Nein zu kommunalen Kürzungshaushalten

DIE LINKE darf sich nicht auf die Politik des „kleineren Übels“ einlassen – Lehrbeispiel Stuttgart


 

Überall stehen die Kommunen angesichts der Krise vor riesigen Haushaltslöchern. Die Gewerbesteuerausfälle betragen im Bundesdurchschnitt 15 Prozent, in einzelnen Kommunen sogar bis zu siebzig Prozent. Das führt zu Sozialkürzungen, Einsparungen bei den städtischen Beschäftigten und Arbeitsplatzvernichtung. In verschiedenen Städten, ob in Rostock, Köln oder Wuppertal, laufen derzeit Haushaltsberatungen. Anderswo wurden Kürzungshaushalte gerade erst verabschiedet. So auch in Stuttgart. Dort stimmte auch DIE LINKE für den Haushalt. War das richtig? Welche Position sollte die Partei DIE LINKE heute grundsätzlich bei Haushaltsberatungen auf kommunaler Ebene einnehmen?

von Wolfram Klein, Mitglied im Vorstand der LINKEN in Stuttgart-Bad Cannstatt

Am 18. Dezember hat die gemeinsame Fraktion von Linkspartei und SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) den Haushalt der Stadt Stuttgart für die Jahre 2010 und 2011 mit beschlossen. Gerechtfertigt wird das damit, Schlimmeres verhindert zu haben. Schon bei den Einzelabstimmungen stimmte die Fraktion Kürzungen und Belastungen für die Bevölkerung zu.

Gibt es in Stuttgart eine „neue Mehrheit“?

Seit den Kommunalwahlen 2009 spekulieren die kapitalistischen Medien über eine „neue Mehrheit“ im Gemeinderat und stellen SPD und Grüne den „bürgerlichen Parteien“ gegenüber. Bewusst wird die Sprachregelung verwendet, nur Union und FDP als bürgerliche Parteien zu bezeichnen. Damit wollen sie der Bevölkerung vorgaukeln, dass es zwischen diesen und den anderen kapitalistischen Parteien, SPD und Grünen, grundlegende Differenzen gebe. So wollen die Herrschenden mehr Parteienkonstellationen zur Auswahl haben und eine Partei, die sich an der Regierung verbraucht und verschlissen hat, durch eine andere ersetzen können, die ihr genauso gut dient. Die Aufgabe von Linken, von SozialistInnen muss es sein, dieses Spiel zu durchkreuzen, nicht es mitzuspielen.

Mancher mag einwenden, dass es doch immer wieder heftige Streitigkeiten zwischen Rot-Grün auf der einen und Parteien wie CDU und FDP auf der anderen Seite gibt. Wohl wahr. Während Schwarz-Gelb die jahrelang praktizierte Politik von Neoliberalismus und Sparvorhaben einfach fortzsetzen möchten, plädieren SPD und Grüne für Kreditausweitung und Gebührenerhöhungen. In beiden Fällen handelt es sich allerdings um Krisenmanagement auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung.

Wie verhält es sich nun wirklich mit der „neuen Mehrheit“ in der baden-württembergischen Landeshauptstadt? Am 17. September stimmte Rot-Grün mit CDU, FDP, Freien Wählern für eine Haushaltssperre. Nur SÖS und LINKE votierten dagegen. Auch bei den Einzelabstimmungen zum Haushalt standen SÖS und Linkspartei in entscheidenden Fragen allein: zum Beispiel bei der Forderung nach einer Gewerbesteuererhöhung, bei der Ablehnung von Gebührenerhöhungen für Kitas und Kürzungen beim Fahrtkostenzuschuss für SchülerInnen.

Verantwortung für das Ganze – oder für Beschäftigte & Jugend?

Die Gemeinderätin Ulrike Küstler hat die Zustimmung der LINKEN für den Stuttgarter Haushalt in einem Artikel mit der „Verantwortung für das Ganze“ gerechtfertigt. Aber was ist „das Ganze“, für das wir Verantwortung übernehmen sollen? Wir leben im Kapitalismus, in der die Parteien des Kapitals von Grünen und SPD bis zu CDU und FDP eine satte Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat haben. Die Aufgabe der LINKEN muss es doch sein, hier wie bundesweit „Verantwortung“ für die Bekämpfung dieses Systems zu übernehmen, nicht für seine Aufrechterhaltung.

