„Der Generalstreik am 5. Mai war nur der Anfang“

Interview mit Nikos Anastasiadis, Syriza Koordinierungskomittee in Thessaloniki und Mitglied von Xekinima (Schwesterorganisation der SAV in Griechenland)


 

Nikos, du hast am Generalstreik am 5. Mai teilgenommen. Was war dein Eindruck?

Es war der größte Generalstreik und die größte Demonstration seit dem Fall der Diktatur. Er hat die Stimmung der griechischen Arbeiterklasse und der gesamten griechischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht, das größte Kürzungspaket in der jüngsten griechischen Geschichte zurückzuschlagen. Er zeigte auch die Entschlossenheit gegen die geplante Rentenreform zu kämpfen. Außerdem zeigt er die Möglichkeit, dass alle diese Maßnahmen zu Fall gebracht werden können. Es war auffallend, dass alle großen Gewerkschaftsverbände sowohl vom öffentlichen Dienst als auch aus dem privaten Sektor da waren, genauso wie viele junge Leute, die gegen die Regierung gekämpft haben.

Es gab einige Berichte über die Gewalt in Athen und die drei toten Bankangestellten. Wie siehst Du dieses Ereignis?

Der Tod der drei Bankangestellten in Athen hat eine Diskussion in der griechischen Gesellschaft eröffnet. Wir würden zuerst sagen, dass alle Gruppen, die diese Form von blinder Gewalt verwenden und Gebäude anzünden, eine Verantwortung für diesen Vorfall tragen. Es sind anarchistische Gruppen, die diese Methoden anwenden oder auch Provokateure, die vom griechischen Staat angeheuert werden. Man wird es wohl nie wissen, wer es war, aber es macht auch keinen Unterschied. Diese Methoden nehmen Todesopfer unter Arbeiterinnen und Arbeitern in Kauf und sind kontraproduktiv für den Aufbau unserer Widerstandsbewegung.

Aber es gibt auch Verantwortung bei der Regierung und der Geschäftsleitung der Bank. Wenn die Regierung mit ihren Angriffen fortfährt, wird es zwangsläufig weitere Zwischenfälle von sozialen Explosionen und auch von blinder Gewalt geben.

Eine direkte Verantwortung trägt der Boss der Bank. Er zwang die Angestellten dazu, an dem Streiktag zu arbeiten. Ihnen wurde gedroht, dass sie am nächsten Tag entlassen werden, wenn sie nicht erscheinen. Außerdem waren die Türen verschlossen und es gab keine vernünftigen Notausgänge. Und das obwohl bekannt war, dass Demonstrationszüge an der Bank vorbei ziehen würden und die Wahrscheinlichkeit von Angriffen auf das Bankgebäude hoch war.

Die Schlussfolgerungen, die die Bewegung jetzt daraus ziehen sollte, ist dass sie konkrete Schritte unternehmen muss, die Provokateuere und solche Anarchisten zu isolieren, die für Gewalt sind. Wir müssen die Demonstrationen gegen Provokationen und gegen Polizeigewalt schützen und es wird ab jetzt einen OrdnerInnendienst geben.

Im Verlauf der Ereignisse hat die Regierung sogar noch mehr Kürzungen angekündigt. Was hat sie vor?

Schau mal in die Zeitung: Es werden täglich neue Kürzungen verkündet. Der Plan ist alle drei Monate ein großes Kürzungspaket durchzusetzen. Sie wollen nicht alle Kürzungen auf einmal bekannt geben, weil sie wissen, dass das sehr große Explosionen und Unruhen hervorrufen würde. Sie benutzen diese Taktik, um dem Widerstand der Leute entgegen zu wirken. Insgesamt wollen sie eine Gesellschaft wie in der Dritten Welt schaffen. Sie haben schon 30-prozentige Lohnkürzungen und die Heraufsetzung der Kündigungsrate von zwei Prozent im Monat auf vier Prozent im Monat angekündigt. Sie wollen außerdem die Abfindungen kürzen und in mehrere Raten teilen. Sie heben die Mehrwertsteuer an und wollen die Renten senken.

Das große Thema jetzt ist auch die Rentenreform, wo die Regierung versucht, über verschiedene Wege das Renteneintrittsalter von 65 Jahren auf 67 Jahre oder sogar 70 Jahre hochzusetzen und gleichzeitig die Höhe der Renten in ganz Griechenland zu senken.

Als Reaktion darauf, waren die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen sehr beachtlich. Wie ist der Zustand der Bewegung? Würdest du sagen, es ist eine Art vorrevolutionäre Situation?

Was wir beim Generalstreik gesehen haben, ist wirklich eine kämpferische Stimmung, die an die Oberfläche kam. Aber wir haben auch große Verwirrung und Zukunftsängste gesehen. Das hat mit der Rolle der Gewerkschaftsführung zu tun, die keinen klaren Weg aufzeigt, wie die Bewegung sich weiter entwickeln kann. Aber auch wegen der Propaganda der Regierung und der Medien gibt es ein Element der Verwirrung und Angst in der jetzigen Stimmung.

