haben würde. Diese entschloss sich schließlich auch den „Starfighter“ in weitaus kleineren Stückzahlen zu kaufen, als ursprünglich vorgesehen. Lockheed – einem der größten Rüstungsproduzenten der USA – drohte damit der Konkurs. Dies wollte die US-Regierung als Anwalt der Banken und Konzerne um jeden Preis verhindern und versprach – trotz aller Mängel des Flugzeugtyps – Lockheed alle erdenkliche Hilfe beim Verkauf im Ausland.

Aufbau der Bundeswehr

Europa, wo sich seit Ende der 40er Jahre mehr und mehr die Frontlinie des „Kalten Krieges“ formierte, schien auf Lockheed nur zu warten. Gerade der Aufbau der Bundeswehr in der BRD – ganz „demokratisch“ gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung und riesige Proteste durchgesetzt – ließ den US-Konzern hoffen.

Bereits 1955, ein Jahr vor der DDR, baute die BRD eine neue Armee auf. Mit dabei zahlreiche alte Nazi-Generäle, SS-Männer und Kriegsverbrecher. Bereits im Jahr darauf wurde die Wehrpflicht wieder eingeführt und 1957 lieferten kanadische und US-amerikanische Konzerne die ersten Kampfflugzeuge an die Bundesrepublik.

Atomare Teilhabe

Dem damaligen Verteidigungsminister, Franz Josef Strauß (CSU) gingen diese Schritte noch lange nicht weit genug. Er wollte im Rahmen der „Vorwärtsverteidigung“, man könnte auch imperialistische Drohgebärde dazu sagen, die Bewaffnung der BRD mit Atomwaffen. Dafür wollte er ein Flugzug, dass nach eigenen Aussagen Atomwaffen bis zum Ural tragen könnte. Derartige Äußerungen weckten vielerorts, nicht zuletzt in der BRD, unschöne Erinnerungen an Hitlers Eroberungspläne. Strauß ging es um eine Rückkehr der BRD in de Kreis der imperialistischen Staaten, was die Profite der deutschen Großunternehmen sichern würde.

Selbst die SPD-Führung, die sich in der Wiederbewaffnungsdebatte nicht zu einem klaren Nein hatte durchringen können stand diesen Plänen mit Ablehnung gegenüber. Sie wusste die Mehrheit der eigenen Partei und der Bevölkerung hinter sich.

Strauß aber ging eigene Wege. Er hoffte, dass Frankreich der BRD die Tore zum Besitz von Atomwaffen öffnen würde und kündigte im Gegenzug dafür dem Kauf des französischen Kampfflugzeugs Mirage an.

Frankreich lehnte jedoch ab. Die offizielle Begründung waren die Schrecken, die die deutschen Truppen in zwei Weltkriegen verbreitet hatten. Inoffiziell ging es Paris jedoch darum den lästigen imperialistischen Konkurrenten nicht noch weiter aufzupäppeln.

Die Suche nach Unterstützung für die deutschen Atomwaffenpläne führte Strauß letzten Endes in die USA, die vollends hinter dem Bonner Verbündeten standen. Washington hatte auch den perfekten Atomwaffenträger zu bieten: die F-104 „Starfighter“.

Bestechung

Strauß fuhr höchstpersönlich in die USA, um sich ein Bild vom „Starfighter“ zu machen. Kurz nach seiner Rückkehr in die BRD präferierte er die F-104. Schon damals machten Gerüchte um eine Bestechung Strauß` die Runde – sie konnten nie entkräftet werden. Im Gegenteil im weiteren Verlauf der „Starfighter-Affäre“ häuften sich die Indizien, die den Schluss zulassen, dass Strauß „die Hand aufgehalten hat“.

Fortan warb Strauß mit größter Entschiedenheit für den Kauf des „Starfighters“. Die Öffentlichkeit war gegen dieses Rüstungsprojekt, dass die Beziehungen zur DDR wesentlich verschlechtern und Milliarden Steuergelder verschlingen würde. Lockheed und Strauß wollten das ändern. Lockheed schaltete in deutschen Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen, die für den Kauf der Maschine werben sollten. Als Marketing-Strategie vollkommen ungeeignet – keiner der LeserInnen würde jemals dieses Flugzeug kaufen – war es ein geschickter politischer Schachzug, der die öffentliche Stimmung beeinflussen sollte.

