DIE LINKE nach der Bartsch-Affäre

Personalstreit entscheidet nicht den Richtungsstreit


 

Die Partei DIE LINKE ist denkbar schlecht ins neue Jahrzehnt gestartet. Die Auseinandersetzungen um Personalfragen, die seit der Bekanntmachung von Oskar Lafontaines Krebserkrankung die Partei dominieren und in der Ankündigung von Dietmar Bartsch, nicht mehr als Bundesgeschäftsführer zu kandidieren einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, haben der Partei in den Augen von Millionen Menschen geschadet. Denn sie macht den Eindruck, dass es in ihr, wie in jeder anderen Partei, nur um Macht und Posten geht, die Basis kaum Einfluss nehmen kann und die Inhalte zweitrangig sind.

Ein Kommentar von Sascha Stanicic, Berlin

In verschiedenen bürgerlichen Medien, wie dem SPIEGEL, wird der parteiinterne Streit als politischer Richtungsstreit zwischen dem moderaten und auf Regierungskoalitionen mit der SPD setzenden Ost-Flügel der Partei und den angeblich Fundamentalopposition vertretenden West-Landesverbänden um Oskar Lafontaine dargestellt. Richtig ist, dass sich politische Differenzen in der Personaldebatte ausdrücken und dass diese, aufgrund der unterschiedlichen Stärke der Quellorganisationen PDS und WASG in Ost und West, sich auch regional ausdrücken. Die westdeutschen Landesverbände sind zwar alles andere als homogen, vertreten aber weitaus kritischere Positionen zur Frage der Regierungsbeteiligung und haben eine stärkere Orientierung auf gewerkschaftlichen und außerparlamentarischen Widerstand. Leider gibt es aber zwischen Bartsch und Lafontaine keine prinzipiellen politischen Unterschiede.

Beide treten grundsätzlich für eine Politik ein, die durch Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen versucht, eine größere staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft durchzusetzen und Sozialabbau zu begrenzen – eine Politik des "kleineren Übels". Lafontaine war bereit im Saarland ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen einzugehen ohne dafür irgendwelche inhaltlichen Bedingungen zu formulieren. Dass es nicht dazu kam, lag nicht an ihm, sondern an den Grünen, die lieber mit der CDU ins Bett gestiegen sind.

Sicherlich ist der Parteiflügel, dem die Führungen der ostdeutschen Landesverbände und Landtagsfraktionen und das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) zuzurechnen ist, bereit so gut wie jede Kröte zu schlucken, um an die Fleischtröge der Macht zu kommen. Das haben sie in den Koalitionen mit der SPD in Berlin und in Brandenburg unter Beweis gestellt, wo DIE LINKE bzw. früher die PDS unzähligen Maßnahmen von Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau zugestimmt hat. Im Fall von Brandenburg war Lafontaine gegen eine Regierungsbeteiligung auf Basis des dort ausgearbeiteten Koalitionsvertrags, auch zur Politik des Berliner Senats hat er sich ab und zu kritisch geäußert, ohne jedoch jemals den Austritt der Partei aus dem Senat zu fordern. Darin drücken sich gewisse Unterschiede in der Frage, wie DIE LINKE an Stärke gewinnen kann, um in Regierungsbündnissen eigene Inhalte durchzusetzen, aus, aber grundsätzlich vertritt er keine andere politische Linie zur Frage der Regierungsbeteiligung.

Trotzdem sehen die Regierungsbeteiligungsfetischisten in der Partei Lafontaine als ein Hindernis für den von ihnen gewollten Durchmarsch in möglichst viele Landesregierungen und perspektivisch die Bundesregierung. Das nicht zuletzt weil Lafontaine versucht die linkeren Teile der Partei, die vor allem im Westen eine Basis haben, einzubinden. Er hat, wie auch Gysi, verstanden, dass die Partei eine Massenbasis in Ost und West braucht, um eine Zukunft zu haben.

Als Lafontaines Krebserkrankung bekannt wurde, dachten offensichtlich einige Parteirechte, dies sei die Gelegenheit, um mit einer Nachfolgedebatte an Lafontaines Stuhl zu sägen und dafür zu sorgen, dass seinE NachfolgerIn aus dem rechten Parteiflügel kommt. Bartsch scheint dieses Spiel so weit getrieben zu haben, dass er Informationen über Lafontaines Privatleben der Presse gesteckt haben soll – was er vehement bestreitet, ihm aber niemand glaubt. Er und seine Freundinnen und Freunde in der Parteispitze haben sich jedenfalls verschätzt. Sie haben das Machtspiel erst einmal verloren.Bartsch muss den Posten räumen und Bodo Ramelow kündigte an, nicht mehr für den Parteivorstand zu kandidieren.

Doch die Linken in der LINKEn sollten jetzt nicht jubilieren. Bartschs Rückzug bedeutet erstens keine Verschiebung im politischen Kräfteverhältnis der Partei und wird sich zweitens wahrscheinlich nicht einmal als wirklicher Rückzug herausstellen. Genauso wenig wird Ramelow sich auf Landespolitik zurück ziehen. Es ist eher zu erwarten, dass beide sich neue Geschützstände suchen, von denen aus sie ihre Salven gegen die Parteilinke weiter abfeuern können.

Ein Grundproblem der Partei, das die Debatte deutlich hat zu Tage treten lassen, wurde nämlich nicht berührt: die Macht der Apparate und bestimmter Einzelpersonen, sowie die Grenzen realer innerparteilicher Demokratie und Einflussnahme der Basis.