Wir können sagen, dass Griechenland in eine Phase getreten ist, die Elemente einer vorrevolutionären Situation hat. Die Wut ist so groß – wirklich groß innerhalb arbeitenden Bevölkerung und Jugend. Wir sehen soziale Explosionen, wie schon in der Bildungsbewegung vor ein paar Jahren oder auch in den Dezembertagen 2008 und wir sehen sie jetzt. Der Generalstreik am 5. Mai war nur der Anfang einer ganzen Periode von Kämpfen der Arbeiterklasse gegen die Kürzungspakete.

Welche Vorschläge macht Xekinima für die Bewegung?

Die Gewerkschaftsführer rufen nur einen Streik aus, wenn sie total dazu gezwungen werden. Es gibt aber ein schreiendes Bedürfnis nach einem organisierten, geplanten und ausdauerndem Kampf, um wirklich die Maßnahmen der Regierung zu Fall zu bringen. Es sind die größten Kürzungen in der griechischen Geschichte und sie können nicht mit einem oder zwei eintägigen Generalstreiks gestoppt werden. Was man wirklich braucht ist ein allgemeiner Plan des Widerstands um das Kürzungspaket aufzuhalten.

Als nächsten Schritt hat der griechische Gewerkschaftsdachverband einen Generalstreik am 20. Mai ausgerufen. Die Arbeiterbewegung sollte sich bewusst werden, dass dieser Streik der Anfang einer ganzen Periode des Widerstands werden sollte. Das sollte regelmäßige, auch zweitägige, Generalstreiks beinhalten, die mit Streiks in verschiedenen Betrieben kombiniert werden, aber auch mit Besetzungen, wo das möglich ist. Das sollte auch verbunden werden mit Schul- und Unibesetzungen sowie Straßenblockaden durch Bäuerinnen und Bauern.

Wir rufen außerdem zur Besetzung einiger öffentlicher Gebäude auf. Das ist sogar schon in ein paar Fällen geschehen. Das jüngste Beispiel war die Besetzung eines Fernsehsenders durch arbeitslose LehrerInnen. Die grundlegende Aufgabe ist, einen umfassenden Plan zu haben, wie man die Regierung besiegt. Unglücklicherweise hat die Gewerkschaftsführung das nicht. Er muss deshalb durch die Basis der Gewerkschaften und Jugendorganisationen geschaffen werden.

Was sind die Kernforderungen für den Aktionsplan? Wer soll für die Krise bezahlen?

Die Arbeiterklasse braucht klare Forderungen und ein klares Verständnis was nötig ist. Besonders weil die Regierung linke Rhetorik verwendet und sagt: „Wir sind Linke, aber wir haben keine Alternative zu diesen Maßnahmen, weil das Land sonst bankrott geht.“

Nötig ist ein Forderungskatalog, angefangen bei der Forderung, die Schuldenzahlung zu stoppen bis zur Verstaatlichung des Bankensystems und der Verstaatlichung der größeren privatisierten Unternehmen ohne Entschädigung der großen Aktiönäre. Das soll mit einem Plan der massiven Investitionen im öffentlichen Sektor, Bildung und Gesundheit sowie einem Produktionsplan, um die Wirtschaft wiederzubeleben und Wachstum nach den Bedürfnissen der Beschäftigten zu schaffen. Das ist eine wirkliche Alternative zur Krise. Wenn wir den Vorschlägen der Regierung folgen, haben wir hier ein Dritte Welt Situation und trotzdem ist dann nicht sicher, ob man die Zahlungen an den IWF in drei Jahren begleichen kann und Griechenland würde dann pleite gehen, so wie es auch in Argentinien passiert ist.

Die anderen Länder haben ein 750 Mrd Euro Rettungspaket geschnürt. Was denkst du? Wird das das Problem lösen?

Das wird definitiv nicht das Problem lösen. Das grundlegende Problem der Europakrise ist doch eine Krise der Produktion. Das wird nicht gelöst in dem man einfach noch mehr Geld hineinpumpt. Das wird nur zu einer Verzögerung der Krise führen, aber gleichzeitig die Krise vertiefen und verschärfen. Sie haben Angst davor, dass die Krise der südeuropäischen Länder den Norden ansteckt. Das wollen sie verhindern. Aber wegen der Verbindung der Staaten ist es nun mal eine Weltkrise und keine Krise der südeuropäischen Länder.

Was denkst du, wie sollten die Beschäftigten und Jugendlichen aus den anderen Ländern reagieren?

Ich würde da gerne mit der Initiative von Joe Higgins und anderen linken Europaabgeordneten für eine gemeinsame Aktionswoche Ende Juni anfangen. Es wäre eine wichtige Lehre für die Arbeiterklasse, dass es gemeinsame Gegenwehr in ganz Europa gibt, weil die Herrschenden in Europa die Karte der Spaltung spielen und Zwiespalt zwischen ArbeiterInnen der verschiedenen Länder sähen. Zum Beispiel wie wir es in letzter Zeit mit den deutschen Herrschenden gesehen haben, die versucht haben deutsche ArbeiterInnen gegen griechische aufzubringen und die griechischen Herrschenden haben das gleiche getan. Deshalb sollten wir einen gemeinsamen Kampf haben. Wir sollten für einen Kurs der Staaten in Europa kämpfen. Für einen Kurs um sozialistische Maßnahmen durchzuführen, um aus dieser Krise herauszukommen.

Das Interview führte Micha Koschitzki.