„Katze im Sack!“

Strauß setzte sich sehr zur Freude von Lockheed durch. Der Bundestag beschloss mit der Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU und FDP den Kauf der F-104. Die SPD stimmte zwar gegen die Beschaffung dieses Typs, war jedoch keinesfalls gegen eine weitere Aufrüstung der Bundeswehr. Der spätere SPD-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) war der Meinung, dass der „Starfighter“ die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen werde. Man brauche für die Aufgaben als Jagdflugzeug, Jagdbomber und Atombomber eben auch drei verschiedene Flugzeugtypen. Außerdem käme der Kauf der F-104 dem Kauf der „Katze im Sack“ gleich, da die für die BRD vorgesehene Version des Flugzeugs zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Kauf noch nicht einmal zur Verfügung stand. Dass die weitere Aufrüstung der Bundeswehr an sich das Problem darstellte kam der SPD-Führung nicht in den Sinn und so sollte auch sie bald in den „Starfighter-Skandal“ hineingezogen werden.

„G für Germany“

Lockheed entwickelte, wie im Kaufvertrag vorgesehen, in Windeseile eine für die BRD veränderte Version, die mit dem Kürzel „G“ gekennzeichnet wurde: Sie sollte, anders als ursprünglich gedacht, auch nachts fliegen können, atomare und konventionelle Bomben tragen und eine vergrößerte Reichweite besitzen. Dies steigerte die Kosten des „Starfighters“ von 5 auf gut 6 Millionen DM pro Stück. Die Maschine wurde eine Tonne schwerer, aber die gravierenden Fehler blieben erhalten.

Die ersten 66 Flugzeuge wurden noch von Lockheed in den USA gebaut, die weiteren 800 (!) sollten als Lizenzprodukte in Europa hergestellt werden.

Zur fliegerischen Abnahme der ersten F-104G schickte die Bundesluftwaffe eigene Testpiloten in die USA, die geschockt waren. Die Flugzeuge, die sie einflogen waren nichts weiter als gemeingefährlicher Edelschrott: Beim Schießen mit der Kanone verabschiedeten sich die Sicherungen, die Turbine fiel aus und das Flugzeug stürzte ab, der Schleudersitz funktionierte nicht, weshalb der Pilot sich nicht retten konnte und weder der Nachtflug, noch der Flug bei schlechtem Wetter waren möglich. Die Piloten empfahlen die Abnahme der Maschinen zu verweigern, allerdings zückte Lockheed den mit Strauß (CSU) ausgearbeiteten Vertrag, der den Deutschen genau das verweigerte. Der Hinweis von Lockheed war, man werde für ein paar Millionen die Maschinen so herrichten, dass sie doch noch flugfähig werden würden.

Erste Abstürze

Im Sommer 1960 lieferte Lockheed die ersten F-104G in die BRD. Die Piloten der Bundesluftwaffe waren jedoch geschockt, keine der Maschinen war bis dahin vom Boden abgehoben und die Testpiloten von Lockheed bereiteten sie auf so einige unangenehme Überraschungen vor. Der Generalinspekteur der Bundesluftwaffe Kammhuber bereitete für seinen persönlichen Freund Strauß als Dankeschön für den Kauf der F-104G eine besondere Überraschung vor: Vier „Starfighter“ sollten ihm zu ehren am Tag der feierlichen Indienststellung der Maschine Kunstflugmanöver vorführen. Ein erfahrener Pilot der US Airforce sollte die Formation führen. Am Tag der Generalprobe geschah genau das wofür die F-104 berühmt war, die Turbine des Führungsflugzeugs fiel im Steigflug aus und riss die drei anderen mit in die Tiefe. Alle vier Flugzeuge prallten bei Köln auf die Erde, alle vier Piloten starben.