Die Zustimmung zum Haushalt in der Schlussabstimmung ist etwas völlig anderes als die Abstimmung in Sachfragen oder bei einzelnen Haushaltsposten. Bei Letzteren darf man zwar (anders als in Stuttgart leider geschehen) auch keinen Verschlechterungen zustimmen, aber man kann natürlich Kompromisse eingehen und für bescheidenere Verbesserungen stimmen als man selber gerne hätte, sofern für diese Verbesserungen sonst keine Mehrheit bestünde. Aber mit einer Zustimmung zum Haushalt gemeinsam mit Kräften, die „auf der anderen Seite“ stehen, beteiligt man sich an der Verwaltung des Kapitalismus. Man kann als Linker doch nicht den Treibstoff nachfüllen, mit dem der Motor des bürgerlichen Staats weiterläuft.

Bedauerlicherweise hat die Fraktion von SÖS und Linkspartei nun im Dezember in einer Stadt, die zu den reichsten Städten Deutschlands gehört, die kaum Schulden hat und darüber hinaus über eine Milliarde Euro Rücklagen für Stuttgart 21 verfügt (was die Grünen als vermeintliche Gegner dieses Wahnsinnsprojekts überhaupt nicht in Frage stellen), die „Sparlogik“ akzeptiert und mit den anderen über das „Wie“ statt das „Ob“ des Sparens gestritten.

Was kam bei der „neuen Mehrheit“ heraus?

Der Sanierungsstau bei den Schulen beträgt 328 Millionen Euro. Im Doppelhaushalt 2010/2011 sind aber nur 100 Millionen Euro für Schulsanierungen eingeplant. Turnhallen bleiben unbenutzbar, Schulkinder müssen weiter fürchten, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Der Gemeinderat hat dagegen im Sommer auf einen Schlag fast eine Milliarde Euro für die Rettung der Landesbank LBBW zur Verfügung gestellt.

Die Haushaltszustimmung wurde auch damit gerechtfertigt, dass neue Stellen im Öffentlichen Dienst geschaffen werden. In der Krise zusätzliche Stellen zu schaffen, sei ein großer Erfolg. Dem stehen aber eine Wiederbesetzungssperre und eine „globale Minderausgabe“ im Haushalt von 1,5 Millionen Euro für 2010 und von 4,5 Millionen Euro für 2011 gegenüber. Am 18. Dezember warnten SÖS und LINKE zunächst noch in einer Presseerklärung, dass durch diese „Minderausgabe“ 120 bis 150 Stellen „akut gefährdet“ seien, wenige Stunden später stimmten sie für den Haushalt, in dem diese Gefährdung enthalten ist.

Die fünf Millionen Euro Defizitausgleich, die für das Kinderkrankenhaus „Olgahospital“ bewilligt wurden, werden von der LINKEN und von ver.di als Erfolg gefeiert. Der Skandal ist aber, dass ein jährliches Defizit von neun Millionen Euro bleibt, was weiter wie ein Damoklesschwert über Beschäftigte und PatientInnen hängt.

Schon in den Einzelabstimmungen stimmten SÖS und LINKE für Kürzungen um fünf Prozent im Kulturbereich. Das sei ein Kompromiss, weil zehn Prozent Kürzungen gefordert waren. Ebenso befürworteten sie die Einführung einer Zweitwohnsitzsteuer und eine „mäßige“ Erhöhung der Grundsteuer und einzelne Gebührenerhöhungen. Durch ihre Zustimmung zum Gesamthaushalt hat die Fraktion in der entscheidenden Schlussabstimmung auch für die Gebührenerhöhungen (zum Beispiel für die Kitas) und Zuschusskürzungen gestimmt, die sie in den Einzelabstimmungen als Einzige noch abgelehnt hatten. Durch diese Zustimmung haben sie einer massiven Grundsteuererhöhung zugestimmt, die Eigenheimbesitzer und MieterInnen trifft, während sie Unternehmen mit der Gewerbesteuer verrechnen können. Und sie haben auch dafür gestimmt, dass die Gewerbesteuer nicht erhöht wird.

Was wäre die Alternative gewesen?

Wenn die Fraktion den Haushalt abgelehnt hätte, statt Rot-Grün als Mehrheitsbeschaffer zu dienen, wäre die erste Folge gewesen, dass die wirklichen Differenzen in der Stadt deutlich geworden wären. Die von den bürgerlichen Medien erfundene „neue Mehrheit“ hätte sich als Märchen erwiesen. Es wäre deutlich geworden, dass SPD und Grüne – die im Bund für Hartz-Gesetze und Afghanistan-Krieg und in Stuttgart für das Haushaltssicherungsgesetz eintreten – ebenso bürgerliche Parteien sind wie FDP und CDU.