Die Debatte wurde von den Landesvorständen und Spitzenfunktionären geführt. Das mag auch ihre Aufgabe sein, aber wo gab es den Versuch über lokale und regionale Debatten und Konferenzen die Mitgliedschaft in die Auseinandersetzung einzubeziehen? Stattdessen hat Gregor Gysi im Stil eines Napoleon Bonaparte die Debatte an sich gerissen und auf der öffentlichen Fraktionsklausurtagung ein Machtwort gesprochen, das letztlich eine klare Aufforderung an Bartsch zum Rückzug war. Das Pikante daran: Gysi hat keine gewählte Funktion in der Parteiführung. In seiner Rede kokettierte er sogar mit diesem Umstand und bezeichnete sich wiederholt als "zuständig" weil "ohne Zuständigkeit". Das ist letztlich nichts anderes als öffentliches "mit Füßen treten" der gewählten Parteistrukturen. Um Bartsch den Weg zum Rückzug aus dem Amt des Bundesgeschäftsführers einfacher zu machen, hat er ihm dann auch noch den Posten des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden angetragen – wer dachte, dieser würde von der Fraktion gewählt sieht sich hier im Irrtum. Das scheint die persönliche Freiheit Gregor Gysis zu sein!

Ihre politische Schwäche haben in dieser Debatte aber auch die "linken" westdeutschen Landesverbände und Spitzenfunktionäre offenbart. Diese haben zwar erfolgreich an Bartschs Stuhl gesägt, aber sich in der Auseinandersetzung politisch nicht profiliert. Im Gegenteil: ihre wiederholten unkritischen Bekenntnisse zu Oskar Lafontaine als einzig möglichem und unverzichtbaren Parteivorsitzenden kamen einem Kotau vor Lafontaine gleich und bedeuten eine Selbsteinschränkung von Kritikmöglichkeiten ihm gegenüber.

Was ist jetzt nötig? Konzentration auf Politik und Widerstand! Der beste Weg den Schaden der Personaldebatte zu begrenzen wäre es nun Kampagnen zu starten, die alle Mitglieder motivieren, offensiv auf die Straße und vor Betriebstore zu gehen und die arbeitende und erwerbslose Bevölkerung anzusprechen. Themen dazu gibt es genug: die Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden, Unterstützung der Beschäftigten in der gerade stattfindenden Tarifrunde von Bund und Kommunen, Widerstand gegen die von der schwarz-gelben Bundesregierung angekündigte Gesundheitsreform und Sparpakete, massive Beteiligung an den Vorbereitungen zu den Anti-Krisen-Demonstrationen am 20. März und 12. Juni – und nicht zuletzt: der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Wenn dieser mit einem klaren linken und antikapitalistischen Profil geführt wird und sich die Partei nicht anpasst, um sich als Juniorpartner von SPD und Grünen in Stellung zu bringen, kann er Mitglieder und UnterstützerInnen begeistern und WählerInnen mobilisieren. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Partei und ihre vielen kommunalen MandatsträgerInnen in NRW sich vor Ort, in den Nachbarschaften und Betrieben praktisch für die Belange der einfachen Leute einsetzt und ihre Kraft nicht in Stadtratsdebatten, die an der Masse der Bevölkerung vorbei gehen, verausgabt. inhaltliche debatte organisiern

Doch eines ist klar: die inhaltlichen Auseinandersetzungen in der Partei sind nicht gelöst. Faktisch gibt es zwei Parteien in einer. Die Grenze ist dabei aber keine kulturelle zwischen Ost und West, sondern sie verläuft politisch zwischen den Kräften, die den Kapitalismus mitverwalten wollen und dabei bereit sind in Regierungskoalitionen mit Sozialabbau-Parteien einzutreten und denjenigen Kräften, die eine antikapitalistische und sozialistische Perspektive vertreten und nicht zur Beteiligung an Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung, Abschiebungen, Privatisierungen etc. bereit sind. Welche politische Linie sich durchsetzt, wird über dieb Zukunft der Partei entscheiden. Sind es erstere, droht der LINKEn das Schicksal der italienischen Rifondazione Comunista, die aufgrund ihrer Beteiligungen an den Regierungen unter dem Ministerpräsidenten Prodi massiv Wählerstimmen und Mitglieder verloren hat und in die Bedeutungslosigkeit versunken ist. Dies gilt es zu verhindern. Dazu muss sich die Parteilinke besser vernetzen und die Partei vor ort auf kämpferischer und antikapitalistischer Basis aufbauen. Sie wird nach der Landtagswahl in NRW, sollte es zu einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis reichen, massiv unter Druck geraten. „Ein Politikwechsel dürfe nicht an der LINKEn scheitern“, wird der Tenor derjenigen sein, die die Grundsätze der Partei in Regierungskoalitionen mit SPD und Grüne bereit sind auszuverkaufen. Auf diese Debatte muss sich die Parteilinke vorbereiten, um nicht einzuknicken. Bekanntlich ist der Weg zur Hölle ja mit guten Vorsätzen gepflastert.

Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV. Er gehört zusammen mit Lucy Redler zu den fünf SAV-Mitgliedern, die weiterhin nicht in die Partei DIE LINKE aufgenommen werden, obwohl sie wiederholt ein Eintrittsgesuch gestellt haben. Hintergrund dieser Ausgrenzung ist die deutliche Opposition der SAV zur Beteiligung der Partei DIE LINKE am rot-roten Senat in Berlin.