Die Bundesluftwaffenführung, die Kenntnis über die wirkliche Absturzursache hatte, versuchte den Vorgang zu verschleiern. Der US-Pilot habe einen Fehler gemacht, als die vier Jagdflugzeuge in einem ganz normalen Verbandsflug über Köln hinwegdonnerten. Für die Leichen schneiderte man eigens vor der Beerdigung noch neue Uniformen. So wurden die Piloten posthum zu Mitgliedern einer nicht existierenden Kunstflugstaffel der Bundesluftwaffe, den Angehörigen verschwieg man die wirkliche Todesursache.

„Pilot Error“

Diese 4 Toten waren der Beginn einer traurigen Serie. Zu den altbekannten Fehlern des „Starfighter“ gesellten sich bald weitere, die aus den Umbauten und dem nass-kalten Wetter in der BRD resultierten: Die Landeklappen fuhren oft nur auf einer Seite aus, die Folge waren unkontrollierbare Rollen um die Längsachse, die das Flugzeug beim Anflug auf die Landebahn abstürzen ließen. Der Schleudersitz hatte die unvorteilhafte Eigenschaft einem Piloten, der sich retten wollte das Genick zu brechen oder auch mal ganz zu versagen und das Fahrwerk fuhr nach dem Abheben manchmal einfach nicht ein.

Mit steigender Betriebsdauer fielen immer mehr F-104 vom Himmel, 1965 waren es 26, 15 Piloten starben dabei und 1966 waren es schon 58 Abstürze. Die Zeitungen der BRD zählten einen makaberen Countdown bis zur 100. Manche Piloten weigerten sich mit dem „Witwenmacher“ oder „fliegenden Sarg“ oder einfach „Sargfighter“, wie die Piloten die F-104 fortan annten, weiter zu fliegen. Sie hatten allerdings empfindliche Verdienstausfälle hinzunehmen. In der Bevölkerung machten makabre Witze die Runde: „Wie kommst Du zu Deinem eigenen Starfighter“, hieß es in einem. „Ganz einfach, kauf Dir ein Grundstück und warte ab!“

Spektakuläre Abstürze machten in der Presse die Runde. Der 33jährige Geschwaderkommodore Klaus Heinrich Lehnert hob im Dezember 1965 mit seinem „Starfighter“ in Nörvenich ab und verlor während des Flugs das Bewusstsein. Seine Maschine flog allerdings weiter Richtung Norden, über Dänemark hinweg und stürzte erst über Norwegen bei Ankenes ab, weil der Sprit alle war, wobei Lehnert sein Leben verlor. Ursache: giftige Gase waren in die Sauerstoffversorgung eingedrungen. Gut einen Monat später geschah das gleiche seinem Staffelkollegen Kmonitzek, der sich jedoch mit dem Schleudersitz retten konnte. Der Fehler trat immer wieder auf und konnte bis zur Außerdienststellung der F-104 nicht ausgemerzt werden.

Die Bundeswehr setzte von Sommer 1960 bis zur Ausmusterung am 22. Mai 1991 insgesamt 916 Starfighter ein; davon ging knapp ein Drittel, nämlich 292 Maschinen, durch Unfälle verloren. Allein von 1961 bis 1964 waren es 64 Maschinen. Bis 1991 verunglückten 116 deutsche Piloten tödlich.

Der Bundestag bildete Untersuchungsausschüsse. Wie nicht anders zu erwarten konnten diese weder erklären was mit der F-104 los war, noch warum Strauß dieses Gerät beschafft hatte.

Da sowohl die Bundeswehr als auch die Bundesregierung wenig Interesse hatten die „Starfighter-Affäre“ aufzuklären, wälzte man die Schuld auf die Piloten ab. Bis heute heißt es im Bundeswehr-Chargon die F-104 sei eben ein Flugzeug, das keine Fehler verzeihe und die Abstürze seien nur durch solche zu erklären. Absturzursache: „pilot error“

Witwe wehrt sich

Gerlinde Hippel, die nicht bereit war die Lügen der Bundeswehr weiter hinzunehmen entschloss sich das Geschehene aufzuklären und suchte sich Hilfe bei einem US-amerikanischen Rechtsanwalt. Ihr Mann war bei einem Manöver in den Niederlanden abgestürzt und so blieb sie schwanger mit einem Kleinkind allein zurück. Als sie anfing den Fall aufzuklären schickte man ihr den Verfassungsschutz ins Haus und bedrohte sie. Man ging sogar so weit die Streichung der Witwenrente anzukündigen, sollte Hippel weiter die Aufklärung der häufigen Abstürze betreiben.