Ein so außergewöhnlicher Vorgang wie das Nichtzustandekommen eines Haushaltsbeschlusses hätte für eine enorme Politisierung der Bevölkerung genutzt werden können. Es wäre möglich gewesen, zu verdeutlichen, dass es sich nicht um das übliche Ritual alle zwei Jahre handelt, sondern dass es um wichtige, alle Menschen betreffende Entscheidungen geht. Damit hätten gute Möglichkeiten bestanden, bei neuen Haushaltsberatungen im neuen Jahr noch viel mehr außerparlamentarischen Druck auf den Gemeinderat auszuüben und das mit den sich fortsetzenden Protesten (wöchentliche Montagsdemos von gegenwärtig 3.000 TeilnehmerInnen) gegen Stuttgart 21 – und mit der Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst – zu verbinden.

Prestigeprojekt Stuttgart 21

Stuttgart 21 ist ein Projekt, bei dem der Bahnhof unter die Erde verlegt und über 30 Kilometer Tunnel gegraben werden sollen. Den Nutzen haben vor allem Baufirmen und Immobilienspekulanten (wegen der „frei“ werdenden bisherigen Gleisflächen). Der Masse der Bevölkerung drohen Beeinträchtigungen während des jahrelangen Baus, ein schlechterer Bahnhof, unkalkulierbare Folgen des Baus und vor allem Kosten. Der Bundesrechnungshof hat die Kosten mit insgesamt 5,3 Milliarden Euro geschätzt, Kritiker befürchten mehr und berechnen die direkten und indirekten Kosten allein für die Stadt Stuttgart auf über eine Milliarde Euro.

Stuttgarter Gemeinderat

Seit den Kommunalwahlen vom 7. Juni 2009 sind die Grünen stärkste Fraktion (mit 16 von ins-gesamt 60 Sitzen). Die SPD hält zehn Sitze. Das kommunale Wahlbündnis SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial), das sich vor allem im Kampf gegen das Projekt Stuttgart 21 profilierte, wuchs von einem auf drei Sitze, die Linkspartei von einem auf zwei Sitzen. SÖS und LINKE bildeten eine gemeinsame Fraktion.

Nachdem viele Jahre lang CDU, FDP und Freie Wähler eine Mehrheit hatten, büßten sie diese im Sommer letzten Jahres ein.

Clara Zetkin über Budgetbewilligung:

1908 verurteilte der Nürnberger SPD-Parteitag mit großer Mehrheit die Zustimmung von SPD-Landtagsfraktionen zu Haushalten. Clara Zetkin gab damals in Stuttgart die SPD-Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ heraus und kommentierte dort:

„Gar bald stellte es sich heraus, dass die schroffsten Gegensätze in der Auffassung des Parlamentarismus im Besonderen und der sozialdemokratischen Taktik im Allgemeinen einander entgegenstanden.

(…) Auf der einen Seite Überschätzung der parlamentarischen Errungenschaften und der sozialreformerischen Konzessionen, die man von den herrschenden Klassen erringen kann, auf der anderen Seite der Standpunkt, dass bei allem Nachdruck im täglichen Kampfe um positive Errungenschaften und sozialreformerische Konzessionen diese doch immer an unserem Endziel gemessen und als bloße Abschlagszahlungen eingeschätzt werden müssen, die niemals unserer grundsätzlichen Opposition und unserer unversöhnlichen Feindschaft zum Klassenstaate im Geringsten Abbruch tun dürfen.

Auf der einen Seite die irrige Annahme, dass wir die indifferenten Massen nur durch allerlei Brocken positiver Besserungen für uns gewinnen können, auf der anderen Seite die Überzeugung, dass wir die Gefolgschaft und das Vertrauen der Massen vor allem durch unsere rücksichtslose Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung und durch unser sozialistisches Zukunftsideal gewinnen. Es waren zwei grundverschiedene Theorien des politischen Kampfes, die sich gemessen haben, zwei Theorien, die so gegensätzlich sind wie bürgerliche Reformpartei und proletarisch-revolutionäre Klassenpartei.“

„Der Parteitag in Nürnberg“ vom 28. September 1908