Es kracht in der EU

Merkel und Co. nutzen griechische Schuldenkrise für nationalistische Hetze


 

Die Bundesregierung sperrte sich lange gegen Hilfen der Europäischen Union (EU) an Griechenland. Dabei geriet sie nicht nur mit Griechenland, sondern auch mit Frankreich und anderen Ländern in Konflikt. Es ging um unterschiedliche Interessen, aber auch um das Schüren von Nationalismus und Ressentiments im Vorfeld der NRW-Wahl.

von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Griechenland befindet sich in einem Teufelskreis: Die harten Sparmaßnahmen würgen die Wirtschaft ab. Um trotzdem die Defizit-Ziele (für dieses Jahr eine Begrenzung von 13,6 auf 8,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) zu erreichen, sind noch mehr Sparmaßnahmen nötig. Die würgen die Wirtschaft noch mehr ab.

Also machen Regierungen das, was sie in der Krise die ganze Zeit machen: Der Aufschwung wurde seit rund einem Vierteljahrhundert durch Verschuldung künstlich verstärkt. Die Krise zeigte, dass die Schuldenpyramide instabil wurde, also versuchte man, ihr durch steigende staatliche Verschuldung eine breitere Basis zu verleihen, um sie noch höher bauen zu können. Aber manche Staaten waren schon so verschuldet und wirtschaftlich schwach, dass sie ebenfalls an Verschuldungsgrenzen stießen. Ihre Kreditwürdigkeit wurde herabgestuft, sie konnten Kredite auf dem Kapitalmarkt nur mit hohen Risikoaufschlägen bekommen.

Was tun? Die stärkeren Staaten leihen sich Geld zu niedrigen Zinsen auf dem Kapitalmarkt und verleihen es an Krisenländer weiter – zu Zinsen, die höher sind, als sie zum Beispiel die Bundesrepublik auf dem Kapitalmarkt zahlen muss, aber niedriger als sie Länder wie Griechenland zahlen müssten.

Die EU-Staaten einigten sich, zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu diesen Konditionen Griechenland bei Bedarf bis zu 45 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen: Deutschland 8,4 Milliarden, Frankreich 6,3 und so weiter.

Heftige Konflikte in der EU

Eigentlich war also alles ganz einfach. Aber bevor Kanzlerin Angela Merkel diesem Ergebnis zustimmte, brach sie in der EU einen Konflikt vom Zaun, der die finanziellen Schwierigkeiten Griechenlands wochenlang verschärfte. Sie forderte, dass nicht die EU-Staaten, sondern nur der IWF einspringen solle. Frankreich und andere Länder meinten, das würde einer Bankrotterklärung Europas gleichkommen, wenn es seine Probleme nicht intern lösen könne. Deutschland forderte, Kredite an Griechenland sollten zu Marktzinsen erfolgen. Aber dann könnte Griechenland sich das Geld gleich auf dem Kapitalmarkt leihen. In beiden Fragen musste sie schließlich nachgeben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Möglichkeit schaffen, dass Länder aus dem Euro aussteigen können, was jedoch alle anderen Länder ablehnen.

Eine Pleite Griechenlands würde Deutschland extrem treffen. Der griechische Staat schuldet deutschen Banken 43 Milliarden Euro. Griechenland würde Spanien und Portugal mit sich in den Abgrund ziehen, die bei deutschen Banken 300 Milliarden Euro Schulden haben, vielleicht auch weitere Länder. Das internationale Finanzsystem stände wieder am Abgrund. Daher wussten alle, dass die Bundesregierung ihre Drohungen nicht wahr machen durfte.

An Griechenland wird ein Exempel statuiert

Die Drohungen sollten zum einen maximalen Druck auf Griechenland ausüben, seine Finanzprobleme in erster Linie durch Sozialkahlschlag im eigenen Land zu lösen (weniger Geld durch Waffenkäufe in der BRD zu verplempern, fordert Merkel nie) und nur im äußersten Notfall auf Hilfe von außen zurückzugreifen. Dabei geht es nicht nur um Griechenland selbst, sondern auch um seine Beispielwirkung auf andere Länder.

Zum anderen ist Hilfe für Griechenland innenpolitisch unpopulär. Die Bevölkerung hat seit anderthalb Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Regierung immer bei den Falschen schnell mit Hilfe bei der Hand ist, und ist daher misstrauisch. Zudem betreiben Union, FDP und Medien seit Monaten eine nationalistische Hetzkampagne gegen Griechenland. Indem mit „griechischer Mentalität“ erklärt wird, was eine Folge der Widersprüche des kapitalistischen Systems ist, sollen die wirklichen Zusammenhänge vertuscht werden (einschließlich der Rolle der deutschen Exportüberschüsse, die einen Export wirtschaftlicher Probleme bedeuten). Die Kehrseite ist, dass Hilfen für Griechenland, wenn sie aus kapitalistischer Sicht unumgänglich werden, dann Wählerstimmen kosten können.

Keine Lösung

So mühsam das Hilfspaket für Griechenland war, Stabilität schafft es keine. Das zeigte sich am 19. April, als die Verschiebung eines Treffens mit EU und IWF um zwei Tage, weil der Flugverkehr noch vulkanbedingt behindert war, die Zinsen für griechische Staatsanleihen wieder auf neue Höhen trieb.

Und schließlich: Soziale Konflikte lassen sich nicht unbegrenzt durch Staatsverschuldung abfedern. Die Grenze kommt in Griechenland früher als in Deutschland oder den USA. Aber auf die Dauer gibt es nur die Alternative, dass wir die Zeche für die kapitalistische Krisenlösung zahlen oder die Krise sozialistisch lösen und den Kapitalismus beerdigen – in Griechenland, der BRD und weltweit.