In der neuen Bundesregierung (SPD-FDP) saß ab 1969 nun eine Partei, die dem „Starfighter“ offiziell kritisch gegenüberstand und Aufklärung ankündigte. Dennoch wurde Hippel weiter eingeschüchtert. Die SPD ordnete nur einen stärkeren Flugbetrieb an, die Piloten sollten sich mehr im Umgang mit der neuartigen Waffe üben. Aufklärung: Fehlanzeige! Auch der „Starfighter-Gegner“ Schmidt, bald schon selbst Kanzler, ließ die Witwenmacher weiter fliegen und sah sich nicht bemüßigt die Korruptionsvorwürfe gegen Strauß auf den Prüfstand zu stellen.

So trauten sich zahlreiche Hinterbliebene von „Starfighter-Piloten“ nicht sich Gerlinde Hippels Klage anzuschließen.

Absturz Joachim von Hassels

Erst ein weiterer Todesfall sollte Bewegung in die Sache bringen: Der Sohn des ehemaligen Verteidigungsministers Kai-Uwe von Hassel (CDU), der die Kritik am „Starfighter“ immer wieder mit dem Hinweis auf seinen Sohn, der eben diesen Typ flog zu zerstreuen suchte, starb bei einem Einsatz. Joachim von Hassels Witwe schloss sich medienwirksam der Klage Hippels an und sehr bald kamen weitere Angehörige hinzu.

Der US-Anwalt Baily setzte eine Schadensersatzzahlung von Lockheed durch. Der Rüstungskonzern zahlte einmalig insgesamt den Preis einer F-104 an die Hinterbliebenen. Dieses Schuldeingeständnis führte überall in Europa, in Holland, Italien und Dänemark zum Rücktritt der Verteidigungsminister. Alle diese Länder hatten unter ebenso eigenartigen Begleitumständen wie die BRD den „Starfighter“ beschafft. Dies nährte wiederum den Verdacht auf Korruption gegen Strauß. Doch nichts geschah. Selbst der „Starfighter“ flog munter weiter, falls er mal nicht abstürzte.

Gewinner: europäische Rüstungsindustrie

Natürlich waren die europäischen Rüstungskonzerne schnell zur Stelle: Messerschmitt-Bölkow-Blohm kritisierte die F-104G als unzureichende Waffe und schlug – wie sollte es anders sein – den Bau eines eigenen Flugzeugs vor. Daraus entstand später die britisch-deutsch-italienische Koproduktion Tornado. Auch so ein „Skandalvogel“, der Milliarden verschlang und im Einsatz nicht unbedingt selten abstürzte. Da er eigentlich auch als Jagdflugzeug konzipiert und gekauft (!) war, diese Aufgabe aber nicht erfüllte schlug Daimler-Benz Aerospace den Bau eines weiteren Flugzeugs vor und so war flugs der milliardenschwere Jäger 90, später Jäger 2000, dann „Eurofighter“ geboren. Der kostet den Steuerzahler zur Zeit pro Stück etwa 120 Millionen Euro. Die BRD kauft, Krise hin oder her, 140 Stück und Griechenland muss, egal ob bankrott oder nicht, 40 von diesen Maschinen beschaffen. Übrigens: Die ersten 20 gelieferten Eurofighter waren nicht einmal flugfähig, u.a. funktionierte der Schleudersitz nicht – das weckt Erinnerungen!

Rüstungsindustrie verstaatlichen!

Es geht nicht um „bessere“ Rüstung. Kapitalistische Staaten rüsten, um die Interessen der Banken und Konzerne auch im Ausland durchzusetzen. „bessere“ Rüstung heißt mehr Leid, mehr Tod; heißt Krieg im Interesse der Banken und Konzerne. Die Rüstungskonzerne gehen international für ihre Profite über Leichen.

Diesem Alptraum kann nur durch die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und der arbeitenden Bevölkerung Einhalt geboten werden. Das wäre notwendig, um die Produktion auf gesellschaftlich nützliche Dinge umzustellen und dabei alle Arbeitsplätze zu erhalten.